Heimliche Hobby-Winzer - Palästinische Weinerzeuger leben gefährlich

09.11.2009 - aw-yoopress-em arthur.wirtzfeld

PALÄSTINA (Gaza) - Heimlich schleicht sich Abu Mohammed auf das Dach eines verlassenen Hauses in Gaza. Hier oben ist er unbeobachtet, hier kann er seiner Liebhaberei nachgehen - der Produktion von Wein. "Als die Hamas die Macht übernahm, habe ich angefangen, meinen eigenen Wein herzustellen", sagt der Beamte. Seinen vollständigen Namen will er nicht nennen, zu groß ist die Angst vor Bestrafung durch die radikalislamischen Machthaber. "Ich habe Freunde gefragt, wie das geht und im Internet recherchiert", schildert er seinen Werdegang als Winzer.

 

Im Gegensatz zum Westjordanland, wo Alkohol vielerorts offen verkauft wird, war Alkohol im konservativeren Gazastreifen nie weit verbreitet. Bis zum Wahlsieg der Hamas im Januar 2006 konnte dennoch jeder problemlos Bier und Wein aus Israel oder Ägypten nach Gaza bringen, einige Restaurants und Bars schenkten auch Alkohol aus. Die neuen Machthaber machten Schluss mit dieser in ihren Augen unislamischen Praxis. "Alkoholische Getränke verboten", warnt bereits am Grenzübergang Eres ein Schild die Besucher. Selbst die geschäftstüchtigen Händler, die von der Windel bis zum Auto alle möglichen Waren durch Tunnel aus Ägypten einschmuggeln, schrecken davor zurück, Alkohol in das Palästinensergebiet zu bringen.

Weinliebhabern wie Abu Mohammed bleibt also nichts anderes übrig, als ihre Tropfen selbst zu keltern. "Als erstes wasche ich die Trauben, zupfe sie von den Stängeln und dann quetsche ich sie mit bloßen Händen aus", sagt er, während er die Trauben bearbeitet. "Die Samen setzen sich am Boden ab. Danach filtere ich den Saft und setze ihm ein bisschen Hefe zu, um die Gärung zu beschleunigen, die mindestens 40 Tage dauert." Das Ergebnis sei "nicht so gut wie richtiger Wein", räumt Abu Mohammed ein, jedoch das Beste, was er unter diesen Umständen bekommen könne.

Und für diesen bestenfalls mittelmäßigen Genuss geht der Beamte ein hohes Risiko ein. "Ich habe furchtbare Angst, dass mich die Polizei der Hamas entdecken könnte", sagt er. "Deshalb mache ich alles allein und im Geheimen und vor allem verkaufe ich den Wein nicht."

Auch Hussein kennt diese Angst, der 56-Jährige lässt in kleinen Holzfässern ebenfalls Wein gären. Er fürchtet nicht nur die Polizei, "die keine Gnade kennt", sondern auch, sein Gesicht in der konservativen Gesellschaft zu verlieren. Wieviele Palästinenser im Gazastreifen Wein herstellen, lässt sich schwer sagen. Doch den Erzählungen der Menschen zufolge sind es entweder sehr wenige oder es gelingt ihnen tatsächlich, ihr verbotenes Hobby geheim zu halten.

Über das Vorgehen bei Verstößen gegen das Alkoholverbot werde "von Fall zu Fall gemäß dem palästinensischen Gesetz entschieden", sagt Hamas-Sprecher Taher el Nunu. Er halte es für eine "gesellschaftliche Pflicht", Alkohol zu beschlagnahmen, sagt der Leiter der Abteilung für Drogenbekämpfung der Hamas-Polizei, Dschamal Dahschane. Der Fall eines heimlichen Winzers sei ihm bislang aber noch nicht untergekommen. "Selbst wenn wir jemanden entdecken, der seinen Alkohol selbst herstellt, haben wir keine Möglichkeit, ihn festzunehmen", sagt der Polizist. "Denn das palästinensische Gesetz betrachtet nur den Verkauf von Alkohol als Straftat, nicht jedoch den Konsum."

Dennoch versuchen die Weinproduzenten in Gaza, das Risiko so gering wie möglich zu halten. Nur allein oder im engsten Familien- und Freundeskreis werden die Flaschen geleert, und auch nur nachts im eigenen Haus. Abu Mohammed genehmigt sich nie mehr als vier Gläser, die ihn zwar leicht beschwipsen, aber keinesfalls betrunken machen.

Hussein hingegen betrinkt sich auch manchmal - allerdings nur noch hinter verschlossenen Türen, seit Nachbarn ihn wegen seines seltsamen Verhaltens zur Rede stellten. Trotz aller Angst und Gefahr denkt keiner der beiden Weinliebhaber daran, das gefährliche Hobby aufzugeben. "Ich weiß, dass ich in einer traditionellen Gesellschaft lebe, aber Alkohol zu trinken ist für mich eine Frage der persönlichen Freiheit", sagt Abu Mohammed.