Überraschend kombiniert

Matjes und Grüner Veltliner

Text: Ursula Heinzelmann, Foto: Martin Hemmi

Jeder kennt Geheimtipps beim Kombinieren von Wein und Speisen. Die originellsten Mariagen stellen wir Ihnen in dieser Serie vor. Zum Matjes serviert Autorin Ursula Heinzelmann Grünen Veltliner.

 

Grossartige Kombinationen von Weinen und Speisen offenbaren sich oft durch Zufall – oder im Zustand reiner Not, wie in diesem Fall. Zwei aufgeregte, frisch verheiratete Rieslingfans mit gut bestücktem Keller er-warteten des Abends drei renommierte Rieslingwinzer. Es war Anfang Juni, die beiden wohnten in Bremen, und deshalb sollte es zum ersten Wein ganz regional und saisonal Matjesfilet geben. Nun gibt es ja so einiges, was Sommeliers nach klassischer Ansicht angeblich viel Kopfzerbrechen bereitet und sich im praktischen Test der Gegenwart als gerade zu weinaffin erweist, wie etwa Spargel oder selbst die in önologischen Kreisen immer wieder gemobbten Artischocken. Doch Matjes ist ein Rieslingkiller.

Das wurde den beiden Protagonisten dieser Geschichte in panikerfüllter letzter Minute klar, als sie die saftigen dicken Doppelfilets auf dünn gebutterte Roggenbrot-Canapés gepackt hatten und eines davon zum bereits geöffneten, vorbereiteten Wein naschten, selbstverständlich einem Riesling. Pfui Teufel  – der metallisch-grässliche Kombinationseffekt von fruchtiger Säure und salzigem Fett trieb sofort den Korkenzieher in andere Rieslingkandidaten. Doch es half nichts, ob mit oder ohne Süsse, dick oder dünn, jung oder gereift: Das Ergebnis war jedes Mal gleich scheusslich. Die Zeit drängte, die Gäste konnten jeden Augenblick auftauchen. Mit entschlossener Verzweiflung (oder war es verzweifelte Entschlossenheit?) griffen die Rieslingfans zu etwas ganz anderem: Ein Grüner Veltliner aus dem Kremstal in Niederösterreich lag versteckt im Kühlschrank. Durchs Küchenfenster war bereits ein Taxi zu erkennen. Plopp machte der Korken, eine hoffnungsvoll zitternde Hand schenkte ein, während die andere zum Matjesbissen griff – und als es gleich darauf klingelte, stieg ein Seufzer aus tiefster Rieslingseele auf und verband sich mit diesem Klang zu einem Stossgebet des Dankes an den grossen Gott des Weins.

Was den Riesling in all seinen Formen so unangenehm aus den Geschmacksangeln gedreht hatte, vertrug sich bestens mit dem mineralischen, trockenen Veltliner. Mit 13 Volumenprozent Alkohol hatte er dem Matjesfett genug Schmelz entgegenzusetzen, doch die kräuterwürzigen, an Wermut erinnernden Aromen stritten nicht füllig mit dem jungfräulichen Fisch, sondern erinnerten ihn an seine Herkunft, die Tiefen der kühlen Meere. Das Kremstal war vor über 20  Jahren ebenso ein Newcomer in der Weinszene wie der Matjes in den Augen von Spitzenköchen und -essern ein kulinarischer Outcast, und vielleicht verstanden sich die beiden deshalb auf Anhieb. Es wurde ein grossartiger Abend, und im Laufe der inzwischen vergangenen 20  Jahre kam diese Kombination noch so manches Mal zum Einsatz, mit viel weniger Stress, aber immer einem leisen, erinnernden Lächeln auf Seiten der beiden Rieslingfans.

Versuchen Sie’s!

Die Speise

Amerikanische Foodies nennen Matjes in Anlehnung ans Jiddische meist «schmaltz herring» und beschreiben ihn als sushiartig. Beides trifft genau des Pudels Kern, wenn der Matjes wirklich von Spitzenqualität ist, nämlich nicht zu salzig. Matjes sind jungfräuliche Heringe, die noch keine körpereigenen Fettreserven auf die Bildung von Milch oder Rogen verwandt haben. Sie werden weniger stark gesalzen als klassische Salzheringe und brauchen im Gegensatz zu diesen auch nicht gewässert zu werden. Traditionell werden sie nicht ausgenommen, sondern nur gekehlt: Die Bauchhöhle wird aufgeritzt, so dass die austretenden Enzyme sich in ihrer Wirkung zum konservierenden Salz gesellen (obgleich bei einem Grossteil der angebotenen Matjes heute leicht dosierbare Enzympulver zum Einsatz kommen). Es lohnt sich, nach Spitzenware Ausschau zu halten, denn die besten Matjes schmelzen förmlich auf der Zunge

Der Wein

Bevor übermässig verallgemeinernde Missverständnisse aufkommen: Deutlich mineralisch sollte der Veltliner sein, trocken und von einem kargen, steinigen Boden. Nach Frucht duften darf er durchaus, weil er trotzdem ganz anders mit Frucht und Säure umgeht als ein Riesling. Mittlere Qualitäten aus kühleren Seitentälern verhalten sich matjesfreundlicher als Wachauer Smaragde aus einem Spitzenjahr – denken Sie an die kühlen Tiefen des Meeres.

Die Mariage

Nichts einfacher als das – vorausgesetzt, es findet sich eine zuverlässige Matjesquelle, was ja jenseits der Alpen nicht ganz so einfach sein soll wie in Bremen. Eventuelle Grätenreste entfernen, damit nichts den Fischschmelz stört, auf dünn gebuttertes Roggensauerteigbrot packen, Flasche öffnen... Interessant ist auch eine vom Sushi-Vergleich inspirierte Variante mit ein wenig eingelegten japanischen Gurken zwischen Brot und Fisch, das Ganze umwickelt von einem Streifen Nori-Alge. Dieser zusätzliche Umami-Touch hilft beim Andocken an die mineralisch-salzigen Aromen im Wein.