Der Sherry-Revolutionär

Willy Pérez, Jerez de la Frontera, Andalusien

Text: André Dominé, Fotos: z.V.g.

Unaufhaltsamer Wille und unermüdliche Energie ergriffen Willy Pérez, als er begriff, dass Sherry einst ein Wein war, dessen Qualitäten und Stile allein durch Lagen und Weinbergarbeit bestimmt wurden. Seither hat er mit trockenen Vinos de Pasto und unverstärkten Sherrys ein neues Kapitel in der Geschichte der berühmten Weinregion in Andalusien aufgeschlagen.

Willy war auf die Minute pünktlich. Wir trafen uns an der Kathedrale von Jerez. Ein Stück die Calle Espiritu Santo hinauf bog er in eine Gasse ein und schloss eine weisse Metalltür auf. Hinter dem Patio traten wir in einen Vorraum, dessen Wände mit Flamenco-Fotos und Plakaten dekoriert waren: Peña Buena Gente. Im kleinen Konzertsaal würden sie eintrittsfreie Flamenco-Abende veranstalten. Auch eine Schule gehöre dazu. Eine Gruppe von zehn Leuten stünde aktiv dahinter. Auch er. Nach dem fünfbändigen, demnächst erscheinenden Monumentalwerk «Los Sobrinos de Haurie» (Die Neffen von – Domecq- Gründer – Haurie), in dem er und sein Freund Ramiro Ibáñez alles Wissen über El Marco de Jerez und dessen berühmte Pagos zusammengetragen haben, ist Willy Pérez dem Flamenco auf der Spur.

Musik hat Willy schon früh angezogen. Nach Jahren Klavierunterricht brüskierte er seine Mutter, als er mit 15 auf E-Gitarre umstieg und 1996 mit Schulfreunden die Punk-Rock- Band Schooldrivers gründete. Mit 19 schwer erkrankt, war ihm nun Live-Musik verwehrt. Kaum genesen, konzentrierte er sich aufs Aufnehmen, während er ab 2002 erste Erfahrungen im von seinem Vater neu gegründeten Weingut Bodegas Luis Pérez sammelte. «Recording und Mastering waren wie das Blenden von Wein», erkannte er. Fortan war für ihn auch Wein Kunst. In den damaligen Weinen zählten Überreife, Stärke und übermässig neues Holz. «Das war genau wie mit der Punk-Rock-Musik, die ich aufnahm und die den gesamten Raum ausfüllte. Ich entdeckte, dass Nase, Mund und die anderen Sinne davon wie betäubt waren.» Für ihn war das kein Phänomen von Robert Parker, sondern vom damaligen postmodernen Zeitgeist, der sich ab 2007 anfing zu ändern. «Man begann wieder, analoge Dinge aufzunehmen, nicht immer nur volle Lautstärke.»

Die Nacht des Feuers

Hacienda Vistahermosa, der Sitz von Bodegas Luis Pérez, grüsst mit einem spektakulären Glasbau, von dem man ganz Jerez überblickt. Luis Pérez Rodríguez, Professor für Önologie und früherer technischer Direktor der gigantischen Bodegas Domecq, pflanzte dort 2002 Syrah, Merlot und Petit Verdot. Der dort kreierte Garum dürfte heute der meistverkaufte Rotwein in Andalusien sein. Das alte Bauernhaus daneben diente über zwölf Jahre als Weinkeller. «Wir wuchsen sehr schnell», erzählt Willy. «Jedes Mal, wenn ich hier die Ernte beendet hatte, reiste ich in ein Weinland der südlichen Hemisphäre, um zusätzliche Erfahrungen zu machen und etwas Geld zu verdienen, denn wir begannen mit nichts.»

2008 ging es nach Australien zu Bleasdale, wo man Willy mit Fragen löcherte, was man brauchen würde, um Sherry zu machen. Ihm wurde klar, dass er das selbst nicht wusste. Zurück in Jerez begann er, Bücher über Sherry zu lesen. An die 120, vor allem aus dem 18. und 19. Jahrhundert, als der Domecq-Sherry El Majuelo der teuerste Wein der Welt war. Trotzdem packte Sherry Willy noch nicht wirklich. Da stiess er auf ein 1834 veröffentlichtes Buch des Schotten James Busby. «Darin gab es ein Interview mit Pedro Domecq, dem Gründervater. Es war faszinierend. Bis dahin war Sherry, nach allem, was ich gehört und gelesen hatte, näher an einem Brandy als an einem Wein.» Doch Domecq sprach über Böden, Weingärten, Rebschnitt, Traubenselektion und Gärung. «Wenn der bedeutendste Mann in der Sherry- Geschichte nicht ein Wort über Alterung verlor, dann konnte meine Generation eine Verbindung mit der Vergangenheit finden! Ich las bis 2 Uhr morgens. Für mich war das die Nacht des Feuers.» Als Willy am anderen Morgen aufwachte, war er ein anderer. «Wir sind jetzt die Generation des Bodens, des Weingartens, der Natur und das Gegenteil von dem, was man mir über Sherry erzählt hatte.»

«Der wichtigste Punkt für mich beim Weinmachen ist Identität. Wir müssen vermeiden, alles sein zu wollen.»

Seit 2011 kann Willy in der neuen unterirdischen Kellerei mit Schwerkraft auf sanfteste Weise vinifizieren, während im Glasbau darüber vielfältige Events stattfinden. Eine Verordnung des Sherry-Büros von 1969 bestärkte ihn in seinem Ansatz. Darin stand, dass alle Sherrys durch mindestens einen Tag an der Sonne getrocknete Trauben verstärkt werden müssten. 2013 brachte er den ersten nicht mit Alkoholzugabe verstärkten Sherry heraus! Im gleichen Jahr erwarb er die Finca El Corregidor (fast 250 Jahre im Besitz von Sandemann) in der Spitzenlage Carrascal mit herausragenden Barajuelas Albariza, Kalkmergel, der für hervorragende, nicht verstärkte Einzellagen- Sherrys prädestiniert ist. Ohne Solera, immer nach Jahrgängen, die markante Unterschiede aufweisen, getrennt gehalten und bisweilen assembliert. Hier wie in Macharnudo und anderen berühmten Lagen sind die Geschichte und ihre Heroen wie Pedro Domecq, Manuel Maria Gonzalez oder Valdespino präsent. Willy hat ein Vermögen ausgegeben, um historische Sherrys zu probieren und ihren Geschmack zu verinnerlichen. Mit seinem Weggefährten Ramiro Ibáñez (Cota 45) sicherte er sich 2016 das ideelle Erbe und den Namen von M. Antonio de la Riva, unter dem sie traditionell gemachte Weine abfüllen. Darunter auch Vino de Pasto, den Tafelwein aus Palomino, dem sie – angeregt durch Dirk Niepoorts Vorreiter von 2008 – eine grandiose Renaissance bescheren. «Als wir anfingen, im ikonischen Pago de Macharnudo in unseren Weingärten San Cayetano und La Escribana zu arbeiten, haben wir ab 2017 mit der Wiedererfindung der klassischen Vinos de Pasto unserer Region begonnen », merkt Willy an. «Niemand in New York oder London kümmert sich um Sherry. Überall nehmen dessen Verkäufe ab. Weisswein ist heute eine neue Weise, Sherry zu konsumieren, eine neue Form, die jeder verstehen kann. Deshalb wächst dieser so schnell. Dabei wollen wir wirklich alles wie beim Sherry machen. Also vergären wir in Sherry-Fässern und haben einen kleinen Hauch von Flor.»

Mit Willy die Weinberge von Jerez zu besuchen, ist nicht nur eine Einführung in das alte Konzept der Pagos, wo jede einzelne Parzelle separat vinifiziert wurde, so wie er es wieder tut. Zugleich ist es ein Eintauchen in Geschichte, Bodenkunde, Weinbau und Nachhaltigkeit. Die besten Albarizas, blendend weisse Skelettböden, enthalten weniger als ein Prozent organischer Materie. Zu wenig für aktives Bodenleben. «Wir arbeiten viel mit organischem Material, wir haben 22 Pferde und eigenen Kompost zum Mulchen und Begrünen», erklärt er. Aber werden die Böden zu fruchtbar, taugen die Trauben nur für Einstiegsweine. Er analysiert die Böden präzise und variiert seine Aktionen. «Wenn man dieses stimulierende Gefühl hinten im Mund erhalten will, braucht es grosse Kalkböden und viel Stress. Das ist ein Puzzle, das wir kontinuierlich managen.» Reiche Böden haben noch nie grosse Weine ergeben.

Wie einst verwendet Willy Asoleo, das Trocknen der Trauben in der Sonne, um seine Weine anzureichern. Und wo es um trockene Weine oder Finos geht, setzt er auf Flor, aber mit Bedacht. «Flor reduziert Alkohol und Volumen im Mund. Er ist perfekt für das südliche Klima. Aber davon abhängig, ob man in einem heissen oder weniger heissen Jahrgang ist, muss man mehr oder weniger Flor einsetzen. » Es geht um Feinabstimmung. Er hat auch viel neu gepflanzt, nicht zuletzt die rote Tintilla. Seit zehn Jahren kreuzt er sie mit Palomino, um letzterer mehr Säure zu verleihen. «Ich habe, wenn alles gut geht, noch 30 Jahre Zeit. Ich wünsche mir, dass ich meiner Familie, aber auch meiner Region eine neue Rebsorte hinterlassen kann. Nur muss man sehen, ob die Leute in 30 Jahren noch Alkohol trinken», lacht er.

Ungewohnte Dimensionen

Fussend auf der wahren Tradition des Sherry gelingen Willy Pérez weisse Tafelweine und nicht aufgespritete Finos von ungemein stimulierendem Charakter

 

Luis Pérez Tintilla Balbaina 2022
Vino de la Tierra Cádiz

93 Punkte | ab 2025 

100% Tintilla aus dem Pago Balbaina, handgelesen, sanfte Maischegärung mit 60 Prozent Rappen. Tiefes Kirschrot. Intensive Nase, rote Früchte, Pfeffer, feine Würze. Reizvolle Frische, Sauerkirschen, Kräuter, viel Dynamik, salziger Akzent, eigenes Profil.

 

Luis Pérez La Escribana 2023
Macharnudo – Vino de Pasto

94 Punkte | ab 2025

Palomino vom Albariza-Kalk, sechs Monate zur Hälfte unter Flor im Sherryfass. Intensiv, frisch, Feuerstein, gelbe Früchte, Zitrus- und Hefenoten. Am Gaumen kalkige Mineralität mit viel Druck und Präsenz, salzig, mundwässernd, stimulierend und sehr lang.

 

M. Ant. De La Riva – San Cayetano 2023
Pago Macharnudo – Vino de Pasto

97 Punkte | Ab 2025

Palomino aus der grandiosen Parzelle San Cayetano, 1988 gepflanzt. Aromatisch, fruchtig, mineralisch und elegant. Sehr intensiv und komplex am Gaumen, voll Energie, salzig, grosse Finesse.

 

M. Ant. De La Riva – La Riva 2022
Macharnudo – Vino de Pasto

98 Punkte | Ab 2025

Palomino aus dem legendären Weingarten El Notario. 8 Stunden sonnengetrocknet, 2 Jahre unter Flor ausgebaut. Intensive Flor- und Fruchtaromen, rauchige Kalknoten. Hinreissende Präsenz, dichte Textur, viel Salz, Kalk und Ausdauer.

 

Luis Pérez Palma Caberrubia Carascal Saca VIII Viña El Corregidor

95 Punkte | Ab 2025

100% Palomino. Unverstärkter Sherry von alten Reben, spät gelesen, Ausbau in alten Fässern, Blend der Jahrgänge 2017 bis 2020. Getöntes Gold. Rauchig, nussig, balsamisch, Orangenzesten, Honig, Kalk. Im Mund sehr komplex, markant mineralisch, salzig, feine Bittertöne, ewig lang.

 

Luis Pérez Villamarta 2014
Carascal Viña El Corregidor

9100 Punkte | Ab 2025

Unverstärkter Fino, mehrfach gelesen, teils lange sonnengetrocknet, 11 Jahre gereift. Bernsteingold. Wunderbar intensiv, Flor, gelbe Früchte, Mandeln, Tabak. Vielschichtig, grossartige Frische, Dynamik und superbe Ausdauer.

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