Der Staat als Winzer

Weinbaudomänen in staatlicher Hand

Text: Rudi Knoll, Fotos: z.V.g., Armin Faber

Es ist eine deutsche Besonderheit: Mehr als ein Dutzend Weingüter befinden sich in der Hand des Staates, gut verteilt auf Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Hessen. Die Geschichte einiger Häuser reicht viele Jahrhunderte zurück. Sie haben teilweise Mehrfach-Funktionen und bringen sogar Geld in die Staatskassen. Auch Qualitätsakzente werden gesetzt. Und sie werden nicht selten als Konkurrenz für den privaten Weinbau betrachtet, vor allem, wenn sie eine Grössenordnung wie das Hessische Staatsweingut haben.

Die Diskussion ist alt. Muss sich der Staat überhaupt in der privaten Wirtschaft betätigen? Reicht es nicht, dass er schon im Verkehr, bei Banken, im Immobilienmarkt, in kulturellen Unternehmen und in Brauereien mitmischt? Muss es auch noch beim Wein sein? Hier ist der Einfluss des Staates teilweise eine Hinterlassenschaft aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Der preussische Staat dirigierte damals an der Mosel, an der Nahe und an der Ahr sowie im Rheingau eine Reihe von Staatsweingütern. Es gab die Betriebe Niederhausen-Schlossböckelheim (zuständig auch für Marienthal an der Ahr), die Staatsweingüter Trier (mit Ockfen, Serrig und Avelsbach als Betriebsteilen) und die Staatsweingüter Eltville (u.a. mit Assmannshausen, Rüdesheim, Hochheim, Rauenthal).

Nicht so flexibel wie Privatleute

Das grösste weinbautreibende Bundesland Rheinland-Pfalz hatte nach 1945 vom Lande Preußen eine Reihe von Betrieben geerbt, kam aber damit nicht immer gut zurecht. Notwendige Investitionen wurden nicht getätigt oder verschleppt. Einige Güter schrieben hochrote Zahlen. Es wurde ausgedünnt, das Staatsweingut Trier wurde verkauft, die Ahr-Domäne privatisiert. Seit 2004 ist sie ein erfolgreicher Gutsausschank, in dem die Weingüter Meyer-Näkel, Brogsitter sowie die Genossenschaften Mayschoß und Dagernova eine zusätzliche Absatzmöglichkeit für ihre Weine haben.

Ein Sonderfall war die Anfang des 20. Jahrhunderts gegründete Domäne Niederhausen-Schlossböckelheim an der Nahe, die eine wirtschaftlich und qualitativ hochwertige Erzeugung von Wein praktizieren sollte und zudem mit Forschungsarbeiten beauftragt war. Die Staatsdomäne erwarb sich zwar einen guten Ruf, aber die Zahlen stimmten nicht. 1998 wurde der Betrieb nach einigen Gedankenspielen über eventuelle Einsteiger (sogar der Direktvermarkter Pieroth/WIV war ein Kandidat) schliesslich verkauft. Der erste private Eigentümer hatte wenig Fortune. Neue Investoren mit einer grossen Portion Weinleidenschaft und dem nötigen Kleingeld sorgten ab 2009 beim umbenannten Gut Hermannsberg für eine Ausschöpfung des vorher nicht immer genutzten Potenzials. Warum es der Staat nicht geschafft hat, aus den Toplagen mehr zu machen, liegt für Eigentümer Jens Reidel auf der Hand: «Beamte können nicht so flexibel und unabhängig agieren wie ein Privatmann.»

Wissen muss man allerdings, dass die meisten der staatlichen Betriebe nicht der Struktur eines klassischen Weingutes entsprechen, sondern auch Zusatzfunktionen zu erfüllen haben oder Teil einer schulischen oder forschenden Einrichtung sind. Das betrifft die Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau in Veitshöchheim, die Winzer ausbildet, in Bereichen wie Klimawandel forscht, sich um fast ausgestorbene Rebsorten wie Adelfränkisch, Bukettraube, Mohrenkönigin, Blauer Kölner und Grünfränkisch kümmert und beim Weinausbau im Versuchskeller gern mit Betonei, Amphoren, Muschelkalkbehältern sowie unterschiedlicher Stilistik bei Silvaner experimentiert. Mit den Ergebnissen reüssiert man bei der Landesprämierung. Aber ein Verkauf findet auf Geheiss der Staatsregierung nicht statt. «Wir sollen keine Konkurrenz für die privaten Güter sein und sind deshalb nicht wirtschaftlich unterwegs», erläutert Georg Bätz, Leiter des Instituts für Weinbau und Önologie.

Tradition bewahren, Innovation wagen

Es genügt schon, dass mit dem Würzburger Hofkeller und dessen 120 Hektar ein Staatsgut auf dem Markt Präsenz zeigt, das in den letzten 20 Jahren nicht immer dynamisch geführt wurde, qualitativ Schwächen zeigte und wohl auch zur sparsamen Bewirtschaftung vom zuständigen Landwirtschaftsministerium angehalten war. Vielleicht holte man deshalb vor zwei Jahren mit Thilo Heuft, 49, einen Schwaben als Direktor ins Haus? Der gelernte Winzer und zuvor erfolgreiche Chef der grossen württembergischen Genossenschaft Stromberg-Zabergäu in Brackenheim stellte nicht eben sparwillig eine Liste nötiger Massnahmen auf, bevor er seinen Vertrag unterschrieb.

«Mit unserem Weinstil wollen wir die Exzellenz Frankens sein.»

Thilo Heuft, Direktor Würzburger Hofkeller

Einiges hat er schon umstrukturiert, Pläne für die Zukunft gibt es reichlich. Und mit einem zusätzlichen Kellermeister als Betriebsleiter wurde die Qualität deutlich gesteigert. Stefan Schäfer, 33, ist Franke, lernte bei Paul Fürst, praktizierte während seines Studiums in Geisenheim bei Rebholz und entwickelte mit Heuft klare Vorstellungen darüber, wohin die Reise gehen soll. Erste Fortschritte waren beim 2018er erkennbar, dem mit dem 2019er eine deutliche Steigerung folgte. Mit Silvaner, Riesling und Weissburgunder aus Würzburger und Randersackerer Toplagen kann man besonders reüssieren. Neu belebt wurde das Potenzial des Großheubacher Bischofsberg in Churfranken, von dem lange Zeit nur biederer Spätburgunder abgefüllt wurde. Jetzt gibt es wieder einen Wein, der eines Grossen Gewächses würdig ist. «Das Gut gibt es seit 1128», weiss Heuft. «Aber wir dürfen nicht nur die Tradition bewahren, sondern müssen uns innovativ weiterentwickeln. Unsere Weinstile sollen den Charakter unserer Weinberge und ihrer Böden widerspiegeln. Wir wollen die Exzellenz Weinfrankens sein!» Im Rheingau gibt es eine ähnliche Konstellation wie in Franken. Die Hochschule Geisenheim bewirtschaftet ein Weingut mit 24 Hektar. Es wird als «Symbiose der Institute Rebenzüchtung, Weinbau und Önologie» bezeichnet. Die Gesamtleitung hat Önologie-Chefin Prof. Dr. Monika Christmann, die darauf verweist, dass ein Teil des Ertrages für Forschungszwecke abgezweigt wird. Bei der Sortenauswahl liegt zwar Riesling vorn, aber man ist in der Pflicht, auch weitere Sorten für den Versuchsanbau zu pflegen, zum Beispiel Muscaris und die roten Garamet und Garanoir. Für den Verkauf der sonstigen Weine wird nicht getrommelt. «Wir wollen mit Riesling zwar als VDP-Mitglied zeigen, dass wir gut unterwegs sind, aber wir sind angehalten, zurückhaltend zu sein, damit nicht der Eindruck entsteht, wir wollten Privaten Konkurrenz machen», erklärt Christmann.

Staatsweingüter als faire Konkurrenz

Dieses kritische Thema ist auch dem Chef des mit Abstand grössten deutschen Staatsweingutes Kloster Eberbach bekannt. Dieter Greiner (auch ein Schwabe!) dirigiert die 2008 fertiggestellte, baulich grosszügige Domäne Steinberg mitten in den Reben, 240 Hektar inklusive der Rotweindomäne Assmannshausen (42 Hektar) und dem Betrieb an der Hessischen Bergstraße (32 Hektar). «Es ist immer eine Frage des Horizonts, wenn kritisiert wird. Etliche Genossenschaften sind deutlich grösser. Wir sehen uns als fairen Marktteilnehmer. Ausserdem haben wir unseren Weingütern einige neue Märkte eröffnet. Wir waren früh im Lebensmittelhandel und bei Handelsketten als zunächst einziger Rheingauer Erzeuger vertreten. Das war der Durchbruch für Kollegen.»

Dass das hessische Staatsflaggschiff flott unterwegs ist, kommt nicht von ungefähr. Das historische Kloster Eberbach war früher Teil des Weingutes und damit ein erheblicher Kostenfaktor. Inzwischen ist eine Landesstiftung zuständig. Der alte Betriebsteil in Eltville wurde vor zehn Jahren verkauft. Und der Umzug in den neuen Betrieb machte es möglich, dass die Weine von der Bergstraße und Assmannshausen rationeller ausgebaut werden können. Im Verbund mit der vor knapp drei Jahren eingestellten Chefönologin und einstigen Geisenheim-Studentin Kathrin Puff, die davor fast elf Jahre den Ausbau in der Siam Winery in Thailand (!) befehligte, konnte Greiner einige Umstellungen vornehmen. «Konzentration auf unsere besten Lagen im Teamwork mit unseren Mitarbeitern», präzisiert der Betriebsleiter.
Dadurch werde indirekt auch die Basis mit den Guts- und Ortsweinen gestärkt. Vor Ort konnte das die dynamisch-fröhliche Kathrin Puff mit einer Serie beachtlicher, stilistisch positiv veränderter Weine bis hin zu eleganten, komplexen, burgundischen Roten deutlich machen. «Einige davon werden in die Schatzkammer kommen», verrät sie. Sie ist ein Aushängeschild des Hauses. Die ältesten Flaschen sind aus dem Jahrgang 1706. Ab 1840 mache es richtig Spass, weiss Greiner. Wie viele Flaschen aus drei Jahrhunderten im Keller liegen, wird nicht verraten. «Das ist Staatsgeheimnis.»

In Baden-Württemberg sind zwei Staatsbetriebe von sonstigen Pflichten befreit, nämlich das qualitativ grundsolide Gut in Meersburg (63 Hektar), bei dem Dr. Jürgen Dietrich Betriebsleiter ist. Er war zuvor zwei Jahre beim Hofkeller in Würzburg und fand danach sein berufliches Glück am Bodensee. Hier initiierte er erfolgreich den inzwischen 20. Müller-Thurgau-Preis. Wenig bekannt ist das alteingesessene Staatsweingut Karlsruhe-Durlach (8,5 Hektar), das sich im Eigentum der L-Bank befindet, die als Staatsbank für Baden-Württemberg Stellvertreter des Landes ist. In den letzten Jahren wurde umstrukturiert und unter Regie von Kellermeister Thomas Ulmer die Qualität gegenüber früher deutlich gesteigert.

Das Freiburger Staatsgut (37 Hektar) ist Teil des Staatlichen Weinbauinstituts, das in verschiedenen weinbaulichen Bereichen forscht, sich um Piwi-Sorten kümmert und die Qualitätsweinprüfung durchführt. Das Weingut unter Führung von Betriebsleiter Bernhard Huber tritt am Markt eigenständig mit ansprechenden Kollektionen auf und arbeitet gut mit den Winzern der Region zusammen. Und es kann selbst Innovationen der Forschung übernehmen. «Ein Bonus, wie ihn kaum ein anderes Weingut hat», strahlt Huber. Das Staatsgut in Weinsberg (40 Hektar) ist nicht nur ein erstklassiger Betrieb mit serienweise überzeugenden Weiss- und Rotweinen (dank Direktor Dr. Dieter Blankenhorn und Kellermeister Florian Solymari), sondern auch ein ambitionierter Ausbildungsbetrieb für Weinbautechniker aus aller Welt. Auch hier spielen exotische Sorten wie Syrah, Malbec, Tempranillo, Pinotage und Sangiovese eine durchaus achtbare Nebenrolle. Mit den Kollegen in Freiburg kooperiert man bei den Piwi-Sorten Bacat und Solaris.

Eigenständiger ostdeutscher Auftritt

Höchst unterschiedlich strukturiert sind die beiden ostdeutschen Staatsbetriebe. Das vormals Volkseigene Weingut Bad Kösen schrumpfte nach der Wende deutlich auf knapp 60 Hektar, weil Fläche an ehemalige Privateigentümer zurückgegeben wurde, die sich selbstständig machten. Die zuständige Landgesellschaft Sachsen-Anhalt wusste lange Zeit nicht so recht, was sie mit dem Weingut anstellen sollte. Geschäftsführer wechselten relativ häufig, die Weinqualität schwankte oft. Ein geplanter Neubau auf dem Areal des früheren Klosters Pforta vor den Toren von Naumburg scheiterte wegen Problemen mit dem Baugrund. Jetzt soll demnächst am alten Platz, nur räumlich versetzt, eine neue Kellerei entstehen. Der Altbaubestand wird saniert. Der vor knapp einem Jahr eingestellte Betriebsleiter Bastian Remkes, zuletzt Chef der württembergischen Bottwartalkellerei, hatte durch einen Kälteeinbruch im Mai einen frostigen Einstand, sieht aber aufgrund der vom Staat abgesegneten Planungen mit Gastronomie und Fremdenzimmern positiv in die Zukunft.

Ganz anders aufgestellt ist das frühere Volkseigene Gut Radebeul, das nach der Wende in Schloss Wackerbarth umbenannt wurde und 92 Hektar bewirtschaftet. Die Aufgabenstellung ist vom Staat vorgegeben. «Wir müssen auch die vielen Steillagen mit historischen Sandsteinmauern und die barocke Schloss- und Gartenanlage erhalten, den Weintourismus fördern, über den eigenen Bedarf hinaus ausbilden und die Werbetrommel für sächsischen Wein und Sekt rühren», zählt Geschäftsführerin Sonja Schilg, seit 2003 im Amt, auf. Der Betrieb war nach der Wende ein besonders schwieriger Fall. Vieles befand sich im maroden Zustand. Ein hoher Sanierungsbedarf vereitelte die angestrebte Privatisierung. 1999 entschloss sich das Land Sachsen, selbst zu investieren und mit hohem Aufwand ein Erlebnisweingut zu schaffen.

Die Struktur wurde geändert. In DDR-Zeiten erzeugte der Betrieb hauptsächlich Sekt. Das ist immer noch – auf hohem Niveau – der Fall. Das Weinsortiment ist dank Kellermeister Jürgen Aumüller immer besser geworden. Damit ist man zur Konkurrenz für sächsische Winzer geworden, obwohl man mit einigen durch Zukauf in Geschäftsbeziehung steht. Corona hat den stark von Veranstaltungen und Kultur-Events lebenden Betrieb (190000 Gäste im Jahr) arg gebeutelt. «Als Tochter der Sächsischen Aufbaubank waren wir von den Hilfspaketen ausgeschlossen», lässt die Chefin wissen. Ein Problem, das sie wohl mit anderen Staatsbetrieben teilt…

Staatsweingüter unter Beschuss

Bleiben noch die Rheinland-Pfälzer. Die vier Betriebe in Oppenheim, Bad Kreuznach, Neustadt a.d. Weinstraße und Bernkastel-Kues sind alle Bestandteil des Dienstleistungszentrums Ländlicher Raum (DLR), das zuständig für die wein- und gartenbauliche Berufsbildung, Beratung, Forschung und Landesentwicklung ist. Die Tätigkeit auf dem Weinmarkt folgt nur indirekt wirtschaftlichen Regeln. Dr. Dirk Haupt, zuständiger Referatsleiter im Ministerium in Mainz, ist sich bewusst, dass die Betriebe in der Pfalz und an der Nahe preislich sehr günstig sind und deshalb auch besser verkaufen als die in Rheinhessen, die als VDP-Mitglieder mit höheren Preisen aufwarten. Immerhin gilt die Qualität durchgängig als durchaus korrekt, weil ambitionierte Kellermeister wie Rainer Gies (Bad Kreuznach), Thorsten Eller (Oppenheim) und Sascha Wolz (Neustadt) am Werk sind. Das Staatsgut an der Mosel bleibt dem freien Markt fern und erzeugt nur «repräsentative moseltypische Weine», die nicht in den Verkauf kommen.

Die Frage nach der Notwendigkeit solcher Einrichtungen kommt immer wieder mal auf. 2017 stellte sie der Rechnungshof Rheinland-Pfalz mit seinem Bericht zum Prüfungsjahr 2014 an den Pranger, monierte ein Defizit von insgesamt 3,1 Millionen Euro, teilweise zu hohe Personalkosten, nicht ausgelastete Kapazitäten und den Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern, weil die Weine nicht zu kostendeckenden Preisen angeboten wurden. In den Berichten der folgenden Jahre sind die vier Häuser offenbar aus dem kritischen Visier des Rechnungshofes geraten.

Städtische Schrumpfkur

Auch einige deutsche Städte leisteten sich früher eigene Weingüter, nämlich in Franken Erlenbach am Main und Klingenberg, in Hessen Frankfurt und Wiesbaden und in Baden Bensheim sowie Lahr. Das ist Vergangenheit. Die Flächen sind durchaus erfolgreich in privater Hand (Wiesbaden übernahm das Staatsweingut). Zuletzt verkaufte die Stadt Bensheim ihre 13 Hektar an einen örtlichen Winzer. Einzige Ausnahme: Die Stuttgarter hielten an ihrem 16-Hektar-Betrieb fest, obwohl er lange Zeit rote Zahlen schrieb und die Qualität der Weine hin und wieder kritisiert wurde. Mit dem neuen, international erfahrenen Chef Timo Seier weht seit dem Herbst 2016 ein frischer Wind im Haus.

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