
Nördlich der Alpen, im deutschsprachigen Wein-Kulturraum, ist die Traubensorte das wichtigste Unterscheidungskriterium im Sortiment eines Winzers. Dummerweise werden immer mehr Sorten angebaut. Die Konsumenten haben längst den Überblick über diesen Wahnsinn verloren. Neue Lösungen sind gefragt!
Okay, bei gewissen Sauvignon Blanc ist man vielleicht dankbar, wenn die Sorte auf dem Etikett steht. Denn falls der Wein ein bisschen nach «Pipi de Chat» riecht, kann der Kenner davon ausgehen, dass dieses Düftchen nicht davon kommt, dass ihm eine Katze ins Glas gepinkelt hat, während er auf der Toilette war… Auch bei Riesling, Chardonnay oder Pinot Noir weiss der Konsument, was er erwarten darf, wenn er eine Flasche entkorkt, auf der einer dieser Sortennamen prangt. Aber bei den über 2000 Rebsorten, die heute weltweit angebaut werden, sind das nur die löblichen Ausnahmen, welche die Regel bestätigen, nämlich dass die Orgie an Traubensorten den Konsumenten mehr und mehr verwirrt und letztlich verkaufshemmend wirkt. Ich habe schon Winzer gesehen, die ins Schwitzen kamen, wenn sie ihrem Kunden in einem Satz erklären sollten, wie genau sich denn nun ihr Weissburgunder vom Grauburgunder unterscheide. Auch Carménère und Merlot oder Malbec und Petit Verdot sind selbst von Fachleuten nicht immer klar auseinanderzuhalten. Ganz zu schweigen von neuen, pilzresistenten Sorten wie Souvignier Gris, Johanniter oder Sauvignac.
Es gibt kaum ein anderes Genussmittel, bei dem die Sorte so zentral thematisiert wird wie beim Wein. Schwarz- und Grüntees kommen fast ausschliesslich vom gleichen Teestrauch, dem Camellia sinensis, beim Kaffee dreht sich fast alles um die zwei Sorten Arabica und Robusta, Schokolade wird mehrheitlich aus vier verschiedenen Kakao-Sorten gewonnen. Bei allen diesen Genussmitteln ist der Ort, wo die Frucht gewachsen ist, viel bedeutender, ja das entscheidende Differenzierungskriterium. Und eigentlich müsste das auch beim Wein so sein, gilt er doch als das Elixier, das sein Terroir am subtilsten auszudrücken vermag. In den latinisch geprägten Weinbauregionen in Frankreich oder Italien, die bis heute unsere Weinkultur formt, folgen die Winzer bis heute konsequent dem Prinzip des Terroirs. Im Burgund sind die Traubensorten Chardonnay und Pinot Noir vom Etikett verbannt, man findet da einzig Hinweise zur Region, dem entsprechenden Weinbaudorf oder dem einzelnen Rebberg. In Bordeaux oder dem Rhônetal ist es genauso. Und auch in Italien trinken wir nur Barolo, vielleicht aus einer Unterzone oder gar einem Vigna, der Name der Rebsorte Nebbiolo taucht dagegen nicht auf.
Lieber «SoHo» als Solaris aus dem Holzfass
Nur in Deutschland, der Schweiz und Österreich sowie in der Neuen Weinwelt packen die Winzer die Sache von der anderen Seite an und nutzen die Rebsorte als entscheidendes Differenzierungsmerkmal. Und weil in der Schweiz, aber auch in Deutschland immer wieder neue Sorten angepflanzt werden, läuft die Sache allmählich aus dem Ruder. Das Sortiment der Winzer wächst und damit die Verwirrung der Konsumenten. Ein kluger Kopf hat mal gesagt, dass der An- und Ausbau eines Weines nichts anderes als eine Reise sei, die vom Ursprung, dem Rebberg, bis zum fertigen Wein in der Flasche führe. Die Sorte habe dabei lediglich die Funktion des Transportmittels. Wenn wir Menschen reisen, sprechen wir gerne vom Ort, wo wir herkommen, und vom Ort, wo wir hingehen. Auch die Abenteuer, die wir unterwegs erleben, sind wichtig. Gänzlich unwichtig ist hingegen, mit welcher Automarke, welchem Zugtyp oder welchem Flieger wir unterwegs waren.
Wenn wir heute durch die Newsportale im Internet surfen, entscheiden wenige Sekunden, ob wir irgendwo hängen bleiben oder weiterscrollen. Auch im Genussbereich müssen die Produkte ihre Message schnell, kurz und bündig rüberbringen. Hinweise auf Rebsorten, die niemand kennt, sind nicht zielführend. Mein Tipp: Topweine sollten strikt nach Ursprung (Gebiet, Dorf, Lage) vermarktet werden. Bei Basisweinen sind kreative Wortschöpfungen erfolgversprechender als Traubensorten. Der «Fabelhaft» aus dem Hause Niepoort ist immer vermeintlich fabelhaft, egal welche Rebsorten drin sind. Auch der Name «Nobler Weisser» von Nadine Saxer in Zürich wirkt attraktiver als der Müller-Thurgau, der in der Flasche steckt. Und die Marke funktioniert auch dann noch, wenn sie mal die Traubensorte wechselt. Und bei Teresa Deufel am bayerischen Teil des Bodensees gibt’s den «SoHo». Das Kürzel steht für pilzresistenten Solaris aus dem Holzfass. Aber so genau wollen es die Kunden meist nicht wissen. «SoHo» verspricht mehr Spass!
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