Capri, Ischia und Campi Flegrei

Heisser Dampf für kühle Weine

Text: Christian Eder

Neapel ist ein heisses Pflaster: Mineralreiche Vulkanböden findet man nicht nur am allgegenwärtigen Vesuv, sondern auch innerhalb der Stadtgrenzen und auf den benachbarten Inseln. Das lieben nicht nur gesundheitsbewusste Thermalbadegäste, sondern auch die Reben. Daher findet man hier neben heissen Quellen auch grüne Weinberge, die Basis von kühlen Weissen und kernigen Roten.

Wenn er nicht gerade auf Capri weilt, dann lebt Andrea Koch in Berlin oder ist im Rest Europas unterwegs und macht Musik: Elektronik mit Anklängen des Jazz, die er auch live performt. Zurück auf Capri ist sein Leben dann ein ganz anderes: Dann sorgt er schon früh am Morgen dafür, dass auf seinem gerade mal 4000 Quadratmeter kleinen, schattigen Rebberg alles wächst und gedeiht. Wie gerade jetzt, an diesem strahlenden Frühsommermorgen: In der Ferne, hinter dem Hafen von Capri und dem Meer, erhebt sich der Vesuv und symbolisiert, warum gerade hier so mineralisch-elegante Weine gedeihen: Im Süden Italiens schiebt sich die afrikanische Kontinentalplatte unter die europäische und sorgt regelmässig für Erdbeben und vulkanische Tätigkeit. Vor 2000 Jahren wurde das bereits Pompeji zum Verhängnis und bis heute ist die Gefahr allgegenwärtig: Der Vesuv könnte jederzeit wieder Lava ausspeien – bis nach Capri und darüber hinaus.

Rebbau seit griechischer Zeit

Aber als Einheimischer negiert man die Gefahr. «Man denkt einfach nicht dran», sagt Andrea Koch, während er mit uns die steilen Steinstufen zwischen seinen Weinbergterrassen emporsteigt. Gleich daneben beginnt die Scala Fenicia, die dem kleinen Weingut den Namen gab: Eine vor Jahrhunderten in den Fels gehauene Steintreppe, die noch heute als Wanderroute den Hafen von Capri mit dem Westen der Insel verbindet.

Hier produziert Andrea seit sieben Jahren 4000 Flaschen seines Capri DOC Bianco, des einzigen Weines, der noch auf der kleinen Insel abgefüllt wird. Dabei hat der Weinbau auf Capri eine lange Tradition, die bis ins 20. Jahrhundert gepflegt wurde – bis der Tourismus einsetzte und Grotta Azzurra und die im Meer versinkende rote Sonne neben Hollywoodgrössen auch immer mehr Pauschaltouristen anzog. Die Weinberge mussten Hotels und Ferienwohnungen weichen.

«Aber schon mein Grossvater hat hier Wein gekeltert und etwas Olivenöl produziert», erzählt Andrea auf der schattigen Terrasse seines Hauses. Rund um uns ranken sich die Reben bis in drei, vier Meter Höhe – gezogen auf dem antiken Rebziehungssystem Pergola Puteolana. Darauf gedeihen bis in den Oktober hinein die Trauben der Rebsorten Greco, Biancolella und Falanghina, die Basis des einzigen Weines des Gutes: «Unser Capri Bianco soll ein Wein sein, bei dem man das Meer und den Süden spürt», sagt der junge Winzer, «der aber trotzdem durch seine Mineralität elegant und fast nördlich wirkt.» 

Rebberg mit Panoramablick

Anders als auf Capri sind auf der Nachbarinsel Ischia die Rebberge noch ein fixer Bestandteil der grünen Landschaft. Ein guter Teil davon wird von Casa d’Ambra bewirtschaftet: Bereits im 19. Jahrhundert wurden die Weine des Gutes in die ganze Welt verschifft, aber erst nachdem der Önologe Andrea d’Ambra in den 1980er Jahren die Geschicke des Betriebes in die Hand genommen hat, setzte das Gut auf Terroirweine – Weissweine auf Basis von Biancolella, Forestera und anderen autochthonen Varietäten und Rotweine aus Per’ e Palummo, wie die kampanische Rebsorte Piedirosso hier heisst.

Andrea d’Ambra: «Vor 60 Jahren standen auf Ischia noch 3000 Hektar unter Reben, Anfang der 2000er Jahre waren es gerade noch 300.» Denn gerade die heilkräftigen Thermalquellen von Ischia sorgten für einen Touristen-Boom mit zahlreichen neuen Hotels. Erst seit der Tourismus einen leichten Einbruch erlebt hat, sind auch Reblagen wieder im Aufschwung: d’Ambra hat deshalb auch eine eigene Genossenschaft gegründet, deren 118 Mitglieder in Kleinstlagen die Basis für einen Teil der Produktion von d’Ambra liefern, 17 weitere Hektar sind im Besitz der Familie.

Das Aushängeschild der Kellerei ist der Rebberg Frassitelli mit steilen Terrassenlagen in 600 Meter Höhe. Hier wachsen in gut ventilierter Panoramaposition die Biancolella-Trauben für einen elegant-mineralischen Weisswein. Seit 2015 wird auf Frassitelli auch der Pietra Martone gekeltert, ein Einzellagenwein in einer Auflage von 3420 Flaschen: Finessenreich und geschliffen erinnert er gar an einen Riesling. Andrea d’Ambra: «Ischia ist fast ein kleiner Weinkontinent: Unterschiedlichstes Terroir in den verschiedenen Ecken des Eilands und Höhenlagen sorgt für unterschiedlichste Expressionen des Terroirs. Das ist unsere Stärke.»

Know-how aus Deutschland

Immer mehr Winzer setzen daher auf Lagenweine. Pasquale Cenatiempo produziert so im Dörfchen Serrara Fontana sei- nen charaktervollen Kalimera aus Biancolella, die kleine Winzergemeinschaft Pietratorcia in Forio d’Ischia einen langlebigen Blend aus 90 Prozent Biancolella und 10 Prozent Forestera, Tenuta Chignole genannt. Über das Potenzial der unterschiedlichsten Reblagen weiss auch Lucia Monti Bescheid, die in Deutschland geborene und ausgebildete Weinmacherin des Weingutes Tommasone, gegründet von ihrem Vater Antonio. Auch sie ist ständig auf der Suche nach neuen Reblagen: Von Per’ e Palummo hat sie im Westen der Insel bei Sant‘Angelo einen Rebberg ausgepflanzt: Le Coste. «Dort stehen die Reben auf lehmigen Böden, nicht auf vulkanischen, dadurch ergibt das auch langlebige kraftvolle Rotweine. Eine Ausnahme auf Ischia.» Von der Terrasse der vor wenigen Jahren errichteten schmucken Kellerei in Lacco Ameno hat Lucia die ganze Palette ihrer Weine vor uns aufgebaut: Die reicht von einem frischen knackigen Ischia Bianco DOC aus Biancolella über elegante Einzellagenweine aus weissen und roten Trauben bis zum Pignanera, einem Blend aus Aglianico und Montepulciano. Und Lucia beweist, dass die Weine Ischias auch hervorragende Essensbegleiter sind: Gerade ihr knackiger Ischia Bianco passt hervorragend zu einem gebratenen Kaninchen, der Inselspezialität.

Mit dem Schlachten von Kaninchen und dem Verkauf an Restaurants verdient sich auch Raffaele Moccia auf dem Festland ein Zubrot. Im Hauptberuf aber ist Raffaele Winzer in den Campi Flegrei. Die brennenden Felder (so die Übersetzung aus dem Altgriechischen) im Westen von Neapel haben viel mehr mit den Inseln gemein als mit dem Rest Kampaniens. Auch hier ist der heisse Erdmittelpunkt nicht weit: Zu Füssen des jüngsten Vulkans Europas, des erst 1538 entstandenen Monte Nuovo, dampft der Boden, schiesst in regelmässigen Abständen ein Geysir Wasser gen Himmel.

Gleich daneben liegt der Krater von Astroni: Vor 4000 Jahren entstanden, ist er heute mit seinem uralten Baumbestand eine WWF-Oase, die man nur im Rahmen einer Führung besuchen kann.

Auch der Weinberg von Raffaele Moccia ist Teil der WWF-Oase: Ein zehn Hektar grosses terrassiertes Museumsstück an den Hängen des Kraters von Astroni. Seit er fünf Jahre alt ist, kümmert sich der heute 54-jährige Raffaele um die zum Teil mehr als 120 Jahre alten Reben. Auf seinem Weingut Agnanum keltert er daraus seit 2002 vier Weine, zwei Weisse und zwei Rote. Je nach dem Charakter der Böden – ob vulkanischer Sand, Porphyr, Kalk oder Lavareste – zieht er seine Reben nach unterschiedlichsten Methoden. Manche winden sich wie Schlingpflanzen über den Boden, andere ähneln Buschbäumchen und wieder andere sind klassisch am Drahtrahmen gezogen.

Raffaeles Weine strotzen vor vulkanischem Charakter. Der weisse Vigna del Pino (aus Falanghina) ebenso wie der rote Vigna delle Volpi. Gerade der Rosso Per’ e Palummo 2016 ist eine der schönsten Expressionen, die die Rebsorte Piedirosso – wie Per’ e Palummo am Festland heisst – zu bieten hat: kraftvoll und doch auch mineralisch-elegant. Raffaele Moccia: «Nur wenn Piedirosso leidet, bringt er solche Ergebnisse.»

Raffaele ist nicht der Einzige, der in den Campi Flegrei einen besonderen Wein hervorbringt – fast 20 Winzer sind es, die hier auf kleinen Rebparzellen ihre Weine keltern. Vincenzo di Meo ist einer davon: Die rund zehn Hektar Rebberge seines Weingutes La Sibilla liegen in ausgewählten Positionen rund um den Badeort Bacoli. Sein Vigna Madre zum Beispiel stammt von einem 85 Jahre alten Rebberg, in dem sieben verschiedene Piedirosso-Klone selektioniert wurden, sein Domus Giulii ist ein fünf Monate lang auf den Schalen belassener, aber trotzdem überaus eleganter Weisswein auf Falanghina-Basis, von dem allerdings nur 600 Flaschen produziert werden. Das Paradepferd der Kellerei ist aber der Cruna DeLago, ein mineralisch-eleganter Weisswein ebenfalls aus Falanghina: Das wichtigste Etikett der Kellerei in 40 000 Stück Auflage.

Finesse und Mineralität

Für Vincenzo di Meo ist gerade dieser Wein ein Beweis dafür, welches Potenzial in den Rebbergen der Campi Flegrei steckt: «Wir haben zwar eine Jahrtausende alte Weinbautradition, aber so richtig beginnen wir erst jetzt, unsere Stärken auszuloten: die Finesse, die Eleganz, den einzigartigen mineralischen Charakter.»

Viele der Weingüter haben erst in den vergangenen 10, 15 Jahren begonnen, selbst Wein abzufüllen. Um allerdings das nächste grosse Ding zu sein, ist die produzierte Menge zu klein: In der gesamten Provinz Neapel stehen gerade mal 500 Hektar unter Reben. Aber mehr als einen Versuch sind die vulkanischen Weine des Golfes von Neapel allemal wert – am besten auf einer Terrasse über dem Meer als Begleiter zu einem gegrillten Fisch genossen. Danach geht’s ins dampfende Thermalbecken.

Reisetipps Pizza, Palazzi und Bäder

Rot, Weiss, Grün: Das sind nicht nur die italienischen Nationalfarben, sondern das ist auch die Belegung der berühmtesten Pizza der Welt – Rot wie die Tomaten, Weiss wie der Mozzarella und Grün wie der Basilikum. Entstanden ist sie zur Geburt des italienischen Staates, Margherita wurde sie zu Ehren der Herrscherin genannt. Ihr Geburtsort ist eine der schönsten Städte Italiens – Napoli.


Essen und Trinken

 

L’Antica Pizzeria Da Michele

Via Cesare Sersale, 1 | I-80139 Napoli

«Da Michele» heisst das unscheinbare Lokal, das einem Fast Food ähnelt, zu dem aber jeder Pizza-Enthusiast pilgert, um bei babylonischem Stimmengewirr und dem Knattern von Vespas und Api ein Stück vom Pizza-Glück zu geniessen: Von Wegwerfgeschirr und mit einem Glas Cola oder Bier als Begleitung – was vom Pizzaiolo ausdrücklich empfohlen wird.
www.damichele.net

Danì Maison

Via I traversa Montetignuso 28 | I-80077 Ischia

Einer der besten Köche Italiens, Nino Di Costanzo, hat dieses Restaurant im Haus seiner Grosseltern erst 2016 eröffnet. Hier wird mediterran aufgetischt, und das auf höchstem Niveau: Zum hervorra- genden Fisch gibt’s natürlich auch (fast) alle Ischia-Weine.
www.danimaison.it

L’Antiquario

Via Vannella Gaetani 2 | I-80121 Napoli

In einer stillen Gasse nahe der Hafenpromenade wird man von Bartender Alex Frezza hervorragend umsorgt: «L’Antiquario» gilt nicht zu Unrecht als eine der besten und stilvollsten Cocktailbars Italiens. Neben den Klassikern gibt es auch viele Eigenkreationen – und das zu unschlagbaren Preisen.
www.facebook.com/AntiquarioNapoli

 

Übernachten

 

Hotel San Francesco al Monte

Corso Vittorio Emanuele, 328 | I-80135 Neapel

Stilvolle Unterkunft in einem ehemaligen Kloster hoch über Neapel: Frühstückterrasse und Pool mit Aussicht.
www.hotelsanfrancesco.it

Punta Tragara

Via Tragara 57 | I-80073 Capri

Oberhalb der Faraglioni-Felsen am Ende der Via Tragara steht das von Le Corbusier designte Architekturjuwel. Mit dem «Monzù» besitzt das Hotel eines der besten Restaurants der Insel mit zudem unschlagbarem Panorama.
www.hoteltragara.com

Villa Bianca

Via Giovanni Mazzella 126 | I-80075 Forio d’Ischia

Familiengeführtes kleines Hotel gleich neben den Poseidon-Gärten, den berühmtesten Thermalanlagen Ischias.
www.hotelvillabianca.com

Weintipps

Casa d’Ambra, Forio d’Ischia, Kampanien
Tenuta Frassitelli Ischia Bianco DOC 2016

16.5 Punkte | 2017 bis 2022

Stammt von einem Rebberg 600 Meter hoch über dem Golf von Neapel. Die Biancolella-Traube sorgt für eine würzige Nase, mit frischen Frucht- und Pfeffernoten. Die Textur ist kraftvoll und doch elegant, mit einer feinen Salzigkeit bis ins lange Finale. Welches Alterungspotenzial der Wein hat, beweist ein komplexer, einem gereiften Riesling nicht unähnlicher 2013er.
www.dambravini.com

 

Tommasone, Lacco Ameno / Ischia, Kampanien
Tenuta dei Preti Ischia DOC 2016

17 Punkte | 2017 bis 2021

Reinsortiger Biancolella von Rebbergen in 150 Meter Meereshöhe der Lage Spadara in Forio, in Stahl vinifiziert. Verführerische Blütenaromen, Noten von Orangenzesten und Macchia. Im Mund geradlinig, klar und frisch, ellenlang im Abgang. Passt hervorragend zu einem der typischen Gerichte Ischias: Kaninchen im Saft geschmort.
www.tommasonevini.it

 

Scala Fenicia, Capri, Kampanien
Scala Fenicia Capri DOC 2016

16 Punkte | 2017 bis 2020

Blend aus 50 Prozent Greco, 30 Prozent Biancolella und 20 Prozent Fiano: fein ziselierte Nase, nach frischen Limonen und Pfirsichen duftend. Geschliffen am Gaumen, die vife Säure gut eingebunden, verbindet Kraft und Finesse, im Ausklang Aromen exotischer Früchte.
www.scalafenicia.com

 

Astroni, Napoli, Kampanien
Strione Falanghina Campania IGP 2012

16 Punkte | 2018 bis 2021

Die Falanghina-Trauben werden an den Hängen des Kraters Astroni in 200 Meter Meereshöhe Mitte Oktober gelesen. Mit sieben Tagen Hautkontakt und eineinhalbjährigem Ausbau in Holz produziert der Weinmacher Gerardo Vernazzaro einen fein komplexen Wein mit Alterungspotenzial: charaktervolle Nase nach mediterraner Macchia und exotischen Früchten. Der Auftakt kompakt, anhaltend das Finale. Perfekter Essensbegleiter.
www.cantineastroni.com

 

La Sibilla, Bacoli, Kampanien
Cruna DeLago Falanghina Campi Flegrei DOC 2014

16.5 Punkte | 2017 bis 2022

Bleibt sechs Monate auf den Schalen und ein Jahr in der Flasche, bevor er auf den Markt kommt. Aromen von Zitrusfrüchten, Blüten und heissem Stein. Am Gaumen knackig mit gut eingebundener Säure, langanhaltend. Verbindet Charakter und Eleganz.
www.sibillavini.com

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