Natürlich Wein!

11 deutsche Naturweinstars

Text: Carsten Henn und Harald Scholl, Bild: Weingut Odinstal

Die Weingüter heissen Brand Bros., Glow Glow oder Shadowfolk Vineyards, die Weine Frei.Körper.Kultur, n.ack.isch oder Mehr Frauen? Ja bitte. Deutschlands Naturweinszene ist eine regelrechte Subkultur, aus der sich nach den wilden Anfangsjahren nun immer deutlicher die Spitzengüter herauskristallisieren. Mit den fehlerhaften Plörren der Anfangszeit der Bewegung haben ihre begeisternden Tropfen nichts mehr gemein. Stattdessen sind sie authentisch, urwüchsig und grossartig

Die Sache mit der Natur …

…ist nicht einfach zu erklären. Vielleicht hilft die Geschichte des deutschen Naturweins. Denn die ist im Prinzip uralt – vor der Gründung des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) hiess der 1910 gegründete Zusammenschluss qualitätsbewusster Winzer und Versteigerer Verband Deutscher Naturweinversteigerer e. V. Das Wort «Natur» spielte also schon vor über hundert Jahren eine Rolle bei der Definition von Qualität. Vor allem das Aufzuckern der Weinmoste sollte untersagt werden. Das allein dürfte heute für die Erklärung, was unter Naturwein zu verstehen ist, aber nicht mehr reichen. Eine rechtsverbindliche Definition gibt es nicht, ein paar grundlegende Aspekte sollte ein Naturwein in unserem Verständnis aber dennoch erfüllen. Der Wein sollte biologisch an- und ausgebaut werden, kein Einsatz von Hefen oder Enzymen in der Gärung, kein Aufsäuern oder Aufzuckern, keine Filtration, Schwefel sollte, wenn überhaupt, nur minimal (< 20 mg) verwendet werden. Ab dem Moststadium also «nichts rein, nichts raus». Das klingt im Prinzip nicht besonders aufwändig, ist aber in der Praxis überhaupt nicht ohne. Denn die «verbotenen» Methoden helfen alle – in Kombination wie auch einzeln – dabei, in schwierigen Jahrgängen einen sauberen Wein zu erzeugen. Ein Naturwinzer ist also viel stärker den Launen der Natur unterworfen als seine konventionell arbeitenden Kollegen.

Das könnte ein Grund sein, warum die Szene der Naturwinzer in Deutschland relativ überschaubar ist, der Anteil an der Gesamtproduktion dürfte im Promillebereich liegen. Das mag auch am deutschen Naturell liegen, als impulsiver Taktgeber in der Wirtschaft im Allgemeinen und in der Weinbranche im Besonderen ist nie ein Deutscher besonders hervorgetreten. Weder Winzer noch Handel oder Kommunikatoren scheinen mit dem Thema sonderlich vertraut, es sind vor allem Quereinsteiger, die das Bild prägen. Daneben können nach unserer Definition aber auch einige berühmte Winzer zur Szene gezählt werden, wie Clemens Busch oder Peter Jakob Kühn. Andere wie Michael Teschke oder Torsten Melsheimer haben einige Naturweine im Sortiment, auch VDP-Vizepräsident Philipp Wittmann erzeugt mit seinem Silvaner Natural einen solchen. Wesentliche Elemente wie der biologische Anbau und der Verzicht auf Hilfsmittel im Keller sind auch bei vielen anderen etablierten Produzenten immer häufiger gang und gäbe.

Zu den bekannten Naturweingütern zählen aktuell zum Beispiel:

Shadowfolk Vineyards (Mosel), Glow Glow (Nahe), Huberty Lay (Baden), Forgeurac (Baden und Württemberg), Marto Wines (Rheinhessen), Herr und Frau Lüttmer (Berlin), Weingut Schädler (Pfalz), 2Naturkinder (Franken). Das alles ohne Gewähr – denn die Szene ist zwar klein, aber auch dynamisch. Und jederzeit eine Entdeckung wert!

Brand Bros (Pfalz)

Die Leichtigkeit des Weins

Wenn man auf die Frage, wie der erste produzierte Wein gemundet hat, mit «Erstmal gar nicht so, ausser man steht auf Klebstoff» antwortet, muss man echt Chuzpe haben. Das ist bei den Brand Brüdern – oder offiziell: Brand Bros – Daniel und Jonas definitiv der Fall. Ihr erster Wein, der Silvaner Elis von 78 Jahre alten Reben aus dem Jahrgang 2014, entwickelte sich mit der Zeit übrigens prächtig. «Er ist bis heute unter unseren Favoriten-Jahrgängen», sagen die 1990 und 1994 in Grünstadt geborenen Brüder. Naturwein bedeutet für beide: ökologische Herstellung im Weinberg, hundert Prozent Handlese, keine Zusatzstoffe (also auch kein Schwefel-Zusatz) oder Filtration, Stabilisation durch Zeit.

«Kein Freifahrtschein für Weinfehler»

Genauso wichtig ist, wie sie Naturwein geschmacklich beschreiben – und damit genau ihren Stil: «Für uns muss Naturwein lebendig, energetisch, elektrisierend sein und viel Trinkfluss haben. Der Geschmack muss von der Leichtigkeit des Weines getragen werden, ohne störende Komponenten wie Schwefel und hohen Alkohol.» Sie betonen zudem: «Naturwein sollte kein Freifahrtschein für Weinfehler aller Art sein.» Einen wichtigen Unterschied zu vielen anderen Naturweingütern gibt es: «Maischestandzeiten und Maischegärung setzen wir sehr dezent ein, da sie nicht so sehr unserem Stil entsprechen. » Der Weg zum Naturwein und zur eigenen Interpretation davon verlief fliessend. «Es gab nicht den einen bestimmten Wein, der für uns ein Knackpunkt war. Gerade bei Naturwein musste man sich erstmal ‹eintrinken› und ein bisschen die Vielfalt erkunden. Vom dogmatischen Naturwein bis hin zum Straight-forward-Wein war da alles dabei.» Die dynamischen Brand Bros sind so erfolgreich, dass sie sich vorgenommen haben, zukünftig im Verkauf noch mehr auf die Bremse zu drücken, um die Weine mit guter Trinkreife auf den Markt zu bringen. Die Etiketten malt übrigens alle Oma Helga. Auch da sind sie ganz Traditionalisten.

www.brandbros.de

Weingut Brand

Riesling Brand Bros: Hill of Flags 2018

«Shake & wait» steht auf der Flasche. Zu Recht, denn das Schütteln macht einen enormen Unterschied. Reife Zitrusfruchtnoten, fast schon ein wenig Zitronentarte im Bouquet, aber auch Wiesenkräuter, Tee, dazu etwas Ingwer. Eher im Hintergrund finden sich Apfel und Pfirsich. Am Gaumen feiner Grip und enorm speicheltreibend im Finale.

24,90 Euro | www.vinoteca-maxima.de 

Tomislav Marković (Baden / Rheinhessen)

Handwerker der Gelassenheit

Das Weingut des 1974 in Offenbach am Main geborenen Tomislav Marković ist ein klassischer Einmannbetrieb. 0,5 Hektar bewirtschaftet er, von gleicher Fläche gibt es Menge aus Zukauf. Es war ein Frühburgunder von Paul Fürst, der in dem ehemaligen Banker einst den Wunsch weckte, Winzer zu werden. Er studierte in Neustadt an der Weinstraße Weinbau und Önologie, 2016 gründete er dann sein Gut. Weil sich die Gelegenheit bot, eine tolle Parzelle am Kaiserstuhl zu bewirtschaften: Jechtinger Eichert, Gewann Kapellenmosesbuck. Der Pinot Noir «On the Rocks» war geboren. «Aufgrund mangelnder Flächen und meiner Tätigkeit als Berater für ökologischen Weinbau in Baden-Württemberg war von Anfang an klar, dass ich auch Negoce betreiben werde, bis ich geeignete eigene Flächen finde. Dieses Modell habe ich im Burgund kennengelernt», erzählt Marković, der lange bei Hubert de Montille war. So kommt es, dass er unter anderem auch Riesling, Chardonnay und Sauvignon Blanc aus Rheinhessen erzeugt.

«Nur ‹Weglassen› ist mir zu plump.»

Gibt es ein Vorbild als Winzer? «Eigentlich nicht. Ich bewundere aber, wenn Winzer gelassen an die Sache rangehen und nicht zu viel erzwingen wollen, egal ob im Rebberg oder im Keller.» Diese Gelassenheit merkt man auch seinen Weinen an. Zudem ist Marković experimentierfreudig, pflanzte 15 Ar Touriga Nacional und probierte dabei eine selten genutzte trockenheitsunempfindliche Rebunterlage aus (Richter 110). In Zukunft will er komplett auf Edelstahlgebinde verzichten und seine Trauben von aktuell 80 auf hundert Prozent bio bringen. Zum Thema Naturwein hat er eine dezidierte Meinung: «Als Handwerker schaut man in seinem Metier nicht nur zu, sondern ist aktiv. Nur «Weglassen» und «Seinlassen» ist mir zu plump. Es ist albern, den Begriff auf ein reines Weglassen von Stoffen wie Hefen oder Schwefel zu reduzieren.» Allein schon Markovićs enormes Feingefühl beim Holzeinsatz belegt das eindrucksvoll.

www.monsieurmarkovic.de

Tomislav Marković

Pinot Noir «On The Rocks» 2019

13 Vol.-% hat dieser Pinot Noir, aber er schmeckt so zart und feinduftig, als enthielte er gar keinen Alkohol. Köstliche, geradezu betörende Beerennoten, reif, aber nicht überreif, am Gaumen Nussschokolade und Kastanie, sehr gut integrierte Tannine, ein süsser Fruchtkern und eine vitale Säure. Was für ein Charmebolzen!

29 Euro | www.gutsweine.com

Piri Naturel (Nahe)

Ganzheitlicher Ansatz

Der Weinheimer Hof in Rümmelsheim ist eigentlich nicht ein einzelnes Weingut, sondern besteht gleich aus drei Weingütern. Es gibt die klassische Linie der Pieroth-Familie, dann gibt es die Piri-Weine, für die vor allem Philipp Pieroth zuständig ist, und die Piri-Naturel-Weine, bei denen seine Schwester Christine federführend ist. Andererseits packen die Geschwister und ihre Eltern auf dem 15 Hektar-Betrieb auch alle zusammen an.

«Regionale Kreisläufe interessieren mich.»

«Piri» sind Philipp und Christine übrigens beide – das ist nämlich ihr Spitzname. Christines vinologischer Lebenslauf ist einer, der sofort aufhorchen lässt: Weingut Keller (Flörsheim-Dalsheim), Weingut Dr. Crusius (Traisen), Blue Mountain Winery (Okanagan Valley, Kanada), dann Weinbau-Studium in Geisenheim. «Ich hatte zwar schon immer Spass an den Weinbergen, aber endgültig entschieden habe ich mich erst, als ich im Ausland gewohnt habe», erzählt die 1991 geborene Winzerin. Ursprünglich wurden nur die Weinberge ökologisch bewirtschaftet, die sie für ihre Piri-Naturel-Line nutzte. «Ich bin froh, dass meine Familie mitzieht und wir nun den gesamten Betrieb umstellen.» Christines Schwerpunkte sind Boden und Artenvielfalt, sie arbeitet auch mit Pflanzentees und biodynamischen Präparaten. Ihr Ansatz ist dabei sehr ganzheitlich, und sie blickt weit über den Tellerrand des Weinbaus hinaus. «Generell interessiert mich Landwirtschaft und ihre Stellung in der Gesellschaft, regionale Kreisläufe und unsere ländliche Region, in der wir leben. Unsere Kultur und die Einbettung dieser Kultur in die Landschaft. All das fliesst in die Betriebsentwicklung mit ein.» Den ersten Piri-Naturel-Wein hat die sympathische Winzerin im Jahrgang 2018 erzeugt. «Ein spontan auf der Maische angegorener Riesling aus der Lage Goldloch. 2020 wurde er ungeschönt, unfiltriert und ungeschwefelt abgefüllt. Für mich scheinen bei ihm die Lage und der Jahrgang ungeschminkt durch. Genau das ist mir wichtig.»

www.piriwein.de

Piri Naturel

Pétillant Naturel Weiss 2019

Ein saftiger Pet Nat mit Aromen von Nussschalen, mürber Birne und reifem Apfel. Am Gaumen kommt dann noch Pampelmuse dazu. Das Prickeln ist verhalten, die süssen Akzente sind gut gesetzt, der herbe Biss verleiht eine pikante Note. Natürlich muss der Wein vorher tüchtig geschüttelt werden, damit der Trub vom Boden sich verteilt.

16,90 Euro | www.8greenbottles.de

FIO Weine (Mosel)

Internationales Joint Venture

Es gab in den letzten Jahren wenig Projekte, die so viel Aufmerksamkeit erregten wie FIO Weine. Es kommt halt nicht jeden Tag vor, dass sich ein Superstar der internationalen Weinszene wie Dirk van der Niepoort in Deutschland engagiert. Und der Ursprung des Projekts klingt noch dazu wie aus einem Film: In der Karibik lernte der junge Mosel-Winzer Philipp Kettern (Jahrgang 1985) die portugiesische Legende kennen, die für ihn auch ein echtes Vorbild ist.

«Es hat alles etwas in Frage gestellt.»

Mit dem 2012er Jahrgang begann das gemeinsame Projekt, dessen portugiesischer Name übersetzt «Faden» bedeutet. Für Philipp, der auf seinem Familienweingut eher klassisch arbeitet, bedeutete FIO eine Zeitenwende. «Es hat alles, was wir vorher gemacht haben, etwas in Frage gestellt. Durch die zwei Jahre Lagerung auf der Vollhefe hat sich der erste gemeinsam produzierte Wein enorm verändert. Er bekam Kraft und Struktur, kombiniert mit Frische, Eleganz und Leichtigkeit. Ein Wein, der mich nachhaltig beeindruckt hat und weiter beeindruckt.» Zeit ist ein wichtiges Thema für Philipp bei der Weinbereitung. «Im Keller lassen wir den Weinen so viel Zeit, wie sie benötigen. Jean-François Ganevat aus dem Jura hat uns diese Art des Weinmachens gezeigt. Jura und die Mosel sind nicht so unterschiedlich. Natürlich haben wir andere Böden. Aber genauso wie die Mosel ist das Jura eine kühlere Region. Die pH-Werte in den Weinen sind wie an der Mosel niedrig. Und die Säure ist meist einen Tick präsenter.» Die Weine, die Philipp zusammen mit der Familie Niepoort von mittlerweile – besonders für die Mosel stolzen – 17 Hektar erzeugt, sind beeindruckend. Egal, ob Pet Nat, Orange Wine (der selbst Gegner dieses Stils mit seiner Feinheit beeindruckt) oder klassischer Riesling Kabinett. Der Mosel steht Naturwein fantastisch.

www.fio.wine

Weinmanufaktur FIO Weine (Mosel)

JoJo Orange Wine 2020

Der hefetrübe Riesling duftet nach Graubrot, getrockneten Gewürzen (viel Pfeffer), Herbstlaub, schwarzem Tee und Weihrauch. Auch am Gaumen mit grosser Würze und starken Hefenoten, dabei herrlich trocken mit animierender Säure und schönem Trinkfluss. Trotz seiner Komplexität begeisternd geradlinigmoselanisch. Nur elf Umdrehungen!

19,90 Euro | www.shop.weinamlimit.de

Ökologisches Weingut Schmitt (Rheinhessen)

Ungarisch-deutsches Herzensprojekt

Das «d.b.» auf Kapsel und Etikett zeigt schon, wie persönlich es hier zugeht. Die Initialen stehen für die Vornamen des Winzerpaars: Bianka (Winzermeisterin, die als Jugendliche überraschenderweise zur Kriminalpolizei wollte), 1991 in Budapest geboren, und Daniel (Techniker für Weinbau und Önologie), 1987 in Worms zur Welt gekommen. 17 Hektar bewirtschaften die beiden gemeinsam. Sie sind die dritte Generation im Familienbetrieb, die vierte ist auch schon da – und aktuell fünf Jahre alt.

«Wir sagen ungern naturbelassener Wein.»

Bianka und Daniel schafften es, das biodynamisch geführte Gut, das einen Grossteil im Fass verkaufte, auf reine Flaschenweinproduktion umzustellen. Ihr erster Wein war 2012 ein Riesling. «Als wir Patrick Meyer im Elsass an einem wunderschönen Nachmittag besuchten, inspirierten uns seine Weinberge und Weine so stark, dass wir uns entschieden, direkt eine Woche danach einen Wein mal ‹ganz anders› zu machen. Es war auch verzaubernd, da es unser erster gemeinsamer Wein war!», erzählt Bianka. Mit dem Naturwein-Begriff sind sie, obwohl Vorreiter der Bewegung in Deutschland, nicht sehr glücklich. «Wir sagen ungern ‹naturbelassener Wein›. Aber jeder Winzer hat die Berechtigung, sich so zu definieren, wie er das möchte, unabhängig davon, ob man konventionell, ökologisch oder biodynamisch arbeitet.» Die Schmitts verzichten auf Schönung und Filtration und addieren Schwefel nur vor der Abfüllung, maximal 15 mg/l, dazu. «Um den Wein vor dem Sauerstoffschock während des Abfüllens zu schützen. Beim Export nach Übersee und beim offenen Ausschank hält das die Weine erstaunlich stabil.» Aktuell siedelt das Weingut aus, es wird zukünftig einen Holzfass- und einen Amphorenkeller geben. Genauso wichtig wird die dann mögliche Selbstherstellung aller Präparate der Biodynamie. Zum Hofkreislauf sollen auch Hühner, Rinder, Mangalitza-Schweine und Gemüse gehören.

www.biankaunddaniel.de

Ökologisches Weingut Schmitt (Rheinhessen)

Kékfrankos 2019

Kékfrankos schreiben die Schmitts gewitzt auf ihren unbekümmerten Blaufränkisch und betonen damit Biankas Geburtsland Ungarn. Der Wein zeigt mit Zwetschge und Süsskirsche eine herrliche, sehr frische Frucht im Bouquet, auch leicht zitrische Akzente. Am Gaumen etwas Lakritz, ein bisschen Minze. Toller Grip im Finale, grosser Trinkfluss.

18 Euro | www.weinkombinat.com

Weingut Odinstal (Pfalz)

Hoch hinaus in Wachenheim

Der bemerkenswerteste von vielen bemerkenswerten Weinen bei Odinstal ist vielleicht der Silvaner. Er stammt von einem Weinberg, der 2012 das letzte Mal geschnitten wurde und seitdem frei wachsen darf – was zu sehr kleinen Trauben mit kleinen Beeren führt. Ein Teil wird in Tonamphoren vergoren, die im Weinberg vergraben sind, der andere kommt in gebrauchte Eichenfässer im Weingut. Der hoch über Wachenheim liegende Betrieb gehört Thomas Hensel, wird aber von einem kleinen Team um den 1978 geborenen Andreas Schumann bewirtschaftet.

«Im besten Sinne urwüchsig»

Das heute 6,4 Hektar grosse Gut entwickelte sich von kühl vergorenen, modernen Weinen, über Spontangärung zu Biodynamie und Naturwein. Eine Besonderheit ist, dass heute fast alle Gärungen für viele Monate mit einem Anteil von rund zehn Prozent ganzer Trauben versehen sind. Eine weitere ist, dass auch die einfachsten Weine erst ein Jahr nach der Ernte vermarktet werden. Es mag zuerst überraschen, dass einer der renommiertesten Vertreter der deutschen Naturweinszene wie Andreas Schumann gerade Hans Günter Schwarz als sein Vorbild nennt – andererseits ist es aber auch ganz logisch. Und nicht nur, weil Schumann unter anderem bei der Pfälzer Legende seinen Beruf erlernte (aber auch bei Dr. Bürklin-Wolf, Dr. Deinhard und Wittmann). «Er ist mein Vorbild, weniger weinstilistisch, sondern als bodenständiger Mensch mit unglaublicher Fach- und Sozialkompetenz. » Andreas Schumanns Ideal eines Weines ist: authentisch und unverfälscht. «Ein Naturwein soll nach seiner Herkunft schmecken, mit allem, was dazugehört. Gleichzeitig sollte er im besten Sinne urwüchsig sein.» Das gelingt Schumann auf beeindruckende Weise mit seinen Weinen von so unterschiedlichen Böden wie Basalt, Muschelkalk, Keuper und Buntsandstein. Kühle, eigenständige, biodynamisch erzeugte Tropfen.

www.odinstal.de

Weingut Odinstal (Pfalz)

Silvaner Nakt 2019

Was für ein Wein, was für ein grossartiger Silvaner! Nur 10,5 Vol.-% Alkohol, federleicht, aber vollgepackt mit faszinierenden Aromen. In der Nase Birne und florale Noten, dazu süsses Gebäck und weisser Pfeffer. Am Gaumen kecke Säure, enormer Saft. Herrlich ausbalanciert sind der Druck und die Würzigkeit.

20 Euro | www.gute-weine.de­

Ökologischer Weinbau Krämer (Franken)

Es begann mit dem Haustrunk

Wer die Weine von Stephan Krämer verstehen will, muss zum Spaten greifen. Das Geheimnis liegt in den Böden, Erkundungen im Weinberg beginnen mit dem Riechen des Bodens. Und wie der duftet! Nach Kräutern, nach Torf, dunkel und warm. Man muss sich zwingen, nicht eine Kostprobe in den Mund zu stecken, so einladend riecht es. Das ist kein Wunder, zwischen den Rebzeilen wachsen Klee, Erdbeeren, Gras, wilde Blumen. Nährstoffkonkurrenz für die Reben? Ach was, sagt Krämer, in den Böden ist so viel Nährstoff, das reicht für alle. Und vor allem wurzeln die Reben ohnehin viel tiefer, wie sollten sie da zu kurz kommen? Seine Weinberge sind so ausbalanciert, dass er keine grüne Lese machen muss, er schneidet nichts raus, lässt in jeder zweiten Zeile die Begrünung dauerhaft stehen, hat seit 14 Jahren keinen Pflug benutzt. Was auch dazu führt, dass sich bis zu 30 Liter Tau pro Monat und Quadratmeter in Form von Feuchtigkeit bilden. Bewässerung ist deshalb kein Thema.

«Ich bin total beratungsresistent.»

Und weil Stephan vollkommen gesunde Trauben lesen kann, spart er sich den Schwefel im Keller. Das freie Schwefelmonoxid in seinen Weinen ist nahe null, die im Moment bei Weinfans sehr populäre Reduktion entsteht bei ihm ausschliesslich aus den Trauben. Es gibt wahrscheinlich wenige Winzer, die sich so intensiv mit dem Thema Boden auseinandersetzen wie Stephan Krämer, und nicht viele, die so viel davon verstehen. Das hat seine Ursache sicher auch in seinem Studium in Weihenstephan. Neben dem Weinbau bewirtschaftet er 75 Hektar mit Karotten, Mais und Weizen. Alles biologisch, schon der Vater hatte den Betrieb umgestellt. Er ist auch der Grund für den Weinbau im Betrieb. Vater Krämer wollte einfach seinen Haustrunk selber anbauen, stellte aber fest, dass ein Hektar Reben mehr als genug Wein für den privaten Verbrauch ergeben. Zum Glück kann man sagen.

www.kraemer-oeko-logisch.de

Ökologischer Weinbau Krämer

Silvaner Silex 2018

Wenige Weine haben Sauerstoff so nötig: unbedingt dekantieren! Verschlossen, unnahbar in den ersten Stunden, kühl, reduktiv, verschlossen. Dann mit frischer, leicht kräuterwürziger Note im Duft. Im Mund viel Würze, Salz, Pfeffer, ein Strukturmonster, das überall im Mund zwickt und doch einmalig leicht dahinfliesst. Eine mineralische Ausnahmeerscheinung, die auch zwei Jahrzehnte gefahrlos übersteht.

21,90 Euro | www.weinhalle.de

Weingut Stefan Vetter (Franken)

Reiner Wein von kleinen Terrassen

Wie viele Naturweinwinzer hat auch Stefan Vetter keinen weinbaulichen Familienhintergrund. Es gab vor ihm kein Weingut, die fünf Hektar Reben, die heute seinen Betrieb bilden, hat er sich über die Jahre zusammengekauft. Als Schüler hat er in den Ferien bei der Ernte geholfen, um das Taschengeld aufzubessern, aber mehr Wein war da nicht. Jedenfalls nicht bis zur Ausbildung in Geisenheim, anschliessend hat Vetter einige Zeit bei Nittnaus im Burgenland gearbeitet. Hier kam er auch mit der Biodynamie in Berührung. Die lässt sich in aller Konsequenz in den Terrassen rund um Gambach nicht umsetzen, biologisch arbeitet er natürlich trotzdem. Das ist sogar relativ einfach. Da es fast nur Nebenerwerbswinzer im Ort gibt, sind viele Weinberge dauerbegrünt – schlicht, weil es weniger Arbeit macht. Auch deshalb hat er bisher noch nie selbst gepflanzt, die Flächen, die er übernehmen konnte, liessen sich ohne grosse Probleme nach seinen Vorstellungen umstellen. Und da alte Reben ohnehin mehr Substanz haben, kommt er im Weinberg ohne technischen Aufwand aus.

«Man muss schon Lust auf die Herausforderung haben.»

Das gleiche Bild im Keller: Bis heute arbeitet er mit einer Pumpe, zwei Pressen und ein paar Schläuchen. Alles wird direkt gepresst, den derzeit in Franken populären Maischestand, um mehr Struktur in die Weine zu bekommen, macht er nicht. Sein erster Jahrgang kam 2010 in den Keller, seither hat er elf Jahrgänge gemacht. Weine, die alle noch glasklar und frisch im Glas stehen. Trotz sehr moderatem Alkoholgehalt sind seine Weine enorm langlebig, sie brauchen sogar die Zeit auf der Flasche, um ihr ganzes Potenzial zu entfalten. Das wird in Deutschland nicht immer verstanden, Vetters Weine sind in London, Oslo oder Tokio gesucht und gefragt, der grösste Teil seiner Produktion geht ins Ausland. Dort steht man dem Thema Naturwein eben sehr viel offener gegenüber, wohl auch weil die Küche sich dort schneller ändert als hierzulande. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

www.vetter-wein.de

Weingut Stefan Vetter

Sylvaner «GK» 2017

Wer im Sylvaner nach Primärfrucht sucht, ist hier falsch. Zu Beginn verhalten, braucht viel Luft. Dann zeigen sich Spuren von Apfel, etwas Quitte, die ist aber nur zu erahnen. Angenehm kühl auf der Zunge, sehr schlank, fokussiert, verlässt nie die Zungenmitte, Präzision in Perfektion. Auch zart cremig am Gaumen. Verwirrend vielschichtig, packend, auch salzig, enormer Trinkfluss. Einfach grosse Kunst.

38,50 Euro | www.viniculture.de

Weingut Wasenhaus (Baden)

Zwei wie eins

Die Geschichte von Wasenhaus und der zwei Winzer dahinter, Alexander Götze und Christoph Wolber, würde klar den Stoff für eine grosse Weinerzählung hergeben. Beginnend mit der Entdeckung ihrer Liebe zum Wein über die Ausbildung im Burgund bis zu dem Moment, als sich die zwei in Meursault kennenlernten und daraus der Plan zum eigenen Weingut entstand – das kann wie grosse Weinromantik klingen. Wenn man sich mit den beiden unterhält, wird aber schnell klar, wie wenig verträumt und wie klar und geerdet sie sind. 2016 haben sie ihren ersten Wein auf Flaschen gebracht, vom Start weg war die Nachfrage grösser als ihr Angebot. Daran könnten auch die Winzernachbarn nicht ganz unschuldig sein. Dass sich Ungewöhnliches tut in den Weinbergen, dass sich zwei topausgebildete Jungwinzer mit präzisen Vorstellungen ans Werk machten, sorgte für Aufsehen. Und positive Neugierde. Die Neulinge wurden unterstützt und nicht ausgegrenzt. Sie machen halt vieles anders.

«Wir suchen nicht die ganz wilden Konsorten.»

So wird im Keller nicht gekühlt und nicht geheizt, es gibt keinen Schwefel in der Gärung. Und gefiltert oder geschönt wird auch nicht. Das ist in der Region nicht üblich, die Kollegen wollten wahrscheinlich auch sehen, ob es funktioniert. Heute können die zwei vom Weingut leben, keine schlechte Leistung innerhalb von fünf Jahren. Knapp vier Hektar eigene Rebflächen haben sie im Moment, durch Zukauf kommen sie auf fast 25 000 Flaschen. Viel zu wenig für die ungeheure Nachfrage, die USA würden die gesamte Produktion aufsaugen, Japan will mehr, Finnland auch – und die Nachfrage in Deutschland nimmt bisweilen hysterische Züge an. Gerade zwei Wochen vergingen vom Versenden der aktuellen Preisliste bis zum Ausverkauf. Nicht schlecht für ein so junges Weingut. Wer einen klaren Plan hat, kann auch heute noch seinen Weg machen in der deutschen Weinwelt. Ein gutes Zeichen.

www.wasenhaus.de

Weingut Wasenhaus

Grand Ordinaire 2020

Gar nicht ordinäres, sondern ausgesprochen edles Purpur im Glas. In der Nase sehr offen rotbeerig, einladend, verführerisch. Rote Kirschen, Johannisbeeren, auch dunkle Gewürze, Nelke, ein Hauch Lakritz. Im Mund überraschend, weniger straff als balsamisch, lädt ein, kleidet den Mundraum aus, ist weich und cremig. Und doch lässt die feinnervige Säure nie den Eindruck von Gemütlichkeit entstehen. Ein ungewöhnliches Ereignis.

17,50 Euro | www.vinisud.de

Weingut Dupont de Ligonnès (Sachsen)

Französisch-deutsches Aufbauprojekt

Vielleicht brauchte es tatsächlich einen Input von aussen, um das Thema Naturwein auch in die östlich gelegenen Anbaugebiete zu bringen. Alexandre Dupont de Ligonnès hat eine deutsch-französische Geschichte. In Paris geboren, durch die Eltern im diplomatischen Dienst viel herumgekommen, landete er mit sechs Jahren in Heidelberg. Die Ausbildung zum Winzer machte er in Meißen, es folgte ein Abstecher nach Südfrankreich zu Raimond de Villeneuve (Château de Roquefort), der ebenfalls deutsch-französische Wurzeln hat. Hier kam Alexandre auch mit dem Thema Naturwein in Kontakt, der Funke sprang über.

«Ich bin kein dogmatischer Naturweinwinzer.»

Heute besitzt er seinen eigenen Keller in der Stadt Dresden, auch ein Weinberg liegt im Stadtgebiet. Aktuell bewirtschaftet er knapp 2,5 Hektar, ein alter Rebbestand, 30 bis 50 Jahre alt. Mit Riesling, Traminer und allem was eben so in Sachsen wächst, wie er selbst sagt. Es ist relativ einfach, an neue Weinberge zu kommen, viele Feierabendwinzer hören langsam auf, und es gibt nicht viele junge Leute, die einsteigen wollen. Naturwein heisst für ihn, herauszufinden, bis an welche Grenze des Nichttuns man gehen kann, ohne in eine krasse Aromatik zu geraten. Denn am Ende muss es schmecken. Alexandre hat auch immer wieder einzelne Weine, die nicht vermarktet werden. Immer dann, wenn es ihm nicht schmeckt. Vor fünf Jahren produzierte er 800 Flaschen im Jahr, aktuell sind es 4500, er geht auf die 8000er-Marke zu. Alles als One-Man-Show. Ohne viele Freunde und die Familie wäre er ziemlich aufgeschmissen, wie er zugibt. Im Moment sind vier Weine im Programm, Weiss, Rot, Rotling und Orange. Kein Wein wird bei ihm reinsortig gekeltert, alles wird im gemischten Satz ausgebaut. Und im biologischen Anbau, allerdings noch nicht zertifiziert. Es ist eben Aufbauarbeit, die Alexandre leistet, das braucht einfach seine Zeit.

www.deligonnes.com

Weingut Dupont de Ligonnès

Kesse Comtesse 2019

Die Dame ist ein Rotling, aus weissen und roten Rebsorten gekeltert: Weiss-, Grau-, und Spätburgunder. Duftet im Glas nach Weissen Johannisbeeren, Ginsterblüten und reifer Birne, dazu frisches Heu. Zeigt im Mund vitale, fast kesse Säure, unterlegt mit deutlicher Phenolik. Verbindet die Fruchtkomponenten der Nase mit kraftvollem Mundgefühl. Legt mit asiatischer Kräuterküche jede Zurückhaltung ab.

25 Euro | www.weinkombinat.com

Weingut Roter Faden (Württemberg)

Solisten unter lauter Genossen

Eine Griechin und ein Württemberger lernen sich während des Studiums kennen und lieben, gehen zusammen auf Wanderschaft um die Welt… genug Herz-Schmerz-Roman? Aber was will man machen, genauso war es bei Olympia Samara und Hannes Hoffmann. Sie aus der Grossstadt, er vom Land, beide weinverrückt im besten Sinne. Nach Studium und Weinwanderschaft revitalisierten sie 2014 das Weingut von Hannes’ Grossvater in Vaihingen. Kein selbstverständlicher Schritt im von Genossenschaften geprägten Württemberg. Viele Nebenerwerbswinzer geben auf, kleine Weinbergsparzellen sind jederzeit zu bekommen. Mit ihrer Art des Wirtschaftens sind Olympia und Hannes zwar Exoten, aber mittlerweile im Ort anerkannt. Inzwischen werden sie auch unterstützt – sogar Geräte und Maschinen bekommen sie ausgeliehen.

«Die Arbeit in den Terrassen ist anstrengend – aber unfassbar schön.»

Aus dem Zweifelnden «Das sind die mit dem Unkraut» wurde nach nur drei Jahren die Frage «Wie macht ihr das eigentlich?» Die Entwicklung, auf Herbizide zu verzichten, ist offensichtlich auch bei den Nebenerwerbswinzern angekommen. Jedes Jahr sieht man mehr grüne Flächen in den Weinterrassen, das Braun vom Herbizideinsatz wird weniger. Olympia und Hannes werden nicht als Konkurrenz, sondern als Inspiration gesehen. Auch mit der Genossenschaft wird seit Kurzem zusammengearbeitet, ein Wein wird gemeinsam mit den beiden cuvéetiert. Aktuell bewirtschaften sie 2,5 Hektar, gut die Hälfte davon ist terrassiert. Das ist noch zu wenig, um davon leben zu können, es gibt Nebenjobs, um es durchziehen zu können. Und ohne die Unterstützung von Freunden und Familie wäre die aufwändige Arbeit in den Weinbergen auch nicht zu schaffen. Fünf Weine sind aktuell im Programm, vor allem Lemberger, dazu Pinot Noir, Riesling und zwei Premiumweine. In einem normalen Jahr gibt es etwa 13 000 Flaschen.

www.weingutroterfaden.de

Weingut Roter Faden

Lemberger Endschleife 2019

Entsteht aus den ältesten Reben aus den Terrassen an der Enzschleife. Daher der Name mit «d», eine Gebietsangabe ist bei Landwein nicht erlaubt. Vielschichtige Nase, dunkle Beeren, dazu Kräuter (unter anderem Lorbeer). Im Mund mit straffer, markanter Säure, wieder Heidelbeere, auch Schwarzkirsche. Kraftvoll, dunkel, dabei leichtfüssig. Enorme Trinkfreude. Wo steht der Grill?

29 Euro | www.karl-kerler.de

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