Grosse Weine zwischen Adria und Gran Sasso

Die Düfte der Abruzzen

Text: Christian Eder, Fotos: z.V.g.

Lange Zeit war nur der fruchtige rote Montepulciano d’Abruzzo das Aushängeschild der mittelitalienischen Region. Seit einigen Jahren machen allerdings die würzigen Bianchi der Abruzzen immer mehr von sich reden. Und auch der blumige Cerasuolo d’Abruzzo spielt in der italienischen Rosato-Oberliga.

Zwischen den schneebedeckten Gipfeln des Apennins und dem tiefen Blau des adriatischen Meeres liegt ein grüner Ozean, befüllt mit Rebbergen, Olivenhainen, Getreidefeldern und Wäldern. Tausende kleine Weinbauern bewirtschaften hier meist nur ein paar Hektar grosse Betriebe. Für sie ist der Weinbau oft nur ein Teil der landwirtschaftlichen Mischwirtschaft, die auf Getreide, Gemüse, Olivenölproduktion und Viehwirtschaft fusst.

Das macht aber nur einen Teil der Vielfalt der Region Abruzzen aus: Eingebettet zwischen den Sandstränden der Adria und den Gipfeln der Majella und des Gran Sasso kann man hier an 130 Kilometern Küste genauso gut in den Wellen planschen wie nach einer Stunde Fahrt auf Skipisten jenseits der tausend Meter zu Tal wedeln. Dazu kommt eine jahrtausendealte Geschichte mit pittoresken Städten wie L’Aquila, Sulmona, Loreto Aprutino, Ortona oder Vasto. Nicht zu vergessen, eine Küchentradition, die das Beste aus Meer und Bergen vereint: frischer Fisch von den Trabocchi, den hölzernen Fischfangplattformen entlang der Küste, und Brodetto, die Fischsuppe aus Vasto, auf der einen Seite Spaghetti alla Chitarra – hauchdünn wie Gitarrensaiten geschnittene Nudeln – und der Schafskäse Pecorino oder Arrosticini auf der anderen. Letzteres sind kleine Spiesschen aus Schaffleisch, die es fast an jeder Strassenecke gibt. Sie erinnern an eine lange Tradition: Einst trieben Schafhirten ihre Tiere aus dem Lazium über die Berge auf die Sommerweiden in den Abruzzen.

Zu den Arrosticini passt übrigens hervorragend ein Cerasuolo d’Abruzzo, die Rosé-Version der Montepulciano- Traube. Die Trauben werden hier nur ein paar Stunden auf den Schalen belassen, bevor sie abgepresst werden. Mit seiner frischen Säure und doch auch Struktur ist dieser Rosé ein hervorragender Essensbegleiter. Cerasuolo d’Abruzzo DOC war 2010 die erste Ursprungsbezeichnung in Italien, die ausschliesslich einer Rosé-Typologie gewidmet war.

Rebberge sind in den Abruzzen allgegenwärtig: Sie erstrecken sich in einer fruchtbaren, hügeligen Landschaft entlang von Flusstälern von den Hängen des Apennins im Westen bis ans Meeresufer. Die lehmig-kalkhaltigen Böden – oft auch mit sandigen Komponenten – bilden die Basis von Weiss-, Rosé- und Rotweinen. Die West-Ost-Ausrichtung der Täler fördert zusätzlich die Ventilation, und die starken Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht sorgen für die Frische.

Die Abruzzesische Pergola oder Tendone, die traditionelle Form der Rebziehung, dominiert mehr als drei Viertel der Weinberge. Gerade die Pergola besitzt in Zeiten des Klimawandels einen grossen Vorteil: Unter dem schützenden Blätterdach können die Trauben gleichmässig ausreifen. «Die Trauben», das sind vor allem 17 000 Hektar, die mit Montepulciano bestockt sind, dem Platzhirsch in den Rebbergen der Abruzzen.

Die spätreifende rote Rebsorte ist ein Hansdampf in allen Gassen: Sie kann ebenso die Basis eines frischfruchtigen Rosato, des Cerasuolo, wie die eines fruchtigen Jahrgangstrinkweines sein. Und dann gibt es noch die Spitzenklasse der Riservas und Selektionen, die mit zum Besten gehören, was Italien an Rosso zu bieten hat. Zwar wird in den Abruzzen noch immer Fassware produziert, die auch ausserhalb der Region abgefüllt werden darf, aber der gute Ruf der Abruzzen hat vor allem mit den Weinen aus kontrollierten Ursprungsbezeichnungen zu tun, von IGP über DOC bis zu DOCG.

Der Goût de Terroir

Innerhalb der Anbaugebiete der Abruzzen liegen Regionen, die einen speziellen Gusto des Terroirs aufweisen. Um die unterschiedlichen Aspekte von Montepulciano und anderen Rebsorten herauszuarbeiten, hat das Winzerkonsortium der Abruzzen daher Unterzonen geschaffen, die auf die territoriale Typizität Rücksicht nehmen: Alto Tirino, Casauria, Teate, Terre dei Peligni und Terre dei Vestini.

«Fast jedes Tal unterscheidet sich vom anderen in Bodenstruktur und Mikroklima.»

Gianni Masciarelli, Pionier des Weinbaus in den Abruzzen

«Unendlich viele verschiedene Terroirs findet man in den Abruzzen», sagte bereits Gianni Masciarelli, einer der Pioniere des Weinbaus in den Abruzzen, «fast jedes Tal unterscheidet sich vom anderen in Bodenstruktur und Mikroklima. » In seinen Weinen versuchte er, diesem Goût de Terroir Rechnung zu tragen. Nach seinem frühen Tod führen seine Witwe Marina Cvetic und seine Tochter Miriam das Gut, aber an der Philosophie hat sich nichts geändert: Weine zu kreieren, in denen man die Abruzzen wiedererkennt.

Wie zum Beispiel bei der Riserva Villa Gemma: Dieser reinsortige Montepulciano stammt von lehmig-kalkhaltigen Böden in einer Einzellage nahe der Kellerei in der Gemeinde San Martino sulla Marrucina in 400 Metern Meereshöhe. Im Jahrgang 2019 überzeugt er mit viel Beerenfrucht, balsamischen Komponenten, seiner gut strukturierten und doch eleganten Machart, sowie dem Alterungspotenzial. Von vier Lagen in San Martino sulla Marrucina stammt auch der ausgewogene Montepulciano d’Abruzzo DOC Riserva Marina Cvetic 2020, der dem Villa Gemma kaum nachsteht. Der Montepulciano d’Abruzzo DOC Riserva Iskra 2020 hingegen wird in einem in 200 Metern Meereshöhe gelegenen Rebberg in Controguerra in der Provinz Teramo im Norden produziert: in der Nase fruchtig-würzig, rote Beeren und balsamische Nuancen, die Gerbstoffe und die Säure in perfekter Balance, endet lang und finessenreich. Und dann gibt es noch den Montepulciano d’Abruzzo DOC Gianni Masciarelli 2021 aus Rebbergen bei Loreto Aprutino in der Provinz Pescara in 250 Metern Meereshöhe: Nach dunklen Beeren duftend, vereint er viel Fülle und Saft mit grosser Geschmeidigkeit. Nicht zu vergessen der Montepulciano d’Abruzzo DOC Chiamami Quando Piove 2020 vom ebenfalls zum Masciarelli-Imperium gehörenden biologisch produzierenden Weingut Vini Valori. Die Trauben wachsen in der Vigna Sant’Angelo bei Sant’Omero in der Provinz Teramo: Mit seiner Samtigkeit und frischen Frucht ist er eine weitere Interpretation der Rebsorte, die die Eleganz vieler Weine aus Teramo betont.

Für Marina Cvetic sind gerade diese Interpretationsmöglichkeiten der Montepulciano-Traube ihr Erfolgsgeheimnis: «Ich denke, die Zukunft des Montepulciano d’Abruzzo ist mit Territorialität und Einzigartigkeit verbunden: Wir versuchen, die Gebiete der verschiedenen Provinzen mit authentischen Weinen aus jedem Gebiet am besten zu interpretieren und zu repräsentieren.»

«Ich denke, die Zukunft des Montepulciano d’Abruzzo ist mit Territorialität und Einzigartigkeit verbunden.»

Marina Cvetic, Weingut Masciarelli

«Wir konnten in den vergangenen Jahren mit der Einführung der Unterzonen und der Ursprungsbezeichnung Terre d’Abruzzo einen neuen Qualitätsstandard etablieren», sagt auch Alessandro Nicodemi, der mit seiner Familie Besitzer des Weingutes Bruno Nicodemi in der Provinz Teramo und seit vier Jahren Präsident des Consorzio Vini d’Abruzzo ist. Denn nicht nur etablierte Grössen wie Nicodemi, Illuminati La Valentina, Emidio Pepe, Masciarelli oder Valentini stehen heute für die Qualität der Abruzzen, sondern auch immer mehr junge Winzer demonstrieren die Vielfalt des Anbaugebietes.

Die Provinz Chieti

Weisse Rebsorten haben eine lange Tradition in den Abruzzen, vor allem in der Provinz Chieti, die den südöstlichen Teil der Region einnimmt. Zwei Drittel der Rebfläche der Abruzzen sind hier konzentriert, meist entlang von Flusstälern, die sich in West-Ost-Richtung von den Bergen hin zur Adria erstrecken.

Trebbiano ist unter den Weissen der unumschränkte Star, aber auch Pecorino, Passerina, Montonico oder Cococciola sind im Gefolge eines Weissweinbooms in Italien zunehmend von Bedeutung.

Auf der Tenuta Olivia von Alessandro Arosio und Isaia Corna gedeihen sie auf 45 Hektar Flussschwemmböden mit sandigen Komponenten in der Gemeinde Casalbordino nahe dem Meer, die den Weinen eine salzige Mineralität verleihen.

Die Tenuta Olivia wurde 2019 aus der Taufe gehoben, 2023 kamen die ersten Weine auf den Markt: Wie der Terre di Chieti IGP Pecorino 2022, der, so Isaia, «nach Sommer duftet», nach Jasmin und Passionsfrucht und Schalen von Grapefruits. Er eignet sich hervorragend als Aperitif und passt überdies sehr gut zu Fischgerichten. Alessandro Arosio sieht gerade bei weissen Rebsorten ein grosses Potenzial: «Sie profitieren vom harmonischen Klima zwischen Bergen und Meer sowie von den Temperaturunterschieden zwischen Tag und Nacht, die Frische und Finesse verleihen. » Und selbst die Langlebigkeit kommt nicht zu kurz. «Nur leider werden sie oft viel zu jung getrunken und können dieses Potenzial nicht ausspielen», sagt Alessandro.

Doch trotz des Erfolges der weissen Rebsorten bleibt die Provinz Chieti natürlich Rotweingebiet: Mehr als die Hälfte der Rebberge ist mit der autochthonen Rebsorte Montepulciano bestockt – ähnlich wie im Weingut I Fauri der Geschwister Valentina und Luigi Di Camillo. Sie keltern unter anderem den kernig-fruchtigen Ottobre Rosso und die zukunftsträchtige Riserva Vigna Santa Cecilia aus der Rebsorte. Seit 2021 ist das Gut biologisch zertifiziert. Die Rebberge liegen im Hinterland von Francavilla al Mare in 250 Metern Meereshöhe.

«Das Klima in der Unterzone Colline Teatine ist geprägt von kühlen Wintern und sonnigen Sommern mit viel Ventilation.»

Valentina Di Camillo, Weingut I Fauri

«Das Klima in der Unterzone Colline Teatine ist geprägt von kühlen Wintern und sonnigen Sommern mit viel Ventilation», erzählt Valentina. Die Temperaturschwankungen im Laufe des Jahres sowie das besondere Terroir der Region ermöglichen die Produktion einer Vielzahl von Weinen – von Montepulciano bis zu Weiss- und Schaumweinen, darunter einem traditionell in der Flasche vergorenen Metodo Ancestrale Frizzante. «Die weissen Rebsorten haben viel Potenzial», sagt Valentina, «Passerina und Trebbiano zum Beispiel kann man zu geradlinigen Weinen ausbauen, die sehr schön das Terroir der Colline Teatine interpretieren. Aber natürlich bleibt die Montepulciano das Aushängeschild unseres Weinbaus.»

Ein bedeutender Teil der Weinproduktion der Provinz Chieti liegt nach wie vor in den Händen von Genossenschaften, die allerdings längst auf Qualität setzen. Ein Beispiel dafür ist die Cantina Tollo in der Provinz Chieti, benannt nach ihrem Heimatort nahe der Adriaküste.

Gegründet 1960, zu Zeiten des Umbruchs in der Weinproduktion Italiens, setzt die Cantina Tollo heute auf Qualität und den Mix aus lokalen Traditionen und Innovation. Die Rebberge der Mitgliedsbetriebe erstrecken sich von den Abruzzen bis nach Molise und Apulien. Ein wichtiger Teil der Produktion konzentriert sich auf den Tullum DOCG, die lokale Appellation, die 2008 gegründet und 2019 zum DOCG erhoben wurde.

Die Rebberge von Tollo findet man zum Teil in pittoresken Lagen in der Nähe der Strände der Adria. Aber auch an der Via Verde, dem 42 Kilometer langen Radweg, der sich entlang des Meeres und der ehemaligen Eisenbahntrasse bis Vasto im Süden der Provinz Chieti zieht, sieht man viele Rebberge. Zu einer kulinarischen Rast laden die Trabocchi ein, die hölzernen Fischfangplattformen entlang der Küste, die zum Teil in schmucke kleine Restaurants mit einer Terrasse über dem Meer umgebaut wurden.

Die Provinz Pescara

Es sind vor allem pittoreske Städtchen wie Loreto Aprutino, die das Bild dieser kleinen Weinbauzone im Hinterland der Hafenstadt Pescara prägen: Das Schloss und die Kirche sowie rundherum rote Dächer auf der Spitze eines Hügels dominieren die Landschaft, in der sich Getreidefelder, Olivenhaine, Wälder und Rebberge harmonisch miteinander verbinden. 

Mitten in der Altstadt von Loreto Aprutino liegt eines der historischen Wahrzeichen des Weinbaus der Abruzzen.

Die Familie Valentini produziert hier seit mehr als einem Jahrhundert zeitlose Weine wie einen überaus langlebigen Trebbiano d’Abruzzo, einen stilprägenden Cerasuolo und einen wunderbar traditionellen Montepulciano.

«Diese Düfte der Abruzzen, die man aus der Kindheit kennt, findet man in den Weinen der Abruzzen wieder.»

Francesco Paolo Valentini, Weingut Valentini

1980 hat Francesco Paolo Valentini das Weingut von seinem Vater Edoardo übernommen und dessen Produktionsphilosophie weiter gepflegt: Die Reben in den mehr als 200 Hektar Weinbergen stehen alle auf der Pergola Abruzzese, werden sorgsam vinifiziert und reifen dann in den Gewölbekellern im Herzen von Loreto Aprutino in grossem Holz mit viel Respekt vor der Zeit, die sie benötigen. Seltene Vertikalen zurück bis in den legendären Jahrgang 1880 demonstrieren immer wieder, wie langlebig die Weine der Abruzzen sind – vor allem auch Trebbiano. Valentini: «Trebbiano ist eine hervorragende Rebsorte, nur wurde sie in der Vergangenheit nie ausreichend geschätzt. Erst heute erkennt man die Qualität und beginnt, optimale Weine zu keltern.»

Ein paar Kilometer hinter Loreto Aprutino liegt das Weingut Torre dei Beati: Das Besitzerpaar Adriana Galasso und Fausto Albanesi pflegt ebenfalls die Pergola Abruzzese, eine traditionelle Schattenbedachung für die Rebberge.

Die meisten Anlagen stammen aus dem Jahr 1972, die Weine sind seit 1999 biozertifiziert und erzählen von den Terroirs, auf denen sie gedeihen: Der voluminöse, gut strukturierte Cocciopazza erhält seine weichen, perfekt abgerundeten Tannine durch kalkhaltige Böden mit lehmigen Komponenten, auf denen die Trauben perfekt ausreifen können. Er reift 20 Monate je zur Hälfte in neuem und gebrauchtem Holz. Der opulente Mazzamurello hingegen, für dessen Trauben bis zu drei Lesedurchgänge anfallen, stammt von gut ventilierten Lagen auf Kalkstein. Er bringt mehr als eineinhalb Jahre in neuem Holz zu, um seine Samtigkeit zu entwickeln. Von betörender Frische und mit salziger Mineralität geprägt sind die Weissweine: Der Pecorino d’Abruzzo DOC Giocheremo con i Fiori und der Trebbiano d’Abruzzo DOC Bianchi Grilli per la Testa.

Die Provinz Teramo

Von den Sandstränden und Reblagen rund um Pescara machen wir einen Sprung in die Provinz Teramo im Norden der Region. Landschaftlich ändert sich nicht viel – auch hier erhalten die Weine ihre Finesse aus dem Zusammenspiel von Bergen im Hinterland, den gut durchlüfteten Hügellagen und der Adria im Osten. Die Provinz ist die Heimat des Montepulciano Colline Teramane DOCG, der 2003 als erster Wein eine Unterzone der Abruzzen auf dem Etikett propagierte. Und das mit strengeren Produktionsregeln als beim Montepulciano d’Abruzzo DOC: Er darf nur innerhalb der Region abgefüllt werden und der Höchstertrag ist auf 9500 Kilo pro Hektar begrenzt. Die Trauben gedeihen auf sandig-steinigen Böden mit viel Kalk und Lehm, Überreste eines Gletschers, der einst bis ans Meer reichte.

Böden, die auch die Weinberge der Abbazia di Propezzano im Hinterland von Roseto degli Abruzzi dominieren: Die kleine romanische Abbazia ist seit langem im Besitz der Familie von Paolo Savini de Strasser, ihr uralter Keller ist der der Ort, an dem die Weine gemächlich reifen können. Der Ursprung der Abtei geht auf das 8. Jahrhundert zurück, aber dort, wo einst von den Mönchen Ora et Labora gepflegt wurde, ruhen heute die Weine von Paolo, der das Gut 2011 übernommen hat. Paolos Fokus liegt nicht nur auf dem 20 Monate in grossem Holz ausgebauten Montepulciano d’Abruzzo Colline Teramane DOCG, sondern auch auf den weissen Rebsorten, denen er grosses Potenzial zubilligt: Die Spitzenreiter sind ein in Amphoren ausgebauter Abbazia di Propezzano Anfora sowie ein Colli Aprutini Bianco IGT aus Falanghina und anderen Rebsorten, der nach exotischen Früchten und mediterraner Macchia duftet und mit seiner Komplexität überzeugt.

Biologische Bewirtschaftung ist natürlich auch das Credo von Emidio Pepe, einem der Pioniere des Weinbaus in der Provinz Teramo. Das Abruzzen-Urgestein setzt dabei auf einen langen Ausbau der Weine in Zement und Holz sowie auf die Pergola Abruzzese, die zur Beschattung der Reben dient und für ihn fundamental ist: «Die Trauben müssen im Schatten reifen,» sagt er, «nur so bewahren sie die Säure, und die Tannine können sich optimal entwickeln.» Bei gerade mal tausend Pflanzen pro Hektar kann man jedem Sprössling die Aufmerksamkeit widmen, die er braucht. Das Ergebnis sind dann einige der langlebigsten Weine der Abruzzen, was man bei einer der seltenen Vertikalen mit Weinen aus dem Keller bis zurück in die 1960er Jahre miterleben kann.

Emidio Pepe, Jahrgang 1932, hat das Weingut in Torano Nuovo 1964 übernommen, in dem sein Vater und Grossvater bereits seit 1899 Weine produziert haben. Heute stehen ihm seine Töchter Sofia und Daniela sowie die Enkelinnen Chiara und Elisa zur Seite. Sofia kümmert sich – klarerweise unter den wachsamen Augen ihres Vater – um den Weinbau. Emidio selbst war nie ein Plappermaul und ist es bis heute nicht. Seine Philosophie erklärt er – ähnlich wie beim Motto der Kellerei «In Vino Vita» – in wenigen Worten und lässt vor allem seine Weine sprechen, die zwei Eigenschaften prägen: Eleganz und Authentizität. Wie beim zeitlosen Montepulciano d’Abruzzo DOC, der auch einem Motto Emidio Pepes entspricht, das über dem Kamin prangt: «La giovinezza non è un periodo della vita, è uno stato d’animo» («Jugend ist kein Lebensabschnitt, sondern ein Seelenzustand. ») Der Satz stammt allerdings nicht von Emidio, sondern von Albert Sabin, einem der Pionier der Polioschutzimpfung.

Die Provinz L’Aquila

Im gebirgigen Hinterland der Abruzzen verbinden sich die reifen Kirscharomen der Montepulciano mit der Würze der Bergweiden des Gran Sasso und der Majella sowie den Nuancen der mediterranen Macchia zu einem Potpourri der Düfte. Hier liegt die Provinz L’Aquila, die allerdings nur gerade mal ein Prozent der Rebbergfläche der Region ausmacht.

Kurz vor der Grenze, noch in der Provinz Pescara, zu Füssen der Strasse, die über die Berge nach Rom führt, liegt das Weingut Valle Reale dort, wo sich die Nationalparks Gran Sasso e Monti della Laga und Majella mit dem Regionalpark Sirente-Velino treffen. Das Weingut der Familie Pizzolo ist seit mehr als 20 Jahren ein Pionier des biodynamischen Anbaus. 46 Hektar Reben sind zwischen den Ortschaften Popoli und Capestrano auf eine Höhe von 150 bis 350 Metern über dem Meeresspiegel verteilt. Die lehmund sandhaltigen Böden besitzen fast überall eine dünne Kalkschicht, so dass vor allem das Klima in den jeweiligen Einzellagen den Unterschied im Weinglas ausmacht. Die Frucht, die durch warme Tagen und kühle Nächte entsteht, sorgt für eine nordische Art von Abruzzo-Weinen: Neben dem klassisch fruchtigen San Calisto ist hier vor allem auch der finessenreiche und doch kraftvolle Vigna del Convento zu nennen, dessen Trauben von einem 4,5 Hektar grossen Rebberg im Ort Capestrano stammen. Die Einzigartigkeit des Mikroklimas macht ihn zu einer besonderen Rarität: In einem Vierteljahrhundert wurde er nur dreimal produziert.

Wälder und Bergweiden dominieren die Umgebung rund um das Dörfchen Prezza in der Provinz L’Aquila: Dort liegt das Weingut Praesidium von Ottaviano Pasquale. Hier, im Schatten der schneebedeckten Berge, benötigt die spätreifende Montepulciano noch mehr Zeit, um auszureifen.

Ottavianos Weinberge liegen in 400 Metern Meereshöhe und damit in einer der höheren Positionen, auf denen Montepulciano in den Abruzzen reift. Sein biologisch produzierter Montepulciano gedeiht unterhalb von Prezza in der Ebene, auf der gegenüberliegenden Talseite liegt die Stadt Sulmona, die Heimat des roten Knoblauchs. Ottaviano zieht seine Reben auf dem Drahtrahmen.

«Im Rebberg müssen wir nur der Natur assistieren, dann ist das Produkt gut.»

Ottaviano Pasquale, Weingut Praesidium

Gelesen werden dann maximal 40 bis 50 Doppelzentner pro Hektar und natürlich nur vollreife Trauben, wie der Winzer betont. Im Keller wird spontan vergoren, die weissen und roten Moste und Weine werden weder gefiltert noch dekantiert. Das Ziel ist es, einen ursprünglichen Wein zu kreieren, eine Verbindung zwischen Mensch und Natur. Das sei eigentlich ganz simpel, meint er: «Im Rebberg müssen wir nur der Natur assistieren, dann ist das Produkt gut», sagt Ottaviano, «und im Keller reduzieren wir alles auf das Essentielle.» Das Ergebnis sind Weine, die nach den Abruzzen duften, nach Bergweiden und Wäldern, fast nordische Kreszenzen, eigenständige Interpretationen dieser Landschaft, die Zeit brauchen, um sich abzurunden.

Aber auch das ist nur eine der vielen Facetten einer einzigartigen Region zwischen Meer und Bergen, die sich in den Weinen und ihren Gerüchen widerspiegelt. Wie sagte schon Francesco Paolo Valentini einmal: «Diese Düfte der Abruzzen, die man aus der Kindheit kennt, findet man in den Weinen der Abruzzen wieder.»

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