Buch Stein und Wein

Rebe und Boden

Der Entstehungsprozess der Alpen hat in der Schweiz ein komplexes Puzzle aus Böden geschaffen, die zusammen mit dem breiten Spektrum an Rebsorten die Basis sind für die Vielfalt im Schweizer Weinbau.

«Der Rebe ist es egal, wie alt der Untergrund ist, auf dem sie wurzelt»

Was unterscheidet das Weinland Schweiz in geologischer Hinsicht von seinen Nachbarländern?

Rainer Kündig: Bei der Entstehung der Alpen wurde das Mittelland durch Schutt gefüllt. Der Jura-Höhenzug hat diese Bewegung aufgenommen und gleichzeitig gebremst. Im Süden wurden die Alpen aufgetürmt. Dies hat die komplexe Geologie unseres Landes geschaffen, die auch zur enormen Vielfalt der hier angebauten Weine beiträgt.

Es existieren bereits viele geologische Karten. Warum wurde für «Stein und Wein» eine neue, spezielle Karte entwickelt?

Jean-Claude Hofstetter: Klassische geologische Karten orientieren sich strikt am Alter der Gesteine. Der Rebe ist es aber egal, wie alt das Gestein ist, in dem sie wurzelt. Auch die Herkunft der einzelnen Komponenten und die Bewegungen, welche das Gestein an ihren heutigen Ort gebracht haben, sind irrrelevant. Entscheidend ist dagegen die in der Schweiz besonders komplexe Zusammensetzung der Gesteine, welche Aroma und Geschmack der Weine beeinflussen kann.

Die Geologie ist eine komplexe Wissenschaft. Sind da klare Aussagen bezüglich des Zusammenhangs von «Stein und Wein» überhaupt möglich?

Rainer Kündig: Tatsächlich weisen fachspezifische geologische Karten bis zu 100 verschiedene Gesteinsarten aus. Bei unserer Arbeit für dieses Buch sind wir zu dem Schluss gekommen, dass acht Festgesteine und vier Lockergesteine den Charakter der Schweizer Weine in besonderem Masse prägen. Deshalb konzentrieren wir uns im Buch auf diese zwölf Gesteinsarten.

Während wir die Schweiz generell in sechs Weinregionen einteilen, unterteilen Sie unser Land aus önogeologischer Perspektive in zehn Anbaugebiete. Warum?

Rainer Kündig: Die Geologie hält sich nun mal nicht an politische, kulturelle oder sprachliche Grenzen. Wir konnten letztlich zehn Gebiete definieren, wo Wein unter vergleichbaren geologischen Bedingungen angebaut wird. Eines dieser Gebiete, das bisher kaum wahrgenommen wird, ist beispielsweise das Gebiet der Alpenrandseen, das sich von Berneck im Rheintal über Rapperswil am Zürichsee bis zum Vierwaldstätter- und dem Thunerseee zieht. Obwohl sich in diesem Gebiet vergleichsweise wenige Rebberge befinden, wachsen hier die Reben durchwegs in einheitlichen Böden, die von Nagelfluh, Molasse und Sandstein geprägt werden. Auch die Topografie und das Klima sind vergleichbar.

Gibt es Rebsorten, welche diese Verschiedenheiten des Bodens, in dem sie wachsen, besonders klar zum Ausdruck bringen?

Jean-Claude Hofstetter: Für die Zuordnungen zwischen Gesteinsarten und der Sensorik der Weine ist besonders der Pinot Noir geeignet, aber auch der Chasselas in der Westschweiz und die Petite Arvine im Wallis. Natürlich ist es letztlich unmöglich zu bestimmen, ob ein Wein primär vom Boden oder von der Arbeit des Winzers geprägt ist, aber besonders aussagekräftige Ergebnisse entstanden immer dann, wenn wir Weine von Winzern verkosten konnten, die nach vergleichbarer Manier in verschiedenen Böden die gleiche Sorten anbauen und entsprechende Lagen-Selektionen in die Flaschen bringen.

Können Sie diesbezüglich einige konkrete Beispiele nennen?

Jean-Claude Hofstetter: Wir haben etwa vom Weinhaus Gialdi im Tessin sowohl Merlot verkostet, die im Sopraceneri auf Gneis gewachsen sind, als auch solche, die im Sottoceneri auf Kalk angebaut worden sind. Versierte Verkoster konnten leicht erkennen, welche Weine vom Kalk und welche vom Gneis stammen. Ähnlich klare Resultate hatten wir beim Verkosten von Chasselas-Selektionen aus verschiedenen Lagen von François Montet in Blonay. Auch hier konnten die Verkoster erkennen, dass die etwas schwereren Chasselas-Gewächse von kalkhaltigen Molasse-Böden stammen, während die Moränenböden mit viel Kies und Ton einen eher leichteren Chasselas-Typ hervorbringen.

Um einen direkten Zusammenhang zwischen Gesteinsarten und der Sensorik von Weinen herstellen zu können, arbeitete die «Stein und Wein»-Redaktion mit dem Diagramm des Elsässer Mineralogen und Weinkenners Claude Sitter aus dem Jahre 1995. Bei Verkostungen von Schweizer Rotweinen ergaben sich aber einige Diskrepanzen zu den Resultaten von Sitter, dessen Diagramm aufgrund der Verkostung von Rieslingen aus dem Elsass entstanden ist. Claude Sitter kam zu dem Schluss, dass säurebetonte Elsässer Rieslinge besonders auf Sandböden entstehen. Bei der Verkostung von Schweizer Rotweinen zeigte sich dagegen, dass die auf Sand gewachsenen Weine eher eine moderate Säure zeigen, während säurebetonte Schweizer Rotweine eher von kalkhaltigen Böden stammen.

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