Das neue Burgenland

Wo Weinurlaub neu gedacht wird

Text: Ulrike Palmer, Foto: OeWM / WSNA, z.V.g.

Das Burgenland macht sich locker. Lange galt die Region als echter Geheimtipp für ein-gefleischte Weinfans und Radurlauber mit Hang zur Thermen-Ruhe. Doch inzwischen hat sich zwischen Neusiedlersee, Leithaberg und Eisenberg ein ganz neuer Geist breitge-macht – leiser, lässiger, nachhaltiger.

Wein wird hier nicht mehr nur verkostet, sondern inszeniert – und zwar nicht als Spektakel, sondern als leise Einladung zum Mitfühlen. Beim Picknick im Weingarten, beim Radeln durch Rebreihen, beim vom Winzer begleiteten Slow-Food-Dinner. Viele Betriebe setzen auf biologische Landwirtschaft, öffnen ihre Keller für intime Konzerte oder Filmnächte und laden zu Spaziergängen ein, bei denen man nicht nur Rebsorten, sondern auch Denkweisen kennenlernt. Besonders die junge Generation sorgt für frischen Wind. Viele sind nach Wanderjahren im Ausland zurückgekehrt – mit einem Rucksack voller Ideen und dem Wunsch, ihre Heimat neu zu interpretieren. Statt «Busladung rein, Acht-Weine-Flight, Busladung raus» geht es heute um Atmosphäre, Austausch und echte Erlebnisse. Immer mehr Winzer bieten thematische Verkostungen für Einsteiger, Sensorik-Workshops für Fortgeschrittene und geführte Weintouren mit kleinen Gruppen. Auch für Familien gibt es passende Formate – etwa Weingutbesuche mit Naturerlebnispfad und Saftverkostung für die Kleinen. Eine ideale Einstiegsmöglichkeit für Neugierige: die Gemeinde Illmitz am Rand des Nationalparks Neusiedler See – Seewinkel. Hier starten regelmässig geführte Wein- und Naturtouren, bei denen man vom Salzlakenbiotop direkt in die Kellergasse gelangt, Fernglas, Jause und Weinglas inklusive. Wer mag, verlängert den Nachmittag auf einem der vielen Liegestühle mit Blick über die pannonische Tiefebene. «Wein ist für uns kein Produkt, er ist unser Ausdruck», sagt Anna Weber aus dem Südburgenland, die ihre Gäste mitnimmt auf Rebwanderungen bei Sonnenuntergang. «Wer bei uns probiert, soll auch spüren, wie wir arbeiten.» Und genau das zieht an. Der Wein wird zum Erzähler, der Boden zum Bühnenbild, der Winzer zur Hauptfigur einer Geschichte, die man mit allen Sinnen erleben kann und die man gerne weitererzählt. So entsteht ein Tourismus, der nicht konsumiert, sondern verbindet. Und das Burgenland? Wächst still und stetig zum Lieblingsziel jener, die Wein nicht nur trinken, sondern wirklich verstehen wollen.

Winzer mit Haltung: Gastgeber, Gestalter, Genussvermittler

Sie sind das Rückgrat dieses Wandels: die Winzerinnen und Winzer, die das Burgenland heute so besonders machen. Für sie ist völlig klar: Keine Show, keine gestylte Fassade, stattdessen offene Türen, echte Gespräche und ehrliche Produkte. So erreicht man neue Kunden, aus denen dann auch echte Freunde werden können. Es geht um authentische Erlebnisse, zu denen neben der Landschaft und der kulinarischen Genüssen auch die Gebäude gehören. Josef Umathum, Winzer aus Frauenkirchen, bringt es auf den Punkt: «Beim Bauen suche ich stets nach der Verbindung zu unserer Region und Geschichte. Historisch gesehen bildeten am Ortsrand die «Stadl» den Abschluss der Dörfer, und dann gab es Bäume und Sträucher als Übergang zum weiten Land. Das haben wir hier genauso abgebildet», hat er es einmal in einem Interview gesagt. Sein Weingut zählt zu den führenden biodynamischen Betrieben im Burgenland. Er arbeitet nach Demeter-Richtlinien, setzt auf alte Rebsorten wie Lindenblättriger und fördert aktiv Biodiversität im Weingarten. Klar, dass da auch sein Weingut kein uniformer Neubau sein kann. Aber Josef Umathum geht auch innovative Wege: Er setzt auf PIWI-Rebsorten, also pilzwiderstandsfähige Neuzüchtungen, die den Pflanzenschutz drastisch reduzieren. Mit einer neuen Serie von PIWI-Weinen wagt er einen Blick in die Zukunft des Weinbaus. Denn Tradition und Innovation sind im Burgenland keine Gegensätze. Sie ergänzen sich wo es sinnvoll ist.

Immer mehr Betriebe schliessen sich zu lokalen oder regionalen Netzwerken zusammen, um gemeinsam Kulturveranstaltungen, offene Kellertage oder nachhaltige Infrastrukturprojekte zu stemmen. In Foren und Arbeitskreisen diskutieren sie den Einfluss des Klimawandels, neue Begrünungskonzepte oder den Anbau robuster Rebsorten. Was früher als Einzelkämpfertum galt, entwickelt sich zu einer solidarischen Bewegung mit Haltung. Und diese offene Haltung teilen viele: ob Naturwein-Tüftler im Seewinkel, biodynamisch arbeitende Familienbetriebe rund um den Neusiedler See oder engagierte Quereinsteiger am Leithaberg. Was sie verbindet, ist ein Gefühl für das, was wirklich zählt: Qualität, Klarheit und ein Tourismus, der mehr will als Likes auf Social Media Plattformen.

Genuss mit Tiefgang: Rad, Regionalküche, Rebenpower

Wer durchs Burgenland reist, merkt schnell: Hier geht alles ein bisschen entspannter zu. Vor allem, wenn man aufs Rad steigt. Das Wegenetz ist wie gemacht für genussvolle Touren, ganz gleich ob mit Muskelkraft oder E-Bike. Unterwegs: Weinkeller, Hofläden, kleine Cafés. Und immer wieder dieser Blick über sanfte Hügel, Seeufer, Sonnenuntergänge. Radelnde Gäste sind willkommen, denn viele Weingüter haben Lademöglichkeiten, Picknick-Angebote, Winzerjause am Rebhang. Und wer dann abends einkehrt, wird kulinarisch belohnt. Die Küche ist ehrlich, regional und überraschend vielseitig: Kürbiskernöl trifft Ziegenkäse, Mangalitza-Schwein wird modern interpretiert, Wildkräuter landen auf der Bio-Pizza. Slow Food ist hier keine Bewegung, sondern Alltag. Im Gut Oggau etwa kommt auf den Teller, was gerade im Garten wächst und zum Wein passt, der nebenan im Holzfass ruht. Kein Menü, kein Chichi. Dafür Herz, Herkunft und Geschmack mit Haltung. Ähnlich konsequent denkt auch Peter Heimlich Müller in Gols. Der ehemalige Stadtkoch mit Hang zur Naturküche hat sich in einem alten Wirtshaus mit offener Showküche niedergelassen – seine Wiesenmenüs bestehen fast ausschliesslich aus dem, was im Umkreis von fünf Kilometern wächst. «Ich will keine Speisekarte, ich will eine Momentaufnahme», sagt er. «Der Wein inspiriert, die Natur diktiert – das ist mein Konzept.» So steht es auch auf seiner Website. Katharina Reif, die in Breitenbrunn eine ehemalige Mühle in ein Slow-Food-Wirtshaus verwandelt hat, kocht ebenfalls mit einem vergleichbaren, klaren Stil.

«Bei mir gibt’s kein Filet und kein Convenience», sagt sie. «Dafür aber Linsen mit Uhudlerreduktion und ein Dessert mit eingelegten Dirndln (= Kornelkirschen), das meine Grossmutter erfunden hat.» Ihre Gäste sitzen an langen Holztischen, oft zusammen mit den Winzern, die die Weine bringen – und manchmal gleich auch die Geschichten dazu. Immer mehr Radrouten kombinieren nun Kulinarik mit Natur. Der Weinfrühling am Neusiedler See lädt im April und Mai zu Blütenwanderungen mit Jungweinverkostung. Im Herbst locken Erntetouren mit Zwischenstopps an Presshäusern, wo Sturm, Kastanien und Musik warten. Genuss und Bewegung – nirgends gehen sie so locker Hand in Hand wie hier.

Kultur, Keller und Charakter: Ein Gesamterlebnis

Und dann ist da noch die Kultur. Klar, es gibt die grossen Klassiker wie die Seefestspiele in Mörbisch, die Oper im Steinbruch St. Margarethen. Aber daneben wachsen neue Formate: Jazzabende im Weinkeller, Lesungen zwischen Barriques, Filmnächte mit Naturwein-Begleitung. Man feiert nicht laut, sondern stimmungsvoll. Und das Publikum? Ist bunt gemischt, genauso wie der Wein. Zahlreiche Weingüter haben ihre alten Presshäuser und Kellergewölbe zu kleinen Bühnen umfunktioniert. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Kulturveranstaltung, Verkostung und geselligem Beisammensein. Wer hierher kommt, wird Teil einer Atmosphäre, in der Musik, Gespräche und Wein ganz selbstverständlich ineinandergreifen. Immer häufiger kooperieren Weingüter mit Künstlern der Region: Installationen zwischen den Reben, Musik-Walks mit Stopps in der Natur, Literaturtage in alten Fasslagern, kurzum: Alles kann, nichts muss.  Das Burgenland hat sich in den letzten Jahren leise, aber konsequent neu erfunden. Nicht als hippe Event-Region, sondern als Ziel für bewusste Geniesser.

Menschen, die lieber mit dem Winzer plaudern als am Hotelbuffet anstehen. Die Regionalität nicht als Schlagwort sehen, sondern als Einladung. Die im Urlaub nicht abschalten, sondern neu hinschauen wollen. Hier wird Urlaub nicht konsumiert, sondern mitgestaltet durch Neugier, durch Begegnung, durch gemeinsame Erlebnisse. Und genau darin liegt die grosse Stärke des Burgenlands: Die Region hat es geschafft, Wein, Landschaft, Kulinarik und Kultur zu verweben – nicht als touristisches Konzept, sondern als gelebte Werte. Jeder Besuch ist anders, weil jeder Betrieb, jeder Winzer, jeder Gastgeber eine eigene Geschichte mitbringt. Es ist ein sanfter Tourismus, der den Blick öffnet und das Herz berührt.

Was bleibt nach einem Streifzug durch das neue Burgenland? Das untrügliche Gefühl: Hier passt alles zusammen. Die Landschaft. Die Menschen. Der Wein. Und ein Tourismus, der den Gästen das gute Gefühl gibt, Teil von etwas Echtem zu sein.