Deutscher Rotweinpreis 2019

Überraschungen

Text: Rudolf Knoll, Fotos: Jana Kay

Der 33. Deutsche Rotweinpreis markiert eine kleine Zäsur. Einige der prominenten Winzer, die in den vergangenen Jahren absahnten, mussten diesmal «nur» mit einer Teilnahme am Finale und mit Weinen zufrieden sein, die es aber immerhin ins Stechen brachten. Ein paar alte Bekannte reihten sich wieder ganz vorne ein. Doch diesmal rückten auch Betriebe, die man nicht unbedingt auf der Rechnung haben konnte, ins Rampenlicht. Sogar drei Genossenschaften waren vorn dabei. Kompliment!

Zuerst der übliche kleine Schock wie jedes Jahr um den 20. Juli. Im wohltemperierten Keller der Erzeugergemeinschaft Winzersekt in Sprendlingen hatten in den Wochen zuvor tatkräftige Helfer viel Arbeit aufgestapelt: Rund 1300 Anstellungen à zwei Flaschen wurden in acht Gitterboxen deponiert, die an einem hitzigen Sonntag von einem kleinem Team, das lieber an einem Badesee gelegen hätte, sortiert werden mussten. Danach wurden zwei Tage lang von fünf Gruppen mit kompetenten Experten die ersten Entscheidungen getroffen und dann vom VINUM-Redakteur nochmals überprüft. Erst bei einem zweifachen guten Urteil wurden die Weine reif für das Finale erachtet. Schon kurz vorher und hinterher liefen bei der Redaktion etliche Fass​proben von Weinen ein, die erst in der ersten Augusthälfte gefüllt wurden, aber die auf Wunsch der hoffnungsvollen Erzeuger noch die Chance auf das Finale haben sollten.

Hier ging es dann erneut zur Sache. Die Hochschule Geisenheim stellte sich in den Dienst der guten Sache, nicht zum ersten Mal in der langen Geschichte des Deutschen Rotweinpreises von VINUM, der 1987 erstmals ausgerichtet wurde und die rote Szene in Deutschland nachhaltig positiv beeinflusste. Der riesige, gründliche Aufwand zahlt sich in der Anerkennung der Winzer aus. Wie schrieb uns ein Produzent aus Württemberg Ende letzten Jahres: «Der Rotweinpreis war ein absolutes Highlight für unsere Familie!» Sogar Schlafstörungen nach einem Erfolg wurden uns schon gemeldet...

Gefreut hat uns die gute Mischung im Ergebnis auf den Rängen eins bis drei. Die alteingesessene Mayschosser Winzergenossenschaft liess etliche namhafte Winzer in der Königsklasse Spätburgunder hinter sich. Am besten mithalten konnten drei Pfälzer (Jülg, Minges und Neiss) sowie das Badische Weingut Knab mit dem reifsten Wein des Wettbewerbs aus dem Jahrgang 2009. Der Rheinhesse Christian Peth (Peth-Wetz) konnte seinen Sieg vom letzten Jahr bei den internationalen Sorten wiederholen, nur mit einer anderen Varietät. Bei den Cuvées tauchten alte Bekannte auf dem Treppchen auf: ganz oben mit Christian Bamberger ein Winzer von der sonst deutlich Weiss orientierten Nahe, dahinter der Badische Routinier Thomas Seeger, knapp vor den ambitionierten Genossen vom Collegium Wirtemberg sowie den energiegeladenen Brüdern Steffen und Andy Rings aus der Pfalz.

Ein Überraschungssieger war die Kooperative aus dem württembergischen Dürrenzimmern (Weinkonvent) mit einem Portugieser in der Kategorie der unterschätzten Sorten, knapp vor dem Franken Jürgen Hofmann (Tauberschwarz aus dem württembergischen Teil des Taubertales) und dem jungen Philipp Plag aus dem Badischen mit einem Schwarzriesling. Der hielt in der starken Kategorie Lemberger zwei Weine des Spezialisten Graf Neipperg aus Schwaigern in Schach. Zwei Schwaben mit ihren Zweigelt (Fürst zu Hohenlohe und Zimmerle) mussten bei den Neuzüchtungen einem Dornfelder mit «Tarnkappe» von Michael Gutzler aus Rheinhessen dem Vortritt lassen.

Ein Newcomer ist Ben Rothmeier aus der Pfalz, der bei den «Deutschen Klassikern» die Eleganz des St. Laurent erschmecken liess. Ein Ahr-Frühburgunder von Peter Kriechel sowie ein St. Laurent vom Pfälzer Hochdörffer teilten sich hier den zweiten Platz. Ein Sonderfall war einmal mehr Süsswein-Spezialist Jürgen Frey aus der Pfalz, der die ersten drei Plätze bei den Edelsüssen belegte, mit einem Eiswein, einer Beerenauslese und einer Trockenbeerenauslese. «Das gab’s noch nie beim Rotweinpreis», staunte er selbst. Stimmt! Und dann haben wir, ähnlich wie mit Riesling-Star Philipp Wittmann vor einem Jahr, noch eine Newcomerin entdeckt, die einem Pfälzer Weisswein-Topgut neuerdings roten Glanz verleiht...

 

Newcomer des Jahres

Entdeckt:
Sophie und das Gen vom Opa


Weingut Christmann
Gimmeldingen (Pfalz)

www.weingut-christmann.de


«Wir haben ein Spätburgunder-Gen in der Familie», schmunzelt Sophie Christmann, Juniorin im Weingut des VDP-Präsidenten Steffen Christmann. «Mein Opa Karl-Friedrich war beim ersten Rotweinpreis 1987 vorn dabei.» Den Beweis, ein 1985 Gimmeldinger Kapellenberg Spätlese, damals zweiter Platz, stellte sie auf den Tisch. Scheint so, als ob sich das Gen erst mit Verspätung wieder bemerkbar macht. Die 26-Jährige, die schon als Jugendliche wusste, dass sie als Älteste von vier Geschwistern ins elterliche Weingut einsteigen wollte, studierte in Geisenheim und sammelte unter anderem Erfahrungen bei Bürklin-Wolf, im Pomerol sowie im australischen Clare Valley. Zuhause im biodynamisch ausgerichteten Gut registrierte sie, dass Spätburgunder (vier Hektar) nicht in seinen Möglichkeiten ausgereizt wurde. «Das ist mein eigenes Projekt», brachte sie dem Vater bei, holte sich Tipps von Studienkollege Julian Huber und anderen Burgunder-Spezialisten – und überraschte mit drei feingliedrigen, mineralischen 2017ern.

 

Unterschätzte Sorten

Keine Hexerei:
Portugieser von Alten Reben


Weinkonvent Dürrenzimmern (Württemberg)   

www.weinkonvent-duerrenzimmern.de

Divinus Portugieser Barrique 2016


«Ich bin einer der letzten Mohikaner, traditionsbewusst, konservativ beim Weinbau. Und wenn im Herbst die Nase läuft, benutze ich sogar noch ein Taschentuch», lacht Kurt Freudenthaler, seit 2003 verantwortlich für den Ausbau der Weine auf knapp 200 Hektar in der ambitionierten Genossenschaft. Die vor einigen Jahren gewählte Bezeichnung Weinkonvent wurde durch bauliche Massnahmen optisch untermalt. Die Mitglieder, überwiegend Haupterwerbsbetriebe, sind angehalten, für das Top-Segment «Divinus» mit verschiedenen Rebsorten ihr bestes Material abzuliefern. Der 62-jährige Önologe reiht sich seit Kurzem mit einem eigenen Weinberg hier ein und will bald Trauben für einen Nachfolger des jetzt erfolgreichen Portugiesers von alten Reben abliefern. Dann geht alles seinen gewohnten Gang. «Weinmachen ist schliesslich keine Hexerei.» Für die Filtration müssen keine Taschentücher herhalten...

 

Neuzüchtungen

Selbst ein Dornfelder kann auftrumpfen


Weingut Gutzler
Gundheim (Rheinhessen)   

www.gutzler.de

Flur 1 Nr. 361 trocken 2015

 

Fussball ist eine Leidenschaft des 36-jährigen Michael Gutzler. Er kickt beim örtlichen TSV Gundheim. Und bei der Weinelf Deutschland, wenn es seine nach dem Tod von Vater Gerhard vor zwei Jahren knapp gewordene Zeit zulässt. Der im Alter von nur 60 Jahren Verschiedene war es, der 2003 in dem 16-Hektar-Gut mit einem extravaganten Wein von 40 Ar mit über 30 Jahre alten Reben startete. Die Sorte Dornfelder, die damals schon Image-Probleme bekam, wurde auf dem Etikett unterschlagen. «Flur 1» sollte als Angabe reichen. Aber der Wein hatte mit dem üblichen Dornfelder durch Ertragsreduktion, lange Maischestandzeit bis zu vier Wochen, Ausbau in neuen Barriques und langer Reife auf der Flasche so viel zu tun wie ein Nationalspieler mit einer Wirtshaus-Mannschaft. Trotzdem bleibt der Spätburgunder (Anteil 40 Prozent) das Aushängeschild des Hauses.

 

Lemberger

Kondition ist wichtig für feinen Lemberger


Weingut Plag
Kürnbach (Baden)

www.weingut-plag.de       


Lemberger Réserve 2017


Er kann auf mehreren Hochzeiten tanzen, siegte bei Lemberger und holte sich noch Bronze bei den unterschätzten Sorten. Aber Philipp Plag ist eben sportlich, wagt sich immer wieder mal auf die Marathon-Strecke (Bestzeit 3,14 Stunden). «Dafür braucht man einen langen Atem, wird aber gleichzeitig frei im Kopf und bekommt dabei Anregungen für die Arbeit im Keller und Weinberg», erklärt der 35-Jährige. In den letzten Jahren hat der junge Mann aus dem Kraichgau, dessen nächster Winzer-Nachbar schon in Württemberg zu Hause ist, im Tempo eines Sprinters richtig Gas gegeben und imponiert vor allem mit seinen Rotweinen. Lemberger ist auf den 14 Hektar «meine absolute Lieblingssorte», verrät er. «Aber man muss für Top-Ergebnisse schon in der grünen Phase extrem viel rausschneiden.» Beim Siegerwein wurden lediglich 35 Hektoliter pro Hektar eingebracht.

 

Internationale Klassiker

Erfolgreiche Konzentration auf die Weite Welt


Weingut Peth-Wetz
Bermersheim (Rheinhessen)     

www.peth-wetz.com

Cabernet Franc «Grand Vintage» 2016


Lebkuchen sind in der Erntezeit das Grundnahrungsmittel für Christian Peth, nach dem Motto: «Erfordert keinen Aufwand, gibt Kraft, beruhigt und schmeckt.» Hektik ist in dieser Zeit für den 42-Jährigen normal. Er muss sich immerhin um 30 Hektar kümmern und ausserdem 450 Barriques versorgen. Bei deren Füllung ist er – nach Touren in die weite Welt (Chile, Australien und USA) – teilweise international orientiert, mit Cabernet Sauvignon (Sieger vor einem Jahr), Merlot, Malbec, Petit Verdot, diversen kraftvollen Cuvées und dem Cabernet Franc, der in diesem Jahr Rang eins bei den internationalen Sorten belegte. «Da läuft es einem kalt den Rücken runter», kommentierte der Winzer seinen neuerlichen Erfolg. Seinen Weinstil bezeichnet er als «markant und ehrlich». Rückendeckung bekommt er von Gattin Maja. Zielsetzung ist «internationale Spitze», präsentiert inzwischen in der neuen Vinothek.

 

Cuvées

«Biene» wacht über die Cabernet-Cuvée


Weingut Christian Bamberger    
Bad Sobernheim (Nahe)

www.cb-wein.de

Cuvée «R» Réserve 2017


Nein, er ist nicht auf den Hund gekommen! Im Gegenteil. Hier ist ein zwei Jahre junger, zutraulicher Vierbeiner (ein Hovawart namens «Biene») bei der Weinabfüllung dabei und begleitet den konditionsstarken Christian Bamberger nicht nur bei der Arbeit im Weinberg, sondern sogar beim Marathonlauf. Der 49-Jährige hat ein aufregendes Winzerleben hinter sich. Er schnupperte zwar als junger Mann im Napa Valley in die Weinwelt rein, war dann aber in der Finanzwelt aktiv und übernahm schliesslich doch 2007 in der 14. Generation das damals bedeutungslose alte Familiengut Steinhardter Hof mit lediglich fünf Hektar. Aufgeben oder durchstarten war anfangs die Frage. Er sah es sportlich, erkannte seine Chance im Weissweingebiet und verkündete frech: «Die Nahe ist rot.» Durch Zukauf und Pacht konnte er seine Spielwiese auf 20 Hektar erweitern und jetzt nicht zum  ersten Mal mit seiner Cuvée «R» reüssieren. Pate stehen die besten Barriques mit den drei Cabernet-Sorten Sauvignon, Cortis und Dorsa.

 

Spätburgunder

Die Ahr-Genossen siegen in der Königsklasse


Winzergenossenschaft Mayschoss-Altenahr (Ahr)    

www.wg-mayschoss.de

Walporzheimer Kräuterberg
Spätburgunder 2017

Das war wohl ein gutes Omen. 2017 konnte Matthias Baltes, 37, Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender der traditionsreichen Ahr-Winzergenossenschaft, seinen Sohn Emil taufen, hier dokumentiert durch einen Baby-Body. Im gleichen Jahr wuchs ein besonderer Wein heran (einige Flaschen werden als «Emil» deklariert), der sensationell die Königsklasse Spätburgunder gewann. Freilich war die Überraschung ein Produkt harter, sorgfältiger Arbeit. Der Kräuterberg als Herkunft ist immer schon bekannt als Top-Lage. Er wurde ausgewählt für ein Premium-Produkt, bei dem die Mitglieder maximal 30 Hektoliter pro Hektar ernten durften. Das wurde mit einem Aufschlag von 250 Prozent (!) auf den üblichen Traubenpreis vergütet. Der erfahrene Kellermeister Rolf Münster, 61, seit  27 Jahren im Haus, baute den Wein 16 Monate in Barriques aus. Vor der Füllung wurde nur grob filtriert. Dann konnten 2500 Flaschen gefüllt werden. Mit Baltes und Münster freuen sich die rund 250 aktiven Mitglieder der ambitionierten 150-Hektar-Genossenschaft.

 

Deutsche Klassiker

Rockmusik sorgte für Spiel im St. Laurent


Weingut Rothmeier
Landau-Mörlheim (Pfalz)       

www.weingut-rothmeier.de

Saint Laurent «Blacklist» 2016

Eine tragbare Musikbox beflügelt Ben Rothmeier aus dem Landauer Ortsteil Mörlheim bei der Arbeit im Weinkeller. Rockige, fetzige Evergreens sind zu hören – was durchaus Bezug zu den Weinen des 39-Jährigen hat. Seine besten Gewächse (genannt «Blacklist» nach der Farbe der Etiketten) lässt er einige Jahre reifen. Es sind oft Weine mit Ecken und Kanten, nicht für jedermann verständlich, Geduld erfordernd. Rothmeier hatte namhafte Lehrstellen mit den Weingütern Münzberg, Messmer und Müller-Catoir, schnupperte Neuseeland-Luft und war fünf Jahre bei Theo Minges tätig. 2010 begann er, sich im 15-Hektar-Familienbetrieb mit einer eigenständigen Linie selbst zu verwirklichen. Die Weissweine sollen säurebetont sein, bei Rot ist intensiver Holzeinsatz gefragt. Den hat sein St. Laurent aus dem Jahr 2016 sehr gut überstanden, so dass er gegen jede Gewohnheit jetzt schon auf den Markt kommt.

 

Edelsüss

Der Reben-Zocker geht volles Risiko


Weingut Jürgen Frey                   
Essingen (Pfalz)

www.weingut-frey.com

Cabernet Sauvignon Rosé Eiswein 2018
Essinger Sonnenberg Spätburgunder Blanc de Noir Beerenauslese 2018
Spätburgunder/ Merlot Blanc de Noir
Trockenbeerenauslese 2016

Nach einem Radikal-Haarschnitt gönnte sich Jürgen Frey ein neues Markenzeichen: einen modischen Hut, der nur beim Schlafen abgelegt wird. Der 51-Jährige vermutet, dass er weltweit der einzige Winzer ist, der ausschliesslich edelsüsse Weine erzeugt. Der letzte trockene Wein kam vor zehn Jahren in die Flasche. Auf zwölf Hektar gewinnt er normal 8000 bis 9000 Liter, manchmal deutlich weniger und in einem Jahr wie 2017 überhaupt nichts. Mit seiner Zielsetzung ist er so etwas wie ein Reben-Zocker, der volles Risiko geht und auch warten muss, bis die Bedingungen ideal sind. Beim Jahrgang 2018 startete er am 2. Januar 2019, als die Trauben von Spätburgunder und Merlot eine für Beerenauslese und Trockenbeere passende Botrytis erreicht hatten. Und als es am 22. Januar frostig kalt wurde, konnte Eiswein vom Cabernet Sauvignon eingebracht werden. Ergebnis: ein unschlagbares Trio!