Chasselas aus dem Waadtland
Trinken, kochen, essen: Papet, Käse, Kabiswurst… und so viel mehr!
Text: Ursula Heinzelmann, Foto: StockFood / Hugh Johnson / Eising Studio, GettyImages / EduLeite / Mariha-kitchen, z.V.g.

Die älteste Weinbauregion der Schweiz und die zweitgrösste, ein Teil davon, Lavaux, UNESCO-Weltkulturerbe – vor allem aber eine Hochburg der weithin noch immer unterschätzten wichtigsten weissen Rebsorte des Alpenlands, des Chasselas.
Er trinkt sich jung und frisch so gut und verdient doch in entsprechender Qualität aus steilen Hängen viele Jahre der Reife, um sich in voller Grösse zu zeigen. Dann entfaltet sich tatsächlich die Schönheit dieser Landschaft bei jedem Schluck, wenn die Herbstsonne die Weinberge am Ufer des Genfersees zu filmreifem Leuchten bringt, die teils unfassbar steilen Terrassen in den blauen Himmel aufragen.
Das Grossartige an der Chasselas-Traube ist jedoch – um es gleich noch einmal zu betonen –, dass sie sich in weniger anspruchsvollen Lagen auch nicht zu schade ist für angenehme Alltagsweine der diskreten Art. Sonst gäbe es hier von Nyon bis Bex am Genfersee und weiter die Rhone hinauf sowie am südlichen Teil des Neuenburgersees kaum schon so lange Menschen, die sich mit Hingabe um Reben kümmern und für die Weine aus ihren Trauben begeistern. Wie an so vielen Orten machten zweifellos die Römer den Anfang, dann folgten Helvetier, Burgunden, Karolinger, Zähringer und das Haus Savoyen, schliesslich ab 1536 die Berner, bis sie wegen der Révolution vaudoise abzogen. Seit 1803 deklariert das Wappen des Kantons Waadt stolz «Liberté et Patrie».
Die Geschichte oder vielmehr Namensgebung des Chasselas ist eine ebenso bewegte, wie es auch die Wogen des in der Herbstsonne so ruhig wirkenden Genfersees an einem stürmischen Tag sein können. Die vielen, nahezu weltweit verbreiteten Synonyme zeugen von seiner Beliebtheit und Anpassungsfähigkeit, es scheint beinahe, als ob er nicht nur im Glas, sondern auch sprachlich Versteck spielen wolle. Da gibt es Blanchette, Bois Rouge und Perlan im Waadtland selbst, Bon Blanc in der Savoie, Elba Toro, Franceset und Temprana in Spanien, Pinzutella auf Korsika, Shasia Belaya auf der Krim, Junker und Moster in Österreich…
«Chasselas ist wie Chanel – zeitlos, elegant, feminin, klassisch. Er wirkt bescheiden und birgt doch unglaublich viel Charakter und Kraft in sich.»
Chandra Kurt, Schweizer Wein-Autorin
Das erste Mal schriftlich erwähnt wird er 1539 als «Edeldraube» in dem «Kreutterbuch» des deutschen Botanikers Hieronymus Bock, und Gutedel wird er im deutschsprachigen Raum nach wie vor von vielen genannt. Ebenfalls weit verbreitet ist der Name Fendant, was einer besonderen Eigenschaft der Beeren geschuldet ist, die beim Drücken zwischen den Fingern nicht aufplatzen, sondern sich in zwei Hälften spalten. In gedruckter Form festgehalten hat diesen Namen erstmals der Schweizer Naturkundler Johann Bauhin im Jahr 1650, wenig später taucht dann endlich «Chasselas» beim Franzosen Nicolas de Bonnefons auf, in Anlehnung an das gleichnamige Dorf bei Mâcon im Burgund.
Wo aber keinesfalls sein Ursprung liegt! Ebenso wenig wie in Fayoumi in Ägypten oder in Konstantinopel, von wo er angeblich bereits 1523 mit dem französischen Gesandten nach Paris gereist sei. Nein, der neueste Stand der DNA-gestützten analytischen Erkenntnisse deutet einwandfrei auf den Genfersee hin. Von diesen sonnigen, steilen Ufern hat er sich verbreitet, dort gilt es ihn in seiner ganzen, von Böden, Terrain und menschlichem Engagement geprägten Vielfalt zu entdecken – und das sei Ihnen hiermit wärmstens empfohlen.
Rebgeschichte einer Sorte

Chasselas oder Fendant?
Bis ins 18. Jahrhundert war im Waadtland die Bezeichnung Fendant sowohl für die Reb-sorte als auch die Weine gebräuchlich, mit einer Reihe Varianten wie Fendant Vert oder Roux. Ab Anfang des 20. Jahrhunderts begann sich jedoch «Chasselas» durchzusetzen, und die Weine wurden nach ihrer Herkunft benannt, also etwa Dézaley, Féchy, Yvorne oder Aigle. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass das benachbarte Wallis um 1850 den Fendant sozusagen adoptiert und ein Jahrhundert später als Ursprungsbezeichnung geschützt hat.
Klassische Mariage: Papet Vaudois

Ein Eintopf aus dem Waadtland, der als immaterielles Kulturerbe anerkannt ist! Kartoffeln und Lauch werden mit Weisswein gekocht und mit Kabiswurst beziehungsweise Saucisse aux choux serviert.
Diese kaltgeräucherte Waadtländer Wurst-Spezialität wird aus Schweinefleisch und Weisskohl hergestellt, und zwar angeblich schon sehr, sehr lange, wobei nicht ganz klar ist, ob diese Praxis auf den Mangel an Fleisch zurückgeht. Auf alle Fälle zelebrieren die Waadtländer Metzger am ersten Freitag im Oktober die Journée du Papet Vaudois.
Dazu passt: Junger Chasselas aus dem Waadtland
In bodenständiger, einfacher Form stellt er genau die richtige Erfrischung zu dem ebenso bodenständigen Gericht dar, ergänzt mit unaufdringlichen Birnen- und Apfelnoten Weisskohl und Lauch aufs Feinste.
Neue Mariage: Falafel

Aller Chasselas-Liebe zum Trotz: Beileibe nicht alle Waadtländer Weine sind weiss, besonders nach Neuchâtel hin herrschen Pinot Noir und Gamay vor. Letzerer ist ein echter Food-Allrounder, begleitet etwa einen Thanksgiving-Truthahn mit allem Drum und Dran, aber auch mediterranes Streetfood wie Falafel.
Die frittierten Bällchen aus pürierten Kichererbsen werden mit frischen Kräutern wie Koriander und Petersilie gewürzt, dazu kommen der Duft von Kreuzkümmel und Kar-damom und cremig-nussige Tahini-Sauce aus Sesam. Alles zusammen im Pita-Fladenbrot serviert – den Gamay freut’s!
Dazu passt: Gamay aus dem Waadtland
Er glänzt so richtig bei all dieser duftenden, knusprigen, cremigen Vielfalt, bringt seine eigenen frischen Fruchtaromen mit und hält mit leichtem Gerbstoff genau die richtige Balance.