Primeur 2018

Heisse Sache!

Text und Verkostung: Rolf Bichsel, Barbara Schroeder

  • Château Margaux.
  • Château Couhins-Lurton, Pessac-Léognan.

Auf den folgenden Seiten folgen die Notizen von Fassproben, die Rolf Bichsel, assistiert von Barbara Schroeder, in exklusiv für VINUM organisierten Sitzungen verfassen konnte, dies über drei Wochen unter optimalen Bedingungen. Das erfahrene Duo präsentiert vor allem Weine, die in einigen Wochen in Subskription zu haben sind und im Frühjahr 2021 ausgeliefert werden.

(Grosse) Bordeaux-Jahre folgen sich und gleichen sich, seit das Klima verrückt (verrückt) spielt, immer weniger. 2018 ist das Jahr aller Rekorde – Hitze, Sonnenschein, Regen, Tanninmenge, Säureanteil Alkoholgrad – und teils bescheidener Erntemengen und muss als «Grosses Jahr» durchgehen, wenn Wein sich an langjährigen Werten messen lässt, mit dem Taschenrechner erurierbar ist und als möglichst hohe Summe aller Elemente auf die Zunge kommt. Dass Bordeaux 2018 gross zu sein hatte, illustrierten die enthusiastischen Kommentare der Bordeaux-Pokerspieler bereits kurz nach der Ernte. Doch der Spieler, der drei Jahrzehnte lang den idealen Vorwand lieferte, die Karten der Spekulationsjahrgänge zu mischen, ist nicht mehr mit von der Partie. Nach drei Wochen Primeurkampagne verwarfen daher auch die lautesten Jahrhundertjahr-Propheten resigniert die Hände: Ihr laut vorgetragenes Stossgebet verhallte ungehört.

2018 ist folglich kein Jahrhundert-Jahr, sondern, von Ausnahmen abgesehen, vor allem ein Jahr der hervorragend gemachten, aber fast immer sehr atypischen Weine. Die Schuld daran tragen nicht die Produzenten (ganz im Gegenteil, die haben viel Fingerspitzengefühl bewiesen), sondern der kapriziöse Wettergott, der offenbar davon ausgeht, dass Gegensätze sich anziehen wie Magneten. Nach Monaten anhaltender Regenfälle (die wenigstens dafür sorgten, dass der nach fast zwei Jahren Trockenheit arg strapazierte Grundwasserspiegel wieder in den grünen Bereich schnellte) änderte die Witterung Mitte Juli brutal: Plötzlich schien nur mehr die Sonne, das Thermometer blieb auf tropisch heiss festgeklemmt. Die Blüte ging unter diesen Bedingungen noch erstaunlich gut über die Bühne.

Doch die Rebe als Ganzes zog auf Dauer den Kürzeren. Falscher Mehltau machte besonders da zu schaffen, wo naturnah gewinzert wird. Mikroerträge auf den biologisch und biodynamisch arbeitenden Gütern waren unausweichlich. Was geerntet wurde, war hingegen perfekt reif und qualitativ sehr hochwertig, auf allen Gütern und in allen Lagen, dank des nicht enden wollenden Sommers und milden Herbstes. Doch die Konstitution der Beeren erwies sich als ungewöhnlich. Hohe Zucker- und Tanninwerte dank dicken Häuten und wenig Saft, aber auch erstaunlich hohe Säurewerte aufgrund der Feuchtigkeit im Boden trotz langer Trockenphase und der kühlen Nächte liessen ungewöhnlich konzentrierte Weine erwarten. Mit diesen Anlagen mussten die Macher umgehen. Sie setzten alles daran, den Alkoholgehalt auszubalancieren, durch die Säure, die folglich wie gerufen kam, mehr noch als durch die Tannine. Ein Übermass an Gerbstoff im fertigen Wein hätte zu klobigen, rustikalen Tropfen geführt, die nie richtig reif geworden wären. Das haben die Bordeaux-Winzer meist mit Brio vermieden. Die Rotweine sind enorm fruchtig, besitzen Saft, Fleisch, Struktur und Fülle, aber fast immer auch schwelendes Feuer, sogar in Gütern des linken Ufers, die mit einer Mehrheit an Cabernet Sauvignon arbeiten, der es auf ähnlich hohe Alkoholwerte brachte wie der Merlot. Einzig in Margaux findet man Alkoholwerte unter 14 Volumenprozent. Margaux ist daher klar unsere Lieblingsappellation.

Als Eselsbrücke mag gelten, dass die roten 2018er die Fruchtigkeit und Grosszügigkeit der 2009er mit der Tanninmenge der 2010er vereinen, doch mit der Zurückhaltung an Extraktion und Holzeinsatz der letzten drei, vier Jahren gekeltert wurden. Ihr Reifepotenzial ist beträchtlich: Weine dieser Konstitution sind nicht totzukriegen. Zweitmarken oder «kleinere» Weine sind oft besonders gelungen: das für Schnäppchenjäger. Doch die meisten 2018er besitzen nicht die komplette Art der 2016er oder die Eleganz der 2014er oder 2015er. Die trockenen Weissen sind fleischig und vollmundig, können, aber müssen nicht reifen, und die edelsüssen Sauternes rund und füllig, doch auch frisch und fruchtig, weniger elegant als 2016 und ohne die Botrytis-Komplexität grosser Jahre. Wie oft ist bis Redaktionsschluss nur eine kleine Anzahl Weine auf dem Markt: Hofften die Exponenten auf eine Preiserhöhung, stehen die Zeichen zurzeit eher auf Stabilität oder leichten Nachlass. Bordeaux bleibt damit auch 2019 die Region mit der weltweit grössten Fülle an empfehlenswerten Weinen.