Besuch in Kanada

Andrea Wirsching – Unternehmen Traditionsweingut

Text: Arthur Wirtzfeld | Veröffentlicht: 21. März 2019


KANADA (Ottawa) – Wer einmal die Möglichkeit hat, mit Lufthansa First Class zu fliegen, kann sich während des Fluges Weine vom Weingut Hans Wirsching kredenzen lassen. Keine geringeren Persönlichkeiten als der Papst und der amerikanische Präsident kosteten bereits die feinen Weine des im fränkischen Iphofen beheimateten VDP-Weingutes. Seit 1630 produziert die Familie Wirsching Wein – deren Weinberge erstrecken sich auf einer landschaftlich malerischen Fläche von 90  Hektar entlang des Steigerwalds. Andrea Wirsching ist heute die Geschäftsführerin in der 13. Generation des Weingutes Hans Wirsching.

Für Andrea war nicht immer klar, dass sie einmal in das Familienunternehmen eintreten würde. Nach dem Abitur sah sie ihre Zukunft nicht im Familienunternehmen, sondern studierte Geschichte. Es sollte zwanzig Jahre dauern, bis sie in das Familienunternehmen zurückkehrte und das Team verstärkte. 

In der Weinbranche, so beschreibt es Andrea, muss man flexibel sein und Gelegenheiten beim Schopf packen. Sie sagt auch, dass man auf sein Bauchgefühl hören muss, da die Dinge oft anders laufen als geplant. Sie weiß aus eigener Erfahrung, dass im Familienbetrieb die Balance zwischen den beruflichen und emotionalen Aspekten eine große Herausforderung sein kann.  

Seit 2016 produziert das Weingut Hans Wirsching koschere Weine. Die Weinfamilie nimmt daneben auch am deutsch-israelischen Partnerschaftsprogramm „Twin Wineries“ teil und hat dadurch eine enge Beziehung zu Israel. „Die Herstellung von koscherem Wein erfordert Disziplin – du musst strenge Regeln einhalten“, sagt Andrea. Ein Rabbiner muss am gesamten Prozess der Weinherstellung selbst mitarbeiten. Die Belohnung: Koschere Weine sind in Deutschland sehr selten, sodass das Weingut Hans Wirsching neue Märkte im eigenen Land, aber insbesondere auch in den USA, erschließen kann.

Im Februar dieses Jahres hielt Andrea einen Vortrag an der Telfer School of Management an der University of Ottawa über die Führung eines generationsübergreifenden Familienunternehmens. SoGerman, eine Institution für deutsche Kultur in Kanada, nutzte die Gelegenheit, im Vorfeld des Univortrages mit ihr ein Interview zu führen. In dem Interview reflektiert Andrea über die Herausforderungen, die das Führen eines Familienweingutes mit sich bringt und lässt uns an persönlichen Erfahrungen teilnehmen. Hier lesen sie wesentliche Auszüge des Interviews …

Andrea Wirsching im Interview mit SoGerman

Was führt dich nach Kanada?

Hier in Kanada lebt ein sehr guter Freund von mir. Das, was er und andere mir erzählt haben, hat mich sehr neugierig gemacht und so wollte ich eines Tages hier sein. Und jetzt bin ich hier. Momentan habe ich wirklich das Gefühl, dass ich viel früher hätte kommen sollen. 

Was sind deine ersten Eindrücke von Kanada?

Ich empfinde eine unglaubliche Fülle an Raum, an Natur, an Lebensqualität. Die Leute hier sind sehr nett und begegnen mir mit ihrer so eigenen unkomplizierten, freundlichen Art.

Was denkst du über kanadische Weine?

Mir ist kanadischer Eiswein bekannt, den man hier wegen eher stabilen Witterungsverhältnissen sehr gut produzieren kann. Ich weiß auch, dass kanadischer Eiswein hoch geschätzt wird. Bei uns in den deutschen Anbaugebieten kämpfen wir seit Jahren mit dem Klimawandel, der eine Anpassung unserer traditionellen Weinherstellung erfordert. Durch meine vielen Reisen erfahre ich viel über klimatische Gegebenheiten. Ich besuche auch so spezielle Weingebiete wie beispielsweise Israel, weil man dort mit besonderen Klimata und trockenen Verhältnissen umgehen muss. 

Du stammst aus einer traditionsreichen Weinfamilie. Was ist das Geheimnis, um ein Generationen übergreifendes Familienunternehmen erfolgreich zu führen?

Wir sind eine Weinfamilie seit 13 Generationen. Das Geheimnis ist der Austausch von Erfahrungen und wie man damit gemeinsam umgeht. Es geht um Werte. Es ist egal, ob es es sich dabei um die Erziehung deiner Kinder handelt oder um die Weinproduktion. Es ist überall das Gleiche – ein Zusammenspiel von Emotionen, professioneller Arbeit, Information und Ausbildung. Die Tradition spielt natürlich in alle Bereich mit hinein.  

Wie hat dein Familienunternehmen so lange überlebt?

Einige unserer Generationen hatten es sehr schwer. Mein Großvater hatte es mit der Reblaus-Plage zu tun, die praktisch den Weinbau bei uns zum Erliegen brachte. Er begann nach dem Ersten Weltkrieg, unser Gut und die Rebanlagen wieder neu aufzubauen und begründete damit unser Weingut neu – es war für ihn eine Frage seiner eigenen Identität und der Identität seiner Familie. Genau das sind solche Fragen, die  Familienbetriebe von anderen Firmenarten unterscheiden.  

Vor welchen besonderen Herausforderungen stehen Familienunternehmen?

Die größte Herausforderung ist eine geordnete Hierarchie. Ein Beispiel: gehen wir mal davon aus, der Vater ist der Boss. Wenn er der König ist, dann ist seine Frau die Königin. Auch wenn die Königin nichts über das Geschäft des Königs weiß, bleibt sie doch die Königin, hat also eine besondere Stellung. Es sind letztlich die emotionalen Aspekte, die in die professionelle Arbeit einer Familie hineinspielen. All dies muss unter einen Hut gebracht werden, wenn Traditionen bestehen bleiben sollen.

Wie kultiviert man Innovationen?

Ich denke, du musst für deine Branche brennen. Du musst für dein Geschäft brennen. Und wenn du brennst, dann öffnest du Augen und Ohren, bist sensibel und aufmerksam. Aber man muss dabei auch nicht alles selbst erfinden. In der ganzen  Welt werden Dinge sehr gut gemacht – Innovationen findest du überall. Du musst dich aber bewegen und dir ansehen, worüber du nachgedacht hast und Antworten finden, wozu du Fragen hast. Ich habe oft das Gefühl, dass die Dinge vor mir liegen, ich muss sie nur aufheben. So kam ich auch zu unserem koscheren Projekt, ich habe es gesehen und mich darum gekümmert.

Hast du jemals daran gedacht, dein Familienunternehmen nicht zu übernehmen?

Es gab Momente in meiner Biographie, in denen es nicht danach aussah. Die Zeit war damals nicht reif für mich. Aber ich hielt stets Kontakt zu meiner Familie. Nach der Schule gab es keinen Platz für mich im Familienbetrieb, also habe ich ein anderes Studium begonnen. Später heiratete ich einen Winzer, wir bekamen drei Kinder. Meine Erfahrung als Winzerehefrau und Mutter hat mir viel gebracht. Nur leider hat die Ehe nicht gehalten. Es kam der Zeitpunkt, dass ich zurück nach Hause kam. Ich hatte mittlerweile viel gelernt, wusste viel über Weinbau, Ausbau und Vermarktung. Ich bin heute froh und dankbar, dass ich mein Leben flexibel gestalten konnte. Die Erfahrungen, die ich außerhalb unseres Familienweingutes gemacht habe, sind heute ein unschätzbarer Vorteil. Ich habe gelernt, dass es Hirn und Bauchgefühl braucht und beides nur dann gut zusammengeht, wenn man für seine Arbeit brennt.

Twin Winery – koschere Weine

Warum war es für Wirsching wichtig, sich der Initiative Twin Winery anzuschließen?

Für mich ist es wichtig, weil ich Israel liebe. Ich bin Christin. Die Juden sind unsere älteren Brüder. Wir leben heute in einer Welt, in der wiederaufkeimender Antisemitismus spürbar ist. Du weißt, dass dies falsch ist und du weisst, dass du etwas dagegen tun musst. Das Projekt Twin Winery verbindet Deutschland mit Israel, es ist eine Partnerschaft zwischen Städten und Menschen. Es werden Freundschaften gefördert und ebenso der berufliche Austausch. Ich selbst versuche meine Erfahrungen an Weingüter in Israel weiterzugegeben und im Gegenzug erfahre ich beispielsweise, wie man Reben in einem extrem trockenen Klima mit intelligenten Bewässerungssystemen am Leben erhält und zum Ertrag bringt. Ich vermittle unsere Erfahrungen im Weinmarketing und wir präsentieren unsere Weine gemeinsam auf diversen Events. Alle Beteiligten haben die gleiche Vorstellung von Qualität. Ich denke, das Projekt Twin Winery ist eine wunderbare Sache, von der alle profitieren.

Wie kam es zum koscheren Wein und warum hast du dich entschieden, solche Weine herzustellen?

Wir haben Geschäftsfreunde, ganz liebe Menschen mit jüdischem Glauben. Aufgrund unserer Freundschaft kamen wir auf den Gedanken, koscheren Wein herzustellen. Den Gedanken fand ich spannend und es wurde für uns eine große Herausforderung. Wir haben einen völlig neuen Eindruck über eine breite Palette von Regeln erfahren, die etwas mit der jüdischen Identität seit 3000 Jahren zu tun haben. Uns sind diese Regeln fremd, aber wir haben keine Angst, damit umzugehen. Solche Projekte haben den großen Vorteil, dass sie den eigenen Horizont erweitern.

Worin besteht der Unterschied zwischen koscherem Wein und anderem Wein?

Beide sind identisch, jedenfalls vom Anbau über die Ernte bis zur Vinifikation. Aber ein wesentlicher Unterschied ist, dass das Procedere von einem Rabbiner nicht nur beaufsichtigt, sondern handwerklich durchgeführt werden muss. Ein Rabbiner, der das Zertifikat ausstellt, muss garantieren, dass alle Regeln eingehalten wurden. Christen dürfen bei der Vinifikation nicht dabei sein, da sie den Saft nicht sehen dürfen. Der Rabbiner erhält von unserem Kellermeister genaue Instruktionen, dann handelt er entsprechend. (Anm. d. Red.: Besonders wichtig bei der Herstellung ist, dass Schönungsmittel bzw. Klärungsmittel wie Gelatine als tierisches Produkt oder Kasein als Milchprodukt nicht verwendet werden dürfen. Dagegen ist Eiweiß als Schönungsmittel durchaus erlaubt, insofern sollten sich Veganer vor dem Genuss von koscherem Wein entsprechend informieren.)

Was sagt man über deinen koscheren Wein?

Unsere koscheren Weine werden bei der Vinifikation nicht erhitzt. Dadurch sind sie knackig, frisch und leicht. Marmeladige Aromen durch das Pasteurisieren, das man bei dem anderen koscheren Verfahren – „mevuschal“ – oft erlebt, gibt es nicht. Das macht unseren koscheren Weißwein einzigartig und fällt bei den Verkostungen auch auf.  

Welche Dinge muss man beim Eintritt in den koscheren Markt beachten?

Wir haben unseren koscheren Wein in Bocksbeutel gefüllt. Das war ein Irrweg, den wir jetzt gerade korrigieren. Die meisten Händler verkaufen Pakete mit gemischten Sortimenten und da passt diese bauchige Flasche nicht hinein. Wir lernen also ständig dazu. Für uns ist der koschere Weinmarkt völlig neu.  

Was macht den Wein vom Weingut Wirsching so besonders?

Nun, vielleicht ist das Geheimnis, dass unsere Weine sehr gute Essensbegleiter sind. Die Kanadier lieben gutes Essen, also passt auch unser Wein. 

Der Papst und sein Iphöfer Kelch

Wie kam es, dass der Papst und auch der amerikanische Präsident zu Weinen von Hans Wirsching kamen?

Nun, dass der Papst unsere Wein mag, war eher ein witziger Zufall. Mein Vater überreichte dem Papst als Repräsentant der  fränkischen Winzer einen Korb mit Wein. Als bei der Festmesse der Kelch auf dem Altar umfiel und auf die Schnelle kein Ersatz da war, öffnete einer der Organisatoren, der immer einen Korkenzieher in der Tasche trug, eine unserer Geschenkflaschen. So wurde dieser besondere Wein zum Messwein. Der Papst erkannte wohl die Qualität, fragte nach dem Rest der Flasche und hat dem Wein am Abend ausgetrunken. Dem amerikanischen Präsidenten wurden unsere Weine bei einem offiziellen Bankett eingeschenkt. Wer in der Lufthansa in der ersten Klasse gebucht hat, der kann dort auch einen Wein von uns genießen. Wie sie hören, haben wir manchmal einfach Glück und geben ansonsten unser Bestes.  

Du wirst bei deinem Aufenthalt in Kanada auch vor Studenten der Telfer School of Management an der University Ottawa sprechen. Was ist das Wesentliche Deines Vortrags?

Es wird um die Herausforderungen in Familienbetrieben gehen und da sind wir ein gutes Beispiel. Es geht darum, die  Weintradition zu erhalten, zu managen und an die nächste Generation weiterzugeben. Insofern werde ich meine Geschichte erzählen und über meine Erfahrungen sprechen. Ich freue mich auf eine sicher spannende Diskussion.

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