«Küsse süsser als Wein»

Verboten süss!

Text: Rudolf Knoll

Dass Wein nicht nur herb, sondern auch süss sein kann, blitzt in manchen erfolgreichen Hits auf. Nana Mouskouri besang «Küsse süsser als Wein». Nancy Sinatra und Lee Hazlewood wiesen auf die Gefahren eines «Summer wine» hin. Das deutet schon an, dass Süsswein auch Geschichten erzählen kann, die nicht unbedingt von Sorten, Winzern und Terroir handeln, aber sehr wohl von Paragraphen…

«Lange bevor der Wein ein Verwaltungsproblem war, war er ein Gott», formulierte es einst der spanische Philosoph Ortega y Gasset (1883–1955). Mit anderen Worten: Gesetzgeber normieren selbst die göttlichen edelsüssen Weine, die es seit Jahrhunderten gibt. Sie legen Mindestmostgewichte fest, fixieren die Untergrenze für den Alkoholgehalt und bestimmen teilweise sogar die Lagerzeit von Trauben. Für das Höchste der Gefühle, die Trockenbeerenauslesen, müssen es in Deutschland mindestens 150 Grad Öchsle, in Österreich 27 KMW (Klosterneuburger Mostwaage) sein (was in etwa auf das Gleiche hinausläuft). Nun meint es die Edelfäule manchmal so gut, dass sich Rekordmostgewichte einstellen. So machte 1971 eine Siegerrebe aus Nussdorf in der Pfalz mit 326 Grad Schlagzeilen als «bester Wein der Welt» (so die Boulevardpresse). Aber er wurde, weil er den Mindestalkoholgehalt von 5,5 Vol.-% nie erreichte, nicht zum Wein. Der Saft steckt immer noch wie Sirup in einem Glasballon, gibt aber längst schon kein gärendes Lebenszeichen mehr von sich. Der 20-Liter-Most aus dem Geisenheimer Rothenberg, der im Herbst 2011 mit 340 Öchsle zum Weltrekordler wurde, erlitt ein schnödes Schicksal, nachdem er im Verlauf einiger Jahre nicht über 3 «Volt» hinauskam. Das Weingut Wegeler frischte schweren Herzens damit fruchtige Ortsweine auf.

«No Wine» – weil zu süss

In Österreich, wo der viel zu früh verstorbene Alois Kracher (1959–2007) aus Illmitz weltweit zum Süsswein-Papst avancierte, gab es keine Gnade für eine scheinbare Trockenbeerenauslese, Jahrgang 2002, von Scheurebe und Welschriesling, die ebenfalls am Mindestalkoholgehalt scheiterte. Da halfen auch nicht die 19 Punkte von VINUM. Luis wollte zwar mit der Deklaration «No Wine» tricksen. Aber die Weinkontrolle verwies darauf, dass nur eine Deklaration als «teilweise vergorener Traubenmost» zulässig ist. 2015 gelang dem Sohn ein ähnliches Kunststück. Aber eine Story wie beim Erstling wird sich nicht wiederholen. «Der Wein vom Vater mit dem unzüchtigen Etikett wurde Jahre später deutlich teurer gehandelt als jener mit der Angabe Traubenmost», schmunzelt Gerhard Kracher. Vielleicht hätte das Most-Schicksal auch jenem Riesling geblüht, der anno 1775 in Johannisberg als erste Spätlese nach einer Verzögerung der Ernteerlaubnis in die Geschichte einging, aber wohl in Wirklichkeit ein hochgradiger Edelsüsser war. «Einen solchen Wein habe ich noch nicht in den Mund gebracht», schwärmte damals der Kellermeister von Kloster Johannisberg nach der ersten Probe im Frühjahr 1776. Doch Analysen waren in jener weinrechtlich göttlichen Zeit nicht üblich…

Auch Strohwein, obwohl nur ein Mini-Bereich unter den Edelsüssen, beschäftigte die Behörden intensiv. In Deutschland wurde seine Produktion durch das 1971er-Weingesetz verboten. Seit 1. August 2009 ist die Erzeugung durch eine neue EU-Weinmarktordnung wieder zulässig. Aber da Strohwein für Österreich und Italien geschützt ist, müssen deutsche Winzer sich bei der Bezeichnung etwas einfallen lassen. Einer, der eine verständliche Lösung fand, ist Ulrich Stein aus Bullay. Er setzte die moselfränkische Version «Striehween» weinrechtlich durch und hat aktuell den Jahrgang 2011 im Verkauf.

Der «Glykol-Anschlag»

In Österreich, wo Strohwein vor allem am Neusiedlersee durchaus Bedeutung hat, gab es andere Rechtstreitigkeiten. Bis 2002 war es Vorschrift, dass die Trauben auf Stroh- oder Schilfmatten mindestens drei Monate zur Trocknung gelagert werden mussten. Die Frist erwies sich oft als zu lang, Fäulnis konnte sich einstellen. Erst als Winzer heftig protestierten, lenkten die Gesetzgeber ein und senkten die Lagerzeit auf zwei Monate, wenn das Mindestmostgewicht von 30 KMW erreicht war. Dass auf Süsswein vor gut 35 Jahren ein Anschlag verübt wurde, der fast den Todesstoss für diese Kategorie bedeutet hätte und Polizei, Richter und Staatsanwälte länger beschäftigte, soll in diesem Zusammenhang nicht gänzlich unerwähnt bleiben. In Österreich und dann auch in Deutschland kochte der Glykol-Skandal hoch. Im Mittelpunkt standen vor allem Beeren- und Trockenbeerenauslesen, die in den Medien als «Gift» bezeichnet wurden, obwohl das Panschmittel Glykol (Bestandteil von Frostschutz) im Vergleich mit dem Alkohol im Wein harmlos war und nie ein Mensch zu Schaden kam. Aber es sollte Jahre dauern, ehe sich unaufgeklärte Konsumenten (zum Beispiel Nicht-VINUM-Leser) wieder an süsse Konzentrate wagten.

Auch angebrochen lange haltbar

Ein Grund, sie zu schätzen, ist ihre Haltbarkeit. Der mehrfach neu verkorkte 1811er Riesling von Bassermann-Jordan im pfälzischen Deidesheim, nach den inneren Werten «nur» eine Auslese, ist so ein Beispiel. Zweimal verkostet in 20 Jahren, zweimal der gleiche Eindruck: zwar Sherry-ähnlich, aber noch erstaunlich frisch und präsent. Selbst im Anbruch mit viel Schwund sind bedeutende Süssweine nicht umzubringen. Neulich war das wieder mal bei einem 2012er Anthemis-Muskateller von der griechischen Insel Samos der Fall. Ein Drittel war noch in der vor einem halben Jahr geöffneten 0,5-l-Flasche. Ihr Inhalt war frisch wie Tau. Ein Schluck durfte sein, mehr nicht. Denn etwas sollte noch für den Winter übrig bleiben… Das Extrem ist immer noch eine 1967er Silvaner-Beerenauslese aus der Castell’schen Domäne in Franken, die bei einer Silvaner-Verkostung vor rund 25 Jahren so imponierte, dass einige Flaschen den Besitzer wechselten. Als Besuch kam und ein Dessertwein benötigt wurde, musste der Silvaner ran. Dann wieder ab ins Seitenfach des Zweit-Kühlschranks. Hier geriet er– welch Schande – in Vergessenheit und wurde erst ein Jahr später wiederentdeckt. Weil er immer noch richtig gut war, wurde ein Langzeit-Versuch über zehn Jahre gestartet. Bei einer VDP-Verkostung in Würzburg kam dieser Wein aus dem Casteller Keller auf den Tisch. Er begeisterte die Gäste. Am Tag darauf wurde der letzte Rest in der Flasche probiert. Es war kaum ein Unterschied zu registrieren…

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