Klartext von Miguel Zamorano über einen «Wein mit sieben Siegeln»

«Pinot Noir lässt mich ratlos zurück»

Text: Miguel Zamorano

Die vielleicht wichtigste rote Rebsorte hat ein eher geringes Verzauberungspotenzial. Pinot will zunächst begriffen werden, bevor man den Wein geniesst. Dazu benötigt man Zeit, Geduld und auch den Willen, vielleicht mal tiefer in die Geldbörse zu greifen. Und selbst dann ist man vor Fehlgriffen nicht gefeit.

Es gibt Rebsorten, die lösen Leidenschaften aus. Syrah macht mich euphorisch, bei Tempranillo fühle ich mich zuhause, Riesling Kabinett stimmt mich restlos glücklich. Pinot Noir lässt mich hingegen ratlos zurück. Die Sorte kommt mir oftmals wie ein höheres Kreuzworträtsel vor, wie ein Buch mit sieben Siegeln. Aus den Tiefen des Glases flüstert mir jeder helle Pinot zu: «Du musst mich lösen, mich entziffern... Sonst drohen drei feste Hiebe mit dem Rohrstock.» Okay, das sagt der Pinot zwar nicht, aber so fühle ich mich dann doch oft, wenn ich einen im Glas habe, der mir viele Gedanken abringt. Dass man zudem einem Wein seine Geheimnisse herauskitzeln muss, war mir nicht begreiflich. Schliesslich soll der Wein mich entfesseln und nicht umgekehrt. Bei Pinot Noir hielt ich es daher lange mit François Mauriac. Der französische Schriftsteller und wahre Bordeaux-Enthusiast hatte so manche denkenswerte Sentenz zu bieten. Über das geteilte Deutschland sagte er einst: «Ich liebe Deutschland so sehr, dass ich glücklich bin, dass es gleich zwei davon gibt.» Und zum Rotwein aus dem Burgund meinte er schlicht: «Bourgogne? Nicht schlecht, aber ich bevorzuge Wein.»

 



Witziges Urteil. In seiner Einfachheit lässt es jedoch vieles aussen vor. Pinot Noir ringt dem Winzer viel Arbeit und Geduld ab, und wer die Geheimnisse dieser Sorte dechiffrieren will, sollte ebenso viel Geduld und etwas Geld mitbringen. Pinot im Einstiegsbereich ist so banal, so langweilig wie eine Autobahnfahrt bei Nacht. Damit das überhaupt etwas Spass macht, muss man tiefer in die Tasche greifen. Und selbst da ist man nicht davor gefeit, dass man eine Flasche öffnet, die ihre besten Jahre noch lange nicht erreicht hat. Oder die ordentlich Lüftung benötigt, womit der Griff zur Karaffe gerechtfertigt ist. Nur die intensive Beschäftigung mit dem Thema öffnet einem die Tore zu dieser Welt, nur das stetige Verkosten löst jene sieben Siegel auf der Zunge. Bis dahin steht man bei einer Runde von Pinot-Aposteln wie beim Abendmahl in der Kirche und murmelt vor sich hin: «Geheimnis des Glaubens: Deinen Tod, o Pinot, verkünden wir...» Und wird zusätzlich verwirrt. Stellen echte Pinot-Fans nicht selbst die Frage: Ist das überhaupt Rotwein?

Guter Rat ist da viel wert. Erst als eine Weinexpertin mir expressis verbis mitteilte, dass ein Mann nur dann interessant ist, wenn er was von Pinot Noir versteht, dachte ich mir: Okay, jetzt sollte ich mich doch mal damit beschäftigen.

Am Anfang der Reise

Das ist gar nicht so lange her. Jetzt, wo ich in der Schweiz lebe, haben mich die hiesigen Winzer unbewusst an die Hand genommen und mich in das Pinot-Reich geführt. Wer das Glück hat, mal einen Pinot aus Neuchâtel zu ergattern, namentlich vom Château d'Auvernier oder von Cru l'Hôpital aus Freiburg, der sollte sich glücklich schätzen. Und tief in meinem kleinen, bescheidenen Keller schlummert eine Flasche Hansruedi Adanks Pinot Noir Alte Reben ihrer Bestimmung entgegen. Den Geheimnissen dieser Sorte komme ich also langsam auf die Spur.

Ob ich jemals einen Romanée-Conti geniessen werde, steht in den Sternen. Das Kleingeld fehlt mir dazu, aber auch, und das gebe ich unumwunden zu, einfach die Kenntnis, um diesen Wein, den vielleicht grössten Pinot der Welt, richtig zu geniessen. Bis vor kurzem dachte ich ja, dass diejenigen, die sich mit einer solchen Flasche ablichten, nur Angeber sind. Darauf angesprochen meinte ein Sommelier, der im Norden Europas für eine Hotelkette einen ganzen burgundischen Pinot-Schatz hütet, zu mir: «Lass dich nicht beirren; ein Romanée-Conti ist tatsächlich etwas ganz Besonderes.»

Neulich war ich auf der Fahrt mit der Bahn von Basel nach Düsseldorf unterwegs. Am Tisch sass eine Gruppe junger Männer auf dem Weg zum Partysamstag nach Freiburg im Breisgau. Vor der Sause in Baden sollte es nochmal Futter für den Geist geben: Die vier Jungs versuchten sich an der Lösung eines Kreuzworträtsels. Im Abteil, gleich gegenüber, ein Tisch mit vier Damen. Sie führten Ähnliches im Schilde wie die Männertruppe, kichernd prosteten sie sich mit ihrem Sektchen zu. Kaum waren die Jungs in Freiburg auf dem Bahnsteig, ging das Lästern los: «Kreuzworträtsel... Das waren doch voll die Luschen», sagte eine der Frauen. Ich wollte lautstark protestieren: Werte Damen, Sie tun den Jungs unrecht. Vielleicht trinken sie daheim ja Pinot Noir.

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