Breakpoint, Federleicht

Château D'Issan

mit Emmanuel Cruse

Der Grand Slam ist ihm sicher: Issan hat den Breakpoint, den Punkt, an dem man einen Match für sich entschieden kann, längst überschritten. «Ich hatte einfach Glück», winkt Emmanuel Cruse ab – mit der Bescheidenheit seines Schweizer Vorbilds.

Für Tennis habe ich mich schon früh begeistert. Ich bin praktisch im bekannten Bordelaiser Club Primerose auf die Welt gekommen, habe dort bereits als Heranwachsender stundenlang Bälle gegen eine Mauer geschlagen. 40 Jahre später nehme ich immer noch bei jeder Gelegenheit das Racket in die Hand.

Wein hat mit Tennis einiges gemein. Tennis ist ein intelligenter Sport – mit Doping und Grossmäuligkeit kommst du da nicht weiter. Wer sich an der Spitze behaupten will, braucht Durchhaltewillen und nimmt harte Arbeit in Kauf. Jede Geste musst du tausendmal wiederholen, bis sie sitzt, und damit immer wieder von vorne beginnen. Wenn du als Weinmacher erfolgreich arbeiten willst, stellst du dich bei jedem Jahrgang neu in Frage. Im Tennis kannst du einen Match gegen einen bestimmten Gegner zehnmal gewinnen, doch beim elften Mal unterliegst du ihm und musst dich und dein Spiel in Frage stellen. Im Tennis kann man sich dank Intelligenz, Finesse und Eleganz jahrelang an der Spitze behaupten, schlägt Gegner, die es mit Muskeln und brutaler Kraft versuchen. Eintagsfliegen, die sich zwei, drei Jahre oben behaupten und dann wieder von der Bildfläche verschwinden, gibt es im Wein wie im Tennis.

Vor drei Jahren hatte ich das Glück, nach einem Spiel in Roland Garros mit Roger Federer diskutieren zu können. Nach fünf Minuten war es, als würden wir uns schon seit 30 Jahren kennen. Federer spielt mit Finesse, Fairness, Bescheidenheit und Eleganz und zeigt so wahre Grösse. Hinter der scheinbaren Leichtigkeit seines Spiels steckt harte Arbeit.

Wenn er lieber mal auf einen Match verzichtet, als ein schlechtes Set zu spielen, gilt er bereits als abgeschrieben. Doch nur drei Monate später entscheidet er gleich wieder drei wichtige Turniere für sich.

Issan ist ein altes Gut, eines der ältesten in Margaux und damit in Bordeaux. Es gibt Dokumente, die denken lassen, das Weine, die hier geerntet wurden, bereits im Jahre 1152 bei der Heirat von Aliénor d’Aquitaine (Eleonore von Aquitanien) und dem englischen König Henri II. Plantagenêt auf die Tafel kamen. Im Jahre 1644 wurde die Mauer gebaut, die sich um den historischen Teil unseres Rebgartens zieht. 1855 wurde Issan mit rund 40 Hektar Reben als Troisième Grand Cru Classé eingeteilt. Heute besitzen wir 47 Hektar Reben. Der Grossteil unserer Böden ist folglich immer noch mit dem historischen Wingert von 1644 identisch. Im 17. Jahrhundert wurde Issan als «Ersatz» für Château Margaux gehandelt, und im 19. Jahrhundert war Issan der Lieblingswein von Kaiser Franz Joseph. Auf Issan wurde ein wichtiges Kapitel Bordelaiser Weingeschichte geschrieben. Die Besitzer – die Noilhans, die Ségurs, die d’Essenaults und wie sie alle heissen – wechselten, doch das einmalige Terroir ist geblieben. Meine Familie, die Cruse, sind 1815 in Bordeaux angekommen. Auf Issan spielen wir aber «erst» seit 70 Jahren mit. Als mein Grossvater das Gut kaufte, war es eine Ruine. Mein Vater hat 30 Jahre hart an seiner Wiedergeburt gearbeitet. Ich konnte die Früchte ernten. Wenn Leute mir auf die Schulter klopfen und sagen: «Emmanuel, seit du dich um Issan kümmerst, ist es wieder top», ist mir das eher unangenehm. Natürlich habe auch ich zum Erfolg des Gutes beigetragen. Doch ich hatte vor allem Glück, zu der Generation zu gehören, die vom Bordeaux-Boom und von einer fast unaufhörlichen Serie von Spitzenjahren profitieren konnte. Als eigentlichen Breakpoint auf Issan betrachte ich den Jahrgang 2005.

Seit 2012 haben wir mit Jacky Lorenzetti einen rührigen Mitaktionär, mit dem ich mich glänzend verstehe. Nicht zuletzt auf sportlicher Ebene. Jacky ist Präsident eines Rugby-Clubs. Mit ihm teile ich nicht nur Werte wie Kollektivspiel, minutiöse Arbeit, Durchhaltewillen. Er weiss wie ich (und hat das unter anderem auf Pedesclaux in Pauillac unter Beweis gestellt, das er 2009 erworben hat), dass die Zeit auf einem Grand Cru einfach langsamer tickt als anderswo, dass es Geduld und Ausdauer braucht, dass ein Grand Cru seine Besitzer überdauert. Nach uns werden andere über den eleganten, finessenreichen Stil von Issan wachen und begeistert stundenlang von Kaisern und Königen erzählen.