Blauburgunderland

Aufbruchstimmung in Schaffhausen

Text: Ursula Geiger, Bilder: Hans-Peter Siffert

  • Markus Ruch: Der Individualist
  • Andrea Davaz: Der Geschäftsmann
  • Andreas Florin: Der Senkrechtstarter

Es tut sich etwas im zweitgrössten Weinkanton der Deutschschweiz. Mutige Konzepte und ein neues Selbstverständnis bringen viel Dynamik in die Region. Eins ist klar, Blauburgunder, die Paradesorte im nördlichsten Zipfel der Schweiz, wird immer die erste Geige spielen. Aber die Tonlagen werden vielfältiger. Sei es mit Spitzen-Crus oder mit Schaumweinen.

Wenn die Felder bestellt sind, die Obstbäume auf den Wiesen in voller Blüte stehen und die Mischwälder auf dem Randen, dem markanten Höhenzug im Norden des Kantons, das erste zarte Grün zeigen, ist die Weinregion Schaffhausen der Inbegriff von Frühling. Fast ein wenig behäbig wirkt die Landschaft, sobald man die Stadt Schaffhausen hinter sich gelassen hat und hinter den Traktoren herfährt. Die Dörfer haben ihren Charme bewahrt, behutsam wurden die alten Gebäude renoviert. Manche stehen zum Verkauf und scheinen darauf zu warten, dass junge Familien den Sprung von der Stadt auf’s Land wagen. Die Strukturen in der Weinlandschaft Schaffhausen sind lange gewachsen und spiegeln die bäuerlichen Traditionen wider. Reine Weinbaubetriebe gibt es nicht viele und Selbstkelterer sind hier dünner gesät als anderswo in der Schweiz. Auf vielen Höfen werden auch Getreide und Hackfrüchte angebaut. Ihre Trauben liefern die Bauern an Weinkellereien und Genossenschaften, die teils auch ausserhalb des Kantons liegen. Auch lassen Winzer bei den Kellereien im Lohnverfahren keltern, verkaufen dann die Weine aus ihren eigenen Trauben im Hofladen oder schenken sie an den Wochenenden in der Besenbeiz aus.

Sanfter Tourismus als Chance

Ein traditionelles Konzept, das Zukunft hat, weil es gefördert wird: Seit 2018 gehören die Regionen Randen, Südranden, Hochrhein, Klettgau und Reiat sowie die zwei deutschen Gemeinden Jestetten und Lotstetten zum «Regionalen Naturpark Schaffhausen». Unter dem Motto «Randen, Reben, Rhein» fördert der Naturpark nicht nur den sanften Tourismus mit Freizeitaktivitäten wie Wandern und Biken, sondern auch die Vermarktung regionaler Produkte. Das ist eine Chance für junge Betriebsnachfolger, die künftig ihre Trauben selbst keltern und die Weine nach ihren Vorstellungen ausbauen möchten.

«Stillstand ist nicht gut. Die junge Generation in Schaffhausen muss anfangen zu keltern.»

Markus Ruch

Einer, der diesen Schritt 2007 wagte und eine Vorbildfunktion für die junge Generation Schaffhauser Winzer hat, ist Markus Ruch. Der grossgewachsene Mittvierziger stammt aus dem Thurgau, konnte seinem Job als Kundenberater bei einer Bank nichts mehr abgewinnen und lernte Winzer. «Mein Leben kann nicht in einem Raum stattfinden. Draussen ist meine Realität. Dort ist es kühl, nass oder heiss und ich geniesse das Privileg, im Zyklus der Jahreszeiten zu arbeiten», erklärt er seine Beweggründe, setzt in der Küche die Bialetti in Gang und kocht uns Kaffee. Die Küche befindet sich auf dem ausgebauten Dachboden der Neunkircher Zehntenscheune. Unten, im beeindruckenden, 400 Jahre alten Gewölbekeller, reifen seit 2010 in Burgunder-Piècen hauptsächlich Pinot Noir aus unterschiedlichen Hallauer Lagen. Fortlaufend hat Ruch den Dachboden zur Wohnung ausgebaut und gesteht, dass seine Familie das Landleben in Neunkirch wieder gegen ein Zuhause in der Stadt tauschte. Heute wohnen hier Praktikanten und auch ab und an Markus, wenn draussen oder im Keller viel zu tun ist. Wie er auf das Klettgau kam? Nach zehn Lehrund Wanderjahren in der Schweiz und im Burgund und zahlreichen Verkostungen von Pinot Noir aus der Deutschschweiz schien ihm das Klettgau das grösste Potenzial zu haben. Das Terroir ist vom Tafeljura des Randen beeinflusst. Die Verwitterungsböden an seinen südlichen Ausläufern bestehen aus Muschelkalk und Kalkmergel und weil der Höhenzug im Regenschatten des Schwarzwalds steht, liegt die Niederschlagsmenge bei durchschnittlich 700 bis 800 Millimetern pro Jahr. Die Fallwinde sind kühl und darum wird in den besten Lagen erst ab Mitte Oktober gelesen. Ruch pachtete zwei kleine Parzellen und kelterte seinen ersten Wein, damals noch in Weinfelden. «2007 hat mir gezeigt, wie es sein könnte, hier mit Pinot Noir in den verschiedenen Lagen zu arbeiten.» Sein erster Cru stammte aus der Lage Chölle von 70 Jahre alten Reben, die eigentlich für die Rodung vorgesehen waren. Heute bewirtschaftet er 3,5 Hektar nach biodynamischen Richtlinien, aber «ohne dogmatisch zu sein». Seine Weine basieren auf Länge und Mineralität und er hat recht, wenn er mit althergebrachten Weinbaupraktiken hart ins Gericht geht: Bei den gut genährten, humusreichen Böden bringe die Grünernte als Ertragsbeschränkung nur noch mehr Zucker und damit noch mehr Alkohol in die Weine. «Heute ist das nicht mehr zeitgemäss. Mich interessieren nur noch Weine, die den Ort abbilden. Das heisst aber auch, dass Crus nur dann Sinn ergeben, wenn die Arbeit mit den Reben in den verschiedenen Lagen gleich gehandhabt wird. Die Reben auf den lebendigen Böden müssen wieder ins Gleichgewicht gebracht werden, dann wirkt sich die Struktur positiv auf die Weine aus.» Was sich Markus Ruch für die Region wünscht: Mehr junge Selbstkelterer, die sich auf Rebbau und das Weinmachen als längerfristiges Projekt einlassen. Die räumlichen Möglichkeiten in den Dörfern des Klettgaus sind gegeben. «Warum also nicht einmal 300 Liter selbst ausbauen? Im Gebäude des Neunkircher Wachtpostens hat es beispielsweise Platz für ein solches Projekt.»

Szenenwechsel

Nach der historischen Kulisse in Markus Ruchs Zehntenscheune sitzen wir in Hallau mit Andrea Davaz am Konferenztisch in den Geschäftsräumen der Rimuss & Strada Wein AG.

«Heute produzieren wir mit Freude Wein in einem tieferen Preissegment. Und wir wissen, wenn der Rohstoff nicht stimmt, kannst du ewig Marketing machen, es wird den Absatz nicht steigern.»

Andrea Davaz

Seit der Bündner Andrea Davaz 2017 die ins Trudeln gekommene Weinkellerei von der Familie Rahm kaufte, wurde an diesem Tisch «in kurzer Zeit viel entschieden». Das steht für Effizienz und manchmal auch für unbequeme Massnahmen, etwa wenn Personal abgebaut wird, um die Lohnkosten zu senken, oder wenn das Sortiment bereinigt wird, um attraktiver auf dem Markt auftreten zu können. Doch Änderungen eröffnen neue Möglichkeiten, und so verwundert es nicht, dass Visionär Davaz die Chance am Schopfe packt, die der regionale Naturpark Schaffhausen für den sanften Tourismus bietet. Die Rimuss & Strada Wein AG ist am Osterfinger Weingut Lindenhof AG beteiligt, das als «Naturpark-Wirt» bereits zum jungen Tourismusnetzwerk gehört. Geleitet wird die schmucke Domäne von Matthias Nigg. Der studierte Biochemiker zog die Weinberge dem Labor vor, arbeitete in Pinot-Noir-Hochburgen wie Oregon und Neuseeland und machte in Montpellier seinen Abschluss in Önologie. Die Zusammenarbeit mit Davaz, der den Lindenhof gerne «unsere Boutique-Winery» nennt, ist eng.

Im weiteren Verlauf des Gesprächs wird klar, Individualist Ruch und Geschäftsmann Davaz ticken trotz der strukturellen Unterschiede ihrer Betriebe ganz ähnlich. Der eine produziert auf 2,5 Hektar feinsten Pinot-Stoff, der andere verarbeitet Trauben von hundert Hektar, die von 105 Vertragswinzern bewirtschaftet werden. Beide beobachten den Markt für ihre Zielgruppe, handeln entsprechend und bringen so noch mehr Dynamik in die Region. «Innovationen kommen immer von den Kleinen», sagt Davaz und lehnt sich zurück. Ein hartes Jahr sei 2018 gewesen, aber 2019 habe die Firma wieder Tritt gefasst. «Heute produzieren wir mit Freude Wein in einem tieferen Preissegment. Und wir wissen, wenn der Rohstoff nicht stimmt, kannst du ewig Marketing machen, es wird den Absatz nicht steigern.» Spricht’s und entkorkt eine Flasche Strada Brut. Sein Baby. Sein derzeit wichtigstes Projekt. Und vielleicht hat es den Blick von aussen gebraucht, um auf das Naheliegende zu kommen. Das Schaffhauser Terroir ist wie geschaffen für die Sorte Pinot Noir, die idealen Grundwein für Sekt liefert. Auch die technischen Einrichtungen sind schon vorhanden, denn in den Autoklaven wird Rimuss produziert, der alkoholfreie Mousseux aus Traubenmost. Warum also keine neue Marke analog zu Rimuss aufbauen und mit dieser den Schaumweinmarkt erobern, der kontinuierlich zulegt? Zunächst wurde ein Versuchsballon mit 24 000 Flaschen gestartet: hundert Prozent Pinot Noir aus der AOC Schaffhausen eines Jahrgangs und Versektung im Haus mit dem Tankgärverfahren. Der Name Strada passt zur alten Römerstrasse, die hinter den Betriebsgebäuden verlief. Aktuell werden 120 000 Flaschen vermarktet. Eine Cuvée aus Pinot Noir (70 Prozent) und Chardonnay ist geplant, und an der Entwicklung eines Strada Senza ohne Alkohol wird gearbeitet.

Für die Vertragswinzer der Rimuss & Strada AG hat Davaz klare Leitlinien für den Weinbau erarbeitet. Das Laubwand- Management spielt dabei eine ebenso wichtige Rolle wie die Ertragsregulierung. Das Regelwerk hat er sich nicht aus den Fingern gesaugt. Hans Terzer, Kellermeister und Chef der Kellerei St. Michael-Eppan in Südtirol, hat ihn dabei beraten. Bei den Kellereien steht die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund, und von den Traubenproduzenten wird tadellose Arbeit verlangt. Der Trend geht dahin, die Abnahmeverträge von Flächen zu kündigen, die mit über 50 Jahre alten Rebstöcken bestockt sind. Das sind Flächen, die oft von Freizeitwinzern bewirtschaftet werden, die nicht mehr roden und neu pflanzen möchten. Hier liegen die Chancen für junge, gut ausgebildete Winzer und Önologen, etwas aufzubauen. Nägel mit Köpfen hat 2010 Andreas Florin gemacht, der in Stein am Rhein 3,5 Hektar Reben gepachtet hat. «Fahrt einfach Richtung Burg Hohenklingen, dort liegen meine Rebberge», beschreibt er uns den Weg. Das Frühlingswetter ist mild, die Aussicht auf das Städtchen und die im Kanton Thurgau gelegene Insel Werd fantastisch.

«Wenn alle Besucher, die nach Stein am Rhein kommen, ein Glas Wein tränken, wäre der Wein aller Steiner Winzer verkauft.»

Andreas Florin

Die Rebberge sind steil und so angelegt, dass eine maschinelle Bearbeitung schwierig bis unmöglich ist. Andreas Florin bereitet eine Neupflanzung vor. Er hat das Gelände terrassieren lassen und wird die weisse Piwi-Sorte Sauvignac pflanzen, auch aus Rücksicht auf die Nachbarn in der Wohnsiedlung direkt unterhalb des Rebhangs. Die Kulturlandschaft über dem malerischen Städtchen versprüht pure Rheinromantik. Die Parzellen sind klein, dazwischen brechen blühende Hecken die strenge Geometrie der Rebzeilen. «Der Rebhang hat keine Melioration gesehen, der Zugang zu den Flächen ist schwer. Handarbeit ist hier angesagt», erklärt Florin die Situation. Doch das Terroir am Chlingeberg ist vielversprechend. Die Ausrichtung der Parzellen reicht von Südosten bis Südwesten. Tief- und flachgründige Böden wechseln sich ab. Harter Nagelfluh und Molasse-Sandsteinböden, die sich schnell erwärmen, dominieren den Untergrund. Hier gerät Blauburgunder fruchtbetonter und filigraner als beispielsweise im Klettgau. Darum wählt er als Grundstoff für seinen Schaumwein Chardonnay. «Ich suche einen Stil, der weniger fruchtbetont ist», so Florin, der auf Flaschengärung und 16-monatiges Hefelager setzt. Der Erfolg gibt ihm recht: Kaum auf dem Markt sind die 580 Flaschen auch schon verkauft. Der Agronom mit Wurzeln in Graubünden lotet sei zehn Jahren aus, was auf seinem Terroir möglich ist, und pflanzte 2012 Rheinriesling an. Seine Weine füllt der einzige Selbstkelterer in Stein am Rhein ausschliesslich in Rheinweinflaschen ab. Eine Reminiszenz an den Ort und ein Alleinstellungsmerkmal, das ihm bei der Vermarktung hilft: Er liefert an die Restaurants im Ort, und Besuchergruppen können eine Stadtführung mit anschliessender Degustation im Carnotzet des Bürgerasyls mitmachen. «Wein als Rahmenprogramm» nennt er das und fügt hinzu: «Wenn alle Besucher, die nach Stein am Rhein kommen, ein Glas Wein tränken, wäre der Wein aller Steiner Winzer verkauft.» 12 000 bis 15 000 Flaschen produziert Florin, im April kommt der Lohnabfüller. Der Rheinriesling 2019 ist noch nicht gefüllt, aber die Fassprobe ist vielversprechend. 11 Volumenprozent Alkohol, 16 Gramm Restzucker und 7,2 Promille Säure, der Renner für heisse Sommertage. Den Restzucker hat sich der Wein selbst erarbeitet. In den ersten zwei Jahren gärte der Wein nie komplett durch und Florin machte aus der Not eine Tugend. Der Riesling wird traditionell feinherb abgefüllt.

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