Sierra de Gredos

Spaniens Weingipfel

Text und Fotos: André Dominé

Nicht weit von Madrid, im Osten des zentralen Kastilischen Scheidegebirges, hat sich ein vinologisches Wunder ereignet. Auf seinen Höhen aus Granit haben einzelne Weingärten mit alten Garnacha-Reben den Niedergang des regionalen Weinbaus überlebt. Talentierte junge Weinmacher zaubern daraus Weine von unglaublicher Finesse und Lebendigkeit.

Die Sierra de Gredos lässt die Augen von Bergfreunden aufblitzen. Sie träumen vom Pico Almanzor, mit 2591 Metern der höchste Gipfel des Kastilischen Scheidegebirges, das Kastilien-León im Norden von Kastilien-La Mancha im Süden trennt. Der einfachere Aufstieg führt über den Circo de Gredos mit dem zauberhaften Bergsee Laguna Grande – ab dort verlangt aber auch dieser Weg Bergsteigerkondition. Wie ihr markanter Riese besteht die gesamte Sierra aus Granit. Während ihn die Vergletscherung der letzten Eiszeit schliff, haben deren Eisströme die Landschaft gestaltet und mit beeindruckenden Granitbrocken übersät. Im Norden lohnt El Barco de Ávila mit mächtiger Burg und altem Ortskern den Besuch. Weiter östlich hat sich der «Parador de Gredos» in Navarredonda den Charme der 1920er Jahre bewahrt, als er als erster Parador des Landes eröffnet wurde. Doch die Südseite der Sierra wartet mit einer grösseren Auswahl an Unterkünften auf, vor allem in Arenas de San Pedro, Candeleda und Umgebung. Nur ein Stück weiter nach Westen ist man in Madrigal de la Vera und den sich anschliessenden reizvollen Dörfern bereits in der Extremadura.

Hier bezaubert eine spannende, mit Granitbrocken übersäte Landschaft, voller Schluchten mit Bergbächen und natürlichen Wasserbecken, wo Strandbars im Sommer mit Erfrischungen aufwarten. Das Monasterio de San Jerónimo de Yuste, wohin sich Kaiser Karl V. 1557 zurückzog und dort ein Jahr später starb, ist ein Muss für Geschichtsfans. Auf seinem Weg dorthin durchquerte der Kaiser das heutige Naturschutzgebiet Garganta de los Infiernos beim Dorf Jerte. Wunderschön und ein beliebtes Touristenziel. Doch Wein wächst davon weit entfernt nur am Ostrand der Sierra de Gredos, gerade mal eine Stunde Fahrt von Madrids Zentrum entfernt. Dort verbringen in der Hauptstadt arbeitende Einheimische ihre Wochenenden. Im Sommer quartieren sich Wanderfreunde privat ein. Sonst bleiben die Dörfler unter sich. Daran hat der internationale Erfolg der Weine der Sierra de Gredos bislang nichts geändert. 

Höhenlagen und Garnacha

«Die Weinregion von Gredos ähnelt einem Hufeisen», erklärt Marc Isart, eine ihrer wegweisenden Persönlichkeiten. Wir stehen hoch über dem Dorf Cebreros in einem uralten Weingarten am Steilhang. «Hier sind wir in der Mitte des Bogens und im nordöstlichsten Teil. Nach Süden ausgerichtet erstreckt sich am Fusse der Sierra de Gredos das Tal des Río Tiétar mit Rozas de Puerto Real, El Real de San Vicente, Cenicientos und Cadalso de los Vidrios. In der Vergangenheit gab es die meisten Weingärten in diesem Tal. Man pflanzte dort, weil es der wärmste Teil war. Ausserdem regnet es im Süden mehr: 800 Millimeter im Jahr, während es hier nur 400 bis 500 Millimeter sind.

«Hier haben wir eine grossartige Kombina-tion an Bodenfor-mationen in der Welt.»

Daniel Landi

Das verändert den Charakter der Weine.» Auf der Nordseite der Sierra fliesst der Río Alberche. Während in El Tiemblo, Cebreros und San Martín de Valdeiglisias das Klima ebenfalls mediterran ist, herrscht im westlichen Teil des Tals, dem Alto Alberche, kontinentales Klima mit viel Schnee im Winter. Hier, vor allem in Villanueva de Ávila und Navaltagordo, liegen Weingärten in Höhen von bis zu 1300 Metern, im Süden zwischen 600 und 900 Metern. Die Sierra de Gredos sorgt für Vielfalt durch unterschiedliche Höhen- und Steillagen, Ausrichtungen und Mikroklimata, aber auch für einen der zwei Hauptnenner ihrer Weinregion: Granit.

«In Spanien haben wir Lehmböden, Kalkböden und Schieferböden wie im Priorat, aber es gibt nur zwei Gebiete mit Granitböden: Gredos und Galicia», gibt José Jiménez-Landi vom gleichnamigen Pioniergut in Mentrida zu bedenken. Schaut man auf die allgegenwärtigen Granitfelsen, stellt sich die Frage, wie denn dort Reben wurzeln können. Antwort: weil Granit zu Sand verwittert. Natürlich gibt es auch da Variationen, Granitsand mit mehr oder weniger Quarz oder Silt. «Um feine Weine zu machen, hat man hier eine grossartige Kombination von Höhenlagen, Regen, speziellem Granit mit Silt und viel Quarz», betont Daniel Landi, Co-Initiator von Comando G, dem führenden Weingut von Gredos. «Quarz bedeutet Geradlinigkeit und Spannung. Wir haben ausserdem sandige Böden, die Finesse bringen, mit Silt, der Wasser speichert und für gute Gaumenpräsenz und Länge sorgt. Dann Gobelets und sehr alte Rebstöcke von Garnacha. Das ist eine einzigartige Kombination in der Welt.» Garnacha Tinta beziehungsweise Grenache Noir ist der zweite gemeinsame Nenner der einmaligen Rotweine der Sierra de Gredos. 

Nur hielt man Garnacha in Spanien für eine minderwertige Sorte und Granit für den ungeeignetsten Boden für Qualitätsweine. Dennoch hatte jedes Dorf früher mindestens 2000 bis 3000 Hektar Rebflächen und eine Genossenschaft, die ihren Mitgliedern kaum mehr als 10 Cent pro Kilo Trauben bezahlte und spottbilligen Massenwein nach Madrid lieferte. Doch der erhielt Konkurrenz aus Valdepeñas, wo die Rebfelder leichter zu bearbeiten waren als auf den Granithängen von Gredos. Mehr und mehr Weingärten wurden notgedrungen aufgegeben. Nur etwa 2000 Hektar weit verstreute Weingärten überlebten, weil einige Familien sich nicht von ihnen trennen mochten, denn es waren oft die Grosseltern, die sie mit viel Aufopferung gepflanzt und gepflegt hatten. ­Gredos war fast verloren.

«Wir sind vor allen anderen hier angekommen. Damals war es Wahnsinn. Es gab nichts.» ­Telmo Rodriguez durchstreifte Ende 1999 Spanien auf der Suche nach vergessenen Weinregionen mit Potenzial. So kam er nach Cebreros auf den Ausläufern der Sierra de Gredos. «Was uns damals interessierte, war dieser Hang oberhalb des Ortes, der einzige mit reinem Schiefer. Wir wollten mit Garnacha auf Schiefer arbeiten, ähnlich wie im Priorat.» Damals waren bereits 90 Prozent der Weinberge aufgegeben. So konnte er weitere rare Schieferlagen übernehmen. Er liess sie mit Respekt vor Terroir und Natur bearbeiten. Während die Kooperative den Bauern für ein Kilo Trauben nur Cents bezahlte, kostete ihn dessen Erzeugung mehr als 4 Euro! «Als ich Pegaso zum ersten Mal zum Probieren anbot, wusste ich nicht, wie ich ihn vorstellen sollte. Was war das? Schiefer der ­Sierra de Gredos. Sehr selten. Ein Priorat des Südens. Aber die Sierra de Gredos ähnelt Spaniens Norden.» Obwohl sein Pegaso Barrancos de Pizarra von Anfang an hervorragend war, stiess er oft auf Unverständnis. Später erwarb auch Telmo Granit-Parzellen und engagierte Marc Isart. Davon später mehr. Inzwischen freut sich Telmo über die «tollen neuen Projekte» der ­Sierra de Gredos, die alle auf Granit fussen.

Die jungen Wilden

Mitten im Städtchen Méntrida verbergen sich hinter einem dunklen Metalltor ohne Namen Haus und Keller der Familie von José ­Jiménez-Landi. «In der Vergangenheit machte mein Grossvater hier den Wein», erzählt er. «Aber die Weine waren ganz anders. Denn diese Gegend war für Mengen bekannt, und die Weine wurden nicht selbst abgefüllt.» Während ihrer Kindheit und Jugend sammelten José, seine Schwester und Cousin Daniel Eindrücke von Weinbergen, Weinlesen und Weinkellern.  «Als ich mit Daniel in diesem Keller zu arbeiten begann, war das aus Passion. Ich studierte zunächst Politik und Marketing an der Universität und mein Cousin Philosophie und Humanität, aber anschliessend Önologie.»

Der Jahrgang 2004 war der gemeinsame Auftakt, noch vom Schulwissen angeleitet, mit Entrappen, kurzen Maischestandzeiten und Ausbau in Bordeaux-Fässern. Schnell führte der Austausch mit wegweisenden Winzern, die sie anderswo besuchten, zu Veränderungen: zu anderen Fassgrössen, Spontanvergärung in ganzen Trauben, längeren Vinifikationen und Biodynamie in den Weingärten. Acht Jahre bis 2011 arbeiteten sie zusammen, dann begann Daniel Landi mit Comando G.

«Jiménez-Landi ist mein persönliches Projekt», betont José. «Wir haben Weingärten in zwei Dörfern auf sandigem Granit: hier in ­Méntrida auf 500 bis 600 Metern und in El Real de San Vicente mit Höhenlagen bis zu 900 Metern in den Gredos-Bergen.» Die verschiedenen Parzellen liefern jeweils völlig andere Weine. «Das ist meine Leidenschaft.» Ataulfos und Piélago von Höhenlagen mit sandig-steinigen Granitböden in San Vicente vergärt er in ganzen Trauben und gibt ihnen oft bis zu 40 Tage Zeit im Holzbottich, dann folgt gut ein Jahr Ausbau in grösseren Fässern. Grosse Weine mit markanter Mineralität, offiziell DO Méntrida. Näher auf die Sierra de Gredos zu hat Javier «Javi» García in Cadalso de los ­Vidrios 2015 einen früheren Weinkeller als feste Heimat für die 2010 gegründeten 4 Monos Viticultores, die vier befreundeten «Affen», gefunden: Javi und Frau Laura, Finanzexperte David Velasco und Winzer David Moreno mit Weinbergen im Dorf.

«Sind mehr Steine im Granitboden, schmeckt man im Wein mehr Mineralität.»

José Jiménez-Landi

Javi, Bruder von Comando Gs Fernando, studierte Agraringenieurwesen, bevor er auf Önologie und Weinbau umsattelte. Wie sehr ihm an Reben und Böden liegt, spüre ich auf unserer Tour durch spezielle Lagen. Zu Füssen des wild zerklüfteten Hausbergs von Cadalso, Peña Muñana, pflegt er eine zweigeteilte Parzelle. Rechts wuchern uralte Albillo-Real-Stöcke, die einheimische weisse Sorte, niedrig über dem Boden mit einem Gewirr dünner Ruten. Ein Alptraum an Arbeit, aber ein einmaliger Tropfen. Links ein noch älterer Garnacha auf weissem und rosafarbenem, extrem kargem Granitsand. Javi & Co. bearbeiten 22 Hektar mit 65 Parzellen auf zwischen 700 und 970 Metern Höhe, auch im nahen Cenicientos und in San Martín de Valdeiglisias, wo sie überwiegend Villages-Weine auf hohem Niveau in der DO Vinos de Madrid erzeugen. Ihr Starstück unter der Einzellagen-Reihe La Danza del Viento heisst La Isilla, die Insel. Dort erstreckt sich ­Granit – völlig ungewöhnlich – wellenförmig und stösst oft an die Oberfläche vor. «Wenn man die Erde hier in seine Finger nimmt und reibt, verschwindet sie. Dies ist der feinste Sand, den man in Gredos finden kann. Der Wein gleicht diesem Gefühl», schwärmt Javi.

Andere Pioniere

Bodegas Marañones ist ein Begriff für Weine der Sierra de Gredos. Doch noch sucht man vergeblich ein entsprechendes Gutsgebäude. Gemacht werden die Weine in einem namenlosen Blechkasten, der sich in einem kleinen Industriegebiet unter ähnliche einreiht. Für Uneingeweihte unauffindbar. Das eigentliche Gut erstreckt sich auf den Höhen westlich von San Martín de Valdeiglesias, einer Subzone der Vinos de Madrid. Der Anwalt J. Fernando Cornejo erkannte das Potenzial ihrer landschaftlich spektakulären Weinberge. Zwischen 2001 und 2008 kaufte er alte Rebgärten, um ihren Erhalt zu sichern. Insgesamt 40 Hektar Land, zur Hälfte mit 40 bis 80 Jahre alten Garnacha- und Albillo-Real-Reben bestockt. 2008 traf er mit dem Önologen Fernando García Alonso, heute Partner des Comando G, den richtigen Mann, um die Weine von Marañones zu kreieren. Hellfarbige Garnachas, nach roten Früchten und Wildkräutern duftend, mineralisch, lebendig, überraschend. 2021 fand Cornejo mit Pedro Ruiz, Leiter der Bodega-Gruppe Alma Carraovejas, einen ambitionierten Nachfolger.

Seither führt der junge Javier Blasco, Spezialist für biodynamischen Anbau, Marañones. Natürlich bringt er mich zur Peña Caballera, einem enormen Granitbrocken, der seine felsige Unterlage überragt und natürlichen Schutz gewährt. Zugleich steht dieser für den bislang einzigen Einzellagenwein. «Hier in den Bergen arbeiten wir in den Weingärten nur per Hand oder mit unserem Pferd Sophie», verrät Javier. Vom Fass probiert, zeigen seine roten 2023er und 2024er viel Intensität und Mineralität, und der neue Pic Veilho, ein Albillo Real von Feldspat, brilliert ätherisch und salzig. Bernabeleva, «Wo der Bär lebt», residiert in der Gemeinde von San Martín de Valdeiglesias in einem langgestreckten Hangar, rund 200 Meter links von der Strasse nach Ávila am Fusse der Gredos-Ausläufer. «Auf den Tag genau  vor hundert Jahren hat mein Urgrossvater hier die erste Parzelle Reben gepflanzt: am 20. Mai 1925», sagt Juan Diez Bulnes zur Begrüssung.

«Der Granitboden ist flach und arm an organischer Materie und deshalb sehr unfruchtbar.»

Juan Diez Bulnes

Dann steigen wir in seinen 50 Jahre alten Mehari – er liebt alte Autos –, und er kutschiert mich auf Sandwegen durch das Weingut. Die 40 Hektar Weingärten liegen weit verstreut in 170 Hektar Natur, oft an Hängen, die bis über 830 Meter ansteigen. Garnacha und Albillo, aber auch eine Reihe anderer Sorten in kleinen Mengen. Die Familie lieferte ihre Lese an die Kooperative. Eine völlig unrentable Angelegenheit, wie Juan konstatieren musste, als er das Gut Anfang der 2000er Jahre übernahm. Er beschloss, den Wein selbst zu machen, und verkaufte ihn tankweise an Händler. Das gefiel ihm aber immer weniger. Juan wagte den Schritt nach vorn und gewann einen jungen, damals noch völlig unbekannten Önologen als Winemaker: Raúl Pérez. Raúl wies den Weg und lernte Marc Isart als seinen Nachfolger an. Seither behauptet sich Bernabeleva in der Spitze der Gredos-Weine. Die Weingärten werden im Einklang mit der Natur bearbeitet. Zertifikationen interessieren Juan nicht. Er folgt seiner eigenen Philosophie.

Die Natur schenkt ihm in einem guten Jahr von seinen 40 Hektar Reben bescheidene 90 000 Flaschen Wein. In einem schlechten Jahr kauft er sogar Trauben hinzu, aber nur von Bauern und Weingärten, die er mag. Seine Weine – von denen vier Fünftel exportiert werden – finden spielend ihre Abnehmer. Angebot und Nachfrage sind im Gleichgewicht. Mehr zu produzieren, interessiert Juan nicht. Er verbringt die Zeit lieber mit seiner Familie. Ausgewogenheit herrscht bei Bernabeleva nicht nur in Weingärten, Keller und Produktion, sondern auch in den Weinen, die zugleich ihre Herkunft mit reizvoller Naturwürze widerspiegeln.

Dani Landi steht zwischen imposanten Granitfelsen in der Parzelle Rumbo al Norte, deren Wein 2016 zum ersten Mal hundert Parker-Punkte erhielt. Er beugt sich über die alten Garnacha-Stöcke in Gobelet-Erziehung und entfernt exzessive Triebe. «Ich kann nicht begreifen, dass niemand vor 20 Jahren an Gredos glaubte. Damals war es dabei zu verschwinden. Garnacha wurde als eine der schlechtesten Rebsorten angesehen, nur für Tankware geeignet. Das Ansehen dieser Region war noch schlechter. Niemand machte hier Qualitätsweine. Das Terroir war da. Also begannen wir damit. Nur brauchten wir Zeit, um zu verstehen, wie Garnacha funktioniert, um hier feine Weine zu erzeugen.» Sie wollten die lichterfüllte Landschaft in ihren Weinen destillieren und den vergessenen Lagen einen Namen geben.

Dani und Fernando «Fer» García lernten sich 2005 in Madrid an der Uni kennen, wo beide Vitikultur und Önologie studierten. Fer arbeitete nebenbei im Weinladen Lavinia, dessen Direktorin Marie-Louise Banyols sie mit spanischen und französischen Spitzenwinzern in Kontakt brachte. So entstand der Wunsch, ein eigenes Projekt zu starten. Dani war durch ­Jiménez-Landi mit Lagen der Sierra de Gredos vertraut, Fer hatte damit bei Marañones zu tun. Ihr Interesse an Höhenlagen war geweckt, als sie 2008 Comando G gründeten. G wie Gredos, Granit, Garnacha. Viel Aufmerksamkeit erregten sie, als El Reventón 2008, ihr Schieferwein aus Cebreros, genauso viele Punkte erhielt wie Vega Sicilia. «Dani und ich begannen bei null: keine Familie, keine Erbschaft, kein Geld von den Banken», berichtet Fer. «Wir begannen mit 2000 Flaschen. Als die verkauft waren, haben wir 3000 gemacht, und so sind wir Schritt für Schritt gewachsen.»

In den ersten fünf Jahren sei es darum gegangen, das Gebiet und die Garnacha zu verstehen. Die nächsten fünf hätten sie darauf verwendet, ihr Team aufzubauen. Dabei blieben sie ihrer Überzeugung treu: Lebendige Böden und chemiefreie Pflanzen bieten eine anständige Arbeit und die Chance, sein Leben in einer ländlichen Umgebung zu verdienen, Biodiversität zu schützen und gegen den Klimawandel zu kämpfen. Das Land zu bearbeiten, hätte Langzeitfolgen, die weit über eine Flasche Wein hinausgingen. Die folgenden fünf Jahre wurden darauf verwendet, neue Anpflanzungen anzulegen, selbst Wurzeln zu bilden und nächste Schritte einzuleiten.

Der Gral des Alto Alberche

Anfangs spürten sie alte Weingärten im Tal des Tiétar auf der Südseite der Sierra de Gredos auf. Als sie dort im heissen Jahrgang 2009 die Ernte eingebracht hatten, waren sie völlig genervt und fuhren an der Nordseite das Tal des Alberche hinauf. In Villanueva de Ávila hatte man noch nicht einmal mit der Lese begonnen. Eine Offenbarung. «2010 und 2011 fingen wir an, hier Weingärten zu kaufen wie Rumbo al Norte, Tumba del Rey Moro und dann El Tamboril. 2012 gehörten uns hier diese drei Einzellagen, aber wir waren noch auf den Süden fokussiert», erzählt Fer. «Als wir dann an einem Nachmittag im Jahr 2020 hierherkamen, war es ruhig, voll Energie und Natur. Da beschlossen wir, hier zu bauen.» Jetzt steht dort eine grosszügige Bodega, natürlich aus Granit, und sie sind dabei, ihr biodynamisches Weingut in einen richtigen Bauernhof zu verwandeln.

«Wenn man der Erste ist, der gegen den Strom schwimmt, ist es natürlich schwieriger.»

Dani Landi

Schon die Garnachas von Comando G aus Rozas de Puerto Real und anderen Dörfern im Süden überzeugen mit herrlich floralen und rotfruchtigen Aromen, Frische und Finesse. Die Weine aus dem Valle del Alto Alberche fügen verblüffende Energie und Mineralität hinzu. Wo die Garnachas der Sierra de Gredos auch wachsen, ihren besonderen Charme verdanken sie einer Weinbereitung, die den Granit-Terroirs entspricht. Comando G hat sie zur Perfektion entwickelt. Denn Trauben von Granitböden, die nur ein Minimum an Ton enthalten, bedürfen eines völlig anderen Ansatzes als grosse Weine von den sonst vorherrschenden Böden mit höherem Ton- oder Lehmgehalt. In Gredos haben die Böden nur fünf bis zehn Prozent Tonanteil, hat der Terroir-Experte Pedro Parra ermittelt. Comando G vinifiziert alle Parzellen separat, spontan, unentrappt und während der Gärung praktisch ohne Extraktion. Danach verschliessen sie die Tanks und lassen den Wein, je nach Terroir, 30 bis 70 Tage auf der Maische. Dann wird gekeltert. Die Weine der verschiedenen Parzellen altern für etwa ein Jahr in Fudern. So erreichen Sorte und Terroirs ihren subtilsten Ausdruck.

Ich treffe Bárbara Requejo Frutas im «La Querencia», dem Dorflokal von Villanueva de Ávila, zugleich dem besten Restaurant weit und breit. Es gehört ihrem Partner im Leben und Weingut, Guzmán Sánchez de la Parra. Sofort brechen wir in ihrem Ford Ranger auf. Über unzählige Kurven steuert sie durch die Berglandschaft des Alto Alberche, schliesslich über Sandpisten bis zum Hochplateau bei Navarrevisca. Sie stoppt auf 1300 Metern Höhe vor ihrem neuen Weingarten. «Als ich das erste Mal nach Gredos kam, war es für mich ganz klar, dass man hier neue Weinberge pflanzen musste», verrät Bárbara. «Ich bin sehr glücklich, dass wir alte Weingärten bearbeiten können. Aber davon gibt es nicht viele.» Neue Weinberge sind die Zukunft der Sierra de Gredos. Niemand pflanzte in den letzten Jahrzehnten Reben neu und in dieser hochgelegenen Gemeinde ohnehin nicht. Bárbara hatte den Mut dazu. Sie ist überzeugt, dass diese Garnacha-Trauben einen grandiosen Wein ergeben werden.

Das Können dazu hat sie zweifellos. In Valladolid aufgewachsen, regte sie ihr Onkel, ein Önologe, zum Weinstudium an. Praktika führten sie auf Château Haut-Brion und in die Champagne zu Pierre Peters, bevor sie weitere Erfahrungen in Kalifornien, Neuseeland und Chile sammelte. Zurück in Spanien war ihr Ribera del Duero zu eingefahren, sodass sie 2017 die technische Leitung von Soto y Manrique in Cebreros übernahm. Oft besuchten sie das La Querencia, wo Bárbara den Chef Guzmán Sánchez de la Parra kennen und lieben lernte. «Nach der Pandemie sagten wir uns: Hier gibt es sehr gute Weingärten, wir leben hier, wir wollen hier unser Leben führen, warum nicht ein Gut gründen?» Guzmán konnte aus seiner Familie einige ausgezeichnete Weingärten übernehmen, darunter einen in der Nachbarschaft von Comando G, wo Bárbara den sublimen Pelito Lindo einbringt. Sie kümmert sich um die jetzt sechs Hektar Weingärten von Las Pedreras und kreiert die Weine. Darunter den sehr überzeugenden mineralisch-würzigen Rosé Arquiton sowie den originellen weissen Linarejos, bei dem sie seidig-vollem Albillo Real durch fünf Prozent Manzanilla ungewöhnlichen Pep zufügt. 

Neues Leben verleihen

Im nahen Burgohondo verbrachte Juanan Martín als Kind die Ferien beim Grossvater Rico Nuevo. Doch er wuchs in Madrid auf, wo seine Eltern eine beliebte Konditorei-Kette besitzen, lernte Patissier und arbeitete als Koch. Die Erinnerungen an «meine schönsten Tage» holten Juanan 2016 ein, als er beschloss, die Reben von seinem Opa zu übernehmen. «Anfangs lebte ich weiterhin in Madrid», erzählt er, «aber 2020 entschied ich mich, meine Arbeit in Madrid aufzugeben, hierherzuziehen und alle meine Arbeitskraft hier einzubringen.» Zunächst ging es darum, die Weingärten, die in Burgohondo und Navatalgordo liegen, woher seine Frau Laura stammt, zu restaurieren und den Reben neue Kraft zu geben.

Seit drei Jahren mit Biodynamie. In Navatalgordo sei mehr Quarz im Boden, die Weine seien vertikaler. Burgohondo habe etwas tiefere Böden, was rundere, komplexere Weine ergebe. Es seien Lagen auf dem Talboden, doch der befinde sich auf 900 Metern Höhe. Zwölf Hektar Reben im Alter von 60 bis 120 Jahren gehören zu Rico Nuevo Bodegas y Viñedos, darunter erstklassige Einzellagen wie El Zaudejo und Il Sotillo, die Juanan nicht entrappt und (noch) unter Barrera de Sol und Jirón de Niebla herausbringt. Doch auch er pflanzt neu. «In den letzten 50 Jahren wurden die Weingärten aufgegeben, und seither wurde kein neuer mehr gepflanzt. Das ist jetzt wichtig, um den Jungen Mut zu machen, hierzubleiben, statt wegen der Arbeit in die Städte zu ziehen.»

Immer die Nase vorn

Als Telmo Rodriguez vor 26 Jahren als Erster einen Weinberg in der Sierra de Gredos kaufte, weil das Terroir ihn begeisterte und er die uralten Reben retten wollte, hatte die junge Generation hochtalentierter Winzer noch nicht vorgeführt, welch ausserordentliche Klasse Garnacha auf Granit erreichen kann. Aber Telmo beobachtete die Entwicklung aufmerksam und mit viel Sympathie, während er selbst weitere alte und sehr gute Weingärten übernahm. Inzwischen verfügt er über 17 Hektar, davon zehn mit Schiefer-, sieben mit Granit-Terroirs.

«Unser Projekt ist keins von Önologen, sondern von wunderschönen Terroirs.»

Telmo Rodriguez

«Es gibt eine ganz neue Herangehensweise an die Garnacha, ganz anders als die, die wir damals hatten», gibt er freimütig zu. Ihm gelang es, Marc Isart, den er für den besten Kenner von Gredos hält, für sein Pegaso-Gut zu gewinnen. «Mit der Ankunft von Marc 2016 und dann von Aitor Fernandez hat Pegaso sich sehr verbessert», freut er sich. Das Duo tut alles Erdenkliche, um die alten Reben auf dem ex­trem kargen Terroir zu pflegen. Nach Arrebatacapas, Telmos erster Einzellage vom höchsten Weingarten, einem raffinierten Roten voll Energie und grandioser Mineralität, wird nun eine – noch namenlose – Einzellage vom Granit folgen, eine von Wald umgebene, nach Norden ausgerichtete, sehr windige Parzelle mit superben alten Rebstöcken. Ein Wein wie ein Lied an die wilde Natur der Sierra de Gredos.


Weintipps

Comando G

1er La Breña – Vino de Paraje 2022

96 Punkte | 2025 bis 2045

Einzelparzelle, 0,5 Hektar mit 60 Jahre alten Garnacha-Stöcken, 60 Tage Mazeration. Intensiv, sehr komplex, rote Früchte, kräuterwürzig, edle Tannine, salzig, frisch, stimulierend.

4 Monos Viticultores

La Danza del VientoArroyo de las Animas 2023

95 Punkte | 2025 bis 2040

Einzelparzelle. Helles Granatrot. Sehr floral, ätherisch, Wildkirschen, natürliche Würze, vibrierend, viel Finesse, lang.

Salvajes de Gredos

Salvajes Cadalso 2023

94 Punkte | 2025 bis 2040

Neues Projekt von Marc Isart mit Weinbauer Miguel Santiago. Uralte Reben. Floral, exzellente Frische, rote Früchte, kräuterwürzig, sublime Finesse, lebendig und mineralisch.

Bodegas Marañones

Peña Caballera 2022

94 Punkte | 2025 bis 2045

Einzelparzelle, 1,5 Hektar. Dichte, reife rote Beeren, Wildkräuter, samtig, voll, feinkörnige Rappenwürze, mineralisch, gute Spannung, Struktur und Potenzial.

Bernabeleva

Camino de Navaherreros 2022

92 Punkte | 2025 bis 2035

Juan Diez Bulnes’ Visitenkarte. Früh gelesen. Rosenblüten, süsse Kirschen, Himbeeren, Garrigue, tolle Frische, herrlich saftig, viel Dynamik, animierend.

Jiménez-Landi

Piélago 2022

94 Punkte | 2025 bis 2040

Parzellen in El Real de San Vicente. Intensiv, reife Erdbeeren, Kirschen, Note von Kakao, dynamisch, feinste Bittertöne, mineralisch, sehr lang.

Compañía de Vinos Telmo Rodriguez

Arrebatacapas 2022

96 Punkte | 2025 bis 2045

Alte Reben vom Schieferterroir des Pegaso auf 1050 Metern Höhe. Raffinierte Frucht, floral, Wildkräuter, dynamisch, salzige Frische, spannende Mineralität, Finesse, grosse Tiefe.

Las Pedreras

Barrio de Los Arroyuelos 2023

93 Punkte | 2025 bis 2035

Klares Dunkelrot, schwarze Kirschen, Brombeeren, Granatäpfel, kräuterwürzig, Bitterschokolade, seidiger Ansatz, saftig, frisch, salzig, animierend.  

Rico Nuevo

Barrera de Sol – Vino de Paraje 2021

94 Punkte | 2025 bis 2040

Einzellage. Komplex, Kirschkern, feines Beerenkompott, Gewürze, Leder, sehr gute Frische, viel Dynamik, feinkörnige Tannine, saftiger Nachklang, Potenzial.

vinum+

Weiterlesen?

Dieser Artikel ist exklusiv für
unsere Abonnenten.

Ich bin bereits VINUM-
Abonnent/in

Ich möchte von exklusiven Vorteilen profitieren