Kultweine | Welche Crus sind ihren Preis wert?

ACHTUNG, KULT!

 

Kultweine haben eines gemeinsam: Sie sind sündhaft teuer! Doch entscheidet wirklich allein der Preis darüber, ob ein Wein KULT ist? NEIN, sagen die VINUM-Autoren und stellen ihre persönlichen Kultweine vor. Es sind Gewächse, die alle grösser sind als ihr zugegebenermassen hoher Preis… Bleibt die Frage, welcher Preis überhaupt zum Vergleich herangezogen wird: Wir haben uns in diesem Artikel nicht für den oft moderaten Preis ab Weingut entschieden (wo die Weine permanent ausverkauft sind), sondern für den effektiven Marktpreis, also jenen Preis, den der Weinliebhaber im Raritäten- und Auktionsmarkt zu zahlen hat, wenn er eine dieser raren Flaschen ergattern will. Ebenfalls wichtig: Die folgende Aufstellung geht von aktuellen Jahrgängen aus. Würden auch ältere Topjahrgänge miteinbezogen, lägen die Preise noch viel höher. Übrigens: Die zehn teuersten trockenen Weine der Welt kommen zurzeit alle aus dem Burgund, selbst Pétrus oder Screaming Eagle rangieren unter «ferner liefen»…


Rolf Bichsel trinkt

Sakral

CHÂTEAU PÉTRUS, POMEROL, BORDEAUX

Kult ist Religion. Wein auch. Historisch, meine ich. Das Blut Christi und so. Da war doch dieser skurrile Freund und Trader, der an den Entstehungsort seines Kultweins pilgerte, vor dem damals noch unscheinbaren Gütchen auf die Knie fiel, die Hände zum Himmel hob und den Herrn um Vergebung anflehte, weil er als alter Pétrus-Sammler (merke: Petrus, der Schlüsselmann, der über das Tor zum Himmel wacht) einen Teil seiner Kollektion an den Meistbietenden verscherbelt hatte, um den neuen uralten Ford T Baujahr 1927 (er sammelte auch alte Autos) zu finanzieren. Göttlich, die Komödie. Doch Götter und Götzen sind oft schwer auseinanderzuhalten. Meinen ersten Pétrus habe ich mir im Restaurant geleistet. Einen 1977er für lumpige 300 Franc in einer vergammelten Spelunke im Norden Frankreichs. Schmeckte genauso. (Vergammelt, meine ich.) Doch ich wähnte mich im siebten Himmel. Später habe ich echt grosse Pétrus verkostet und getrunken. 1961, 1982, 1985, 1990. Sie haben für mich bis heute die Dimension einer gotischen Kathedrale.

 

Timetable Frankreich:
1660: Der Kellermeister des britischen Königs Charles II. vermerkt den Kauf von 169 Flaschen Haut-Brion zum Preis von 21 Shilling und 4 Pence, 10- bis 20-mal mehr als für die gleiche Menge einfachen Claret. 1789: In Paris werden die Zölle auf Wein erhöht. Eine Flasche Clos Vougeot kostete ohne Steuer 60 Sou, den Monatslohn eines einfachen Handwerkers. Eine Pinte (0,9 l) einfacher Wein kostete 3 Sou. Beide wurden mit 9 Sou Steuern belegt, was den Preis für einfachen Wein verdreifachte. Die Französische Revolution bricht aus. 1855: Basierend auf dem Preis wird das Klassement der besten Bordeaux veröffentlicht. Die Premiers Crus kosten doppelt so viel wie ein 5. Cru. 2015: In einer Christie’s-Auktion in Hongkong erzielt der Richebourg 1985 von Henri Jayer den Spitzenpreis von 70000 Euro die Flasche und verweist Romanée-Conti auf den zweiten Platz der teuersten Weine der Welt.

 


Christian Eder trinkt

Chiaro! Barolo

BAROLO MONFORTINO, G. CONTERNO

Letztlich blieben die Toskana, Brunello und Bolgheri auf der Strecke und die Entscheidung war klar: Der italienische Kultwein ist der Barolo Riserva Monfortino des Weingutes Giacomo Conterno in Monforte d’Alba. Ein mythischer Nebbiolo, langlebig und elegant, der ohne Zugeständnisse an den Markt nur in den besten Jahren produziert wird. Seine Trauben werden in der Lage Cascina Francia in Serralunga d’Alba selektioniert, der Wein in grossem Holz ausgebaut. Roberto Conterno führt damit eine Tradition weiter, die vor fast hundert Jahren begann. Der bislang letzte Monfortino – der Jahrgang 2010 – ist längst ausverkauft, der nächste, der geschmeidige 2013, bereits in der Flasche, kommt aber erst Ende 2019 auf den Markt. Einer der «ganz grossen Monfortino» (Roberto Conterno) wird der Jahrgang 2014: Noch steckt er mitten in der Fassreife, zeigt aber bereits die Komplexität und den einzigartigen Charakter seiner legendären Vorgänger. In drei Jahren soll er in die Regale kommen.

 

Timetable Italien:
1924: Der erste (offi zielle) Monfortino des Weingutes Giacomo Conterno in Monforte d′Alba wird produziert. 1971: Der erste Jahrgang des Tignanello von Antinori begründet die Mode der teuren Supertuscans aus internationalen Rebsorten. Die Flasche ging damals unter 10000 Lire über den Ladentisch. 1985: Der Sassicaia der Tenuta San Guido in Bolgheri erhält als erster italienischer Wein 100-Parker-Punkte. Heute kostet eine Flasche des 1985ers 1600 Euro. 2009: Der Masseto der Tenuta dell′Ornellaia in Bolgheri wird an der Place de Bordeaux gehandelt. 2016: Der Masseto erhält sein eigenes Weingut gleichen Namens. Mit 700 Euro ist er der teuerste Wein der Toskana. 2018: Der aktuelle Monfortino Riserva 2010 kostet über 1000 Euro und ist damit der kostspieligste Wein eines aktuellen Jahrgangs in Italien. Die 8000 Flaschen werden ausgewählten Händlern zugeteilt.


André Dominé trinkt

Es mágico!

L’ERMITA, ÁLVARO PALACIOS, PRIORAT

Nördlich vom Winzerdorf Gratallops steigt ein Hügel steil auf, den die Einsiedelei Nuesta Señora de la Consolacíon krönt. Seine halsbrecherischen Schieferhänge wurden 1910 und 1939 mit Garnacha Tinta, etwas Carinyena sowie einigen Stöcken Macabeu und Garnacha Blanca bepflanzt. Aber ihr Wein blieb namenlos. Als Álvaro Palacios, der 1989 ins Priorat kam, diese 1,1 Hektar grosse Nordost-Lage zum ersten Mal sah, wusste er intuitiv, dass er vor einem Grand Cru stand. 1993 konnte er ihn erwerben, taufte ihn L’Ermità und brachte ihn 1995 – überzeugt und mutig – als teuersten Wein Spaniens auf den Markt. Seither hat er keinen Aufwand gescheut, diesem Spitzen-Terroir gerecht zu werden. Es wird biodynamisch gepflegt, nur per Hand und mit Maultieren bearbeitet. So kommen nur perfekte Trauben in den hölzernen Gärständer. Nach vier Monaten für den Säureabbau in Halbstückfässern wird der Hauptteil des Weins im 1100-Liter-Fuder im spektakulären fassförmigen Keller ausgebaut.

 

 

Timetable Iberien:
1910: Zwölf Flaschen Taylor’s Vin tage Port 1896 kosten in London 56 Shilling, was heute 58,50 Euro entspräche, damals aber dem fünffachen Wochenlohn einer Weberin.
1925: Txomin Garramola bringt den ersten Vega Sicilia Unico Gran Reserva 1915 nach zehn Jahren Ausbau heraus; er bleibt bis 1995 (ca. 70 Euro) der teuerste Wein Spaniens.
1995: Von seinem Priorat L’Ermita 1993 überzeugt, bietet Álvaro Palacios ihn für 100 Euro an – erfolgreich.
1996: Den Preis für den ersten, als Primeur verkauften Pingus 1995 von Peter Sisseck treibt die Spekulation auf über 200 Euro und damit an die Spitze. 2010: Die Brüder Eguren stellen ihren Toro Teso La Monja 2008 vor, der mit rund 1000 Euro die Flasche der teuerste spanische Wein wird.
2012: Graham’s Neoublie Port, vom Urgrossvater der Symingtons 1882 vinifi ziert und nach 130 Jahren abgefüllt, wird um 5000 Euro gehandelt.


Thomas Vaterlaus trinkt

Bello, Bello!

MONTE BELLO, RIDGE, SANTA CRUZ MTNS

Es gibt heute in Kalifornien, besonders im Napa Valley, geschätzte hundert Weine, die mehr als 200 Dollar kosten, aber es gibt nur einen Wein wie den Monte Bello. Einen Wein, bei dem es einem immer warm ums Herz wird, wenn man ihn in einer Blindprobe erkennt… Der 1977er schuf mit 11,7 Vol.-% Alkohol perfekte Balance und Langlebigkeit. Einzigartig wie der Wein ist der Ort, wo die alten Stöcke wurzeln. 800 Meter über dem nahen Pazifik schauen die Reben in ein unberührtes wild bewachsenes Tal, die San Andreas Fault, jene erdbebenanfällige Verwerfung, die das Schicksal der Bay-Area bestimmt. Obwohl Terroir pur, ist dieser Klassiker, der heute subtiler als viele Bordeaux anmutet, das Werk eines Mannes: Paul Draper, der heute 82-jährige, stets so bescheiden auftretende grosse Visionär des kalifornischen Weinbaus. Und ja, er liess seinen Monte Bello schon in neuer, aber ungetoasteter amerikanischer Eiche reifen, als alle davon laberten, dass Topweine nur französische Eiche ertragen.

 

Timetable Amerika:
1984: Baron Rothschild und Robert Mondavi präsentieren den ersten Opus One (Jahrgang 1979) für 50 US-Dollar. Damals ein astronomischer Preis. 1990: Nicolás Catena Zapata selektioniert erstmals Cabernet aus dem Agrelo Vineyard und bringt ihn unter dem Namen Estiba Reservada auf den Markt – heute der teuerste Sammlerwein aus Südamerika. 1995: Der 1992er Screaming Eagle schlägt alle Rekorde. Anfänglich für 75 Dollar ab Weingut angeboten, wird er schnell für 1500 Dollar gehandelt. Auch die Preise für Harlan, Colgin und Co. explodieren. 1995: In Chile beginnt mit dem Seña-Projekt von Eduard Chadwick und Robert Mondavi die Epoche der neuen Kultweine. Concha y Toro und Baron Philippe de Rothschild ziehen mit Almaviva nach. 2012: Der 2010er Sauvignon Blanc von Screaming Eagle klettert auf irrationale 4000 Euro, Kult oder Dekadenz?


Carsten Henn trinkt

Primaballerina

HILL OF GRACE, HENSCHKE, EDEN VALLEY

Diesen Moment, als Stephen Henschke den mythischen Hill of Grace in mein Glas einschenkte, werde ich nie vergessen. Ich war damals, Ende der 1990er, am Roseworthy Campus in Adelaide, wo ich Weinbau studierte. Der Name des Weines stammt von der deutschen Kirche Gnadenberg, die den Weinberg überblickt. Aber da ich kurz zuvor die unvergleichliche Grace Kelly in «High Society» gesehen hatte, wo sie die Eleganz einer Primaballerina mit jugendlicher Lebensfreude verband, dachte ich an sie, als der Wein meinen Gaumen berührte. Und so geht es mir noch heute, wenn ich das Glück habe, diesen ebenso legendären wie raren und teuren Wein zu geniessen. Der Hill of Grace ist das Gegenstück zu Penfolds Grange, einem Multi-Region-Blend, vinifiziert mit perfekter Technik. Der Lamborghini unter den Weinen. Die ersten Reben im Hill-of-Grace-Weinberg wurden schon 1860 gepflanzt, 1958 wurde der erste Einzellagen-Shiraz von bis zu hundert Jahre alten wurzelechten Rebstöcken erzeugt. Unaustralischer geht es eigentlich nicht.

 

Timetable Down Under und Südafrika:
1951: Die australische Kellerei Penfolds präsentiert den ersten Grange. Zu Beginn kein Erfolg, gilt er heute als der teuerste Wein des Kontinents, gefolgt vom Hill of Grace, Torbrecks The Laird und Chris Ringlands Dry Grown Shiraz. 1958, Australien: Cyril Henschke erzeugt den ersten Hill of Grace. 1958: erster Jahrgang auf Stonyridge Vine yards (Waiheke, Neuseeland). Der 1987er Bordeaux- Blend Larose gilt als grösster Rotwein des Landes. 1996: Erster Jahrgang des Abraham Perold Op die Berg von KWV in Südafrika, mit dem versucht wurde, einen südafrikanischen Kultwein zu lancieren. Das Projekt scheitert – der Wein wird heute noch erzeugt, zu einem deutlich niedrigeren Preis. 2010: erster Jahrgang des «G» von Waldweben. Aktuell der teuerste Wein in Südafrika mit dem Anspruch, der «First.


Ursula Geiger trinkt

Mr. Slowhand

COMPLETER, GIANI BONER, MALANS

Aus der Sommersonne in den kühlen Keller mit den blubbernden Fässern. Bis zu einem Jahr und teils darüber hinaus gären seine Weine aus dieser uralten, traditionellen Bündner Rebsorte und hätten danach eine halbe Ewigkeit zum Reifen, erklärte mir Giani Boner. Ich begriff : Da wird nichts forciert. Die einzigen Faktoren sind Ruhe und Zeit. Das war vor 18 Jahren, als alles technisch und durchgestylt zu sein hatte. Zum Abschied drückte mir Boner zwei Flaschen 1989er in die Hand – sein damals aktueller Jahrgang. Die erste wurde sofort getrunken. Die zweite elf Jahre später: Lebendig und von hochkomplexer Aromatik präsentierte sich der Wein. Neulich raunte mir ein guter Kollege zu: «Du magst doch den Completer von Boner. Ich habe eine Flasche 1988er aufgetrieben. Komm mal vorbei.» So etwas ist wie Weihnachten und Ostern zusammen und selbstverständlich bringe ich meine einzige Flasche 1987er mit, denn Begeisterung muss man teilen.

 

Timetable CHAD-Land:
1845: Im August besucht Queen Victoria die Riesling-Lagen im rheingauischen Hochheim. Dieenglische Königin liebte Hock über alles. 1998: F.X. Pichler keltert erstmals den Unendlich. Der Riesling der Qualitätsstufe Smaragd ist nur in homöopathischen Mengen erhältlich. 2000: Im Burgenland werden aus den fünf Freunden Altenburger, Gayer, Kracher, Scheiblhofer und Tschida die Wild Boys. Die Flaschen ihres Club Bâtonnage ziert ein roter Skorpion. 2001: Klaus Peter Keller assembliert erstmals aus den besten Riesling-Trauben verschiedener Lagen den G-Max. 2011: erster Electus-Jahrgang. Die rote Cuvée aus dem Wallis sollte Geschichte schreiben und zum teuersten Schweizer Wein avancieren. 2015: Das Los des 2003er Scharzhofberger Riesling Trockenbeerenauslese von Egon Müller kommt für knapp 15 000 Euro pro 0,75-Liter- Flasche unter den Hammer.

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