Weintourismus
Mit allen Sinnen erleben
Text: Alice Gundlach, Foto: DM Südtirol-Alto Adige / Manuel Ferrigato, Oskar Da Riz / dariz.com, Alex Filz, Projektor Srl / Rickard Kust, Maike Holl, Felix Bacher, Hannes Niederkofler, manuelatessaro.it, Klaus Peterlin, Alex Filz, BFF Professional / J. Konrad Schmidt, Armin G., z.V.g. ,ANDREAS TAUBER

Alpines Abenteuer und mediterrane Lebensfreude: Südtirol hebt den Weinurlaub auf eine neue Stufe. Man muss kein Weinprofi sein, um in die Welt der Südtiroler Weinberge und Kellereien einzutauchen. Die Kellereien und Weingüter machen es ihren Gästen leicht, zu erkunden, wo ihre Weine herkommen und wie sie gemacht werden.
Immer mehr Winzer laden Reisende ein, den Wein nicht nur zu verkosten, sondern zu erleben: bei einem Picknick zwischen Rebstöcken, Offroad-Touren durch Steillagen oder Übernachtungen im historischen Ansitz.
Der Südtiroler Önotourismus geht ein auf das wachsende Bedürfnis vieler weinbegeisterter Urlauber nach Regionalität, Transparenz und echten Geschichten. Wer Südtirol heute besucht, kann Wein nicht nur trinken, sondern auch verstehen.
Architektur erlebbar gemacht

Südtirols Weingüter und Kellereien sind so vielfältig wie der Wein selbst: vom mittelalterlichen Ansitz bis zur reduzierten Design-Ikone. Die Weinkultur zeigt sich hier nicht nur im Glas, sondern auch in Gebäuden aus Stein, Holz und Glas. Immer mehr Kellereien und Weingüter setzen auf eine Architektur, die sowohl der Natur als auch dem Zeitgeist gerecht wird. Der Trend: Formen, die aus der Landschaft zu wachsen scheinen. Materialien, die Geschichten erzählen. Gebäude, die durch ihre Gestaltung schon zum Erlebnis werden.
Dabei stehen neue Kellergebäude oft direkt neben jahrhundertealten Gemäuern. Sie schaffen Kontraste, ohne zu dominieren. Und sie sind mehr als schöne Hülle: Viele sind konsequent nachhaltig geplant, mit Gründächern, natürlicher Belüftung und energieeffizienter Bauweise.

Ein Beispiel dafür ist der 2010 eröffnete Neubau der Kellerei Tramin. Der dunkle Stahlbau, der die für Besucher geöffnete Vinothek und den Keller beherbergt, ist umhüllt von einer grünen, unregelmässigen Gitter-Fassade. Entworfen wurde das Gebäude von dem Vinschgauer Architekten Werner Tscholl, der sich vom Wuchs der Weinreben inspirieren liess. Das Gebäude optimiert seine Klimatisierung selbst: Es fängt im Winter die Strahlen der Wintersonne ein und schirmt im Sommer die Räume vor der Hitze ab. Zur Kühlung des Kellers wird ausserdem Wasser aus dem eigenen Tiefbrunnen verwendet. Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach deckt 85 Prozent des Energiebedarfs.

Das Kellergebäude der Kellerei Kurtatsch spiegelt die Kreidefelsen der Dolomiten wider. Und die Fassade des 2022 eingeweihten Neubaus, geplant vom Bozner Architekturbüro Dell’Agnolo Kelderer, sieht den Felsen nicht nur ähnlich: Dolomitgestein aus der unmittelbaren Umgebung wurde auch für den Zement verwendet. Der Naturfels bildet die Rückwand der Kellerei. Die Vinothek mit Glaswänden unter der Fassade ermöglicht einen weitschweifenden Blick auf die Weinberge. Wer sich für eine Kellerführung anmeldet, steigt hinunter entlang eines «Terroir-Parcours», der mit Schaubildern und Gesteinsproben die ganze Geschichte der Wein-Herkunft erzählt. «Der Wunsch, unsere Wertschätzung für unser einzigartiges Terroir auch im Gebäude spür- und sichtbar zu machen, wurde perfekt umgesetzt,» erklärt Andreas Kofler, Obmann der Genossenschaft Kurtatsch.
«Die Wertschätzung unseres Terroirs soll auch im Gebäude spür- und sichtbar sein.»
Bedeckt von stilisierten Weinblättern ist die Fassade der neuen Vinothek an der Kellerei Kaltern, die 2018 fertiggestellt wurde. Ein Clou: Bei Nacht leuchten die Blätter und geben so dem kubischen Gebäude einen ganz besonderen Akzent. Der Mittelpunkt im Inneren der Vinothek ist eine ellipsenförmige Bar, die an ein grosses Eichenfass erinnert. Das Design vereint natürliche Materialien wie Holz und Stein mit moderner Formgebung und minimalistischen Ausstattungselementen. So schlägt es eine Brücke zwischen Tradition und Moderne. Entworfen wurde die Vinothek von der Architektin Jutta Winkler aus Bozen.

Das Weingut Manincor, ebenfalls in Kaltern, sieht man schon von Weitem – und es macht neugierig. Direkt an der Südtiroler Weinstrasse gelegen, veranlasst es viele Passanten zu einem spontanen Besuch. Als Erstes fällt der Blick auf die historischen Gebäude, die aus dem 17. Jahrhundert stammen und deren Fassaden originalgetreu renoviert sind. Die Weinberge des Gutes rahmen die Gebäude von allen Seiten ein – sie lassen erahnen, wie hier gearbeitet wird, nämlich biodynamisch. Bunte Blumen und Kräuter wachsen zwischen den Reben – der Weinberg ist ein Lebensraum, auch für die hauseigenen Bienen.
Wie modern hingegen der Keller ist, erkennt man erst, wenn man hineingeht. Der Neubau von 2004, geplant von den Architekten Walter Angonese und Rainer Köberl, liegt nämlich zum grössten Teil unter der Erde: ein Keller im Weinberg. «Er ist ein Manifest unserer Lebens- und Arbeitsphilosophie», drückt es Gräfin Sophie Goëss-Enzenberg aus, deren Mann Graf Michael das Weingut seit 1991 leitet – und in diesem Jahr an Sohn Cassian überträgt.
Vesper oder Fine Dining? Beides!

In der Südtiroler Küche verbinden sich kulinarische Welten: traditionelle bäuerliche Produkte wie Käse, Speck und Schüttelbrot treffen hier auf mediterrane Leichtigkeit. Und auch diese beiden Themenwelten lassen sich auf viele Arten spielen: im rustikalen Gasthaus oder im Sternerestaurant, in der Buschenschänke oder in der Pizzeria, auf der Almhütte oder im Szenelokal.
Und überall, wo gut gegessen wird, ist auch der Wein nicht weit. In den regionalen Lokalen ist die Auswahl regionaler Weine gross, hier kommt man auf den Geschmack – und findet vielleicht den einen oder anderen Tropfen, der zum Besuch des nächsten Weinguts führt.
Der Wein hat in Südtirol überdies eine beachtliche Entwicklung durchgemacht. Was heute in die Flasche kommt, ist das Resultat von vielen Überlegungen und Entscheidungen, die vor gut vier Jahrzehnten ihren Anfang nahmen.
Die späten 1980er Jahre brachten einen Einschnitt in die Geschichte des Südtiroler Weins. Hatte man bis dahin weitgehend auf Masse gesetzt, wurde damals der Kurs neu bestimmt. Das Ziel heisst seitdem Qualität, und es wird auch heute noch verfolgt.
«Traditionelle bäuerliche Produkte treffen auf mediterrane Leichtigkeit.»
Der Ausgangspunkt des Qualitätsstrebens ist die fundamentale Erkenntnis, dass sich Südtirols Lagen aufgrund ihrer natürlichen Vielfalt nicht über einen Kamm scheren lassen. Und das heisst wiederum, dass der erste Schritt sein muss, die am besten passende Rebsorte für die jeweilige Lage auszuwählen. Vor rund 40 Jahren wurde eine regelrechte Revolution eingeleitet: Es ist nicht mehr die Rebsorte, die der Lage aufgezwungen wird – sondern für die Lage wird die optimale Rebsorte bestimmt.

Wandlung vom Rot- zum Weissweinland
Die auffälligste Veränderung, seitdem sich Südtirol von einem vom Vernatsch dominierten Anbaugebiet zu einer Region, in der rund 20 verschiedene Rebsorten gedeihen, entwickelt hat. Damit ging einher, dass in dem früheren Rotweinland nun auf zwei Dritteln der Rebfläche weisse Sorten wachsen, allen voran Pinot Grigio, Weissburgunder, Chardonnay, Sauvignon Blanc – und natürlich die ursprünglichste weisse Südtiroler Rebsorte, der Gewürztraminer.
Unter den Rotweinen ist heute nicht mehr der Vernatsch der König – häufiger angebaut werden die zweitwichtigste rote Regionalsorte, der Lagrein, und vor allem Blauburgunder (Pinot Noir). Doch der Vernatsch ist nicht etwa verschwunden, sondern hat seine eigene Entwicklung durchgemacht. Zwar wird er heute nur noch auf acht Prozent der Rebfläche angebaut – im Gegensatz zu früher, als es bis zu 70 Prozent waren – dafür zeichnen die heutigen Vernatsch-Weine sich durch eine erheblich höhere Qualität aus. Viele ihrer Vertreter werden inzwischen von den Weinführern zu den grossen Südtiroler Weinen gezählt.
Müller-Thurgau kann auch anders

Eine Entdeckung sind überdies Weine von zwei Rebsorten, die anderswo eher wenig Beachtung finden: Müller-Thurgau und Kerner von den Hängen Südtirols. Ja, richtig gehört. Man kennt diese Rebsorten überwiegend als Mengenbringer aus Flachlagen mit wenig Charakter. In Südtirol aber, wo sie in Höhen gepflanzt werden, wo die Unterschiede der Tag- und Nachttemperaturen hoch sind, und sie überdies auf mineralischen Böden wachsen, spielen diese beiden Sorten ihre Stärken noch einmal ganz anders aus. Etwa der Müller-Thurgau Graun der Kellerei Kurtatsch, der in 800 bis 900 Metern Höhe wächst und teilweise im grossen Holzfass ausgebaut wird, zeigt eine ungekannte Spannung und aromatische Komplexität. Oder der Kerner Aristos der Kellerei Eisacktal: ein straffer, superfrischer und dabei eleganter Wein mit feinen exotischen Aromen.
Neu seit diesem Jahr: Lagenweine

Der jüngste Schritt in der Weiterentwicklung der Südtiroler Weinlandschaft wurde 2024 gegangen: Es wurden 86 Lagen identifiziert, von denen Weine mit Lagenbezeichnung kommen können – das ist komplett neu für Südtirol und auch im Rest Italiens nicht üblich. Für jede dieser Lagen wurden bis zu fünf Rebsorten bestimmt, aus denen Wein mit Lagenklassifikation gemacht werden dürfen.
«Übernachtungen in Weingütern versprechen intensive Erlebnisse ohne Kitsch.»
Die ersten Weissweine mit Lagenherkunft sind bereits auf dem Markt. «Es wird spannend sein zu beobachten, wie stark sich der Gedanke des unverfälschten Terroirs durchsetzt und ob sich das Erscheinungsbild der Etiketten von Marken- und Fantasienamen hin zu präziser geografischer Herkunft verschieben wird», sagt dazu Winzer Martin Foradori Hofstätter vom Weingut J. Hofstätter in Tramin. Er ist überzeugt von der neuen Klassifikation – wenngleich sie ihm noch nicht weit genug geht.
Suiten zwischen Reben

Weinreisen verbinden Genuss, Entschleunigung und authentische Begegnungen. Übernachtungen in Weingütern versprechen intensive Erlebnisse ohne Kitsch. Hinter den Mauern verbirgt sich Geschichte, hinter Wein-Etiketten eine Familie und hinter einer Aussicht ein Aha-Moment.
Schon die Gästezimmer und Ferienwohnungen kleinerer Familienweingüter sind oft komfortabel ausgestattet und mit Liebe zum Detail renoviert und eingerichtet. Unter den Übernachtungsmöglichkeiten in Weingütern finden sich auch regelrechte Wellness-Oasen mit Pool, Sauna und anderen Annehmlichkeiten.

Das jüngste Resort eröffnete gerade an Ostern: die «Castel Sallegg Suites» in Kaltern. Die 15 Zimmer sind luxuriös ausgestattet, teilweise mit restaurierten Antiquitäten. Die Premium-Suiten verfügen über eine eigene Loggia, Sauna im Zimmer und eine fantastische Aussicht auf das Dorf Kaltern und die Berge. Das Frühstück mit regionalen Produkten wird auf einer schattigen Terrasse auf opulent bestückten Etageren serviert.
Der Weinberg ruft

Wo und wie der Wein wächst und reift, können sich Weinreisende in Südtirol auch ganz genau ansehen. Viele Kellereien und Weingüter bieten geführte Touren durch ihre Weinberge und Keller an. Sie zeigen, welche Böden und Mikroklimata den Wein beeinflussen, wie er gereift und cuvetiert wird. Eine Fahrt oder Wanderung zu Aussichtspunkten und Verkostungsterrassen in den Weinbergen kann das Gespür für das Genussprodukt Wein ebenso verstärken wie ein Rundgang durch den Fasskeller.

Man kann die Landschaft aber auch auf eigene Faust erkunden. Wer die Weinberge in Südtirol erwandert, ertüchtigt sich dabei nicht nur körperlich. Mehrere ausgeschilderte Wanderwege führen gezielt durch den Weinbau, seine Geschichte und bisweilen auch zu bestimmten Rebsorten. Ansprechend gestaltete Objekte und spannend verpackte Infos sind zum Beispiel auf dem Gewürztraminer-Weg in Tramin, auf dem Blauburgunder-Weg am Rande des Naturparks Trudner Horn oder auf dem Weinwanderweg «Rebe» über Bozen zu erkunden.
Erst radeln – dann trinken

Die Weinlandschaft Südtirols lässt sich aber auch besonders gut mit dem Fahrrad oder E-Bike erkunden. Ein dichtes Netz gut ausgebauter Radwege führt nicht nur durch Täler und Dörfer, sondern auch mitten durch die Weinberge. Viele der schönsten Routen verlaufen direkt entlang der Südtiroler Weinstrasse, vom Eisacktal über das Unterland bis in den Vinschgau. Man kann auf eigene Faust losradeln oder eine geführte Tour buchen: Südtirol betreibt seit einigen Jahren ein «Bike Wine Ambassador»-Programm. Es verbindet die landschaftlichen Qualitäten mit einem kuratierten Weinerlebnis: Zertifizierte Guides begleiten Touren, die individuell geplant werden – sportlich oder gemütlich, mit Fokus zum Beispiel auf Rebsorten, Architektur oder Ausblicke. Der Wein wird auch verkostet – aber natürlich nicht während der Fahrt, sondern danach: bei ausgewählten Stopps mit Kellerführung, kommentierter Degustation und Gesprächen mit den Winzern.
Urige Weinfeste und hippe Szene-Events

Wie wohl jede Weinregion feiert auch Südtirol viele Weinfeste – von April bis Oktober findet man fast jede Woche mindestens eines in der Region. Der Festreigen beginnt mit der Bozner Weinkost im März/April im Schloss Maretsch in Bozen, zu der Weine von rund 40 Kellereien ausgeschenkt werden.
«Ein dichtes Netz gut ausgebauter Radwege führt durch Täler, Dörfer und Weinberge.»
Trubel in den Gassen von St. Pauls-Eppan herrscht bei den WeinKulturWochen (16. Juli bis 1. August 2025), beim Weinfest in Kaltern (13. bis 16. August 2025), beim Weingassl-Fest in Tramin (18. Oktober 2025) oder beim Traubenfest in Meran (18. bis 19. Oktober 2025). In Girlan öffnen sich die historischen Weinhöfe am 22. August für Verkostungen, Kellerführungen, Musik und Kulinarik von örtlichen Restaurants.