Buch Stein und Wein

Bündner Herrschaft:
Vom Kalk zum Ton

Das unterschiedliche Gemisch von Kalk, Ton und Sand verleiht den Pinot-Noir-Crus der Bündner Herrschaft ihren individuellen Charakter. «Stein und Wein» veranschaulicht, wie genau die Geologie die Sensorik der «Herrschäftler Weine» mitprägt.

«Die vom Kalk geprägten Weine in Fläsch zeigen sich tendenziell elegant und filigran. Ab Jenins, wo bereits der Ton dominiert, entstehen eher dichtere, fülligere und auch würzigere Weine.» 

Was ist aus geologischer Sicht der entscheidende Faktor, der das Aroma und den Geschmack der Pinots aus der Bündner Herrschaft beeinflusst?

Willi Finger: Die Bündner Herrschaft ist aus geologischer Sicht zweigeteilt. Im nördlichen Abschnitt werden die Böden von der steil abfallenden Kalkwand des Fläscher Bergs geprägt. Am Hangfuss dominiert hier der Kalkschutt, der sich über die Jahrtausende vom Fels gelöst hat. Weiter im Süden bestehen die Bachschuttkegel dagegen mehr aus Sand, Kalk und Ton. Das hauptsächliche Phänomen ist der nach Süden zunehmende Tongehalt.

Wie wirkt sich dies auf den Charakter der Weine aus?

Die vom Kalk geprägten Weine in Fläsch zeigen sich tendenziell elegant und filigran. Ab Jenins, wo bereits der Ton dominiert, entstehen eher dichtere, fülligere und auch würzigere Weine.

Kann der Ausbau, das heisst die Vinifikation der Weine, diese geologischen Nuancen nicht überdecken?

Um diese berechtigte Frage besser beantworten zu können, haben der Winzer Daniel Marugg in Fläsch und die Winzerin Irene Grünenfelder in Jenins jeweils 500 Kilo Pinot-Noir-Trauben getauscht und auf ihre individuelle Weise vinifiziert. Der Pinot von Marugg wächst in einer steilen Hanglage in Fläsch mit viel Kalkschutt, während Irene Grünenfelder ihren Pinot auf dem flach abfallenden Schuttkegel von Jenins anbaut, wo der Boden aus viel Sand sowie etwas Ton und Kalk besteht. Obwohl vom Kollegen im Nachbardorf vinifiziert, behielten die zwei Weine ihren ursprünglichen Ausdruck. Der Lagencharakter war also stärker als die individuelle Handschrift des Winzers.

Wie wirken sich die unterschiedlichen Bodentypen Kalk und Ton auf das Wachstum der Rebe aus?

In Tonböden stehen die wichtigen Elemente (in gelöster Form) zur Versorgung der Rebe besser zur Verfügung als in von Kalk dominierten Böden. Zudem können Tonböden den Wasserhaushalt besser regulieren als Kalkböden. Sie sind vom Typus her auch kühlere Böden, die sich weniger schnell erwärmen, also die Temperatur besser regulieren können. Die schweren Tonböden, wie sie im Süden der Herrschaft, vor allem in Malans, vorkommen, sind ideal für die Sorte Completer.

Sind diese geologischen Nuancen auch für den Konsumenten nachvollziehbar?

Um dies zu klären, konnten wir auf ein Experiment des Winzers Christian Obrecht vom Weingut zur Sonne in Jenins zurückgreifen. Für seine Topselektion Monolith verwendet Obrecht jeweils Trauben von drei Bachschuttkegeln, nämlich Pradafant in Jenins mit wenig Ton, Selvi, zwischen Jenins und Malans gelegen, mit mittlerem und Bovel in Malans mit hohem Tongehalt. Für das «Stein und Wein»-Experiment hat Obrecht einige Flaschen aus den drei Lagen separat abgefüllt. Diese Lagen-Proben wurden dann an Veranstaltungen in Österreich, Deutschland und der Schweiz verkostet. Und jedes Mal konnten die Verkoster die Herkunft der Weine mehrheitlich erkennen, weil sich der gegen Süden der Bündner Herrschaft zunehmende Tongehalt eben in den Weinen mit mehr Körper und Fülle zeigt.

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