Weinvariationen zu:

Walnüssen!

Text: Ursula Heinzelmann, Fotos: Manuel Krug

Die Walnuss ist des Weinliebhabers Freund: Sie bringt auf schöne Art eine leise Bitternis ins Geschmacksspiel, die uns von Rotwein-Tanninen vertraut ist, zugleich freuen sich Aromen und Säure im Weinglas aber auch über ihre Lieblichkeit und Fülle. Noch besser: die Nuss kann süss und salzig! 

Bitteres auf dem Teller lässt ja in der Regel zuerst Skepsis in uns aufsteigen, doch bei genauerer Betrachtung und fortgeschrittener Geschmacksintelligenz wird aus der anfänglichen Irritation eine ganz eigene Faszination. Bitter ist der kleine Widerhaken in samtiger Süsse, der ansonsten dekadent üppiger Fülle Rückgrat verleiht. Bitter in seiner besten Form lässt uns hinhorchen und hinschmecken und zum nächsten Bissen greifen. Und zum nächsten Schluck! Was denn dies mit unserem Thema, den Walnüssen, zu tun hat? Die sind doch nicht bitter. Doch, sind sie, durch Polyphenole, die in der grünen Aussenschale, der harten inneren Schale und (hier vor allem von kulinarischem Belang) in den dünnen Häutchen sitzen, mit denen die gefurchten Kerne umgeben sind. Nicht jeder von uns nimmt das bewusst wahr, wer viel schwarzen Kaffee trinkt und seine Schokolade am liebsten ganz dunkel mag, hat wahrscheinlich eine hohe Bittertoleranz, während andere bereits bei weissem Spargel empfindlich reagieren.
In der Kombination mit Wein lässt sich mit der walnusseigenen Spannung zwischen lieblich und bitter trefflich spielen. Wahrscheinlich kommt Ihnen da besonders jetzt im Dezember zuerst Süsses in den Sinn. Ganz schlicht, ganz fein, die letzten Birnen und Äpfel, reife, mürbe alte Sorten wie Reinetten, Goldparmänen oder Gute Luise, dazu Walnüsse bester Qualität, ein Instrument zum Öffnen und ein Glas Amontillado Sherry – das passt auch statt Kaffee an einem grauen, frösteligen Nachmittag. Ersetzen Sie das frische Obst durch getrocknete Feigen und Dörrzwetschgen, dann darf es gereifter Tawny Port sein, wenn Sie dazu noch ein Stück Blauschimmelkäse legen, bietet sich Madeira an, ein fünf Jahre gelagerter Boal, der Karamell mit Frucht und dunklen Kaffee- und, ja, Nussaromen verbindet.

Rancio, das ganz besondere Aroma in oxidativ ausgebauten Weinen
Wahrscheinlich liegt Ihnen bereits jetzt das Stichwort «rancio» auf der Zunge, und ja, wir müssen über ranzige Nüsse sprechen (nicht zu lange und nicht zu warm lagern!) und vor allem ranziges Öl (bitte grundsätzlich im Kühlschrank und nicht zu lange aufbewahren). Aber «rancio» – damit meinten Sie dieses ganz besondere Aroma in oxidativ ausgebauten Weinen, wie eben Tawny Port, alten Colheitas, gereiftem Oloroso, oder in den beinahe in Vergessenheit geratenen, nun vereinzelt wieder in Glasballons in der Sonne gelagerten Rancio-Sec-Weinen aus dem Roussillon. Durch die Maillardreaktion von Zucker mit Aminosäuren sowie Oxidation entstehen Aromen, die an Trockenfrüchte, zerlassene bis käsige Butter und eben sehr trockene, herbe Walnüsse erinnern, mit denen sie im berechtigten Umkehrschluss grossartig harmonieren… Auch Vin de Noix, Nocino oder Walnuss-Schnaps beziehungsweise -Likör aus grünen, um St. Johanni geernteten Nüssen gilt es zu erwähnen, bevor wir zurückkehren zum Wein als solchem. Ganz klassisch machen wir grüne Blätter wie Nüssli-/Feldsalat mit Walnussöl und Zitrone an, legen eher jungen Ziegenkäse wie Crottin de Chavignol dazu und schenken Sancerre ein. Wenn wir ein «richtiges» Walnussöldressing machen, mit Dijonsenf und einigen gehackten Kernen, träufeln wir das über gebackene Randen/Rote Beete (dazu einige Brocken Feta-Käse!) oder gedämpfte Broccolisprossen und trinken dazu Barbera d’Asti oder auch Ruchè, eine alte Piemonteser Sorte, deren Rotweine nach wilden Rosen, Zimt und Nelken duften und dabei doch ganz herb sind. Von einem Könner wie Luca Ferraris passen sie auch gut zu einem roten, rohen Krautsalat, mit einigen herben Äpfeln, einer Idee Blauschimmelkäse, Walnüssen und einem Dressing wie vorher, allerdings mit Rotweinessig statt Zitrone.

Alte und ungewöhnliche Walnuss-Rezepte aus Persien
Der Ursprung der bittersüssen Kerne liegt in Persien. Rund um dieses alte Kulturgebiet stösst man bis heute auf eine Vielfalt an teils sehr ungewöhnlichen Rezepten. Am bekanntesten davon ist Fesenjān, Huhn- oder Entenfleisch, das in einer sämigen Sauce aus zerstossenen Walnusskernen und eingedicktem Granatapfelsaft geschmort wird. Abgeschmeckt mit etlichen Gewürzen, von getrockneten Rosenblättern über Zimt und Pfeffer bis hin zu Ingwer, dominiert neben den Nüssen vor allem die säuerliche Note: trockener, flaschengereifter Arbois Savagnin Ouillé (also nicht oxidativ ausgebaut) aus dem Jura wie der 2011 von der Domaine de la Pinte. Er greift die fruchtige Seite auf und bringt genug Körper mit, um Nüssen und Fleisch auf Augenhöhe entgegenzutreten. Alternativ öffnen Sie einen gestandenen trockenen Chenin Blanc von der Loire wie den Rochefer der Familie Mosse – eine wunderbare Abwechslung zum Festtagsbraten-Rotwein-Ritual. 
Für noch mehr Abwechslung und noch weniger Fleisch versuchen Sie sich entweder an unserem Fisch-Salat oder rühren Sie zerstossene Walnüsse einfach mit etwas Knoblauch, Weissweinessig und Olivenöl zu einem Dip, den Sie mit Salz, Cayenne, Bockshornklee und Koriander abschmecken und mit einem unserer Weinvorschläge zu rohen Gemüsen stellen – tut gut, schmeckt gut.

Ribeiro Santo Encru­zado: Der Erfrischende – belebt Fisch, Nüsse und Geniesser wie ein unverhoffter Sonnenstrahl.

Ribeiro Santo Encruzado 2016

Carlos Lucas | Carregal do Sal | Dão (PT)

13,5 Vol.-% | 2018 bis 2026

Encruzado ist eine autochthone weisse Rebsorte, die es quasi ausschliesslich im Dão im Zentrum Portugals gibt. Die Frische sehr reifer Zitronen, aber nicht das Sauerspritzige, sondern die aromatische Tiefe der Öle, die in der Schale sitzen, und auch hier wie bei den Nüssen etwas Herbes in der runden Säure, das dann in harzig-balsamische Noten übergeht. 

Rkatsiteli Qvevri: Der Ernste – belohnt die Aufmerksamkeit mit unerwarteter Aromatik. 

Rkatsiteli Qvevri 2013

Kindzmarauli | Kvareli | Kachetien (GE)

12,5 Vol.-% | 2018 bis 2033

Vom Ursprung der Walnuss aus dem Osten Georgiens, nach alter Tradition als ganze Trauben in Qvevri, grossen Ton-Amphoren vergoren und gelagert. Eher orange als weiss und unbedingt bei Rotweintemperatur zu geniessen, um die Kräuter-, Mandel- und Honigaromen, aber auch die Gerbstoffe nicht zu vergewaltigen.

Bienenfresser Zweigelt: Der Überraschende – eine freundliche, warme Umarmung.

Bienenfresser Göttlesbrunner Zweigelt Reserve 2015

Weingut Familie Pitnauer | Göttlesbrunn | Carnuntum (A)

13,5 Vol.-% | 2018 bis 2030

Benannt nach dem farbenprächtigen Vogel, der ebenso aussergewöhnlich ist wie dieser Wein aus der Lage Bärnreiser, der zeigt, wie viel Charakter und Tiefe im vielgeschmähten Zweigelt stecken kann. Carnuntum mit seinen antiken römischen Wurzeln scheint dafür prädestiniert, weil die Donaunähe in all der konzentriert cremigen Schoko-Kirschfrucht für Frische sorgt.