Cheddar-Gate

„Narzistische Diva“ verliert dritten Stern

Text: Arthur Wirtzfeld | Veröffentlicht: 9. Januar 2020


FRANKREICH (Nanterre) – Die Frage stand im Raum: War die Kritik gerechtfertigt oder unangebracht? Anfang dieses Jahres hatte ein französisches Gericht zu entscheiden, ob der berühmte Restaurantführer Michelin die geheimen Kriterien für die Aberkennung des dritten Sterns von Spitzenkoch Marc Veyrat offenlegen muss. Im Zentrum des Gerichtsstreits stand ein Soufflé, das Veyrat nach Überzeugung eines Michelin-Kritikers mit angeblich minderwertigem englischem Cheddar-Käse zubereitete und nicht wie von ihm angegeben mit traditionellen französischen Sorten wie Reblochon oder Beaufort. Die britische Presse titelte dazu böse „Cheddar-Gate“.

Der Disput

Erst zu Beginn des vergangenen Jahres hatte der Michelin Veyrats Restaurant „La Maison des Bois“ in Manigod bei Annecy (Département Haute-Savoie, gehörend zu Auvergne-Rhône-Alpes) den dritten Stern verliehen, doch dann nach einem Testessen wieder entzogen. Dem darauf hin seit März 2019 schwelenden Disput musste sich neben Veyrat auch der Michelin-Direktor Gwendal Poullennec stellen, der vertretend für den Michelin-Verlag dem Sternekoch zudem die labbrige Konsistenz einer Jakobsmuschel vorhielt – bei der es sich laut Veyrat in Wirklichkeit aber um einen Fisch aus der Region handelte. „Ich habe großen Respekt für den Michelin, doch in meinem Fall haben sie einen Fehler gemacht und sollten dies eingestehen“, kommentiert der für seinen schwarzen Hut und seine Sonnenbrille bekannte Sternekoch in französischen Medien.

Im Antrag zum Prozess verlangte Veyrat einen symbolischen Euro als Schadenersatz und er wolle lieber aus dem Hotel- und Restaurantführer gestrichen werden, als dort mit nur zwei Sternen gelistet zu sein. Dem gegenüber reichte der Michelin-Verlag eine Klage ein und verlangte von Veyrat 30.000 Euro Schadenersatz. Der Schlagabtausch vor Gericht wurde teilweise taktlos geführt. Der Anwalt des Michelin-Verlags bezeichnete Veyrat als „narzisstische Diva“ und den Prozess als „Farce“. Veyrat hielt mit seiner unrealistischen Forderung dagegen, dass Gastro-Kritiker nicht mehr ihre Meinung äußern dürften. Wobei der Michelin-Anwalt wiederum konterte „wir stehen hier, weil sein Restaurant nur noch als exzellent und nicht mehr als brillant gewertet wird" und betonte, der Gastronomieführer sei für die Kunden da und „nicht das Eigentum der Köche“.

Das Urteil

Das Gericht folgte den Einlassungen von Veyrat nicht. Der französische Spitzenkoch verlor den Prozess gegen den Michelin-Verlag. Die Richter in Nanterre urteilten demnach, dass Marc Veyrat nicht nachweisen konnte, dass ihm durch die Herabstufung seines Restaurants ein Schaden entstanden sei. Genau auf diesen Punkt hatten die Anwälte des Guide-Michelin ihren Fokus gelegt. Im Plädoyer verwiesen Veyrats Anwälte darauf, dass „kein Student sich mit einer Benotung einverstanden erklären würde, wenn er nicht die Benotungskriterien und die Punkteskala kennen würde“ und nach dem Prozess beklagten sie, dass sie für Ihren Mandanten „kein Gehör beim Gericht erhalten hätten“, wie regionale Medien zitieren.

Spontanität gepaart mit einer Portion Bonhomie

Er ist Hedonist und Philanthrop zugleich, schon irgendwie eigen, aber hinter der Sonnenbrille findet sich ein schelmischer Junge, der den Hut seines Großvaters einst stibitzte – Brille und Hut sind heute sein Markenzeichen. Spitzenkoch Marc Veyrat ist kein entrückter, sondern ein sympathischer Chef. Den Wanderern, denen er auf Touren in der bergigen Region rund um sein Restaurant „La Maison des Bois“ begegnet, bietet er schon mal unerwartet den Besuch seines Restaurants an, ohne Anmeldung versteht sich; den Freunden des Dorfes bietet er gerne ein Glas der Freundschaft. So ist Marc Veyrat: eine Mischung aus fröhlicher Spontanität gepaart mit einer Portion Bonhomie. Denn bevor er Chef ist, ist Marc erst einmal der Nachbar, der Freund, der Lehrer – Letzteres getrieben von seiner Liebe zur Botanik.

Dass einem solchen Menschen, der ebenso intensiv seine Küche führt wie er mit Menschen und Natur umgeht, Testesser mäkelig einen Stern entreißen, ist in seinen Augen Blasphemie. Dabei stellt sich die Frage, ob der Rogen einer Forelle, frisch geangelt in einem nahegelegenen Bergbach, besser mit einer Creme, gewürzt mit heimischen Bergkräutern, harmoniert als Beluga Kaviar vom Schwarzen Meer. Wie würde ein Michelin-Tester das werten?

Als Sohn eines Bauern ist Marc Veyrat mit der Natur verbandelt, mit seinen Zutaten auf seinen Tellern praktisch aufgewachsen. Er hat seine Echtheit aus der Familiengeschichte geschöpft und sein „Maison des Bois“ auf dem kulturellen Erbe seiner Vorfahren aufgebaut. Aus Respekt vor dem Land und der ländlichen Erziehung hat der autodidaktische Bauernkoch eine einzigartige Stärke entwickelt: die Gastronomie für die Mineralität, für eine gesunde Ernährung zu öffnen, die Umwelt auf die Teller zu bringen, denn am Ende ist alles rund um seine Wirkungsstätte zu finden. Für ihn, der ebenso mit dem Herzen wie mit seinen Erinnerungen kocht, ist es kein Zufall, irgendwo auf dem Land geboren zu sein, sondern es ist eine Identität. Man möchte ihn trösten: „Ob zwei oder drei Sterne, das dürfte deinen Fans egal sein, solange du so bleibt wie du bist.“

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