«Alles ausser Tempranillo»: Abseits der bekannten Pfade

Wineguide: Más España: Garnacha, Bobal & Co.

Text: Miguel Zamorano; Degustation: Nicole Harreisser, Thomas Vaterlaus, Miguel Zamorano

Cabernet Sauvignon in Frankreich, Sangiovese in Italien, Tempranillo in Spanien – jedes Land hat eine Hauptsorte, die ihm ihren Stempel aufdrückt. Unweigerlich, ohne Ausnahme, fast monolithisch. Dass an der zweiten, dritten Stelle des Traubenspektrums auch andere Sorten durchaus spannende Weine hervorbringen, das wird gelegentlich ausser Acht gelassen. Schade drum, denn die Verkostung ausserhalb der bekannten Pfade lohnt sich allemal.

Und das ist nicht nur metaphorisch zu verstehen. Denn viele der hier besprochenen und verkosteten Weine stammen ausserhalb der grossen spanischen Kernregionen: von der Levante, aus Valencia, aus Calatayud und Campo de Borja, aus Galicien und aus dem Bierzo in der Provinz León, von den Kanaren und den Balearen, von Terra Alta in Katalonien und aus Madrid. In letzteren beiden Anbaugebieten – und nicht nur dort – haben Winzer das Privileg, auf Traubenmaterial besonders alter Rebstöcke zuzugreifen. Sie erzeugen damit charaktervolle Weine, die leider ausserhalb ihrer Regionen oftmals noch wenig bekannt sind. 

Bei gut sortierten Fachhändlern sind diese Weine trotzdem vorzufinden, weshalb wir bei der Auswahl bewusst den Weg über Schweizer Händler und Importeure gegangen sind. Das ermöglichte, die Menge der zu verkostenden Weine in Grenzen zu halten. Hätten wir bei den Konsortien in Spanien angefragt, wir wären zweifelsohne in einer Flut von spanischen Rotweinen ertrunken. Trotz aller Freude für die weniger bekannten Sorten, eine Tatsache schmälert schon ein wenig die Entdeckerlust: nämlich, dass sich auf den vorderen Plätzen die altbekannten Regionen wiederfinden. Es ist vor allem die Rioja, deren Produzenten mit reinsortigem Graciano und Garnacha exzellente Weine keltern.



Resultate, Analysen, Statements

« Diese Verkostung hatte was von einem Ritt auf der Wilden Maus. Höhen und Tiefen wechselten sich laufend ab. »

Miguel Zamorano Redaktion VINUM

Den Namen des Produzenten kriege ich nicht mehr ganz zusammen, aber meinen ersten Mencía aus dem Bierzo vergesse ich nicht. Von eher geringer Aromatik, umso mehr mit Kraft ausgestattet und einem Tannin, dass sich heute noch mein Gaumen zusammenzieht, wenn ich daran denke. Eigentlich war der Wein rustikal wie ein Stück Holz, aber von einer Charakterstärke, dass sie auch Jahre später noch das Gefühl von damals zurück auf die Zunge zaubert.

Darauf hatte ich jetzt gehofft. Auf diese Verkostung hatte ich mich gefreut, wie sich ein Kind auf das Karussell freut. Leider wurde es dann doch eher ein Ritt auf der Wilden Maus. Die Höhen und Tiefen wechselten sich ab. Besonders bei der Sorte Garnacha, die eine tolle Alternative zu Tempranillo sein kann. Garnacha ist in Spanien fast überall anzutreffen, und besonders in Méntrida und Madrid haben die Winzer Wege gefunden, den Weinen Fülle und Kraft zu geben, ohne dabei den Alkohol am Gaumen überhandnehmen zu lassen. In anderen Regionen, die einem besonders heissen Klima ausgesetzt sind, gelingt dieser Griff leider nicht immer. Weitere Highlights: Monastrell in «elegancia» bietet Casa Castillo aus Murcia an, der Produzent zählt in Jumilla zu der Spitze. Seine grossen Weine, die hier leider nicht auf den Tisch kamen, sind alle zu empfehlen.

Soll es eher weniger als 13 Vol.-% sein? Da wird man in Galicien oder auf den Kanaren fündig. Die spanischen Inseln sind dank ihrer autochthonen Sorten eh für Liebhaber von Freakstoff der richtige Tummelplatz. Auch sehr spannend: Prieto Picudo aus Zamora. Und was ist nun mit Mencía? Mit Veronica Ortega war das Bierzo hervorragend vertreten.

 

« Caiño – eine fast zart wirkende rotbeerige Frucht und eine überaus lebendige Säure adeln dieses Gewächs.»

Thomas Vaterlaus Chefredakteur VINUM

Die spanische Leitsorte Tempranillo hat in den letzten Jahrzehnten starke Konkurrenz bekommen. Im Priorat sorgen Garnacha und Cariñena für Furore, in Bierzo ist es die Mencía-Traube und in Utiel-Requena der Bobal. Und das ist noch längst nicht alles. In einer ganzen Reihe von hierzulande noch wenig etablierten spanischen Regionen kommen animierend charaktervolle Weine aus lokal verbreiteten Sorten in die Flaschen. Die bleibendste Entdeckung in dieser Probe ist für mich denn auch ein Cru aus dem spektakulären Weinflusstal Ribeira Sacra, gekeltert aus der Sorte Caiño Tinto, die in Nordportugal unter dem Namen Borraçal bekannt ist. Eine fast zart wirkende rotbeerige Frucht und eine überaus lebendige Säure adeln dieses Gewächs. Zieht man das Fazit aus der ganzen Verkostung mit insgesamt über 66 Weinen, so ist die Sorte Garnacha heute der erste Garant für Topqualität aus Nicht-Tempranillo-Weinen in Spanien. Vor allem die Garnachas aus der Rioja konnten mit schmeichlerisch frischer Frucht und solider Struktur überzeugen. Allerdings steuerte die Garnacha-Traube zu dieser Verkostung gleichzeitig auch einige wenig begeisternde, spröde Gewächse bei. Während beim Tempranillo quer durch Spanien, je länger, desto mehr, eine vergleichsweise hohe Durchschnittsqualität vorausgesetzt werden kann, sind bei aufstrebenden Sorten wie Grenache, Bobal, Graciano und Co die diesbezüglichen Unterschiede grösser, das Spektrum schwankt zwischen betörender Weltklasse und ernüchterndem Mittelmass. Darum sind bei diesen Sorten solche Verkostungen wie für diesen VINUM-­Guide so wichtig. Denn mit den bestbewerteten Weinen dieses Guides sind sinnlich animierende Momente garantiert.

Die Verkostung

Alle Weine wurden bei Schweizer Mitgliedern des VINUM WineTradeClubs angefordert. Massgabe war: autochthone Rebsorten aus Spanien, reinsortig oder in der Cuvée, stets als Rotwein. Die Verkostung fand in den Zürcher Räumlichkeiten von VINUM statt. Nicole Harreisser, Thomas Vaterlaus und Miguel Zamorano verkosteten die Weine im September und Oktober 2022.

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