Ein Pionier und seine Enkel

Gloria/Saint-Pierre

Mit Jean Triaud

Henri Martin ist eine legendäre Figur im Médoc und einer der Pioniere des modernen Bordeaux. Die beiden von ihm aufgebauten Kultweingüter in Saint-Julien sind bei seinen Erben gut aufgehoben.

Bordeaux mag weiter unter dem Ruf leiden, eine elitäre Weinregion zu sein: In Wahrheit hat sie sich längst demokratisiert, ist weltoffener, jünger geworden. Ich hoffe, ich stehe als lebender Beweis vor Ihnen! Glauben Sie mir: Bordeaux ist nicht allein die Hochburg teurer Weine und steinreicher Investoren. Hier werden auf hohem technischem Niveau auch viele enorm preiswerte Weine erzeugt, von Leuten, die mit besonderer Leidenschaft arbeiten. Weder Saint-Pierre noch Gloria gehören zu den teuersten Weinen ihrer Klasse, trotz ihres hervorragenden Rufs, ihrer exzellenten Qualität. In puncto Weinbau und Kellertechnik bleibt Bordeaux weltweit führend und innovativ. Kein Spitzengut kann es sich heute leisten, sich nicht für biologischen Anbau zu interessieren. Wir haben uns 2021 dafür entschieden. Ich stehe dazu, selbst wenn das mit finanziellen Risiken oder Ertragseinbussen verbunden sein sollte.

Wir erleben heute die zweite Bordelaiser Weinrevolution. Die erste wurde von Pionieren wie meinem Grossvater getragen, der die «Domaines Henri Martin» ins Leben gerufen hat, gebildet aus den Châteaux Gloria und Bel Air Gloria sowie dem Cru Classé Château Saint-Pierre. Ich umsorge mit meiner Mutter Françoise und meiner Schwester Vanessa diese Güter. Wir sind und bleiben ein Familienunternehmen, in dem auch meine Gattin mitwirkt.

Die Martins stammen aus Saint-Julien Beychevelle, wo wir bis heute unseren Sitz haben, und sind seit Generationen im Weinbau tätig. Reben besassen sie nicht. Doch mein Grossvater glaubte an die Renaissance des Weinbaus, selbst während der Krisenjahre. Er erwarb zwischen 1930 und 1960 jede Rebzeile grosser Terroirs in Saint-Julien, die er sich leisten konnte, und schuf so Château Gloria. Der Kauf von Saint-Pierre setzte seiner Karriere die Krone auf.

Ich wurde 1983 geboren. Henri Martin hat uns 1991 verlassen. Ich habe ihn daher nur als verschmitzten alten Mann gekannt, der mich auf den Knien schaukelte und nie um einen Scherz verlegen war. Ich habe mir sagen lassen, er habe auch ganz schön viel Charakter gehabt. Ich denke, schaffen, was er geschafft hat, geht nicht ohne!