Top of Toskana 2023 - Winzer, mit Weinen ohne DOC- oder DOCG-Ursprungsbezeichnung, aber dennoch mit viel Toscanità

Die Legenden der Toskana

Text: Christian Eder, Fotos: gettyimages / bbevren, z.V.g.

Winzer, die mit ihren Weinen in keiner DOC- oder DOCG-Ursprungsbezeichnung beheimatet sind, aber trotzdem Kreszenzen mit viel Toscanità produzieren, haben wir hier versammelt. Alter Adel ist ebenso dabei vertreten wie moderne Kunst.

Andrea Franchetti: Das Erbe eines Visionärs

«Genial» nannte man ihn und «einen Visionär»: Andrea Franchetti, Weinmacher in der Toskana und am Ätna, ist vor knapp einem Jahr im Alter von 72 Jahren viel zu früh verstorben. Auf seiner Tenuta di Trinoro im toskanischen Orciatal und auf Passopisciaro am Ätna hat er aber davor Weinbaugeschichte geschrieben.

Andrea Franchetti wurde in New York als Sohn einer Italienerin und eines Amerikaners geboren und war der Neffe des Malers Cy Twombly. Er lebte später in Rom, wo er sich unter anderem um den Vertrieb italienischer Weine im Ausland kümmerte. Erst in seinen Vierzigern entdeckte er seine Liebe zum Weinmachen und zum Orciatal in der Toskana: «Ich bin 1980 im Val d’Orcia angekommen», hat Andrea Franchetti einmal erzählt, «als ich dort war, sah ich ein völlig verfallenes Haus, in dessen Mauern ein Feigenbaum wuchs. Ich kaufte es, aber begann erst nach Jahren, es zu renovieren. Ich begann mit dem Pflanzen und lernte im Laufe der Zeit, wie man Wein herstellt. Ich wollte, wie alle anderen, den besten Wein der Welt machen, und deshalb ging ich nach Bordeaux, um zu lernen. Dann kam ich zurück, und Jahr für Jahr wurden meine Weine besser.» Diese Entwicklung sieht man am Tenuta di Trinoro, dem Flaggschiffwein der Kellerei. 1997 wurde die erste Flasche abgefüllt und gleich zu einem Erfolg – nicht nur in Italien, sondern vor allem auch im Ausland.

Die Weine der Tenuta di Trinoro zeichneten sich seit Beginn durch einen eigenständigen Charakter, Langlebigkeit und Eleganz aus – und natürlich bei aller Toscanità auch durch einen kräftigen Schuss Bordeaux. Letzteres nicht zuletzt wegen der Wahl der Trauben: Cabernet Franc, Cabernet Sauvignon, Merlot und ein kleiner Anteil Petit Verdot sind es im Tenuta di Trinoro. Franchetti hatte natürlich ebenfalls Bordeaux im Sinn, als er 1997 den Palazzi erfand, produziert hat er diesen reinsortigen Merlot dann allerdings nur wenige Jahre: Erst 2009 wurde er wieder zum Leben erweckt und ist bis heute ein Aushängeschild der Kellerei. Aber Franchetti, der immer das Terroir im Wein suchte, hatte noch eine zweite Liebe: Im Jahr 2000 investierte er als einer der Ersten in Weinberge am Ätna. Seit der Gründung des Weingutes Passopisciaro in Randazzo gehörte Franchetti auch dort zur Speerspitze der Produktion von Weinen aus Nerello Mascalese, ebenso wie auch Petit Verdot, Cesanese oder Chardonnay.

Doch ein grosser Teil seines Herzens gehörte nach wie vor der Toskana: Auf der Tenuta di Trinoro in Sarteano im Orciatal stehen heute 24 Hektar auf 16 Parzellen unter Reben, die alle zwischen 450 und 650 Metern über dem Meeresspiegel liegen. Eine Entscheidung traf Andrea Franchetti dann noch mit seinem Sohn Benjamin, der seit 2016 im Gut arbeitet: Da die Weine von Trinoro Zeit brauchen, wurde beschlossen, den Flaggschiffwein der Tenuta di Trinoro neben die Linie I Campi, drei einzelne Parzellen mit Cabernet Franc, den Merlot in purezza Palazzi, den Le Cupole, eine jüngere Version des Flaggschiffweines und den weissen Bianco di Trinoro, zu stellen.

Diese Weine sind auch das Vermächtnis des Andrea Franchetti: «Der Mensch», so sagte er einmal, «verwirklicht sich in dem, was er schafft.» Das hat er getan.

Lodovico Antinori: Der Charme der Küste

Schon in den 80er Jahren erkannte Marchese Lodovico Antinori – Spross des gleichnamigen Adelshauses und jüngerer Bruder von Piero Antinori – das Potenzial der Lagen von Bolgheri. Die von ihm kreierten Ornellaia und Masseto machen ihn bereits damals zu einer Legende des italienischen Weinbaus.

2001 allerdings verkaufte er das Gut Ornellaia bei Bolgheri und konzentrierte sich ab diesem Moment auf eine Zone ganz in der Nähe: Bibbona. Bereits 1994 hatte er auf das Gebiet als Möglichkeit zur Erweiterung der Ornellaia-Rebberge ein Auge geworfen. «Bellaria» wurde die auserwählte Lage genannt, da eine stetige Meeresbrise weht. «Es war Liebe auf den ersten Blick», erzählt Lodovico Antinori heute noch. Aber die Zusammensetzung der Böden in Bellaria war dann doch anders – ton- und kalkhaltig, mit grossen Kieselsteinen – als in Ornellaia. Nichtsdestotrotz könnte man auch hier einen grossen Wein erzeugen, meinte der Marchese. Nach dem Verkauf von Ornellaia wurde das Projekt schliesslich spruchreif, und gemeinsam mit seinem Bruder Piero und später seinem Neffen Niccolò Marzichi Lenzi hob er die Tenuta di Biserno aus der Taufe. Zwischen 2001 und 2005 wurden die Reben gepflanzt, Cabernet Franc, aber auch Syrah, Cabernet Sauvignon, Merlot und Petit Verdot. Wie schon bei Ornellaia stand Michel Rolland als Berater zur Verfügung, die international erfahrene Helena Lindberg wurde Önologin, und auch Lodovicos Neffe Niccolò Marzichi Lenzi ist dabei. Unter dem Namen Campo di Sasso, nach einem Gut, sieben Kilometer westlich der Tenuta di Biserno, nahe der Stadt Bibbona gelegen, wurden die ersten Weine produziert: Toscana-IGT-Weine aus dem sehr eigenständigen Gebiet von Bibbona.

Heute stehen 50 Hektar unter Reben, und das in Panoramalage nahe dem Meer. Die Böden bestehen aus mineralreichem Schwemmlanduntergrund, Muschelkalk und Kieselsteinen, mit Anteilen von Kalk und Ton. Sie sind die Basis des Il Pino di Biserno und des Flaggschiffweines Tenuta di Biserno (ein geschmeidiger Blend aus Cabernet und Merlot mit viel Reifepotenzial).

Das ist aber noch nicht alles: Marchese Lodovico nennt auch ein Juwel im Juwel sein Eigen. Von sechs Hektar inmitten der Tenuta stammen die Trauben für den Spitzenwein Lodovico. Schon 2002 bepflanzte Lodovico Antinori diesen Rebberg – die Vigna Lodovico – mit Cabernet Franc sowie etwas Petit Verdot und Merlot. Die Produktion beträgt nur rund 8000 bis 10 000 Flaschen. Die Gärung erfolgt in Edelstahltanks für drei bis vier Wochen bei 28 Grad. 80 Prozent des Weins durchlaufen die malolaktische Gärung in Eichenfässern, der Rest in Edelstahl. Der Wein reift 16 Monate in 80 zum grössten Teil neuen Barriques aus französischer Eiche. In Spitzenjahrgängen – wie 2019 – kombiniert er eine unglaubliche Fülle mit Eleganz und Geschmeidigkeit. Der Lodovico ist aber nicht der einzige Ausdruck dieses ganz speziellen Rebberges und der Philosophie Lodovico Antinoris: Der zweite Wein des Spinoffs der Tenuta di Biserno heisst Sof und ist ein Rosé aus Cabernet Franc und Syrah, der von Lodovicos Tochter Sofia inspiriert wurde.

Bibi Graetz: Ein Tollkopf feiert Jubiläum

20 Jahre sind die Weine des Bibi Graetz jung und haben fast nichts von ihrer Jugendlichkeit und ihrem Esprit eingebüsst – wie auch ihr Schöpfer selbst immer noch sein jungenhaftes Auftreten bewahrt hat, das ihn schon Ende der 1990er zu einem «bunten Hund» (im besten Sinne der Bezeichnung) im toskanischen Weinbau machte.

Bunt im wahrsten Sinne des Wortes, denn Bibi war auch wie sein aus Norwegen stammender Vater Künstler, bevor und noch während er sich dem Weinbau zuwandte. Mit einem Besuch im Gut über Fiesole war damals auch immer ein Besuch im Atelier verbunden – bevor der Wein dann Mitte der 2000er Jahre in den Mittelpunkt trat. Aber die Flaschen schmücken bis heute die selbstgemalten Etiketten. Mit seinem Gut Testamatta – auf Deutsch wohl: Tollkopf – hat Bibi einen eigenen Zugang zum Wein gefunden. Damit verbunden ist die Suche nach der absoluten Qualität, seit er sich Ende der 1990er Jahre entschloss, auf den mit Sand durchmischten toskanischen Mergel-Lehm-Böden bei Fiesole Reben anzupflanzen, und sein Weingut begründete. Die Kellerei liegt heute am Hauptplatz von Fiesole, hier lebt Bibi auch mit seiner Familie. Die Qualität des reinsortigen Sangiovese Testamatta liegt heute im Blend seiner Rebberge und natürlich im hohen Alter der Reben, die Bibi quasi sammelt: Die Trauben der Toskana-Cuvée Testamatta werden aus fünf Lagen des Weinguts – mit zum Teil rund 80 Jahre alten Pflanzen – in verschiedenen Zonen der Toskana ausgewählt. Die Lagen sind in Lamole und Montefili im Herzen des Chianti Classico auf 600 und 400 Metern Höhe gelegen; die Lage Vincigliata in der Nähe von Florenz, reicht bis auf 280 Meter, Londa nördlich von Florenz und Siena im Süden der Toskana liegen auf 250 Metern Höhe. Der Wein wird spontan in offenen Barriques vergoren und reift 30 Monate, bevor er auf den Markt kommt. Alle Ingredienzien zusammen ergeben einen kompletten Sangiovese, der auch im Jubiläumsjahrgang 2019, dem 20., – eine Zahl, die auch, künstlerisch verfeinert, am Jubiläumsetikett prangt – die Fruchtigkeit der Rebsorte mit Finesse und grosser Komplexität verbindet.

20-jähriges Jubiläum feiert auch die Selektion Colore mit dem Jahrgang 2019: ein Super-Sangiovese von alten Reben aus Vincigliata, Lamole und Siena, den Bibi 30 Monate reifen lässt und der nur in kleiner Auflage erscheint. Die weissen Ansonica-Trauben für seinen Testamatta Bianco liest Bibi hingegen auf der Isola del Giglio vor der toskanischen Küste von uralten Rebterrassen auf Granit- und Sandböden. Akribisch, wie Bibi ist, gingen vor dem ersten Jahrgang dieses Weines etliche Jahre des Experimentierens, der Forschung und der Proben ins Land, bevor die besten der über hundert Jahre alten Ansonica-Rebstöcke der felsigen Einzellage Serrone identifiziert wurden. Ein eigener Weinkeller auf der Insel wurde inzwischen errichtet. Aber nach 20 Jahren im Weingeschäft, die für Bibi auch «20 Jahre meines Lebens» sind, die er dem Wein als Ausdrucksmittel gewidmet hat, habe er nun mit dem Jubiläumsjahrgang des Testamatta und des Colore die Eleganz gefunden, nach der er so lange gesucht hat: Damit schliesse sich für ihn ein Kreis, meint Bibi.