Rotweinpreis 2018: Deutschlands beste Rotweinwinzer

Erwischt!

Text: Rudolf Knoll, Fotos: Jana Kay

Vor 31 Jahren begann VINUM mit dem 1. Deutschen Rotweinpreis die Weinszene umzukrempeln. Spätburgunder und Co. hatten damals wenig Bedeutung. Heute resümieren viele Winzer, dass der Wettbewerb den Ehrgeiz weckte und sie motivierte, auch auf rote Sorten – und Top-Qualität – zu setzen. Die Rotweinfläche ist deutlich auf rund 35 Prozent Anteil gestiegen, deutsche Rotweine sind längst international vorzeigbar. Die besten – und ihre Macher – haben wir wieder gesucht. Und gefunden!

Der Anruf kam um 8.30 Uhr morgens. Am Telefon ein Winzer aus Württemberg, der ankündigte: «Um 9 Uhr wird meine Mutter in Schwandorf eintreffen, um unsere Fass-proben abzuliefern.» Als es tatsächlich eine halbe Stunde später klingelte, stand eine muntere Remstälerin vor der Tür und überreichte zwei Kartons mit Wein. «Wir haben uns nicht getraut, das mit der Post zu schicken, wegen der Hitze. Da bin ich halt auf Bitte meines Sohnes bei noch kühlen Temperaturen um 6 Uhr ins Auto gestiegen...». Gelohnt hat es sich. Zwar kam keiner der Weine auf das Treppchen, aber einige Urkunden mit sehr guten Bewertungen konnten inzwischen verschickt werden. Der Rahm – ein Sieg – wurde dagegen abgesahnt mit einem Wein, der schon vorher auf normalem Weg zum Verkostungsort in Sprendlingen geschickt wurde. Den Rekord hatte die wackere Winzer-Mutter nicht aufgestellt. Ein Erzeuger aus dem badischen Süden schickte einen jungen Mitarbeiter ebenfalls am Morgen auf den fast 500 Kilometer weiten Weg, um den heissen Temperaturen auszuweichen. Ein Dutzend Urkunden in verschiedenen Kategorien, aber kein Platz an der Sonne für den mehrfachen Sieger der letzten Jahre war später das Ergebnis. 
2018 war für die Erzeuger – und uns – ein verrücktes Jahr. Die lang anhaltende Hitze liess nicht nur die Natur förmlich explodieren und erforderte viel Aufwand im Weinberg, um dem Wachstum Herr zu werden. Zugleich wurden sorgfältig die prognostizierten Temperaturen kontrolliert, damit der Versand der Weine für den Rotweinpreis nicht zu einem Zeitpunkt erfolgte, an dem deutlich mehr als 30 °C angekündigt wurden. Dadurch kam es bei Anmeldeschluss zu einem Stau, der von Seiten der Verkoster viel Einsatz bei der «Verkehrsregelung» erforderte.
Irgendwie haben wir es dann doch geschafft, alles in vernünftige Bahnen zu lenken und zu, wie wir meinen, guten Ergebnissen zu kommen. Das Besondere dabei: Es sind einige neue Namen dabei, die zwar Insidern bekannt sein dürften, die aber kaum jemand auf der Rechnung hatte. Sie kommen teilweise aus kleinen, unscheinbaren Orten, die nicht im Fokus stehen, wenn über Spitzen-Rotweine gesprochen wird. Wer kennt schon Malsch im Kraichgau, wo unser Sensationssieger beim Spätburgunder, Alexander Becker, zuhause ist? Oder Gellmersbach bei Weinsberg im öfters zu Unrecht unterschätzten Unterland Württembergs, wo die Familie Leiss gemeinsam mit dem 
auf diesem Sortenfeld schon lang populären Adelsgut von Neipperg die Kategorie Lemberger dominierte. Auch Bermersheim, Nähe Westhofen in Rheinhessen, erlebte mit dem Sieg von Christian Peth (Weingut Peth-Wetz) eine Art Urknall.
Wer an Schweigen in der Südpfalz denkt, hat einen anderen Becker mit Vornamen Fritz im Sinn, wenn es um bedeutenden Spätburgunder geht. Der verpasste einen Spitzenplatz nur knapp. Doch nicht zum ersten Mal sprang ein Schweigener Nachbar, Gerd Bernhart, mit St. Laurent auf das Siegertreppchen. Die Haidles aus Kernen-Stetten muss man immer auf der Rechnung haben, aber nicht unbedingt mit Zweigelt. Gleiches gilt für das Staatsgut in Weinsberg, das ausnahmsweise mal mit einer Cuvée auftrumpfte. Stammgast bei der Siegerehrung ist Thomas Seeger aus dem badischen Leimen, aber meist mit wechselnden Weinen. Diesmal war ein Schwarzriesling an der Reihe. Bei Edelsüss hatte Eckehart Gröhl aus Weinolsheim (Rheinhessen) schon beim Riesling Champion Flagge gezeigt (2. Platz). Jetzt kletterte er mit einem Spätburgunder-Eiswein ganz nach oben. Und dann war da noch eine spezielle «Entdeckung des Jahres», die niemand auf der Rechnung hatte, nämlich Weissweinstar Philipp Wittmann aus Westhofen, der klammheimlich, still und leise auf einen grossen Spätburgunder hingearbeitet hatte und damit auf dem zweiten Platz landete. Für uns Grund genug, ihn mit in die erste Reihe zu stellen. «Unser Newcomer», wurde in der Diskussion bei der Jury gescherzt. Bei Wittmann zuhause war das ähnlich. «Was hat Gattin Eva gemeint?», wurde Philipp gefragt. Die Antwort: «Sie hat gelacht.»
Bemerkenswert ist, dass alle Winzer, die ganz oben auf dem Treppchen stehen, jeweils mit einigen weiteren Weinen im Finale dabei waren und damit Qualität auf breiter Front unter Beweis stellten, statt mit Eintagsfliegen aufzutrumpfen. Auch auf den Rängen zwei und drei finden sich jede Menge ambitionierter Erzeuger, die sich nur knapp geschlagen geben mus­sten. Zehntelpunkte bei den Noten nach einem Stechen in jeder Kategorie waren meist entscheidend. Das Niveau war insgesamt sehr hoch. Aber es wurde vorher auch gründlich aussortiert: Von rund 1550 angestellten Weinen kamen nur 470 ins Finale. Dass sich ein Wildmuskat, ein Acolon und ein Nebbiolo in die Spitze einreihten, mag überraschen. Doch Vorurteile bei Sorten sind VINUM fremd, entscheidend ist die Qualität!

 

Entdeckung des Jahres

Philipp Wittmann, Rheinhessen – Spätburgunder 2015

«Winzer des Jahres», «Wein des Jahres», «Weingut des Jahres», diese Titel hat Philipp Wittmann bei anderen Medien gesammelt. Und jetzt ist er die «Entdeckung des Jahres» bei VINUM! Wie denn das? Einfache Erklärung: Die Auszeichnung betrifft einen Wein, auf den Rheinhessens VDP-Chef schon länger hingearbeitet hat. Spätburgunder als Gutswein ist Standard im Sortiment, es fehlt eine Ergänzung zu den weissen Grossen Gewächsen. «Unser Spätburgunder Reserva auf Rang zwei ist unser erster Übungswein auf dem Weg dahin», erklärt der Strahlemann und lobt seinen Kellermeister Georg Rieser: «Er hat sich mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt.» Für das GG ist län-gerfristig eine Flur im Gundersheimer Höllenbrand ausersehen.

Weingut Wittmann, 67593 Westhofen, www.wittmannweingut.com

Ohne sie wäre ein solcher Wettbewerb nicht zu stemmen: Die Erzeugergemeinschaft Winzersekt in Sprendlingen ging für die Vorrunde mit Rotwein fremd, ebenso das Riesling-Weingut Weil in Kiedrich für die mit viel Aufwand verbundene Finalrunde.

Spätburgunder

Alexander Becker, Baden – Spätburgunder 2015

Herbert Becker war über 20 Jahre Betriebsleiter eines Weingutes an der Hessischen Bergstrasse – und selbstständiger Winzer im Kraichgau. Die Doppelbelastung schulterte er mit Unterstützung seiner Frau Marliese. Dann machte er sich in Malsch komplett selbstständig, hatte bald einen Namen als guter, zuverlässiger Weinmacher, der sich hauptsächlich auf weisse Burgundersorten konzentrierte («Riesling passt nicht hierher»). Als Junior Alexander (Jahrgang 1987) nach seinem Geisenheim-Studium einstieg, bekam auch der Spätburgunder Bedeutung. «Eleganz, Kraft und Tiefe soll er haben», ist Alexanders Zielsetzung. 2015, im zweiten Jahr der Umstellung auf Bio, lief bei lediglich 30 hl/ha Ertrag alles optimal für die Erzeugung eines grossen Rotweines.

Weingut Becker, 69254 Malsch, www.weingutbecker.de

 

Deutsche Klassiker

Gerd Bernhart, Pfalz – St. Laurent 2016 

So einen fröhlich-herzlichen Empfang wie von Sabine Bernhart wünscht man(n) sich in jedem Weingut. Die Gattin von Winzer Gerd Bernhart ist, so seine Definition, «unser Herz». Er freut sich, dass es ihm mit dem Sieg gelungen ist, «erneut einen besonderen Akzent in der Südpfalz zu setzen». Der St. Laurent wurde im Jahr vor dem Erfolg mit Spätburgunder, 1995, gepflanzt. Vater Willi, vor zwei Jahren verstorben, hatte damals wohl die richtige Vision… Die Sorte hat mit 30 Ar in einer sehr warmen Flur nur einen kleinen Anteil an den 17 Hektar Reben, die der 47-Jährige ökologisch bewirtschaftet. Trotz Peronospora und Halbierung der Trauben konnte Wein für 1500 Flaschen eingebracht werden. Bernhart lobt die reife Säure des Weines («der hält locker zehn Jahre»).

Weingut Bernhart, 76889 Schweigen-Rechtenbach, www.weingut-bernhart.de

Frühburgunder und St. Laurent legen zu, internationale Sorten boomen. Auch Nebbiolo und Tempranillo wurden aufgeboten.

Internationale Klassiker

Christian Peth, Rheinhessen – Cabernet Sauvignon 2015 

Die kleine, unscheinbare Gutseinfahrt in Bermersheim ist leicht zu übersehen. Aber wer hineinfährt, lernt einen ambitionierten Winzer mit einer gesunden Portion Ehrgeiz kennen, der in 14 Jahren den Fassweinbetrieb der Eltern zum 36-Hektar-Weingut mit Reputation umgewandelt hat. Christian Peth, 41, sieht sich als Kosmopolit, der bei seinen Weinen eine internationale Stilistik anstrebt, mit Holzeinsatz (300 Barriques stapeln sich im Keller), Bezeichnungen wie Grand Vintage, Assemblage, Réserve, Estate und – bei Rot – nicht selten mit stattlichem, aber meist gut gedämmtem Alkoholgehalt. Zum Sortiment gehören entsprechende Sorten wie Merlot, Cabernet Franc, Petit Verdot – und der erfolgreiche Cabernet Sauvignon, von dem nur 12 hl/ha geerntet wurden.

Weingut Peth-Wetz, 67593 Bermersheim, www.peth-wetz.com

 

Lemberger

Weingut Leiss, Württemberg – Lemberger 2015

In dem nur sechs Wochen im Jahr geöffneten Besen der Familie Leiss haben Bratwurst und Schinken einen legendären Ruf. Jetzt kommt Lemberger dazu. Die Saat dafür legte Grossvater Gerhard, als er 1971 die Reben pflanzte. 
Sein heute für die 17 Hektar Weinberge zuständiger Sohn Wolf-Peter, 56, und Enkel Gerhard, 28, profitieren davon. Rund 40 hl/ha wurden 2015 von den alten Reben eingebracht. «Sehr stabile, tolle Trauben», erinnert sich Wolf-Peter. Das Ergebnis wurde in Barriques (30 Prozent neu) mit viel Fingerspitzengefühl ausgebaut. Erworben hat er es bei der Lehre bei Aldinger, einem Praktikum bei von Winning und im Önologie-Studium in Geisenheim. Gut zu wissen: Auch das sonstige Sortiment hat beachtliches Niveau. Tipps: Cuvée Kyrie Leiss, Lagen-Riesling und Sekt.

Weingut Leiss, 74189 Gellmersbach, www.weingut-leiss.de

In der Kategorie Lemberger wählte die Jury bei gleicher Bewertung zwei Sieger – beide aus Württemberg.

Lemberger

Eugen Erbgraf zu Neipperg, Württemberg – Lemberger 2015

Weinbau ist seit Mitte des 13. Jahrhunderts in der Adelsfamilie verbrieft. Die Neippergs waren vermutlich auch die Ersten, die im 17. Jahrhundert Lemberger in Württemberg pflanzten. Aber erst in den letzten 30 Jahren wurden mit der Sorte 
Qualitätsakzente gesetzt – was 2010 zu einem ersten Rotweinpreis-Sieg führte. Der herzlich-bodenständige Eugen Erbgraf zu Neipperg, 67, kann schon lange auf den gleichen Kellermeister setzen: Bernd Supp, 57, kam 1991 ins Haus und brachte das 33-Hektar-Gut immer besser in Form. Neben erstklassigen Rotweinen sind die Weissweine inzwischen ebenfalls sehr überzeugend. Den nächsten Siegerpokal wird wohl schon der nächste Neipperg in Empfang nehmen: Sohn Philipp, 40, wächst derzeit in die Führungsrolle hinein.

Weingut Grafe Neipperg, 74193 Schwaigern, www.graf-neipperg.de

 

Unterschätzte Sorten

Thomas Seeger, Baden – Schwarzriesling 2016

Dass Thomas Seeger ein genialer, vielseitiger Weinmacher ist, gehört nicht zu den Neuheiten der Weinszene. Trotz seiner zahlreichen Erfolge mit etlichen Siegen und Top-Plätzen beim deutschen Rotweinpreis ist der Leimener auf dem Teppich geblieben (das eventuelle Abheben verhindert Gattin Susanne) – und freut sich, dass Tochter Anna,17, inzwischen darauf besteht, bei Fototerminen mit auf das Bild zu kommen. Bruder Philipp, 21, ist Konkurrenz erwachsen… Ein kleines Problem ist für Seeger, dass sein Star Spätburgunder in der Jugend meist etwas verschlossen ist. Dann müssen eben, wie 2017, Blaufränkisch oder, wie diesmal, Schwarzriesling ran, um dem energiegeladenen 59-Jährigen zum Sprung auf das Siegerpodest zu verhelfen. Ein Jahr Pause machen geht nicht!

Weingut Seeger, 69181 Leimen, www.seegerweingut.de

Cuvées sind mittlerweile die zweitstärkste Kategorie nach Spätburgunder. Cabernet Sauvignon und Merlot sind besonders häufig mit im Spiel. Diverse Neuzüchtungen spielen ebenfalls eine Rolle. Die Mischungen der Winzer sind gut geworden.

Cuvée

Staatsweingut Weinsberg, Württemberg – Cuvée 2016

Das Staatsgut mit seinen 40 Hektar Reben ist Teil der 1868 gegründeten Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Weinbau und Obstbau. Der Erfolg mit einer jungen Cuvée ist wohl ein Sahnehäubchen auf dem 150-jährigen Jubiläum und macht auch die beiden Macher stolz. Dr. Dieter Blankenhorn, 52, der seit 1999 als Önologe die Qualität beeinflusste und 2017 die Gesamtverantwortung für das Institut übernahm, kann sich voll auf den jungen, im Haus ausgebildeten Kellermeister und Geisenheim-Absolventen Florian Solymari verlassen. Der erst 26-Jährige bringt viele Ideen in die Vinifikation ein, weiss, wie bedeutende Rotweine entstehen und setzt Blankenhorns ambitionierte Zielsetzung («Tradition, Erfahrung, Innovation und Kreativität verbinden») perfekt um. 

Staatsweingut, 74189 Weinsberg, www.staatsweingut-weinsberg.de

 

Neuzüchtungen

Moritz Haidle, Württemberg – Zweigelt 2014

Wenn man Seeger, Künstler, Fürst, das Staatsweingut Weinsberg, ein Studium in Geisenheim und Praktika im Burgund, in Kalifornien und Australien in seiner Agenda stehen hat, kann man eigentlich nur ein sehr guter Winzer werden. Moritz Haidle, 31, ist das trotz seiner Hobbys (Hip-Hop-Rapper, Graffiti) geworden und avancierte inzwischen zum würdigen Nachfolger von Vater Hans (Jahrgang 1944), der das Gut seit 1968 mit Unterstützung von Gattin Susanne in die schwäbische Spitze geführt hatte und 2014 übergab. Mit dem Zweigelt-Triumph machte Moritz das Dutzend voll mit den Haidle-Siegen beim Deutschen Rotweinpreis. Mit ausgezeichnet bewertetem Spätburgunder, Lemberger und einer Cuvée war er ausserdem im Finale dabei. Es darf gerappt werden…

Weingut Karl Haidle, 71394 Kernen, www.weingut-karl-haidle.de

Hochtalentierte Jungspunde sind bereits äusserst erfolgreich unterwegs, aber auch erfahrene Senioren kennen die Rezepte, die zum Erfolg führen.

Edelsüss

Eckehart Gröhl, Rheinhessen – Spätburgunder Eiswein 2016

Hoppla, mutiert da einer zum Süsswein-Spezialisten? Eckehart Gröhl lag beim «Riesling Champion» mit einem Eiswein auf Rang zwei, jetzt reichte es mit einem Spätburgunder-Eiswein sogar zum Platz an der Sonne. Doch gemach, der ambitionierte 50-Jährige (dem zum «Runden» Gattin Angela und die Familie ein 500-Liter-Fass schenkten) geht auch weiterhin versiert mit normalen trockenen Weinen in Weiss und Rot um. Gut 20 Hektar, darunter einige wertvolle Fluren an der Rheinfront, sind eine gute Spielwiese. Eine Cuvée und gleich fünf Pinot Noir im Finale lassen erkennen, was der Weinolsheimer drauf hat. Mit einem 2013er Pinot auf Rang drei liess er es dabei nochmal richtig krachen. Wer weiss, was er in zwei, drei Jahren aus dem Geburtstagsfass auftischt…

Weingut Gröhl, 55278 Weinolsheim, www.weingut-groehl.de