Keine trockene Angelegenheit
Profipanel Trockener Riesling von der Mosel
Text: Harald Scholl, Fotos: Chris Marmann

Lange war er das Aschenputtel im eigenen Haus: der trockene Riesling von der Mosel. Frucht- und edelsüsse Varianten prägten das internationale Image, die trockenen Vertreter hatten es vergleichsweise schwer. Dabei hat die Mosel das Potenzial, trockene Spitzenrieslinge zu erzeugen. Zeit für einen genaueren Blick auf einen Weintyp, der noch auf die grosse Bühne wartet.
Die Idee vom trockenen Riesling ist an der Mosel keineswegs neu. Schon im 19. Jahrhundert produzierten viele Winzer – oft auf Wunsch des britischen Marktes – völlig durchgegorene Rieslinge. Auch das legendäre Kabinett der preussischen Lagenklassifikation von 1868 meinte ursprünglich nicht restsüsse, sondern schlanke, trockene Weine aus besten Lagen. Doch mit dem Siegeszug des Spätlese- und Auslesestils in den 1950er und 1960er Jahren rückte das Süsse immer stärker in den Vordergrund. Die Weine wurden weltweit mit einer Stilistik identifiziert, die mit Spontanvergärung, langer Reifung und feiner Restsüsse arbeitete. Zugegeben: oft mit sensationeller Qualität. Der trockene Riesling hingegen fristete eine Art Schattendasein. Zu wenig ausbalanciert, zu säurebetont, zu untypisch, hiess es lange. Vor allem von jenen Weinkritikern, die das süssherbe Moselbild verinnerlicht hatten. Doch die Zeiten ändern sich. Junge Winzer – häufig nach Lehrjahren in der Pfalz oder Rheinhessen – haben sich seit den 2000ern aufgemacht, auch an der Mosel einen eigenständigen, trockenen Stil zu entwickeln. Heute steht das Kürzel «GG» (Grosses Gewächs) auch hier für präzise, trockene Rieslinge mit Herkunftstiefe und Lagerpotenzial. Betriebe wie Clemens Busch, Julian Haart, Peter Lauer, Franz Peter Eifel oder Heymann-Löwenstein haben bewiesen, dass sich die Schiefersteillagen mit niedrigen Erträgen, einer späteren Lese und penibler Vinifikation auch trocken interpretieren lassen – ohne dass Eleganz, Säurestruktur und Moseltypizität auf der Strecke bleiben.
Moselrieslinge voller Tiefe
Aus wirtschaftlicher Sicht ist der trockene Moselriesling noch immer ein Nischenprodukt. Von den circa 8800 Hektar Anbaufläche im Anbaugebiet werden nur rund 20 bis 25 Prozent trocken ausgebaut; genaue Zahlen sind rar, da viele Weine als «feinherb» deklariert oder als trockene Lagenweine ohne Prädikat vermarktet werden. Doch im Premiumsegment wächst der Einfluss der trockenen Moselrieslinge. Grosse Häuser wie Dr. Loosen, Van Volxem oder Markus Molitor setzen gezielt auf trockene Topweine mit Herkunftsprofil. Die Aufnahme der trockenen Rieslinge ins VDP-Klassifikationssystem im Jahr 2002 war ein wichtiger Schritt, dem die Etablierung des Lagenbegriffs folgte. Damit wird zunehmend auch für Verbraucher klar: Ein Moselriesling kann trocken, lagerfähig und trotzdem typisch sein. In der Gastronomie werden trockene Rieslinge von der Mosel geschätzt – gerade in der Spitzengastronomie, wo Präzision, Frische und eine gewisse straffe Mineralität gefragt sind. Sommelier-Legende Aldo Sohm (Le Bernardin, New York City) etwa sagte kürzlich in einem Interview: «Trockene Moselrieslinge sind für mich wie japanische Keramikkunst – reduziert, klar, voller Tiefe. Sie passen perfekt zur modernen Küche.»
Trotz dieses Lobes haben es trockene Moselrieslinge international weiterhin deutlich schwerer als ihre süssen Brüder. Der Export konzentriert sich weiterhin stark auf Kabinett, Spät- und Auslesen. In den USA, Grossbritannien und Asien sind diese süsseren Varianten nun einmal als «typisch deutsch» etabliert und in ihrer Stilistik definitiv konkurrenzlos. Doch auch hier gibt es Bewegung. Der britische Weinautor Stuart Pigott, lange Zeit einer der wichtigsten Verteidiger des fruchtigsüssen Moselstils, schrieb 2023 in «The World of Fine Wine»: «Die besten trockenen Rieslinge von der Mosel haben inzwischen eine Präzision und Energie erreicht, die sie international konkurrenzfähig machen – mit völlig eigenständigem Charakter. » In Skandinavien und Japan wächst die Fangemeinde trockener Moselrieslinge, ebenso in Belgien und den Niederlanden. Hier treffen Klarheit und Mineralität des Weinstils auf ein trinkfreudiges, gastronomisch denkendes Publikum. Der dänische Sommelier Jacob Kocemba, Gründer der Sparkling Tea Company, lobte kürzlich auf Instagram den Riesling Fass 15 vom Weingut Lauer als «den vielseitigsten Weisswein, den ich dieses Jahr getrunken habe – frisch, schlank und dennoch eindringlich ausdrucksstark.»
Was dem trockenen Moselriesling noch fehlt, ist eine verständliche Erzählung, ein übergreifendes Erkennungsmerkmal, das in wenigen Worten den Stil der Weine zwischen Perl und Koblenz zusammenfasst. Während die Pfalz mit Kraft und Saft punktet, der Rheingau auf Adel und Tiefe setzt und Rheinhessen mit Innovation und Terroir brilliert, wirkt die trockene Mosel hier oft suchend. Ihre Weine sind feingliedrig, kühl, mit vibrierender Säure – das verlangt Erklärung, manchmal sogar Verteidigung. Die Stilistik ist nicht immer konsistent. Die Weine können sowohl zu karg als auch zu alkoholbetont sein, manchmal fehlt ihnen der letzte Schliff. Das liegt auch daran, dass viele Betriebe – aus Tradition oder Marktlogik – ihr Herzblut weiterhin auf die fruchtsüssen Weine verwenden. Der trockene Ausbau ist oft experimentell, nicht strategisch. Trotzdem: Der trockene Moselriesling ist eine Kategorie im Werden. Kein Mainstream, weit entfernt von Everybody’s Darling, aber ein Aushängeschild für jene, die nicht nur Frucht, sondern Textur, Herkunft und Spannung suchen. Wer sich darauf einlässt, entdeckt Weine, die klingen wie ein kristallener Akkord: hell, klar, vibrierend. Oder, wie Eric Asimov 2021 in der «New York Times» schrieb: «Trockene Moselrieslinge sind nicht jedermanns Sache. Aber für diejenigen, die Anmut statt Kraft, Spannung statt Fruchtigkeit schätzen, sind sie eine Offenbarung.»
Mit diesen Überlegungen im Hinterkopf ging es bei diesem Profipanel mit acht erfahrenen Verkostern, darunter Winzer, Sommeliers und Weinjournalisten, darum, das tatsächliche Leistungsspektrum trockener Moselrieslinge im Jahr 2025 präzise einzuordnen. Verkostet wurden 20 trockene Rieslinge aus den Jahrgängen 2022 und 2023, repräsentativ verteilt über das Anbaugebiet und die Qualitätsstufen. Das Ziel: herausfinden, wo der trockene Moselriesling heute wirklich steht. Am Ende war sich das Panel einig: Der trockene Moselriesling hat in den letzten Jahren einen Entwicklungssprung gemacht, sowohl qualitativ als auch stilistisch. Der 2023er markiert dabei einen kleinen Wendepunkt. Wenn die Winzer den eingeschlagenen Weg weitergehen, klar auf Herkunft, Struktur und Eleganz setzen und die Balance zwischen Frucht, Säure und Trockenheit im Blick behalten, könnte der trockene Stil mittelfristig nicht nur eine Bereicherung, sondern ein zweites Aushängeschild der Region werden.

«Eine äusserst inspirierende Entwicklung zeigt sich hier: Nach dem hitzegeplagten, heterogenen 2022er wirkt der 2023er deutlich vitaler, mit prägender Schieferwürze und überraschend guter Balance – selbst bei höheren Zuckerwerten. Für mich ein Jahrgang, der überzeugt und in der Vinifikation bestens gelingt.»
Steffen Röll Selbstständiger Weinbereitungsberater, Iffezheim

«Die Mosel kann trocken, die Qualitäten sind allerdings ziemlich heterogen. Einige Vertreter neigen immer noch zu einem süsslichbarocken Stil, der einem grossen, trockenen Riesling einfach nicht gerecht wird. Die Spitze ist allerdings kompromisslos trocken, eigenständig und charakterstark und spielt überregional oben mit.»
Marius Frick Medienagenten, Bad Dürkheim

«Die besten trockenen Rieslinge von der Mosel verbinden mineralische Tiefe mit dem feinen Spiel der restsüssen Klassiker. Wirklich beindruckend, wie sublime Aromatik, Rasse, Präzision und animierende Länge da in bester Balance sind. Schiefer at its best!»
Dr. Peter Henk Gebietsverantwortlicher Rheingau, «VINUM Weinguide Deutschland»

«Diese Degustation zeigt mir wieder: Die Mosel kann grosse trockene Weine! Ich muss meinen ‹Kabinett-Spätlese-Bestellreflex› häufiger ausschalten. Denn die Fülle und Mineralität der Grossen Gewächse verdienen eindeutig mehr Aufmerksamkeit.»
Christian Frens Sommelier Consult, Köln
Die Jury

Von links nach rechts
Harald Scholl,
Chefredakteur VINUM Deutschland, München
Sein Favorit: Weingut Franz-Josef Eifel – Trittenheimer Apotheke Riesling trocken Sonnenfels GC 2022
Kevin Kleu
Weingut Karthäuserhof, Trier
Sein Favorit: Weingut Haart – Piesporter Goldtröpfchen Riesling VDP.Grosses Gewächs 2022
Steffen Röll
Selbstständiger Weinbereitungsberater, Iffezheim
Sein Favorit: Weingut Loersch – Trittenheimer Apotheke Riesling Grosses Gewächs Jungheld 2023
Sven Zerwas
Bischöfliche Weingüter, Trier
Sein Favorit: Karthäuserhof – Eitelsbacher Riesling Alte Reben 2023
Dr. Peter Henk
Gebietsverantwortlicher Rheingau, «VINUM Weinguide», Ingelheim
Sein Favorit: Weingut van Volxem – Kanzemer Altenberg Riesling Grosses Gewächs Alte Reben 2022
Kathrin Puff
Betriebsleiterin, Kloster Eberbach, Eltville
Ihr Favorit: Weingut Carl Loewen – Longuicher Maximin Herrenberg Riesling Grosses Gewächs 2023
Christopher Loewen
Weingut Carl Loewen, Leiwen
Sein Favorit: Maximin Grünhaus – Maximin Grünhäuser Bruderberg Riesling VDP.Grosses Gewächs 2023
Christian Frens
Sommelier Consult, Köln
Sein Favorit: Weingut Zilliken Forstmeister Geltz – Saarburg Rausch Riesling VDP.Grosses Gewächs 2023
Marius Frick
Agentur Medienagenten, Bad Dürkheim
Sein Favorit: Maximin Grünhaus – Bruderberg Riesling VDP.Grosses Gewächs 2023