Einfach gute Küche

La Cucina

Fotos: z.V.g.

Der Blick schweift weit über die Hügel, die Chianti, mit ihrem ausgewogenen Mix aus Wäldern, Olivenbäumen, Feldern und Weinbergen, auf dem Tisch blinkt im Glas ein rubinroter Chianti Classico: Das Mahl kann beginnen.

Das Wasser läuft einem im Mund zusammen, wenn man nur hört, was uns erwartet: «Ravioli di Pera con Pecorino Senese, Fiori di zucca fritti con caponatina di verdure fresche und zu guter Letzt Il coniglio lardellato al forno.» Auf gut Deutsch: Birnenravioli mit Seneser-Schafskäse, frittierte Kürbisblüten mit einer Caponata von frischem Gemüse und schliesslich noch ein Kaninchen mit Bauchspeck im Ofen geschmort. Wir sitzen auf der Terrasse des «Ristoro di Lamole», auf einem der höchsten Punkte des Chianti Classico-Gebietes, auf dem noch Reben wachsen.

Die traditionelle Cucina der Toskana war ursprünglich eine bäuerliche und rustikale Küche, hat uns Valentino, seit langen Jahren Küchenchef im «Ristoro», zuvor erzählt. Es wurde alles verarbeitet, was der Boden, die Wälder und das Meer hergaben, ohne es allzu sehr zu verändern. Heute bemüht man sich allerdings auch, alte Traditionen wieder aufleben zu lassen, wie die Zucht der Chianina-Rinder oder der Cinta senesi, einer dunklen, langborstigen Schweineart, die einst in der Region von Siena lebte, dann aber vom weissen Schwein verdrängt wurde. «Cinta» ist übrigens der Gürtel, und das Schwein heisst so, weil sein Fell einen hellen Strich zwischen den beiden Schultern aufweist. Der Bestand an diesen Tieren schrumpfte in den 1980er Jahren des 20. Jahrhunderts auf ein paar Dutzend Stück. Jetzt gibt es durch konsequente Züchtung und auch Kreuzungen mit dem Wildschwein wieder einige tausend Exemplare. «Die ‹cinta senesi› hat einfach ein hervorragendes Fleisch», sagt Valentino. «Es ist nicht zu vergleichen mit dem normaler Schweine, weil es langsamer wächst und viel länger braucht, um Fett anzusetzen.»

 

Primo und Secondo

Wie sieht nun ein Menü in einer traditionellen Trattoria im Chianti aus? Zuerst einmal: Pane, Olio, Vino – das ist die Basis jedes Essens. Kaum ein Mahl startet ohne Bruschette, das sind mit Pasten aus Oliven, Innereien oder auch Fisch bestrichene getoastete Brotscheiben. Danach kommen die Salami und der Prosciutto auf den Tisch, in Greve zusammen mit einem Stück Radicchio. Eine Instanz unter den Primi (erster Gang) der Chianti-Küche ist die Ribollita, ein Eintopf aus Bohnen, Kartoffeln, Zwiebeln, Porree, Zucchini und anderem mehr, in einem Topf mit grossen Brotscheiben serviert. Ribollita, «die Wiedergekochte», heisst sie, weil sie nach dem Erkalten nochmals mit Öl aufgekocht und mit etwas Käse bestreut wird, bevor sie endlich auf den Tisch kommt. Trippa, Kutteln, zubereitet in einer pikanten Sauce, sind eine Spezialität aus Siena. Als Lampredotto gibt es sie aber auch als saftig-würzige Fülle eines Brötchens in Florenz.

Beim Secondo (zweiter Gang) hat man die Qual der Wahl zwischen einem bistecca (vom Rind) oder einem arista, einer Schweinelende, am besten «alla fiorentina», mit Rosmarinzweigen und zerstossenem Pfeffer aufgepeppt und danach mit Knoblauch, Öl, Fenchel, Salz und Pfeffer und noch allerlei Zutaten knusprig gebraten. Dieser Name wurde dem Gericht von griechischen Würdenträgern während des Konzils von 1430 in Florenz verliehen, die es als «aristos», göttlich, bezeichneten. Apropos Zutaten: Die holen sich die Toskaner auch gerne aus dem Wald. Pilze motzen die Pasta auf, und auch die weissen Trüffeln, die man von Anfang Oktober bis Januar findet, passen hervorragend auf Spaghetti mit Butter oder – noch simpler – auf ein Spiegelei. Geschichte geschrieben hat das Peposo aus Impruneta, das man in den Trattorie des Chianti heute noch bekommt: Es ist ein Eintopf aus Fleisch und Gemüse, der auch dem Florentiner Dom-Baumeister Brunelleschi vorgesetzt wurde, als dieser in Impruneta Fliesenmacher suchte. Er war so begeistert, dass er stattdessen einen Koch mit nach Florenz nahm.

 

Cucina, neu interpretiert

Fabio Picchi, im «Cibrèo» in Florenz eine Legende am Herd, wurde einmal gefragt, was man tun sollte, um gut kochen zu lernen: «Essen, essen und nochmals essen», war seine Antwort. Das heisst, die «Materia Prima», die Zutaten, zu schätzen und kennenzulernen, das Gemüse, das Fleisch, das Brot, das Öl der Toskana. «Nur wer mit ungeteilter Aufmerksamkeit isst, kann sich an die Geschmacksnuancen erinnern.» Picchi weiter: «Unsere Rezepte folgen daher dem Rhythmus der Jahreszeiten. Wir verlassen uns dabei auf die Fischer vor der toskanischen Küste und die Bauern rund um Florenz.»

Sein Kollege Fulvio Pierangelino sieht in der Vielfalt die grosse Stärke der Region: «Hervorragenden Fisch findet man ebenso wie einzigartige Rinderrassen, zum Beispiel Chianina oder Maremmana, Pilze und Trüffel.» Pierangelini muss es wissen, einst hat er im Gambero Rosso in San Vincenzo die toskanische Küche auf den Radar der Michelin-Kritiker gesetzt. Inzwischen berät er die renommierte «Rocco Fortee»-Gruppe und ist für die Küche des Bistrot Toscano «Irene» im Hotel «Savoy» in Florenz verantwortlich. Pierangelini: «Es sind nicht nur die Produkte, sondern die Personen, die die Qualität ausmachen: Für mich ist es essenziell, den Menschen zu kennen, der Karotten anbaut, einen Wein keltert oder eine Taube aufzieht, das ist für mich die Garantie für die Qualität eines Produktes.» So erfährt man aus der Karte, dass das Tartare di Manzo nicht nur bio ist, sondern von einem Rind des Signor Borgioli stammt.

Handverlesen sind auch die Lieferanten des «Ristoro di Lamolo», hoch droben über Greve in Chianti. Seien es lokale Metzgereien, heimische Trüffelsucher oder eben auch Winzer. Zum Käse wird uns dort ein Trebbiano der nahen Fattoria di Lamole serviert, ein würzig-fruchtiger Bianco von einem der höchsten Rebberge der Region, von dem das «Ristoro» gleich die gesamte Jahresproduktion an 700 Flaschen aufgekauft hat. Charaktervoll und einzigartig ist er – wie die toskanische Küche.