Guide: Wallis – autochthon und weiss

Alpine weisse ­Symphonie

Degustation: Thomas Vaterlaus, Miguel Zamorano; Text: Miguel Zamorano

Das Wallis ist das grösste Anbaugebiet der Schweiz. Wer seine Weine – besser noch seine autochthonen Sorten – kennt, darf sich zu den glücklichen Weinkennern zählen. Liebhabern sind die weissen Rebsorten Petite Arvine, Lafnetscha oder Rèze längst ein Begriff – diese Walliser Rebsorten sind charakterstark und haben auch deshalb die Geschichte dieser atemberaubenden alpinen Region mitbestimmt. Und was für eine spannende Historie das ist! Vieles geht auf die Sorte Humagne zurück, die zu den ältesten der Schweiz zählt. Gemeinsam mit Rèze wurde Humagne bereits 1313 im «Registre d’Anniviers» genannt. Die Sorte war der lokale Platzhirsch im Wallis, bis der Fendant (Chasselas) sie verdrängte. Im 20. Jahrhundert verschwand sie fast vollständig. Seitdem ist die Sorte, in Abgrenzung zum roten Humagne, auch als Humagne Blanc bekannt. Der Schweizer und Walliser Rebforscher Dr. José Vouillamoz belegte, dass Humagne Blanc ein Elternteil des Lafnetscha ist. Und obwohl die Sorte offiziell heute nur im Wallis gedeiht, ist sie auch in Südfrankreich unter dem Namen Miousat bekannt.

Wie sich nun die Sorten Petite Arvine, Humagne Blanc, Rèze und Lafnetscha in der Verkostung schlagen, das haben wir in diesem Guide versucht zu ergründen. Dass die Winzer mit Petite Arvine mitunter hoch bewertete Weine präsentierten, ist nicht verwunderlich – die dafür vorgesehenen kultivierten Flächen sind um ein Vielfaches grösser als bei etwa Rèze und Lafnetscha, die gemeinsam nicht einmal auf sieben Hektar stehen. Da sind den Winzern bei den Selektionsmöglichkeiten einfach Grenzen gesetzt. Und trotzdem stellt das Eintauchen in die Welt der Walliser Sorten eine willkommene Abwechslung zu Chardonnay und Co. dar. Mit jedem Glas und jeder Sorte wird eine neue Strophe dieser alpinen weissen Symphonie geschrieben.


Resultate, Analysen, Statements

Ist die Petite Arvine im Wallis noch eine Spezialität? Oder mit einer Anbaufläche von 250 Hektar schon eine Leitsorte? Tatsache ist, dass die Rebsorte diesen VINUM-Guide in Bezug auf die eingereichten Weine klar dominiert. Die Qualität der Weine war auch gut, wobei sich in organoleptischer Hinsicht doch abzeichnet, dass es zunehmend verschiedene Stilrichtungen gibt. Gemäss Fachliteratur bringt die Petite Arvine kräftige Weine mit exotischen, an Grapefruit und Limetten sowie Glyzinienblüten erinnernden Aromen hervor und zeigt eine salzige Note im Abgang. Viele der verkosteten Weine waren auf eine fast schon extravertiert wirkende Primärfrucht getrimmt, oft kombiniert mit einer Extraktsüsse im Gaumen. Andere überraschten mit traubiger Würzigkeit. Diese Stilistiken kommen bei vielen Schweizer Konsumenten gut an.

« Die Vielfalt ist gross. Primärfrucht prägt viele Weine, manche bezaubern mit geradliniger Mineralität. »

Thomas Vaterlaus Chefredakteur VINUM Schweiz

Weinfreaks, die sich bei Weissweinen eher am Burgund als an Aromasorten orientieren, wünschen sich eine zurückhaltendere Vielschichtigkeit in der Nase und mehr geradlinige Spannkraft im Gaumen. Auch das kann der Petite Arvine, genau so übrigens der Humagne Blanc, wie einige Weine in dieser Verkostung beweisen. Und es scheint weniger das Terroir als die stilistische Handschrift der Winzer zu sein, die darüber entscheidet, zu welcher Kategorie ihr Wein zählt. Wer also seinen Petite Arvine, seinen Amigne oder seinen Humagne Blanc finden möchte, sollte zuerst mal eine kleine Auswahl an Weinen verkosten. Dieser VINUM-Guide bietet eine erstklassige Vorauswahl dafür. Und noch etwas zeigte diese Probe: Trotz schwieriger Jahre ist die Qualität durchwegs gut. Selbst 2021, im Wallis wahrlich alles andere als ein guter Jahrgang, brachte weisse Spezialitäten von Niveau hervor.

Von der Qualität eines grossen Petite Arvine muss mich keiner überzeugen. Die Sorte strahlt weit über die Grenzen des Wallis hinaus, sie zählt zu den Aushängeschildern des Weinlandes Schweiz. Und sie war die erste Schweizer Sorte, mit der ich in Kontakt geriet. Ein Tourbillon von 2012 oder früher gelang in mein Glas, als ich, noch ganz Novize in der Weinwelt, meine ersten Schritte machte. Ausgeschenkt, na klar, von einem Walliser Einkäufer in einer Berliner Weinrunde. Diese Dichte und Kraft, diese Würze – das sind Genusserinnerungen, die man nicht so schnell vergisst. Ein Initiationsmoment sozusagen. Und ich dachte: Wie schön es doch ist, Ambassadeur seiner Heimat zu sein, mit so einem Wein in der Hand. Hoffentlich können das viele erleben, die von der Magie Schweizer Weine noch wenig wissen und noch weniger verstehen. Trotzdem hat mich bei dieser Verkostung der Humagne Blanc am meisten überrascht.

«Was die Walliser Produzenten mit Humagne Blanc machen, verdient einen Platz in der ersten Reihe.»

Miguel Zamorano Redaktion VINUM

Die Sorte war mir bisher nur am Rande aufgefallen, auch weil sie auf offenen Verkostungen von anderen Sorten aus dem reichen Portfolio Walliser Weinmacher in den Hintergrund gedrängt wird. Doch was Produzenten wie Histoire d’Enfer, Sélection Excelsus oder Caves du Paradis auf die Flasche ziehen, ist schon sehr stark und verdient, in den ersten Reihen weisser Cuvées seinen festen Platz einzunehmen. Gut, dass wir das alles in der Blindverkostung erleben durften. Diese dienen ja primär dazu, allen Weinen und damit allen Winzern die gleichen Startbedingungen zu geben. Das Ergebnis der ein oder anderen Degustation wäre sonst komplett anders ausgefallen. Das musste ich mir bei dieser Verkostung immer wieder vor Augen halten. Offen ausgeschenkt, hätte ich wohl nur zum Petite Arvine gegriffen.


Die Top 10 der verkosteten Weine

RangBeschreibung
1
95/ 100
Punkte
Wallis, Westschweiz, Schweiz
Le Vin de l'A
2
94/ 100
Punkte
Wallis, Westschweiz, Schweiz
Julius Fam. Pierre-Alain Mathier
3
94/ 100
Punkte
Wallis, Westschweiz, Schweiz
La Siseranche
4
94/ 100
Punkte
Wallis, Westschweiz, Schweiz
Histoire d’Enfer S.A.
5
93/ 100
Punkte
Wallis, Westschweiz, Schweiz
Maurice et Jean Claude Favre
6
93/ 100
Punkte
Wallis, Westschweiz, Schweiz
Benoît Dorsaz
7
93/ 100
Punkte
Wallis, Westschweiz, Schweiz
Famille Roten SA
8
92/ 100
Punkte
Wallis, Westschweiz, Schweiz
Provins Valais
9
92/ 100
Punkte
Wallis, Westschweiz, Schweiz
Serge Roh
10
92/ 100
Punkte
Wallis, Westschweiz, Schweiz
Cave La Pleine Lune – Christian Crittin

Die Verkostung

Alle Weine wurden bei den Produzenten angefordert, pro Weingut waren maximal zwei Weine zugelassen. Thomas Vaterlaus und Miguel Zamorano verkosteten am 21. und 22. Mai 2025 in den Schlieremer Räumlichkeiten von VINUM. Die Weine wurden verdeckt entkorkt und blind verkostet.

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