Thomas Vaterlaus über dümmliche Etiketten

«Boom Boom» oder «Bitch»?

Text: Thomas Vaterlaus

Im Burgund sind die Labels klar wie die Weine: Winzer, Lage, Jahrgang, that’s it! Braucht’s mehr? Nee! Aber immerhin: Wenn auf einem knallgrünen Label eine Katze blöd grinst und darunter steht: «Cats pee on a Gooseberry Bush», weiss ich, dass dieser Sauvignon aus Neuseeland definitiv nichts für mich ist.

Wie die «Bitch», ein «jammy» Grenache, früher aus australischen und heute offenbar aus spanischen Trauben gekeltert, zu ihrem Namen kam, wissen wir nicht. Und ich denke mal, wir wollen es gar nicht wissen. Beim «Boom Boom», einem Syrah von Charles Smith aus Washington State, soll der Name immerhin als Hinweis darauf zu verstehen sein, dass es sich um eine «Fruchtbombe» handelt. Kaufen würde ich beide Weine allein schon wegen ihrer Namen nicht, ausser, ich sähe mich auf die alten Tage hin irgendwann mal doch noch dazu gezwungen, mein Geld als Barkeeper in einem Bordell zu verdienen. Dort würden die «Bitch» und der «Boom Boom» auf jeden Fall «bella figura» machen.

Wer mitverfolgt, was heute alles so für Wörter, Zeichnungen und Fotos auf Weinflaschen kleben, kommt zum Schluss, dass nun wirklich keine Idee mehr zu blöd ist, um realisiert zu werden. Allein der Missbrauch von Tieren ist besorgniserregend, denn auf den Flaschen tummeln sich nicht weniger als «Arrogant Frogs», «Fat Cats» und «Drunken Goats». Fehlt nur noch die Cuvée «Holy Shit»! Aber das ist glücklicherweise nur die eine Medaille der Thematik. Denn es gibt abgesehen von den urklassisch-zeitlosen Labels, die vor allem im Burgund, in Bordeaux oder in Châteauneuf-du-Pape erfreulicherweise unangetastet bleiben, durchaus auch neue Labels, die auf künstlerisch inspirierende Weise grandiose Geschichten erzählen.

Zum Beispiel das Label für den argentinischen Icon-Malbec «Argentino», welches Laura und ihre Schwester Adrianna Catena zusammen mit dem US-Künstler Rick Shaefer geschaffen haben. Es ist ein symbolbefrachtetes Sittengemälde, das die Geschichte des Malbec und der Familie Catena sowie diejenige der Emigration mannigfaltig miteinander verknüpft. Sozusagen ein monumentales Wandgemälde auf einer Flasche, ein Stück magischer Realismus wie die Romane von Gabriel García Márquez. Nicht weniger magisch sind die Geschichten, die uns der kalifornische Winzer Manfred Krankl erzählt: Jeder seiner «Sine Qua Non»-Weine transportiert eine Shortstory aus seinem individuellen Universum, dargestellt mit Holzschnitten, Collagen, Fotografien und Textbotschaften, die sich nie auf Anhieb entschlüsseln lassen und einen gerade deshalb so fesseln.

Die gefährliche Kay

Der «Argentino» von Catena und die «Sine Qua Non»-Weine haben etwas gemeinsam: Es sind grossartige Weine mit grossartigen Labels. Inhalt und Aufmachung stimmen hier also perfekt überein. Doch das ist leider nicht immer so. Viel komplizierter wird die Sache, wenn wir auf Labels von Weinen abfahren, die wir nicht wirklich trinken möchten. Ich denke da an «If you see kay». Schon der Name dieser mir viel zu üppigen Assemblage aus Cabernet und Zinfandel von der kalifornischen Central Coast ist reine Provokation, denn wenn man nur die Anfangsbuchstaben der vier Wörter artikuliert, rutscht einem doch tatsächlich ein «Fuck» über die Lippen.

Das ist aber noch fast züchtig im Vergleich zur Label-Illustration des kanadischen Künstlers Chen-Jeh Chen, welche eine sommerlich sehr leicht bekleidete junge Frau mit einem Feuerwerk an crazy Totenkopf-Tattoos zeigt, wie sie mit einem mutmasslich aufgepimpten Cabrio über den Highway braust. Ich bin ehrlich gesagt noch nie auf die Idee gekommen, diese Flasche zu entkorken, aber ich schau mir diese Lady immer wieder mal an, wenn ich durch mein Büro laufe, wo sie auf einem Regal steht. Und jedes Mal denke ich: Diese Frau ist gefährlich, aber sie hat definitiv was!

Ganz ähnlich geht es mir mit dem «Mercury Head», einem Cabernet Sauvignon aus dem Napa Valley von Orin Swift Cellars. Auch dieses Dickschiff mit ausgewiesenen 16,1 Volumenprozent Alkohol würde ich meinem Organismus nicht zumuten wollen. Aber die Flasche mit der eingelassenen Original-Münze, einem 10-Cent-Dime, der in den USA zwischen 1916 und 1945 im Umlauf war, verkörpert für mich – ganz im Gegensatz zum Wein – Eleganz in Perfektion. So ist letztendlich auch dieser Wein bei mir zum reinen Dekostück geworden.

Aber eigentlich ist das ganz gut so, meint doch mein Arzt, dass diese Art von Weinen allmählich eh die besten für mich sind.

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