Best of Kalifornien 2025

1300 Kilometer Vielfalt

Text: Thomas Vaterlaus, Foto: Sonoma County Vintners 

Frische Luft vom kühlen Pazifik spielt mit der Hitze im Landesinneren. Und ein Puzzle aus über 2000 verschiedenen Bodentypen, unter anderem geschaffen durch Vulkantätigkeit und das Aufeinandertreffen tektonischer Platten, prägt die kalifornischen Wein-Terroirs. Das Resultat ist eine enorme Vielfalt an Weinen auf hohem Niveau.

Es ist seltsam mit dem Wetter in Kalifornien, besonders an der Küste. «It Never Rains in Southern California» sang Anfang der 1970er Jahre der Singer-Songwriter Albert Hammond. Doch selbst in diesem Lied ist sehr viel von Regen die Rede. Auch an der North Coast, wo hinter dem Küstenhügelzug die prestigeträchtigen Weingebiete Sonoma County und Napa Valley liegen, schlägt das Wetter seine ganz eigenen Kapriolen. Das spürt jeder Reisende, der auf der vielleicht schönsten Küstenstrasse der Welt, dem U.S. Highway 1, von San Francisco aus nach Norden fährt. Wobei dieser Highway spätestens nach Bodega Bay, wo Alfred Hitchcock seinen Kultschocker «Die Vögel» gedreht hat, zum schmalen Landsträsschen wird. Die anrollenden Wellen sprühen Nässe in die Luft. Nebelschwaden und kühlfeuchte Luft ziehen durch die Öffnungen, die sogenannten Gaps in der Coastal Range. Die bekanntesten dieser Gaps sind etwa das Anderson Valley, das Russian River Valley, das Salinas Valley oder die Santa Rita Hills. Durch diese Einschnitte dringt also die kühle Pazifik-Luft ins Landesinnere, bis in die Weinberge von Sonoma, Napa, Lodi, ­Livermore Valley, Paso Robles und andere Subregionen. Wo die Reben im Einzugsgebiet der kühlen Pazifikluft wurzeln, entstehen filigran strukturierte, elegante Chardonnays und Pinots, in den vollbesonnten Gebieten dagegen, die oft in unmittelbarer Nachbarschaft liegen, reifen Merlot, Cabernet Sauvignon, Zinfandel und Co. vollständig aus. 121 von total 154 American Viticultural Areas (AVAs), die in Kalifornien bis heute definiert worden sind, werden von kühler Pazifik-Luft beeinflusst. Ein zusätzlicher, spezieller Effekt entsteht überall dort, wo die frische Meeresbrise über die Hügelkuppen strömt und sich dabei erwärmt. So finden wir in den Sonoma Mountains, den Mayacamas-  und Vaca-Ranges oder in den Santa Cruz Mountains eigenständige Mikroklimas. Kaliforniens grösstes Weinbaugebiet, das Central ­Valley, liegt zwischen der Coastal Range und der Sierra Nevada.

Generell funktionieren die Wettermechanismen im gesamten rund 1300 Kilometer langen Küstengebiet auf ähnliche Weise. Der California Current ist eine Kaltwasserströmung, die entlang der Pazifikküste von British Columbia in südlicher Richtung nach Mexiko fliesst. Die Wassertemperaturen liegen beispielsweise am nördlichen Küstenverlauf lediglich zwischen 11 und 13 Grad Celsius. Auch südlich von San Francisco ist das Wasser nur unwesentlich wärmer. Ganz anders im heissen Landesinneren. Im Central Valley, Death Valley oder Mojave Desert herrscht ein kontinentales Klima mit sommerlichen Höchsttemperaturen von mehr als 45 Grad Celsius. Weil aber die heisse Luft permanent in die höheren Lagen der Troposphäre aufsteigt, zieht sie, ähnlich wie ein Staubsauger, kühle Luft vom Pazifik nach. Diese strömt durch die von Westen nach Osten verlaufenden Täler und Gaps der Coastal Range ins warme Landesinnere und bewirkt eine natürliche Klimatisierung der Rebberge. Das Resultat dieser Wetterkonstellation ist eine unglaubliche Vielfalt an Mikroklimata, die jeder Lage ihre individuellen Terroir-Eigenschaften verleiht. Ein zusätzlicher wichtiger Qualitätsfaktor ist der grosse Temperaturunterschied zwischen den warmen Tagen und den kühlen Nächten. Die Vegetationsperiode in den kalifornischen Rebbergen ist lang, gleichmässig und trocken – was ideal für den Anbau von Spitzenweinen ist. Der Austrieb beginnt normalerweise im März, die Ernte dauert oft bis in den November hinein. Genauso vielfältig wie die Mikroklimata zeigen sich die Bodentypen. Schwemmströme, Vulkane und Meereshebungen haben ein höchst komplexes Puzzle von bis zu 2800 Bodenarten geschaffen. Die wichtigsten sind Ton, Sand, Lehm, Granit, Vulkanasche, Lava, uralte Meeresböden und Flussschotter.

Von Mendocino bis San Diego

Vom kühlen Anderson Valley bei Mendocino, 250 Kilometer nördlich von San Francisco gelegen, bis nach San Diego nahe der Grenze zu Mexiko wird in Kalifornien Weinbau betrieben. Hier ein Überblick über die sechs wichtigsten Weinbauregionen im Golden State.

Napa Valley

Mit 16 000 Hektar Rebfläche trägt das Napa Valley nur gerade vier Prozent zur kalifornischen Weinproduktion bei, nimmt aber in Bezug auf die Qualität eine Vormachtstellung ein. Wegen der enormen Vielfalt in Bezug auf Topografie, Mikroklima und Böden von einem Standort zum anderen unterteilt sich die Region in nicht weniger als 16 AVAs. Kühle Luft und Nebel dringen durch die Bucht von San Pablo bei San Francisco und das Petaluma-Gap ins Weingebiet vor. Darum ist es im Süden des Tales merklich kühler als im Norden. Die Subregionen Los Carneros, Coombs­ville, Oak Knoll, Yountville oder Stag’s Leap District gelten als vergleichsweise kühl, während Oakville, Rutherford, St. Helena und Calistoga eher warm sind. Gut strukturierte, eher kernige Weine entstehen auch in den Höhenlagen von Mount Veeder, Spring Mountain, Diamond Mountain, Atlas Peak und Howell Mountain. Die grosse Vielfalt an Böden beruht auf tektonischen Bewegungen und vulkanischen Aktivitäten. Im Napa Valley gelten die mithin strengsten Anbauvorschriften in den USA. Das Napa-Green-Programm fördert nachhaltige Entwicklungen im Weinsektor.

Sonoma County

Das Sonoma County – insgesamt 25 000 Hektar bewirtschaftet von insgesamt 800 Weingütern, – ist das erste Weinanbaugebiet in Kalifornien, das vollständig als nachhaltig zertifiziert worden ist. Das Gebiet umfasst 80 Kilometer Küste, einen Fluss, drei Gebirgszüge, fünf Täler und hunderte von verschiedenen Bodenarten, beispielsweise Schwemmland, Kolluvial- und Lehmböden sowie vulkanische, sedimentäre, sandige oder tonige Böden. Das Gebiet unterteilt sich in 19 ineinander verschachtelte Sub-AVAs. Das Sonoma Valley war 1982 die erste dieser AVAs, die 2022 etablierte West Sonoma Coast ist bis heute die letzte AVA.

Lodi

Die Lodi-AVA wurde 1986 gegründet. Sie umfasst mehr als 40 000 Hektar Rebfläche, auf denen über 125 Rebsorten angebaut werden. Bewirtschaftet wird das Anbaugebiet von rund 750 Winzern in sieben verschiedenen Unterregionen (AVAs). Das Sacramento River Delta und zwei Flüsse sorgen für vielfältige Böden und ein abwechslungsreiches Klima. Die Winde vom Pazifik und der San Pablo Bay haben eine kühlende Wirkung.

Central Coast

Die grösste AVA des Bundesstaates umfasst annähernd hunderttausend Hektar und erstreckt sich von der Bucht von San Francisco in südlicher Richtung bis nach ­Santa Barbara. Zu diesem Gebiet gehören einige der kühlsten Anbauregionen Kaliforniens, die vom Einfluss des pazifischen Ozeans geprägt sind. Die Central Coast ist das wichtigste Anbaugebiet für Chardonnay in Kalifornien. Die Reben wurzeln mehrheitlich auf Kalkstein- und Granitböden. Das Gebiet unterteilt sich in nicht weniger als 40 verschiedene AVAs.

Monterey

Erste Reben wurden hier bereits in den 1790er Jahren von Franziskanermönchen gepflanzt. Der moderne Weinbau entwickelte sich nach 1960. Bestimmend für das Terroir ist die kalte Pazifikluft, die aus der Monterey Bay ins Tal strömt. Im Osten und Süden des Anbaugebietes wird das Klima deutlich wärmer. Filigrane Chardonnays und Pinots wachsen vor allem in der Nähe des Ozeans auf Kalkstein- und Granitböden. Das Gebiet umfasst neun AVAs mit einer Fläche von rund 18 000 Hektar. Die Weinberge von Monterey folgen dem Pfad des Salinas Valley, das sich etwa 145 Kilometer von der Monterey Bay bis zum Rand des San Luis Obispo County im Süden erstreckt. Das Tal wird im Osten von den Gabilan- und den Santa-Lucia-Bergen begrenzt, die entlang der Pazifikküste abfallen. Sorten wie Riesling, die eher ein kühles Klima bevorzugen, werden nahe am Pazifik kultiviert, die Rhône-Sorten eher in den östlichen und südlichen Teilen des Anbaugebietes.

Paso Robles

Obwohl das Gebiet fast dreimal so gross ist wie das Napa Valley, ist die angepflanzte Rebfläche mit insgesamt 16 000 Hektar vergleichbar. In 80 Prozent der Rebberge wachsen rote Sorten. Das Gebiet umfasst elf AVAs, die 2014 installiert wurden. Das Rebgebiet mit seinem grundsätzlich mediterranen Klima wird eingerahmt von zwei Gebirgszügen. Die Bodendiversität in Paso Robles ist hoch. Granit, aber auch marine und vulkanische Sedimente prägen den Untergrund. Darüber liegen Sand- und Tonstein sowie Kalkschiefer. Die Region ist bekannt für ihre reichhaltigen, kraftvoll-generösen Rotweine. Der Zinfandel war lange die Flaggschiff-Rebsorte von Paso Robles. Heute werden hier aber mehr Cabernet Sauvignon und Rhône-Rebsorten wie Grenache, Syrah und Mourvèdre angebaut.