Ein Gespräch über die Tignanello-Revolution, ihren persönlichen Stil und die Zukunft des toskanischen Weinbaus

Renzo Cotarella und Rudi Bindella im Interview

Interview: Christian Eder, Fotos: Slavi Jankovic

Renzo Cotarella, seit mehr als 40 Jahren Agronom und Önologe der Marchesi Antinori, und Rudi Bindella, seit 1953 Importeur der Weine von Antinori in der Schweiz, sprachen mit uns über die Tignanello-Revolution, persönlichen Stil und die Zukunft des toskanischen Weinbaus: In Montepulciano und im Chianti Classico werden mit den Le Pievi (die historischen Kirchenbezirke, die auch für eine Unterzone stehen) bzw. UGA (Unità Geografiche Aggiunte – Gemeinde-Lagenbezeichnungen) Unterzonen eingeführt, die das Spitzensegment der jeweiligen Ursprungsbezeichnungen darstellen sollen.

Signore Cotarella, Sie haben im Mai 2021 40-jähriges Jubiläum in den Diensten Antinoris gefeiert, vor 50 Jahren wurde der erste Tignanello produziert. Wie hat sich in dieser Zeit die Welt des italienischen Weines verändert?

Renzo Cotarella: Italienischer Wein war früher mehr Quantität als Qualität, auch bei uns. Der grosse Umschwung kam mit Marchese Piero Antinori an der Spitze des Hauses im Jahr 1966 und dann mit der Geburt des Tignanello 1971. Der Tignanello hat nicht nur Antinori und die Toskana verändert, sondern ganz Italien.

Rudi Bindella: Tignanello war eine Explosion: der erste grosse Wein aus Italien, bei dem 80 Prozent Sangiovese mit 20 Prozent Cabernet verschnitten und der im Holzfass ausgebaut wurde. Als der erste Jahrgang 1971, vier Jahre später, auf den Markt kam, haben wir 1200 Flaschen bestellt und bei einer Degustation vorgestellt: Mein Vater hat gemeint, kein Mensch kauft einen italienischen Wein um 21 Franken. Aber wir haben es probiert: Innerhalb von drei Tagen waren alle Flaschen verkauft. Diese Formel, Tradition und Innovation miteinander zu verknüpfen, war ein Riesenerfolg. Alle, die dann versucht haben, es zu kopieren, blieben nur eine Kopie. Ab diesem Moment war der Erfolg von Antinori nicht mehr aufzuhalten.

Renzo Cotarella: Krisen sorgen immer dafür, dass sich das Denken verändert, wie nach der Methanolkrise in den 1980er Jahren oder wie es auch in der Pandemie heute der Fall ist. Antinori hat immer eigene Rebberge bewirtschaftet, aber in den 1960er und 1970er Jahren war das Haus mehr Negociant, hat Trauben zugekauft. Ein weiterer Schlüsselmoment war daher das Jahr 2000, als wir den Villa Antinori als Chianti Classico eingestellt haben, weil wir nicht mehr in der Lage waren, die Qualität bei den gekauften Trauben aufrechtzuerhalten. Daher haben wir ihn als Toscana IGT auf den Markt gebracht. Erst 2011 haben wir wieder begonnen, ihn als Chianti Classico aus eigenen Trauben zu produzieren – wie alle Weine der Marke Antinori aus eigenen Trauben sind. Dieser «spirito agricolo» ist sehr wichtig.

Rudi Bindella: Mit dem Boden zu arbeiten, ist die nobelste Arbeit, die es gibt. Man spürt aber auch in den Weinen der Marke Antinori, dass sie handwerklich produziert werden. Das trägt auch zu ihrem Erfolg bei.

Gibt es einen Antinori-Stil?

Renzo Cotarella: Der Stil eines Weines wird sicherlich vom Geschmack der Person geprägt, die ihn macht. Das ist bei uns nicht anders als in kleinen Betrieben. Mit den Jahren ändert sich allerdings nicht nur der Geschmack, man entwickelt auch mehr Gefühl für die Details. Ein persönlicher Stil – wie der von Antinori – ist vom roten Faden geprägt, der sich in allen Weinen wiederfindet. Bei uns ist das die Drinkability. Und weil Piero Antinori und auch ich gute Trinker sind, messen wir die Qualität eines Weines auch daran, wie viel wir davon trinken.

«Tignanello war eine Explosion: der erste grosse Wein aus Italien, bei dem 80 Prozent Sangiovese mit 20 Prozent Cabernet verschnitten und ausgebaut wurde.»

Rudi Bindella

Ihr Geschmack und der von Marchese Piero sind ähnlich?

Renzo Cotarella: Piero und ich haben auf der ganzen Welt Unmengen gemeinsam verkostet. Selbst wenn wir blind degustieren, kommen wir meist auf dasselbe Ergebnis. Ich bin vielleicht etwas mehr burgunder-, Piero Antinori etwas mehr bordeauxlastig.

In der Toskana wird gerade eifrig an den neuen Unterzonen getüftelt, UGA im Chianti Classico, Le Pievi in Montepulciano. Was halten Sie von dieser Entwicklung?

Renzo Cotarella: Alles, was hilft, die Qualität zu verbessern, ist wichtig. Man darf dabei aber nicht die Identität der Ursprungsbezeichnung verlieren. Die Unterzone ist nur ein Plus, ein Teil eines Qualitätskonzeptes, das aber auf der hohen Qualität der Basis – Vino Nobile di Montepulciano oder Chianti Classico – basiert.

Herr Bindella, haben Sie schon entschieden, die Pievi in Zukunft für Ihre Weine auf der Tenuta Vallocaia, Ihrem eigenen Weingut in Montepulciano, zu verwenden?

Rudi Bindella: Ja. Es hilft, den Ursprung der Weine zu präzisieren. Aber für mich persönlich ist auch sehr wichtig, dass die ureigene Rebsorte der Toskana – Sangiovese – das Gebiet und seine Unterzonen interpretiert. Wir verwenden auf Vallocaia daher Sangiovese in purezza.

Renzo Cotarella: Die Verwendung der Pievi – oder UGA im Chianti Classico – ist ein Qualifizierungsprozess für das Produkt, das sich die Bezeichnung Pievi oder UGA natürlich erst verdienen muss. Das sehe ich sehr positiv, um die Qualität aller Weine zu verbessern. Wir produzieren seit Jahren im Chianti Classico zwei Weine, die in Zukunft Teil einer UGA sein könnten: Badia a Passignano repräsentiert die UGA von San Donato, Marchesi Antinori die Zone von Tignanello. Daneben haben wir noch drei andere Güter, auf denen wir gerade dabei sind zu erforschen, wie die Weine ihre Identität am besten ausdrücken. Das wird einige Jahre dauern. Dann werden wir sehen, ob wir sie separat auf den Markt bringen werden oder ob sie Teil eines grossen Chianti Classico mit Zutaten aus allen Zonen werden. Denn das ist eigentlich die Tradition: Ein Chianti Classico ist ein Blend verschiedener Zonen, der das gesamte Gebiet repräsentiert.

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