Klausel gekippt

Supreme Court Tennessee lockert Handelsgesetz

Text: Arthur Wirtzfeld | Veröffentlicht: 21. August 2019


USA (Nashville/Tennessee) – In den USA unterliegt der Handel mit Wein und anderen Alkoholika immer noch hoheitlich den einzelnen Staaten – ein Relikt, übrig geblieben auch von Gesetzen zu Zeiten der Prohibition, die landesweit die Herstellung, den Transport und den Verkauf von Alkohol durch den 18. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten ab 16. Januar 1920 strikt verbot. Durch den 21. Zusatzartikel wurde der vorangegangene 18. Zusatzartikel dann 1933 ausser Kraft gesetzt. Die meisten Leser dürften die Prohibition und ihre kuriosen Blüten aus einschlägigen Mafia-Filmen kennen, die dieses Thema mehrmals behandelt haben. Seit Mitte letzter Dekade machte die Weinindustrie und der Weinhandel Druck, um die Restriktionen, die den Weinhandel auch in Tennessee streng reglementieren, aufzuweichen. Dies führte offensichtlich mit zur Entscheidung des U.S. Supreme Court des Staates Tennessee, was womöglich ein Meilenstein für die Weinwirtschaft in den USA sein könnte.

Laut aktuellem Urteil ist die Verpflichtung für Weinhändler, einen dauerhaften Wohnsitz in Tennessee unterhalten zu müssen, abgeschafft. Bisher galt, dass nur Personen, die mindestens zwei Jahre oder länger im Staat dauerhaft lebten, eine Lizenz zum Verkauf von Wein und anderen alkoholischen Produkten erhalten konnten. Kritiker halten die aktuelle Entscheidung des Supreme Court für reinen Protektionismus und nicht geeignet, den Alkoholkonsum zu mässigen. Die US-Weinbranche und auch ein Großteil der Verbraucher begrüßen dagegen die Entscheidung. Vor allem die Weinbranche hofft, dass sich dies positiv auf den Weinmarkt auswirken könnte. Erleichtert sind auch die klagenden Weinhändler, die letztlich alles ins Rollen brachten und sich nach Jahren der Bemühungen nun bestätigt fühlen.

Handelsklausel aufgehoben

Ob die Entscheidung aus Tennessee, erkämpft in 14 Jahren, Bestand haben wird, muss sich aber noch zeigen – denn schon formiert sich die Anti-Alkohol-Lobby. Trotz allem gilt generell: Den US-Staaten obliegt es laut Bundesgesetz, den Alkoholhandel eigenständig zu regeln, vornehmlich um den Alkoholkonsum zu regulieren. Der Supreme Court in Tennessee musste auch abwägen, ob durch die Entscheidung nicht geltendes Bundesrecht tangiert oder sogar Teile der Verfassung damit ignoriert wurden. Hierbei muss man wissen, dass einige US-Staaten Weingütern aus anderen Staaten nicht erlauben, ihre Weine staatenübergreifend zu versenden. Diese Regelung hat der Supreme Court für Tennessee bereits in 2005 aufgehoben. Damals vertrat das Gericht die Meinung, dass dies generell gegen freie Handelsregeln verstossen würde. Es war seinerzeit die erste bahnbrechende Entscheidung dieser Art. Allerdings galt diese Lockerung des Marktes nicht für den Einzelhandel in Tennessee.

Freie Hand für den Handel?

Nein, keinesfalls. Während sich Weinproduzenten in den USA und der Weinhandel in Tennessee über das Urteil freuen, ist es Verbrauchern in 37 US-Staaten weiterhin nicht erlaubt, Weinsendungen aus anderen US-Staaten zu empfangen – umgekehrt in diese Staaten dürfen von außerhalb keine Weine versandt werden. Aber das Urteil ist Anlass genug, die seit der Prohibition geltenden diskriminierenden Gesetze erneut infrage zu stellen. Jedenfalls bleiben die Befürworter der freien landesweiten Versendung von Wein weiter hoffnungsvoll. Für einige Staaten, die ebenfalls eine Lockerung überlegen, ist die Tennessee-Entscheidung nun eine Blaupause – freilich lassen sich so zukünftig Erfahrungswerte aufbauen.

Die Frage aller Fragen

Eine zentrale Frage schwebt über allen anderen und diese wird hinter den Kulissen immer stärker diskutiert: Kann ein US-Bundesstaat verlangen, dass ein Weinhändler innerhalb des eigenen Hoheitsgebietes Wohnen und leben muss, um Weine an Einwohner zu versenden? US-Staaten, die weiterhin diese einschränkende Regel aufrechterhalten wollen, argumentieren, dass sie den Versand aus nicht staatlichen Quellen oder die entsprechenden Aktivitäten gebietsfremder Personen oder Unternehmen nicht angemessen überwachen und kontrollieren könnten. Eines ihrer weiteren Argumente ist, dass nur durch die physische Präsenz eines Händlers, dieser auch bewertet werden könnte, ob er für den Handel mit Alkohol geeignet sei.

Kritiker dieser Argumentation, vor allem auch die Weinlobby der USA, halten vor, dass bundesweit und global Lieferdienste alle möglichen Waren versenden dürfen, die nicht dieser Einschränkung unterliegen, wobei deren Versender auch nicht ohne Weiteres geprüft werden. Außerdem wären Weinlieferungen, die bereits Verbraucher in anderen US-Staaten ohne Einschränkungen von außerhalb erreichen, kein Problem, jedenfalls würde dies zu keinen weiteren Problemen führen.

Gründe der Entscheidung

Die Gegner der freien Versendung von Alkohol führten vor der Entscheidung des Gerichts, das im Übrigen mit 7:2 Stimmen für eine Auflösung bisheriger Einschränkungen ausfiel, und jetzt auch danach noch ein weiteres Argument an: Sie befürchten, dass so Jugendliche eher an Alkohol kommen. Diesem Argument folgte der Supreme Court Tennessee nicht – er stellte die Diskriminierung eines Teils des Marktes als wesentlichen Bestandteil der Entscheidung voran. Das Gericht argumentierte, dass in der Zeit nach 1933, als die Prohibition aufgehoben wurde, die Gesellschaft feststellte, dass das Experiment des Verbots auf voller Linie gescheitert war. Einzig die Befürchtung des Alkoholmissbrauchs sei geblieben, der sich aber mit Beibehaltung der bisherigen Einschränkung nicht eindämmen liesse. 

Beobachter des langen Prozesses hatten schon im Vorfeld eine Ahnung hinsichtlich des zu erwartenden Urteils, weil in den Verhandlungen deutlich zu spüren war, dass der Supreme Court Tennessee eine derart einschränkende Handelsklausel als nicht zeitgemäß einstufen würde. Letztlich vertritt das Gericht die Meinung, dass soziale und auf Gesundheit bezogene Argumente wichtig für ein staatliches Alkoholgesetz seien und berücksichtigt werden müssen, aber dafür müsse jeder Bundesstaat andere zeitgemässe Regelungen finden. Letztere Argumentation ist der einzige Schwachpunkt in der Entscheidung, denn genau hier wird die Anti-Alkohol-Lobby erneut ansetzen und angreifen.

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