Trockene Weissweine aus Médoc, Sauternes und Graves

Wineguide: Bordeaux Blanc

Degustation und Text: Barbara Schroeder und Rolf Bichsel

Dass Bordeaux sich in Frage stellen kann und mit der Zeit geht, beweist es nicht nur mit seinem Umweltengagement und dem hohen Stand der Kelterkunst oder der Tatsache, dass die Weine trotz (oder dank?) Klimaerwärmung immer fruchtiger und frischer werden. Trendig ist auch die Tatsache, dass immer mehr klassierte (und einige unklassierte) Médoc-Güter neben ihren eleganten und hochklassigen Rotweinen zusätzlich trockene Weissweine produzieren, auch wenn diese sich mit der Basisappellation Bordeaux (Blanc) zufriedengeben müssen. Zu Pionieren wie Château Margaux, Talbot oder Lynch-Bages haben sich Newcomer wie Prieuré-Lichine oder Brane-Cantenac gesellt, und bald wird es kein Cru Classé mehr geben, das nicht auch einen trockenen Weisswein produziert. In der Gemeindeappellation Listrac (mit ihren Sand- und Kalkböden auch für Weissweine geeignet, wie seit Jahren etwa Fonréaud oder Chasse-Spleen illustrieren) wird aktiv darüber diskutiert, die AOC für Weissweine zu öffnen.

Mit trockenen Weissweinen profilieren sich auch mehr und mehr Sauternes-Güter. Angesichts der stockenden Nachfrage nach den gewiss grossartigen edelsüssen Weinen mit ihren stagnierenden, eher tiefen Preisen, der aufwendigen Produktion und der kleinen Erträge ist hier die Produktion von trockenen Weissweinen geradezu zur Überlebensstrategie geworden. Gewiss, noch können viele dieser Newcomer nicht mit den klassischen trockenen Weissen aus Pessac-Léognan oder den besten weissen Graves mithalten, doch das Qualitätsniveau ist beträchtlich. Angesichts des hohen Prestiges der klassierten Güter, wie die bereits erwähnten Chasse-Spleen oder Le Cygne de Fonréaud, und der ihnen zugewandten Orte ist das nur richtig so. Die trockenen Weissen des Médoc und aus Sauternes verdienen folglich durchaus Beachtung.

Resultate, Analysen, Statements

«Trockene Weisse aus dem Médoc? Eine gute Sache! Klima und Terroir sind dazu bestens geeignet.»

Barbara Schroeder VINUM-Autorin

Eine meiner ersten Primeurverkostungen endete auf Château Talbot in Saint-Julien. Mit pappigem Mund und blauen Zähnen nippte ich an einem Glas taufrischen Caillou Blanc, dem trockenen Weisswein des Gutes, und fühlte mich gleich viel besser. Die Weissweinproduktion auf den Crus Classés des Médoc galt damals als teures Hobby, das sich nur reiche Gutsbesitzer leisteten. Zwar arbeiteten Weinforscher wie Denis Dubourdieu oder Christophe Ollivier aktiv an der Erfindung des neuen Bordeaux-Weissen (eines der Resultate ist Dourthes No. 1, für mich der einzige echt gute Markenwein der Region), doch davon abgesehen sah Bordeaux, einst einer der wichtigsten Weissweinproduzenten Frankreichs, nur mehr Rot. Heute hat sich das geändert, und morgen werden nicht nur die grossen Güter des Médoc trockenen Weisswein produzieren, sondern auch viele in Pomerol und Saint-Emilion. Abwegig ist das nicht. Erstens haben historisch gesehen viele Güter des Médoc in der Vergangenheit solchen produziert, auch wenn der oft nicht kommerzialisiert wurde, wurden weisse Sorten auch in Pomerol und Saint-Emilion angepflanzt. Zweitens sind Böden von Lehm und Kalk, aber auch die sandigeren Böden des Médoc sehr gut dafür geeignet. Auch das atlantische Klima bekommt weissen Sorten. Drittens ist moderne Technologie, unabdingbar für die Weissweinproduktion, kein Fremdwort auf den grossen Gütern. Viertens ist es besser, auf den weniger guten Böden muntere Weisse zu produzieren als eckige Rote, die doch keiner will. Fünftens stellt sich jeder Weinmacher nur zu gerne neuen Herausforderungen. Und sechstens ist auch uns Konsumenten jede Bereicherung des Gaumens recht.

«Trockene Weisse aus Sauternes? Ich bin dafür! Man darf sie bloss nicht Sauternes oder Barsac nennen!»

Rolf Bichsel VINUM-Autor

Wer Probleme hat, kann sich diesen stellen und Lösungen finden oder in Ehren untergehen. Ich bin immer für die erste Methode. Sauternes und Barsac, einst mythische Anbaugebiete der so raren wie gesuchten und teuren Weine, sind – ungerechterweise, sicher, aber nichtsdestotrotz – vorübergehend aus der Mode gekommen. Die Produktion von trockenen Weissweinen ist ein möglicher Rettungsanker. Vergessen wir nicht: Bevor Sauternes und Barsac systematisch süss abgefüllt wurden, gehörten sie zu den besten trockenen Weissen der Region. Sauternes und Barsac sind ferner praktisch die einzigen Weinregionen der Welt, die sich dazu verurteilt haben, nur von edelsüssen Weinen zu leben. In einer Epoche, wo süsse Weissweine umschwärmt waren und es nie genug davon geben konnte, mochte dies verständlich sein. Doch heute ist das nur mehr beschränkt nachvollziehbar. Zwar steckt die Produktion trockener Weissweine in diesen Regionen erst wieder in den Kinderschuhen, von Ausnahmen mal abgesehen. Doch bei allen Unterschieden von Gut zu Gut kristallisiert sich langsam, aber sicher bereits ein Stil für «trockene Weissweine aus Sauternes» heraus. Dies ganz im Gegensatz zum Médoc mit seiner – auch terroirbedingten – kunterbunten Mischung an Weissweinstilen. Die weissen Bordeaux aus dem sich nur langsam wiederfindenden Süsswein-Eldorado besitzen Mineralität, aromatische Komplexität, Schmelz, Reifekapazität und eigenständigen Charakter. Sie haben folglich durchaus Berechtigung. Nur einen Fehler darf die Region nicht begehen: der Versuchung zu unterliegen, eine AOC für Sauternes Blanc Sec ins Leben rufen zu wollen. Das wäre der tödliche Dolchstoss für die edelsüssen Weine.

Die Verkostung

Wir verkosteten den jüngsten abgefüllten Jahrgang (meist 2019) der Médoc- und Sauternes-Güter in unserem VINUM-Büro in Bordeaux. Um besser zu vergleichen, gesellten wir die besten trockenen Weissen aus den Graves dazu sowie zwei Weine aus anderen Bordeaux-Regionen: Yquem-Boss Pierre Lurtons Marjosse und den besten Markenwein der Region, No. 1 von Dourthe.

Médoc

RangBeschreibung
1
18,0/ 20
Punkte
Bordeaux, Frankreich
Château d'Yquem
2
18,0/ 20
Punkte
Bordeaux, Frankreich
Château Margaux
3
17,5/ 20
Punkte
Région de Bordeaux, Bordeaux, Frankreich
Château Mouton Rothschild

Graves

RangBeschreibung
1
18,0/ 20
Punkte
Bordeaux - Médoc & Graves, Bordeaux, Frankreich
Clos Floridène
2
17,0/ 20
Punkte
Bordeaux - Médoc & Graves, Bordeaux, Frankreich
Château Brondelle
3
17,0/ 20
Punkte
Bordeaux - Médoc & Graves, Bordeaux, Frankreich
Château Crabitey

Sauternes

RangBeschreibung
1
17,5/ 20
Punkte
Bordeaux, Frankreich
Château Climens
2
17,5/ 20
Punkte
Région de Bordeaux, Bordeaux, Frankreich
Château Coutet
3
17,0/ 20
Punkte
Région de Bordeaux, Bordeaux, Frankreich
Château Doisy Daëne

vinum+

Weiterlesen?

Dieser Artikel ist exklusiv für
unsere Abonnenten.

Ich bin bereits VINUM-
Abonnent/in

Ich möchte von exklusiven Vorteilen profitieren