«On the road» im Weinkontinent Spanien

Vamos de Tapas!

Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Thomas Vaterlaus und Heinz Hebeisen

Das hoch über der Rioja Alavesa thronende Laguardia, das vermeintlich verloren in der kastilischen Hochebene liegende Toro, das freakige Winzerdorf Falset im Priorat, das mit seiner Grandezza überraschende Almagro in der La Mancha oder die vor südlichem Temperament nur so strotzende Sherry-Stadt Sanlúcar de Barrameda – wer in diesen fünf Städtchen abends durch die Gassen zieht, kommt ihr ganz nahe, der Seele des spanischen Weins.

«Eines der wenigen konstanten Dinge in meinem Leben ist meine Liebe zu Spanien. Frauen und Freunde sind aus meinem Leben verschwunden, aber ein Land läuft einem nicht so schnell weg», schreibt der niederländische Schriftsteller Cees Nooteboom in seiner Reiseerzählung «Der Umweg nach Santiago». Immer wieder thematisiert Nooteboom die durch die Weite des Landes geprägte Kultur Spaniens, das zwar an Europa hänge, aber nicht mehr Europa sei. Was er damit meint, wird einem bei jedem Weintrip durch Spanien immer wieder von neuem klar. Irgendwann nach Mittag hatten wir Madrid endlich hinter uns gelassen und eine halbe Stunde später auch die hässlichen Ausläufer des Molochs, die «Urbanizaciones» mit ihren Mega-Einkaufszentren und Tankstellen. Doch kaum sind die letzten Betongerippe abgeschüttelt, beginnt sie: die grosse Weite, nur mehr aufgelockert von vorbeihuschenden Olivenbäumen und Buschreben. Und wenn sich dann noch ein veritables Funkloch ankündigt, sind wir definitiv in diesem Land angekommen. Die landschaftliche Leere hat den Vorteil, dass man sie mit eigener Fantasie füllen kann. Nur wenn die Sonne langsam untergeht, kann einen dieses anhaltende Nichts bis zum Horizont ein bisschen nervös machen, schliesslich möchte man den Abend doch in einem gemütlichen Hostal und nicht auf dem Rücksitz seines Autos verbringen. Weinreisende sind diesbezüglich auf der sicheren Seite. Denn jede Weinregion hat seine kleine Weinkapitale, die einen bestens mit Wein, lokalen Gerichten und spannenden Anekdoten am Bartresen versorgen kann. Die folgenden fünf Weinstädtchen sollte jeder Spanien-Freak mindestens einmal in seinem Leben besucht haben.

Almagro

Macht der Steppenwind tatsächlich Tote wieder lebendig? In «Volver», dem Erfolgsfilm des spanischen Kultregisseurs Pedro Almodóvar, begegnet uns die La Mancha als magisch-wunderlicher Ort. Und Hollywood-Diva Penélope Cruz knattert in einem alten Ford Granada durch die melancholische Weite, in der die Tempranillo-Traube so prächtig gedeiht. Die scheinbar endlose Hochebene südlich von Madrid hat vor 400 Jahren schon den guten alten Don Quichotte verschluckt. Und noch heute fahren viele Weinreisende gleich bis Sevilla weiter, weil sie Angst haben, hier kein weiches Bett zu finden. Dabei gibt es hier doch Almagro. Dieses Städtchen begrüsst seine Besucher mit schlichten Bürgerhäusern im Renaissance-Stil und ländlichem Charme. Der Plaza Major übrigens wird die wohlproportionierte Gemütlichkeit eines Wohnzimmers nachgesagt, und das ist nicht gelogen. Im 16. Jahrhundert galt Almagro gar für wenige Jahrzehnte als ein Zentrum der Weltwirtschaft. Unter der Regie der deutschen Bankierdynastie Fugger, die damals in der Nähe von Almagro die grösste Quecksilbermine der Welt kontrollierte, entwickelte sich das Städtchen zu einer Art Wall Street in der Steppe. Ein Zeuge dieser goldenen Epoche ist der «Corral de Comedias», das einzig komplett erhaltene Renaissance-Theater mit offenem Innenhof aus dem 16. Jahrhundert. Vor allem aber ist dieses Städtchen nicht nur hübsch, es hat auch vorzügliche Restaurants zu bieten und dazu ein Parador-Hotel, untergebracht in einem ehemaligen Kloster. 14 Innenhöfe zählt der Prachtbau. Von hier aus machen wir uns abends auf zu einer Tapas-Tour rund um die Plaza Major und geniessen danach im Restaurante «El Corregidor» zuerst Berenjenas de Almagro, junge schmackhafte Auberginen aus Almagro, gegart in Sherry-Essig. Dann folgt das Armeleute-Gericht dieser Gegend schlechthin: Migas. Hierfür werden Rückenspeck und Knoblauchzehen in Olivenöl gebraten. Dann kommen Stücke von altbackenem Brot dazu, die geröstet werden, bis sie goldbraun sind. Dazu mundet ein jugendlicher Tempranillo Joven aus der Umgebung ganz vorzüglich. Spät nachts schlendern wir zufrieden durch die leeren Strassen zum Parador zurück und summen dabei die Titelmelodie aus «Volver», für den einige Schlüsselszenen in Almagro gedreht wurden. Es ist ein melancholischer Tango, in dem eine klagende Frauenstimme vom «Heimkehren mit welker Stirn» singt und von «Schläfen, die versilbert sind vom Schnee der Zeit».

Toro

Wie jeden Abend hat der Wind den Himmel blitzsauber gefegt und beschert uns einen violett-klaren Abendhimmel. Scheinwerfer beleuchten die Stiftskirche Santa Maria La Mayor und lassen den Sandstein geradezu unnatürlich hell erscheinen. Es ist, als würde der im Jahr 1240 vollendete Prachtbau auf kosmische Weise leuchten. Zeit für den ersten Apéro. Überlassen wir uns ruhig dieser urspanischen Kleinstadt. Sie weiss genau, was es braucht, damit wir uns in ihr wohlfühlen. Kleine Gassen, die auf wohlproportionierte Plätze zulaufen. Mittelalterliche Portale, hinter denen unglaubliche Geschichten schlummern. Ein paar Tapas-Bars, in denen uns ein gewisser Pepe oder Miguel so begrüsst, als wären wir Stammgäste. Restaurants mit jungem Lamm oder Kichererbseneintopf als Hausspezialität. All das finden wir im 10 000-Seelen-Nest Toro, das auf einem Plateau hoch über dem Duero thront. Als 1987 die kontrollierte Ursprungsbezeichnung eingeführt wurde, gab es gerade mal vier eingetragene Kellereien in Toro, heute sind es über 60. Sie bringen voluminöse, würzige Gewächse mit grosser Gerbstoffkonzentration hervor: Weine wie der Alabaster von den Eguren-Brüdern (Bodega Teso La Monja) oder der Termanthia von Bodega Numanthia. Obwohl hier Land in unerschöpflicher Fülle vorhanden wäre, schmiegen sich die Hausdächer so eng zusammen wie die Leiber einer Schafherde auf einem freien Feld. Natürlich hat die kompakte Architektur Toros strategische Gründe.

Die Einheimischen sind stolz auf ihre Stadt. Wenn sie von ihr reden, fallen Begriffe wie «Bastion altkastilischer Kultur» oder «Wiege der Könige». Die Stierkampfarena, aus Holz gebaut, gilt als die zweitälteste in Spanien. Und mit zehn Kirchen und fünf Klöstern ist Toro noch immer eine der gottesfürchtigsten Städte Spaniens. Nur wenige hundert Meter von der Calle Mayor entfernt, wo abends das Kleinstadt-Volk feiernd von Bar zu Bar pilgert, leben Nonnen in Klausur. Unser Favorit unter den Tapas-Bars ist «La Esquina de Colos». Abends geht es hier hoch zu und her. Man kennt sich. Und wenn draussen bekannte Gesichter vorbeihuschen, winkt man sich durch die Scheiben zu oder öffnet gar die Fenster und klopft Sprüche wie: «He Pablo, ich habe gehört, gestern sei es wieder spät geworden…». Die Perfektion, mit welcher der Jamon Ibérica de Bellota aufgeschnitten wird, beweist die Professionalität der Akteure hinter dem Tresen. Sogar den Wunsch nach einem frischfruchtigen Toro-Wein können die Gastgeber erfüllen…

Falset

Kurz nach 7 Uhr abends ist es so weit. Die allabendliche Prozession der verstaubten Pick-ups und der zerbeulten Jeeps hält Einzug im Winzerdörfchen Falset. Sie parken alle nahe der Tapas-Bar des «Hostal Sport». Die bunte Truppe, die sich hier an den Tischen draussen an der Strasse versammelt, unterscheidet sich kaum von der Szene in einem Windsurfercamp auf Lanzarote. Nur dass es hier eben der Wein ist, der Freaks aus aller Welt zusammenbringt: der «Garnacha-Aficionado» aus dem kalifornischen Santa Barbara, der junge Terroirfreak aus Neuseeland, Weinbaustudenten aus Montpellier und Adelaide. Alle kommen sie hierher, um am Weinbauwunder Priorat zu schnuppern. Sie tragen Carhartt-Workwear, Trekkingsandalen oder Wanderschuhe. Beim abendlichen Bier oder Gin Tonic erzählen sie vom Pflügen der Rebterrassen mit den Pferden oder von ihren Zwiegesprächen mit den über hundertjährigen Garnacha- und Cariñena-Stöcken. Noch vor 30 Jahren war Falset fast tot. Die wenigen im Dorf verbliebenen Alten waren froh, wenn sie im Herbst die Jagdgewehre knallen hörten. Das hiess: Die Wildvogeljagd hatte begonnen, samt den feuchtfröhlichen Kneipen-Gelagen am Abend. Heute ist das Dörfchen der vibrierende Schmelztiegel der Priorat-Weinszene. Das Motto heisst: Tagsüber Garnacha und Terroir, abends Tapas und Rock ’n’ Roll. Olé!

Sanlúcar de Barrameda

Flamenco liegt in der Luft. Und andalusische Farbkontraste der besonderen Art. Die weissen Häuser, der noch spät abends tiefblaue Himmel, die Orangenbäume. Dazu Massen von Menschen, die noch nach Mitternacht zielgerichtet die Casa Balbino ansteuern, diesen heiligen Tempel der andalusischen Tapas-Kultur. Dutzende von eingespielten Händen zaubern hier lokale Spezialitäten in horrender Menge auf den Tresen, überwacht von ausgestopften Toro-Köpfen. Traue dich ruhig mitten in das Gewusel, bestelle «Tortilla de Camarones» (knusprig gebratene Kartoffel-Julienne mit rosa Garnelen) und mache nicht den Fehler, nach einem Fino zu fragen. Denn Fino trinken sie im nahen Landstädtchen Jerez de la Frontera.

Sanlúcar aber liegt dort, wo der Guadalquivir in den Atlantik fliesst. Hier wird Manzanilla produziert. Wenn du in dieser allerheiligsten aller Tapas-Bars anfängst, über die Unterschiede zwischen dem Fino und dem Manzanilla zu philosophieren, bist du für die nächsten Stunden beschäftigt. Klar ist, dass die Florhefe, die sich in den nicht ganz gefüllten Fässern wie weisser Bierschaum über den Wein legt, beide Sherry-Typen prägt. Unbestritten ist auch, dass diese Florhefe im direkt am Meer liegenden Sanlúcar aktiver ist als im Landstädtchen Jerez. Der Manzanilla reift also reduktiver, weil er durch die dickere Florschicht besser vor Luftkontakt geschützt wird. Weil die dickere Florschicht in Sanlúcar aber auch mehr Nahrung braucht, entzieht sie dem Wein mehr Inhaltsstoffe. Alle diese Effekte führen dazu, dass die Manzanillas oft eine Spur schlanker, frischer und salziger schmecken als die Finos. «Es kommen Ausländer in diese Bar, die sonst nie Manzanilla trinken, hier aber bechern sie nichts anderes», sagt Pablo hinter dem Tresen. Später, in der Casa Bigote, dem legendären Fischrestaurant an der Bajo de Guía, dem kleinen Fischerviertel von Sanlúcar am Guadalquivir, beweist der Manzanilla, dass er auch ein perfekter Begleiter zu Fisch und Meeresfrüchten ist, etwa zur Spezialität des Hauses Ortiguillas fritas, frittierten Seeanemonen…

Laguardia

Als wir Mitte der Woche nach Laguardia kamen, war es hier so still wie in einem Kloster. Die einsamen Gestalten, die abends durch die Altstadt huschten, konnte man an einer Hand abzählen. Am Freitagabend aber war das Städtchen nicht mehr wiederzuerkennen. In den Gassen wurde gebechert und gefeiert und so manche Pforte, die in den Vortagen geschlossen war, entpuppte sich nun als Eintritt in eine gemütliche Kellerbar. Hatte womöglich das jährliche Stadtfest, die Feria, begonnen? «Nein», sagte der Kellner in der Posada Mayor de Migueloa, «das ist jeden Freitagabend so, wenn die Leute aus Bilbao hierherkommen, um Party zu machen.»

Wie ein Storchennest thront das Städtchen Laguardia auf einem Hügel inmitten der baskischen Subregion Rioja Alavesa. Wer auf der Stadtmauer rund um das historische Zentrum spaziert, hat einen spektakulär weiten Blick auf die tausenden von kleinen und winzigen Rebparzellen, die einer Patchworkdecke ähnlich bis zum Horizont reichen. Mittendrin glitzert das riesige Wellendach der Bodega Ysios (Architekt: Santiago Calatrava). Aber die Aussicht ist nicht nur spektakulär, sie zeigt auch die Qualitätsfaktoren der kleinsten Rioja-Subregion auf. Die schroffen Bergzüge der Sierra de Cantabria im Norden prägen das Mikroklima, und der Ebro, der südlich des Städtchens vorbeifliesst, hat die Böden geformt.

Mit seinen Tapas-Bars und Restaurants ist Laguarida der perfekte Ausgangspunkt, um die Rioja zu erkunden. Und hat auch bauhistorisch viel zu bieten. Das gotische Südportal der Iglesia de Santa Maria de los Reyes mit seinen Statuen und Gewändefiguren gehört zu den spektakulärsten in Nordspanien. Derweil kündet der Torre Abacial vom schon früh ausgeprägten Pragmatismus der Bewohner dieses Städtchens, diente er doch früher gleichermassen als Wehr- und Glockenturm…

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