
Die Abruzzen liegen zwischen der Adria, dem Gran Sasso d’Italia und dem Majella-Massiv, wo sich drei Nationalparks und mehr als zehn nationale und regionale Naturreservate befinden. Die Region besteht aus zwei Zonen: dem bergigen Hinterland, das über 65 Prozent der gesamten Region ausmacht, und dem Küstengebiet mit seinem breiten Hügelstreifen.
Die Abruzzen sind für den Rebbau wie geschaffen: Von den Gipfeln des Apennin, die fast 3000 Meter erreichen, senken sie sich gegen Osten in Richtung Meer ab. Die Nähe zum Meer und zu den Bergen erzeugt Fallwinde und starke Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht, dazu kommen ausreichend Niederschläge während des Jahres und eine optimale Sonneneinstrahlung. Die rote Montepulciano als dominante Rebsorte wird auf rund 17 000 Hektar (von insgesamt 32 000 Hektar) in der gesamten Region angebaut. Die spätreifende Sorte ist ebenso die Basis von frischen und in Stahl ausgebauten Rotweinen wie von gereiften Riserva-Qualitäten. Je nach Ursprung auf kalkhaltigen, sandigen oder lehmigen Böden bringt die terroirempfindliche Rebsorte elegante, feinziselierte oder kraftvolle, fruchtbetonte Weine hervor. Auch die gute Ventilation der Rebberge trägt zum Facettenreichtum der produzierten Weine bei. Die Abruzzesische Pergola oder Tendone, die traditionelle Form der Reberziehung, dominiert immer noch 80 Prozent der Weinberge. Unter den neuen Systemen ist die Drahtrahmenziehung am verbreitetsten. Aber gerade die Pergola hat in Zeiten des Klimawandels ihre Vorteile, schützt sie doch die Trauben vor zu intensiver Sonneneinstrahlung und schafft unter dem beschatteten Rebdach ein spezielles Mikroklima.
Die Wurzeln des Weins
Die Abruzzen mögen auf den ersten Blick nicht wie ein Zentrum des italienischen Weinbaus erscheinen. Doch hinter den schroffen Bergen des Apennin, den sanften Hügeln und dem Meer verbirgt sich eine jahrtausendealte Weintradition. Bereits in der Antike war der Wein aus den Abruzzen geschätzt. Archäologische Funde belegen, dass die Etrusker und später die Römer hier Reben pflanzten. Die klimatischen Bedingungen – heisse Tage, kühle Nächte und fruchtbare Böden – machten die Region zu einem idealen Anbaugebiet. Der römische Autor Plinius der Ältere erwähnte sogar in seinen Schriften den «starken und tiefen Geschmack» der Weine aus dieser Gegend. Im Mittelalter übernahmen vor allem Klöster die Pflege der Weinberge. Mönche bewahrten nicht nur das Wissen um die Rebstöcke, sondern verfeinerten auch die Methoden der Weinbereitung. Der Wein diente als Zahlungsmittel, Handelsware und natürlich als liturgisches Getränk. Dennoch blieb der Weinbau in den Abruzzen über Jahrhunderte eine ländliche Angelegenheit – geprägt von bäuerlichen Strukturen.
Erst im 20. Jahrhundert begann sich das Bild allmählich zu ändern. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden Genossenschaften, die es kleinen Winzern ermöglichten, ihre Ernten gemeinsam zu verarbeiten und auf den Markt zu bringen. Das bedeutete einen gewaltigen Schub für die Produktion, allerdings oft auf Kosten der Qualität. Billiger Massenwein dominierte lange Zeit das Image der Region. Seit den 1980er Jahren setzte ein Umdenken ein. Junge Winzer, oft Nachkommen traditioneller Weinbauern, begannen, Qualität über Quantität zu stellen. Sie investierten in moderne Kellertechnik, reduzierten die Erträge und experimentierten mit biologischem Anbau. Besonders im Fokus: die autochthonen Rebsorten Montepulciano und Trebbiano d’Abruzzo. Der tiefrote Montepulciano d’Abruzzo, kräftig und würzig, entwickelte sich zum Aushängeschild – auch auf internationalen Märkten.
Heute stehen die Abruzzen für eine beeindruckende Balance aus Tradition und Innovation. Neben grossen Namen wie Masciarelli oder Valentini prägen zahlreiche kleine, ambitionierte Produzenten die Szene. Der Rebberg ist nicht nur Lebensgrundlage, sondern Ausdruck einer kulturellen Identität, die tief in der Landschaft verwurzelt ist. In einer Zeit, in der Authentizität und Herkunft für Weinliebhaber wichtiger werden, haben die Abruzzen ihren festen Platz gefunden – als Region mit Geschichte, Charakter und einem unerschöpflichen Potenzial in jeder Flasche.

Das Modell Abruzzo
Mit dem Jahrgang 2023 wurde – um die Identität des regionalen Weinbaus zu stärken – vom Consorzio Tutela Vini d’Abruzzo das «Modell Abruzzo» eingeführt: Die fünf bestehenden DOCs – Montepulciano d’Abruzzo DOC, Trebbiano d’Abruzzo DOC, Cerasuolo d’Abruzzo DOC, Abruzzo DOC (zu dem auch Weine aus den einheimischen Sorten Pecorino, Passerina, Coccociola und Montonico gehören) und Villamagna DOC – wurden durch ein einziges IGT-Label (IGT Terre d’Abruzzo) ergänzt. Zusätzlich wurde das Label Superiore für die vier regionalen Bezeichnungen geschaffen: Seit 2023 werden die Bezeichnungen Riserva und Superiore mit den Provinzbezeichnungen Colline Teramane, Colline Pescaresi, Terre de L’Aquila und Terre di Chieti kombiniert. Für Montepulciano d’Abruzzo wurde die Unterzone San Martino sulla Marruccina etabliert. «Dies erleichtert die Werbung und Kommunikation, da die verschiedenen Produktionsgebiete auf den Märkten, insbesondere im Ausland, deutlich besser erkennbar sind und die Kombination aus Wein und Terroir weiter gefördert wird. Andererseits schafft die Einführung der einheitlichen Marke IGT Terre d’Abruzzo mit Bezug auf das klar definierte Gebiet, das die bisherigen acht ersetzt, ein starkes regionales Image und beseitigt die derzeitige, wenig ausgeprägte Fragmentierung», erklärt Alessandro Nicodemi, Präsident des Consorzio Tutela Vini d’Abruzzo.
Abruzzo DOC
Die Bezeichnung Abruzzo DOC wurde 2010 eingeführt, um die wichtigsten einheimischen Rebsorten der Region, insbesondere Pecorino und Passerina, zu schützen und zu fördern. Pecorino ist eine alte Rebsorte, die wohl von den Griechen nach Italien gebracht wurde: Erste Erwähnungen stammen aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus. Charakteristisch für Pecorino sind die frühe Reifung der Trauben und die geringen Erträge (was dazu führte, dass sie in den 1980er Jahren fast ausgestorben war). Passerina ist einer der am weitesten verbreiteten und beliebtesten Weissweine im Adriaraum und wird aus der gleichnamigen Rebsorte hergestellt. In den Abruzzen profitiert er vom Einfluss des Meeres und ergibt einen frischen Wein, nicht sehr strukturiert, aber mit einer feinen Aromatik.
Villamagna DOC
Villamagna DOC ist die jüngste Appellation der Abruzzen und wurde erst 2011 anerkannt. Ihre Basis ist Montepulciano von Rebbergen zwischen den Orten Chieti und Tollo und rund um die Gemeinde Villamagna. Die Produktionsrichtlinien sind strenger als beim Montepulciano d’Abruzzo DOC.