Birte Janzen über die pastellene Provence-Stilistik
Swimmingpool-Rosé
Text: Birte Janzen

Sie ist hellrosa, erfrischend, relativ geschmacksneutral und dominiert weltweit fast das gesamte Rosé-Segment: die pastellene Provence-Stilistik. Seit Régine Sumeire 1985 den Stil in Saint-Tropez in Mode brachte, wurde er zur Stilikone und hat die ganze Welt erobert. Fluch oder Segen?
Es ist schon über zehn Jahre her, aber ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen. Auf Entdeckungsreise in Tavel, im südlichen Rhônetal, auf dem Weingut Château de Manissy, stand ich vor einem Regal, bestückt mit Roséflaschen aus einer anderen Zeit, und fragte neugierig: «Darf man probieren?» Und schon landete ein dunkler, über zehn Jahre alter Rosé in meinem Glas, köstlich, komplex, mit kandierten Noten von Quitte, Aprikose, Erdbeere und Gewürzen wie Safran, Curry und Lebkuchen. Ein geschmackliches Wunderwerk und eine Offenbarung, jedoch schon damals von Seltenheitswert.
Heute noch seltener geworden, hat sich das Rosé-Segment in das genaue Gegenteil verwandelt: hellrosa und meist von kurzer Lebensdauer. Eine Revolution, deren Ursprung in der Provence liegt. Als die Winzerin Régine Sumeire vor 40 Jahren auf ihrem Weingut Château Barbeyrolles, im Örtchen Gassin, den ersten hellen Rosé abfüllte, hätte sie es sich nicht träumen lassen, dass er die gesamte Rosé-Stilistik revolutionieren würde. Die bis dahin überwiegend farbigen, strukturierten, komplexen und lagerfähigen Rosés wurden meist entweder durch das Saignée-Verfahren oder durch mehr oder weniger lange Maischestandzeit gewonnen. Es waren wunderbare Essensbegleiter, aber es fehlte in dem Rosé-Segment ein leichter, sommerlicher Gegenspieler. So beschloss Régine, mit Hilfe und Rat eines guten Bekannten aus Bordeaux, dunkle Trauben direkt zu pressen, ohne Maischestandzeit, um einen zartrosa Wein von filigraner Aromatik zu erhalten. Sie nannte ihn «Pétale de Rose», Rosenblatt. Handwerklich hergestellt, so wie sie es heute noch immer macht, hatte er im nahe gelegenen Saint-Tropez sofort einen durchschlagenden Erfolg. Der Stil wurde schnell von anderen Winzern kopiert und gewann so viel Zuspruch, dass der Winzerverein der Provence, der CIVP, 1999 das Zentrum des Rosé gründete, gewidmet der Recherche, dem Weinbergsmanagement und den Kellertechniken rund um die hellrosa Stilistik. Sie wurde zum absoluten Markenzeichen der Provence und macht heute, auf ihren gut 27 500 Hektar, um die 90 Prozent der Produktion aus. Seither opportunistisch von so ziemlich jeder anderen Rosé-produzierenden Region kopiert, gibt es vom Südpol bis zum Nordpol mittlerweile fast nichts anderes mehr. Und egal von welcher Marke, ähneln sich die meisten inhaltlich und visuell wie eineiige Zwillinge, als wäre hellrosa das einzige und alleinige Markenzeichen für Rosé-Qualität. Alles Dunklere wird von Winzern, Maklern und häufig auch Konsumenten verschmäht oder gleich in vielen AOPs als untypisch oder nicht AOP-würdig abgestempelt und zum IGP oder Tafelwein degradiert. Selbst Tavel, eine dem Rosé gewidmete und bereits 1936 gegründete Appellation, kommt mit ihren wundervollen, fröhlich farbigen, charakterstarken Rosés auf keinen grünen Zweig mehr. Das ist äusserst bedauerlich.
Farbe und Qualität sind zwei verschiedene Dinge
Das Kafkaeske daran ist: Beurteilt man die Qualität von Rot- und Weissweinen, sind Stilistik, Komplexität und Terroir ausschlaggebend. Würde man sie nur nach Farbe beurteilen, gäbe es einen berechtigten Aufschrei. Warum also diese Fixierung auf Farbe beim Rosé? Vielleicht weil sie die Illusion von Leichtigkeit und Frische evoziert. Manche Weingüter arbeiten handwerklich so schlicht und natürlich wie Régine Sumeire und schaffen es, die helle Farbe mit kristalliner Komplexität zu verbinden. Aber bei der absoluten Mehrheit der hellen Rosés gilt: je heller die Farbe, desto technischer der Wein. Und je technischer der Wein, desto weniger Aromen und Lagerpotenzial. Terroir und Individualität ade. Natürlich: Am Ende eines heissen Tages ein Glas von solch einem leichten Rosé zu geniessen gehört zu den Freuden des Sommers. Es muss ja nicht immer komplex und herausfordernd sein. Aber musste gleich die ganze Welt der Provence nacheifern?
Rosé könnte so viel diverser, amüsanter und spannender sein und es Liebhabern erlauben, genau wie mir vor gut zehn Jahren, vor einem Glas Rosé ins Träumen zu geraten. Häufig hört man, Rosé sei gar kein richtiger Wein oder zumindest kein ernstzunehmender. Meine Antwort darauf ist: «Absoluter Blödsinn!» Es gibt so viele tolle farbige Rosés, zum Beispiel in Bandol, Bellet und Tavel, und Winzer, die sich hie und da trauen, dem Hellrosa-Diktat den Rücken zu kehren. Sie beweisen zweifellos: Rosé ist genauso ein spannender Wein wie alle anderen Weine auch!
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