Revolution in den Füssen

Saint-Émilion

Von Beat T. Rauboden

  • Schattenlage? Pied de Côtes am Fuss des Hügels, Nordwesten, 10 Uhr Sommerzeit, 45 Meter über Meer.

Oben die Grossen, unten die Kleinen. Nein, das ist kein politisches Statement (oder doch?), sondern die offizielle, weit verbreitete, kolportierte Hierarchie in Saint-Émilion. Wenn alles so einfach wäre! Man merke: Gross ist nicht immer, wer am lautesten schreit.

Saint-Émilion? Kennt jeder. Die Appellation rund um das hübsche, auf Mittelalter aufpolierte Dörfchen liegt im Trend. Saint-Émilion, das beliebteste Touristenziel der Region, als Welterbe der UNESCO eingetragen, ist gar die bekannteste Bordeaux-Appellation überhaupt. Die mythischen Lagen, so geht die Rede, liegen ganz oben, auf dem Kalkplateau. Ausone, Canon, Pavie… Der Kalkfels, in den schon die Römer Stollen getrieben haben, um Baumaterial für ihre Villen zu schlagen, heute durchlöchert wie ein Emmentaler Käse, ist Garant für Spitzenweine. Jeder möchte Kalk unter den Füssen haben. Als VINUM vor einigen Jahren darum bat, die Muster der Appellation nach Terroirtypen zu klassieren, kam es zu einem verblüffenden Resultat: 200 Muster standen eng gedrängt auf den Tischen, die mit «Kalkplateau» angeschrieben waren, und einsame fünf wagten es, zu ihrer Situation als Pied de Côtes zu stehen. Nun ist Pied de Côtes (am Fuss der Hänge) keine Terroirbezeichnung, sondern die Bezeichnung einer Lage. Es gibt mehr als zwei davon in Saint-Émilion und erst recht mehr als zwei Terroirtypen in dieser viel gepriesenen Ecke von über 5000 Hektar Reben. Will man die Sache vereinfachen, kann man fünf Terroirtypen unterscheiden: stark kalkhaltige Böden, Böden von Lehm und Kalk, Böden von Sand und Lehm, Böden von Lehm und Kies und stark lehmhaltige Böden. Mit den Lagen verhält es sich noch komplexer. Das so genannte Kalkplateau ist kein regelmässiger Kegel mit dem Dorf auf der Spitze, sondern ein lang gezogener Hügelzug mit Seitentälern, Ausbuchtungen, Dellen, in alle Himmelsrichtungen verlaufenden Flanken, gleicht weit eher einem Tausendfüssler denn einem amorphen Gebilde aus Kopf und Fuss. Daraus resultiert ein fröhliches, kunterbuntes Mosaik von Reblagen, Ausrichtungen, Neigungen, Höhen, geologischen Strukturen. Kalk ist nur ein Teil davon.

Aber, wird man einwenden, die Klassierung von 1955 hat die Güter als Premiers Crus Classés ausgeschieden, die oben auf dem Kalkfels sitzen! Ungenau. Zwei solche, beide bekannt für besonders beeindruckende Weine, sind waschechte Pied de Côtes und liegen im nur zu oft verschmähten Norden des Dorfes: Figeac und Cheval Blanc. Für die rund 60 Crus Classés gilt das nicht anders. Und mindestens zwei der neuklassierten Premiers Crus liegen ebenfalls am Fuss des Plateaus und stehen auch dazu: Angélus (heute wie Cheval Blanc ein Premier Grand Cru Classé A) und Canon la Gaffelière. Die Mär vom wundervollbringenden Kalkfels scheint da nichts mehr als ein nicht mehr ganz ofenfrisches PR-Argument. Nur so ganz nebenbei: Wollte man die Kalkerei konsequent durchziehen, müsste Saint-Émilion ausschliesslich Weine weisser Farbe produzieren. Und wenn Höhe identisch mit Spitze sein würde, wäre Troplong-Mondot der grösste Wein von Saint-Émilion. Doch das ist eine andere Geschichte.

Was ist denn so wunderbar am Kalk? Ganz einfach: Dank seiner porösen Konstitution reguliert er ideal die Feuchtigkeit der Böden, absorbiert zu viel Nass und versorgt die Reben in Trockenperioden damit. Die Rebe mag das (und die Sorte Merlot ganz besonders) und antwortet mit einem extrem regelmässigen Reifeprozess. Die Aromenentwicklung wird gefördert, die Säure bleibt auch in heissen, trockenen Jahren erhalten, ohne dass es zu einem Übermass an Zuckerreichtum kommt. So weit das Idealbild. Denn damit es greift, muss die Rebe ihre Wurzeln tief in den weichen Kalkfels treiben. Das tut sie nur, wenn man sie dazu motiviert. Ein senkrechtes Wurzelsystem entwickelt sie garantiert nicht, wenn die Pflanze alles, was sie braucht, an der Oberfläche findet. Zum Beispiel, wenn über dem Kalk eine fette Schicht aus Lehm und Humus ruht. Oder wenn Oberflächendüngung für gemütliche Trägheit sorgt. Kalkböden drücken sich im fertigen Wein durch Spannkraft, Eleganz und Finesse aus, nicht durch Fülle und Kraft. Was nicht eben dem Stil von mindestens 80 Prozent der Abfüllungen entspricht. Saint-Émilion produziert tatsächlich herrliche Weine, auf Kalk oder nicht, die in den letzten Jahren deutlich an Finesse und Ausgewogenheit gewonnen haben (sieht man vom jüngsten Jahrgang ab). Sie geraten stilmässig so vielfältig wie in keiner anderen Bordeaux-Appellation. Das ist kein Nachteil, sondern der eigentliche Vorzug der Appellation.

Im Norden scheint die Sonne auch!

Räumen wir mit einem anderen Vorurteil auf: dem der ungeliebten Lagen im tiefen Norden. Das Plateau von Saint-Émilion liegt auf etwa 80 Metern Höhe, die Reblagen im Süden, entlang der Dordogne, etwa auf fünf Metern, und Pied de Côtes wie Laroze im Nordwesten oder die diversen Corbin-Ableger im Norden (davon später) auf rund 40 Metern Höhe. Das Plateau ist nicht die Eigernordwand! Im Norden des Dorfes liegt, das nur so nebenbei, eine andere weltbekannte Appellation, die Saint-Émilion sogar ab und an in den Schatten stellt: Pomerol mit all seinen weltbekannten Gütern. Nun sind diese Nordost- und Nordlagen tatsächlich etwas kühler als die Lagen im Süden.

«Angesichts der aktuellen Klimaerwärmung entpuppt sich unsere Lage im Norden von Saint-Émilion klar als Vorteil.»

Antoine Couthures, Grand Corbin

Doch das hat eher mit der Konstitution von Boden und Untergrund zu tun als mit Schattendasein und fehlender Sonne. Im Zeichen der Klimawandlung werden diese Lagen sogar mehr und mehr zum Trumpf, nicht zuletzt, weil eine Sorte, die lange die zweite Geige spielen musste, hier besonders gute Bedingungen vorfindet: der Cabernet Franc. Die VINUM-Tastings illustrieren es kompromisslos: Seit zehn Jahren ist es zu einer eigentlichen Renaissance in dieser Zone gekommen.

Renaissance? Das impliziert, dass hier einst Hochzeit herrschte! Richtig. Auf der Carte de Belleyme, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erstellt, wird unter anderem die damalige Seigneurie Corbin angeführt. Während der Französischen Revolution kam sie unter den Hammer und wurde aufgeteilt, wie viele grosse Güter damals, was erklärt, warum es heute eine ganze Anzahl von Ablegern gibt. Corbin ist auf diesem historischen Dokument bereits vollständig mit Reben bepflanzt. Das kommt nicht von ungefähr. Nimmt man die Böden dieser Ecke unter die Lupe (das heisst, spielt man Maulwurf und gräbt in die Tiefe), ergibt sich, dass ein Teil der Reben hier von der gleichen Lehmschicht profitiert wie ein mythisches Cru der Nachbarschaft: Château Pétrus. Wenn die Weine dieser Ecke nicht immer mit den Kreszenzen ihrer illustren Nachbarn wetteifern konnten, hat das nichts mit der Qualität der Böden zu tun, sondern mit wirtschaftlichen und anderen Gründen (dem Frost von 1956 etwa, nur ein Jahr nach der Klassierung). Auf diesen Gütern, bis heute in der Hand von teils alteingesessenen Familien, fehlten oft die Mittel, den Weinbau auf dem jüngsten Stand zu halten. Der Boom von Saint-Émilion ab den 90er Jahren und die rasant steigenden Weinpreise hatten hier nicht nur negative Seiten: Gerade in dieser Ecke haben sie ermöglicht, dass der wirtschaftlich bedingte Rückstand rasch wettgemacht werden konnte.

Kurzes Fazit dieser etwas langatmigen Beweisführung: Wer echte, grosse, lagerfähige, klassische Saint-Émilion schätzt, die ihren Preis (ab 30,35 Euro) mehr als wert sind, Weine, wie sie Güter abfüllen wie die vier, die wir Ihnen nachfolgend vorstellen, quasi als Illustration unserer These, sollte sich für den «Fuss der Berge» interessieren.

Château Grand Corbin: Diskretes Juwel mit Traumpotenzial

Antoine Couthures stammt aus der Region. Seine Sporen hat er sich im Nappa Valley verdient und später auf einem Weingut im Médoc. Seit 2016 ist er technischer Direktor von Grand Corbin und arbeitet eng mit Philippe Dambrine zusammen, der das Cru Classé Cantemerle im Haut-Médoc leitet, zu dem Grand Corbin gehört.

«Grand Corbin, einer der vielen Ableger des uralten Herrensitzes Corbin, mag zu den historischen Anbaulagen des rechten Ufers gehören. Doch die Güter dieses Sektors sind weniger bekannt als die Châteaux, die von ihrer Nähe zum Dorf Saint-Émilion profitieren. Doch genau darin liegt unsere Chance. Grand Corbin bietet echtes Entwicklungspotenzial», erzählt Antoine Couthures begeistert.

Ins Leben gerufen wurde das Gut durch die Aufsplitterung des ehemaligen Herrschaftssitzes. Grand Corbin ist folglich eng mit der Geschichte der Region verbunden und gleichzeitig eine verhältnismässig junge Marke. Geschichte ist hier nicht Last, sondern Chance.

Grand Corbin besteht heute aus zwei Ablegern der ehemaligen Seigneurie: dem eigentlichen Grand Corbin und Haut-Corbin. Produzierte Grand Corbin Weine von besonderer Finesse, glänzten die Weine von Haut-Corbin eher durch ihre Struktur und Kraft. Gemeinsam ergänzen sie sich folglich perfekt, wie die jüngeren Jahrgänge mit Brio belegen. Die Parzellen von Grand Corbin liegen praktisch in der Mitte der historischen Lage, auf einem von Gräben durchzogenen Plateau, gesäumt von Büschen und Bäumen, umgeben von dreifachen Hügeln und einem Bach im Süden. Sie bilden ein regelmässiges Viereck von rund 37 Hektar. «Wir versuchen wirklich, unser Terroir zu verstehen und zu respektieren», unterstreicht Antoine.

Die Tatsache, dass Grand Corbin (wie seine Nachbarn, mit denen der junge Weinmacher sich glänzend versteht und bei jeder Gelegenheit austauscht) auf der «Schattenseite» von Saint-Émilion liegt, ist für ihn klar ein Vorteil. «Das Gefälle ist gering. Optimale Reife ist kein Problem. Doch selbst in heissen Jahren wie 2018 bleibt die Frische in den Trauben erhalten. Das gilt auch für Jahre wie 2015 oder 2016, die ja ebenfalls nicht gerade kühl ausgefallen sind.» Mit Befriedigung stellt er fest, dass sich mehr und mehr Weinfreunde für Grand Corbin interessieren. «Wir sind am richtigen Ort zur richtigen Zeit auf dem richtigen Weg», sagt er zufrieden, schwingt den Vorschlaghammer auf die Schulter und nimmt die Arbeit da auf, wo er sie unterbrochen hat: beim Einschlagen von lockeren Pfählen.

Château Grand Corbin-Despagne: Terroirvertrauen mit geschlossenen Augen

François Despagne hält eine kleine Bronzeskulptur in den Händen, fährt liebevoll ihren Konturen nach. «Wäre ich nicht im Weinbau tätig, würde ich mit Ton arbeiten», sagt er. Und: «Als kleiner Junge formte ich Figuren aus Erde für meine Mutter. Erde will ich bis heute mit meinen Händen fühlen.» Als Kultur- und Kunstliebhaber interessiert er sich besonders für Skulpturen. Und für Philosophie: In der Eingangshalle des Gutes hängt eine Sammlung von grossformatigen Tafeln mit Aphorismen bekannter Denker wie René Char, die von einem Philosophiefestival stammen.

«Wein und Erde haben etwas mit dieser Skulptur gemeinsam: Man muss sie ertasten, mit der Hand und mit dem Gaumen.»

François Despagne

«Würde der Mensch nicht von Zeit zu Zeit souverän die Augen schliessen, würde er damit enden, nicht mehr zu sehen, was sehenswert erscheint», steht auf einer von ihnen zu lesen. Das mutet an wie ein Leitmotiv. Die Bronzestatue wiederum, die aussieht, als sei sie aus Ton gemacht, steht für seine Verbindung mit der Erde, auf der er gross geworden ist, aber auch für den Tastsinn, der ihm so wichtig ist. Grand Corbin-Despagne liegt nahe an der Grenze zu Pomerol, wo François ebenfalls eine kleine Weinlage besitzt (Le Chemin), die ausgezeichnete Weine hervorbringt. Auf all seinen Parzellen hat er Löcher bohren lassen, um seine Böden besser zu verstehen. Wie früher als Kind hat er die Erde geknetet, die dabei zum Vorschein kam, mit eigenen Händen den blauen Lehm gefühlt, das eigentliche Geheimnis im versteckten Untergrund seiner ausgezeichneten Böden. «Wenn ich die Erde knete, tue ich doch nichts anderes, als was wir beim Verkosten mit dem Wein machen. Wir kauen ihn, um ihn besser ausloten zu können.»

Wandert er durch seine Reben, überblickt er einen Gutteil des Plateaus von Pomerol. «Ich mag den Ausdruck der Weine, die hier entstehen. Mit der Reife entwickeln sie diese besondere, samt-seidige Textur, die den Gaumen streichelt, diese einmalige Finesse und Delikatesse, wie ich sie schon in den Flaschen wiederfinde, die meine Vorfahren Anfang des 20. Jahrhunderts abgefüllt haben.»

Die Despagne sind seit dem 14. Jahrhundert in Saint-Émilion ansässig, als Taglöhner, Landarbeiter, Pächter. 1812 wird ein gerade 23-jähriger Ahne Besitzer eines Teils der ehemaligen Seigneurie, baut ein Haus und nennt seinen Wein stolz: Cru Grand Corbin, Besitzer Monsieur Despagne. Die Geschichte ist symptomatisch für die Ecke. «Hier im Norden von Saint-Émilion werden die meisten Weingüter weiter von Familien gehalten, teils seit Generationen. Es sind Familien mit Bodenhaftung, Familien, die nicht Isolationismus betreiben, wohl aber eine gewisse Diskretion pflegen. Man weiss um die Güte der Böden – das zeigen die vielen anlässlich der ersten Klassierung als Cru Classé eingetragenen Domänen –, doch man hängt das nicht an die grosse Glocke.» Ein anderes Markenzeichen der Ecke ist die Tatsache, dass der Sektor besonders langlebige Weine hervorbringt, Weine, die allerdings in ihrer frühsten Jugend auch mal recht abweisend wirken können. In einer Welt, in der über Gut und Böse bereits und für alle Zeiten «en primeur» entschieden wird, nur wenige Monate nach der Ernte, ist das nicht unbedingt ein Vorteil, doch für echte Geniesser eine Garantie, die nicht alle Saint-Émilion liefern können. «Ja, unsere Weine brauchen Zeit und Geduld, genauso wie unsere Böden. Man muss sich ihrer annehmen, sie verstehen lernen.»

Mit 18 Jahren wollte François alles andere als Winzer werden. Er studierte Pflanzenkunde, Biochemie, Molekularbiologie, arbeitete schliesslich mit dem bekannten Weinfachmann und Forscher Denis Dubourdieu zusammen, studierte das Verhalten von Hefen. 1996 liess er seine Karriere als Wissenschaftler fallen und übernahm doch den elterlichen Betrieb, den er nach und nach auf biodynamischen Anbau umstellte. «Die Despagne gehören zu den ältesten Familien von Saint-Émilion. Man kann es halten, wie man will, das verpflichtet. Heute will ich nur mehr eines: den bestmöglichen Wein machen, einen Wein, der getreu den Ort wiedergibt, von dem er stammt.»

Château La Marzelle: Perfektion mit Stil und Klasse

Château La Marzelle ist nicht nur ein Grand-Cru-Classé-Weingut: Man kann es getrost als Design-Gut bezeichnen. Alles ist schmuck hier, hat Klasse, der Empfangsraum mit Blick auf die Reben, der Gärkeller, das Barriquelager, der Raum mit den bauchigen, tönernen Amphoren, in denen ein Teil der Ernte vergärt und ausgebaut wird, und natürlich der elegante, raffinierte Wein selber.

«Mein Ziel? Dass jeder Jahrgang noch etwas besser ausfällt als der vorhergehende!»

Jacqueline Sioen, La Marzelle

Auch wenn das Schicksal seinen Beitrag geleistet haben mag: Nur Zufall ist das nicht. Jacqueline Sioen stand 50 Jahre lang ihrem Ehemann bei der Leitung eines gut gehenden Textilunternehmens in Belgien zur Seite. Design und Disziplin waren da Pflicht genauso wie in einem Unternehmen dieser Grössenordnung die Pflege jedes Details.Die Sioen wurden durch Freunde auf das klassierte La Marzelle mit seinen 13 Hektar aufmerksam gemacht, das ihnen auf Anhieb gefiel. Sie erweiterten diese Rebfläche später durch Zukauf auf 17 Hektar erstklassiger Böden in unmittelbarer Nachbarschaft von Château Figeac. Sie liegen auf einer Terrasse aus Kies und Sand.

So richtig in Gang kam das Gut, als Jacqueline Sioen sich 2014 persönlich darum zu kümmern begann. «Wir haben gewaltige Investitionen getätigt. Ich habe mich dabei auf die Ratschläge der Equipe verlassen, aber auch auf meine eigene Erfahrung.» Seit 2017 ist das Gut offiziell in Konversion für biologischen Anbau und arbeitet auch nach biodynamischen Grundsätzen. Doch die Böden werden bereits seit 2008 naturnah bestellt. Die rund 40 Unternehmen, die zu Sioen gehören, produzieren technische Arbeitskleidung für Feuerwehrleute, die Marine und andere mehr.

Höchste Perfektion ist da angesagt. Die gleiche Maxime gilt für La Marzelle. Doch auch mit dem Erreichten gibt sich die temperamentvolle Dame, die weiss, was sie will, und das auch durchsetzt, nicht zufrieden. «Was wir heute gut machen, werden wir morgen noch besser tun», erklärt sie bestimmt. Und schliesst: «Jeder Jahrgang ist ein neuer Challenge. Er soll noch besser ausfallen als die vorhergehenden. Das ist der Sinn meines Einsatzes und der Investitionen!»

Château Laroze: Familiengut mit echten Wurzeln

Das Porträt seiner Grossmutter Andrée Gurchy im Alter von 18 Jahren ruft Erinnerungen wach. «Ich bin mit diesem Bild gross geworden», erzählt Guy Meslin gerührt. «Es hing – und hängt bis heute – in einem Zimmer im ersten Stock unseres Schlösschens. Mein Gott, war sie hübsch! Ich habe meine Grossmutter nur als alte Dame gekannt, über ihren Stock gebeugt. Das Porträt belegt, dass hinter jedem Menschen am Ende seines Lebens eine junge, unternehmungslustige Person steht.»

Guy Meslins Grossmutter war die einzige Person in der Familie, die sich für Weinbau interessierte. Als es nach dem unerwarteten Tod ihres Vaters zur Aufteilung des Familienbesitzes kam, entschied sie sich für Laroze. Die Krisenjahre überstand sie dank des Einkommens ihres Mannes, der als Militärarzt praktizierte. Sie selber kannte nur eine Leidenschaft: ihren Wein.

«Beim Bild, das ich in den Händen halte, handelt es sich um ein Porträt meiner Grossmutter Andrée im Alter von 18 Jahren. Sie hat Château Laroze über die Kriesenjahre gebracht. Ihr verdanke ich, dass ich fortführen kann, was meine Vorfahren hier im Nordwesten von Saint-Émilion 1610 begonnen haben.»

Guy Meslin, Laroze

Der Grossmutter verdankt Guy Meslin, dass Laroze in der Familie geblieben ist. Er konnte so fortführen, was 1610 begonnen hatte, als die aus Libourne stammende Familie sich auf einer Flur namens Mazerat niederliess, ihr Weingut aufbaute und es durch Zukauf von Reben nach und nach vergrösserte. Heute zählt es stolze 27 Hektar, die rund um den Stammsitz der Familie liegen. «Meine Familie schaufelt seit 400 Jahren Erde in dieser Ecke von Saint-Émilion. Wir sind hier tief verwurzelt.»

Vom eigentlichen Mazerat, dem späteren Angélus, musste sich Guys Grossmutter trennen, um Laroze halten zu können. Doch der heutige Besitzer spricht nicht von diesem Gut, dessen Weine von 1882, dem Gründungsjahr von Laroze, bis zum Verkauf hier verarbeitet wurden, um sich mit fremden Federn zu schmücken. Er will illustrieren, dass der Cabernet Franc in dieser Ecke im Nordwesten von Saint-Émilion hervorragende Bedingungen vorfindet. Die leichteren Böden der Pied de Côtes bekommen dieser später reifenden Sorte besonders gut. Sie reift optimal aus und produziert Weine mit Tanninen besonderer Raffinesse. Weine, die nie massiv geraten, auch wenn sie in ihrer Jugend verschlossener wirken mögen als Weine aus «höheren» Lagen. Die Klasse der Laroze der letzten Jahre belegt dies eindrücklich und unwiderruflich.