Teneriffa, Lanzarote und El Hierro erweisen sich als vinologische Schatzkammern

Die Weinwelt der Kanareninseln

Text: André Dominé, Foto: Estanis Nuñez, André Dominé, z.V.g.

Teneriffa, Lanzarote und El Hierro erweisen sich als vinologische Schatzkammern. In den Vulkanböden der Inseln wachsen wurzelechte, bis über 200 Jahre alte Reben aus spanischen, portugiesischen oder autochthonen Sorten. Mit Bewusstsein für deren Besonderheit, die tradierten Anbaumethoden und ihre einmaligen Lagen keltern Winzer und Weinmacher daraus seit kurzem höchst individuelle Weine.

Das Rauschen des Atlantiks weckt mich. Ich habe mich in Punta Brava einquartiert, einem ursprünglichen Ortsteil von Puerto de la Cruz. Über die Dächer ziehen graue Wolken auf die Berghänge zu. Dort stauen sie sich. Der Teide - mit 3718 Metern der dritthöchste Vulkan der Welt - versteckt sich. Kontinuierlich bläst der Passat. Es ist feuchtwarm. Typisches Wetter im Norden der Insel. Es sorgt für grüne Pflanzenpracht, ermöglicht Bananenanbau und ist ein - nicht ganz unproblematischer - Segen für den Weinbau, denn es fördert Falschen Mehltau und Fäulnis. Auf der Südseite des Bergmassivs herrscht dagegen Sonnenschein und trockenes mediterranes Klima. Je nach ihrer Herkunft bevorzugten Siedler die eine oder andere Seite der Insel, wobei der Norden immer leicht dominierte: im Jahre 2000 mit 3805 Hektar gegenüber 2952 im Süden an DO-Weingärten, aktuell mit 809 Hektar im Norden und 539 Hektar im Süden. Ein dramatischer Schrumpfprozess, der überall auf den Kanaren weiter anhält, trotz wachsenden Interesses an den Weinen!

Teneriffa, die grösste und mit 930 000 Einwohnern am stärksten bevölkerte der Kanarischen Inseln, wurde als letzte von Vertretern der spanischen Krone erobert. Erst 1496 gaben sich die Guanchen, die Ureinwohner der Insel, geschlagen. Danach bildete sich eine neue Gesellschaft aus ihnen, zurückgebliebenen Eroberern und Siedlern aus verschiedenen spanischen Regionen sowie aus Portugal. Sie alle brachten Rebstöcke und Anbaumethoden aus ihrer Heimat mit. Schnell entwickelte sich die Insel zur Zwischenstation auf dem Seeweg nach Amerika, ins südliche Afrika und nach Ozeanien. Der Weinbau nahm einen rasanten Aufschwung, und der süsse Canary Sack aus MalvasierTrauben fand begeisterte Anhänger wie Shakespeare oder Walter Scott. 1706 vernichtete ein Vulkanausbruch den damals wichtigsten Hafen der Insel. Ende des 18. Jahrhunderts führten veränderte politische Verhältnisse zum weiteren Einbruch des Handels. Zwar musste der Weinbau im 20. Jahrhundert viel Terrain an Bananen und Tourismus abgeben, doch verankert in Kultur und Tradition der Tinerfeños überlebte er. Zumal die Reblaus die Insel nie erreichte und ihre wurzelechten Reben teils über 200 Jahre alt sind.

Augenöffner

«Sie müssen unbedingt Taganana sehen», hatte Roberto Santana gemeint. Von San Andrés kurvten wir 15 Kilometer hinüber zur nördlichsten Ecke Teneriffas. Hinter dem Dorf endete der Weg mitten im Hang. Weiter ging es auf fussbreiten Pfaden. Vor einem in den Felsen gehauenen Kelterbecken hoch über dem Atlantik hielt Roberto an. «Früher wurden die Weine in solchen Steinbecken gepresst, und der Most wurde in Ziegenbälgen bis zum Keller nah am Meer getragen», erklärte er. Über die steilen Hänge sind Rebstöcke verstreut, immer dort, wo sie wurzeln konnten. Zwischen Gesteinsbrocken und auf Miniterrassen kriechen ihre Ruten, durch Stäbe gestützt, flach über den Boden, wurzelecht, bis 150 Jahre alt und mehr. Vorwiegend Listán Blanco (Palomino) für den weissen Táganan, Listán Negro und andere auf rotem Basalt für Táganan Parcela Margalagua. Roberto und seine Freunde Laura Ramos, José Martinez und Alfonso Torrente gründeten gemeinsam Envínate, um solche Reben zu erhalten und ihnen Ausdruck zu verleihen.

Das Quartett lernte sich 2005 in Alicante kennen, wo sie Önologie studierten und gemeinsam ihre Weinphilosophie entwickelten. «Wir begannen 2008 mit Envínate, indem wir einen ersten kleinen Weingarten kauften und dann immer mehr.» In Galicien, der Extremadura, Almansa und auf Teneriffa - überall suchten sie Parzellen mit alten Rebstöcken von einheimischen Sorten in besonderen, vorwiegend atlantischen Lagen, die für Frische und Mineralität in den Weinen sorgen. Chemische Hilfsmittel sind in Weinbergen und Kellern tabu. Ihnen geht es darum, das jeweilige Terroir mit seiner eigenen Anbaukultur unverfälscht in die Flasche zu bringen.

«Als die Siedler auf die Insel kamen, suchten sie sich Ecken, wo sie das Klima an ihre Heimat erinnerte.»

Jorge Méndez Díaz

Roberto ging 2008 zurück nach Teneriffa, seiner Heimat, und übernahm bei Suertes del Marqués im Orotava-Tal bis 2015 die Verantwortung für Weinberge und Weine. Ihm gelang es, dieses besondere Terroir mit seinen einmaligen geflochtenen Rebstöcken von Listán Blanco und Negro auf eine völlig neue authentische Weise auszudrücken. Nicht nur weckten diese Weine internationales Interesse, sie öffneten anderen Winzern die Augen für das Potenzial der Kanarischen Inseln. Envínate verfügt heute über 40 Hektar Rebparzellen, von denen sich die Hälfte auf Teneriffa befindet.

Teneriffas 5 Appellationen

82 Rebsorten existieren auf den Kanarischen Inseln, von denen etwa 30 gezielt verwendet werden. Unter den weissen dominiert Listán Blanco  (Palomino). Wichtige andere weisse sind auf Teneriffa Marmajuelo, Verdello, Vijariego Blanco, Albillo Criollo, Gual (Bual), Malvasía Aromatica und Moscatel de Alejandria. Unter den roten Sorten führt der autochthone Listán Negro mit grossem Abstand vor Listán Prieto (Missionstraube), Tintilla (Bastardo), Negramoll, Castellana (Tinta Cão), Vijariego Negro und Baboso Negro (Alfrocheiro).

Von Norden über Westen nach Süden und Südosten:

Tacoronte-Acentejo

«Hier im Norden der Insel haben wir überall vulkanische Böden, in der obersten Schicht mit Ton und etwas Sand vermischt», erklärt Gabriel Morales vom Geheimtipp Vinos en Tándem, «Die Wurzeln gehen durch die obere Bodenschicht bis in die Vulkanböden, die ausgezeichnet Wasser speichern.» Die Reben - 556 Hektar, 722 Weinbauern, 29 Bodegas - wachsen auf Terrassen, die bis auf 1000 Meter Höhe reichen, über dem Atlantik, oft von Wolken begünstigt. Ein ideales Terroir für Rotwein, auf dem der für junge Rote prädestinierte autochthone Listán Negro durch Negramoll aus Madeira Eleganz und Alterungspotenzial erfährt. La Santa de Úrsula, das neu von Envínate übernommene Gut in der DO, zeigt dies perfekt. Hier hat auch die Grosskellerei Bodegas Insulares ihren Sitz, die moderne Rot- und Weissweine erzeugt und mit Süssweinen und Vermuts wie Humboldt 1997 aus Listán Blanco brilliert.

Valle de la Orotava

«Die Grenzen des Orotava-Tals sind sehr eindeutig: je eine Hügelkette im Osten und im Westen», zeigt Jonatan Garcia Lima, der auf Suertes del Marqués herausragende, mineralische, wunderbar lebendige Weine erzeugt. Nach Osten, wo die reichen Vulkanböden mehr Lehm enthalten, findet man Listán Negro, nach Westen, auf ärmeren Böden produktiven Listán Blanco. Das Tal, in dem Weinstöcke zwischen 250 und 700 Metern wachsen, liegt in der Mitte der Nordküste, das Klima prägen die feuchten Passatwinde. 304 Weinbauern mit 174 Hektar Reben und 18 Bodegas sind hier aktiv, darunter erneut Envínate mit Palo Blanco und Migan Tinto. Bodega Tajinaste keltert moderne aromatische Weine, besonders überzeugend die Reihe Paisaje de las Islas. Einmalig im Tal ist der Rebschnitt Cordón Trenzado, bei dem Reben zopfartig geflochten bis zu 15 und mehr Meter auf Stützgabeln über den Boden geleitet werden, was es ermöglicht, unter ihnen Kartoffeln anzubauen. 

Ycoden-Daute-Isora

«Üblicherweise ist die Nordwestseite der Insel sehr vertikal, so dass Terrassen angelegt wurden, um überhaupt Reben anpflanzen zu können», betont Jorge Méndez, dessen Vater Juan Jesús 1990 Viñátigo gründete und sich als Erster auf die Wiedereinführung alter kanarischer Rebsorten konzentrierte. Vater und Sohn erzeugen eine Reihe spannender sortenreiner Weine wie Marmajuelo, Vijariego Blanco oder Negro. Die DO mit 79 Hektar Reben, 143 Weinbauern und zehn Bodegas ist zweigeteilt. In ihrer Region Ycoden, nah der Küste, fällt mehr Regen, gut geeignet für den raren roten Baboso Negro, Spezialität von Borja Pérez. In dem höheren, trockeneren und sonnigeren Teil Daute-Isora werden die Reben auf 1000 Metern Höhe im Gobelet erzogen. Hier steht in Santiago del Teide die Bodega von Envínate, die dort den mundwässernden weissen Benje aus Listán Blanco und den seidig-salzigen roten Benje aus Listán Prieto erzeugt.

Abona

Im Süden der Insel unterteilt sich die DO mit ihren 444 Hektar Reben, 295 Weinbauern und 16 Bodegas in drei Zonen. Die grösste befindet sich im warmen, regenarmen Küstenteil zwischen 300 und 500 Metern über dem Meer, die zweite auf kühleren und feuchteren Lagen zwischen 500 und 1200 Metern. Darüber ist das Klima kontinental mit hohen Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht. «Die Finca Altos de Trevejos befindet sich in der Gemeinde Vilaflor auf einer Höhe von 1300 Metern», erklärt Önologin Chaxi Velázquez. Das 2012 gegründete Gut mit 23 Hektar neuen Spalieranlagen arbeitet biologisch und kontrolliert 15 Hektar sehr alter Weingärten. Aus den weissen Sorten Listán Blanco, Verdello, Albillo Criollo, Malvasía und Moscatel sowie den roten Baboso Negro, Vijariego, Listán Prieto und Syrah werden überzeugende Schaum- und Stillweine, Cuvées sowie sortenreine Weine vinifiziert.

Valle de Güímar

Auch in dieser DO an Teneriffas Südostküste mit 95 Hektar Reben, 152 Weinbauern und elf Bodegas unterscheidet man zwischen drei Zonen. Im niedrigsten, wärmsten Teil zwischen 100 und 300 Metern Höhe wurden vor allem Malvasía, Moscatel und Marmajuelo angepflanzt, auf 500 bis 750 Metern dagegen Listán Blanco und Negro, Albillo Criollo, Vilareijo Blanco. Hier ergibt Listán Negro duftige, saftige, elegante Rote wie die von Juan Francisco Farina. «Unsere emblematischste Lage ist Las Dehesas auf 1300 bis 1400 Metern über dem Meer, wo 80 bis 100 Jahre alte wurzelechte Listán-Blanco-Stöcke wachsen», betont Francisco Javier Gómez von Viña Gomez. Deren Trauben besitzen Frische, Mineralität und viel Potenzial.

Lanzarote

Reine Asche

Sechs Jahre lang, von 1730 bis 1736, spien 32 Vulkane Unmengen von Lava, Asche und Lapilli aus und begruben den fruchtbaren Westen der Insel Lanzarote unter sich. Zurück blieb der Nationalpark Timanfaya und La Geria, die wohl faszinierendste Weinlandschaft der Welt. Da es unmöglich war, in der bis zu drei Meter dicken schwarzen Aschenschicht weiter Getreide anzubauen, entwickelten die Lanzaroteños eine einmalige Rebkultur.  Um die Weinstöcke vor den heftigen Passatwinden zu schützen, hoben sie bis zu zwei Meter tiefe Gruben, die Hoyos, in der Asche aus und pflanzten jeweils einen einzigen Rebstock auf deren Grund. Dabei nimmt die Asche wie ein Schwamm den Tau aus der Luft auf und versorgt die Reben mit einem Minimum an Feuchtigkeit, denn an Regen fallen auf der trockenen Vulkaninsel kaum mehr als 100 mm im Jahr. Wo die Hoyos allein nicht genügend Schutz gegen den Wind bieten, errichtete man an ihrem Rande niedrige Mauern aus Lavagestein, die Abrigos. Surrealistisch.

Heute werden auf der östlichsten Insel der Kanaren 1875 Hektar Reben von 1853 Weinbauern bewirtschaftet, und 21 Bodegas erzeugen die Weine. Berühmt ist El Grifo, 1775 gegründet, wo man heute Trauben aus traditionellen Sorten und etwas Syrah modern vinifiziert, aber auch einen grossartigen restsüssen Malvasía Canari erzeugt. Seit 2017 gibt es Puro Rofe (deutsch: reine Asche), ein Gemeinschaftsprojekt von mehreren biologisch arbeitenden Winzern, dem versierten Weinmacher Carmelo Peña und dem engagierten Weinhändler Rayco Fernández von Buena Uva. Ihnen gelingt es, in ihren Weinen die Magie und Energie Lanzarotes einzufangen. 

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