Barbera-Traube, die Herrscherin der Region

Monferrato: im Herzen des Piemont

Text: Christian Eder, Fotos: Sabine Jackson

Das Monferrato im Herzen des Piemont: Hier liegt die Heimat der Barbera-Traube, die als die Herrscherin der Rebberge der Region gilt. Gemeinsam mit der Langhe ist das hügelige Gebiet mit seinen Castelli und Dörfern in Panoramalage UNESCO-Kulturerbe. Und ein Hort ursprünglicher Genüsse und eigenständiger Rebsorten.

La Barbera heissen die Traube und der Wein seit alters her. Die Barbera, im Gegensatz zu anderen piemontesischen Varietäten, die fast alle männlich sind. Sie bringt fruchtbetonte, vollmundige Weine hervor, die durch die typische kernige Säure ideale Begleiter zur klassischen Piemonteser Küche sind.

Wie im Restaurant «Del Belbo Da Bardon» in San Marzano Oliveto zwischen Nizza Monferrato und Canelli im Monferrato Astigiano. Köchin Alessandra Bardone empfiehlt selbst die besten Stücke auf ihrem Carello, dem Servierwagen, mit dem Bollito Misto (Siedefleisch) und anderen Köstlichkeiten, der von Tisch zu Tisch geschoben wird, und gibt ein saftiges Stück der Kalbshaxe und eine Auswahl des Bollito auf den Teller, dazu Gemüse und Kartoffeln.

Das alles duftet verführerisch, während draussen vor den Fenstern das Schneegestöber wirbelt. Im Glas schimmert purpurrot der Nizza DOCG der Kellerei Tenuta Olim Bauda, deren Besitzer Gianni Bertolino mit uns in der heimelig-warmen Gaststube sitzt. Sein Gut liegt inmitten der Heimat des Nizza DOCG, des Grand Cru aus der Barbera-Traube, der als ehemalige Unterzone des Barbera d’Asti seit dem Jahrgang 2014 nur mehr die geografische Ursprungsbezeichnung als Namen trägt. Vor rund 20 Jahren wurde die Associazione dei Produttori del Nizza begründet, die heute mehr als 60Mitglieder umfasst. Gianni ist ihr Präsident.

Das Monferrato Astigiano ist der zentrale Bereich des Monferrato, das weite Teile des Piemont einnimmt: Die beiden anderen Teile sind das Alto und das Basso Monferrato, wobei der Name täuscht: Alto (hoch) sind die Berge im Südwesten, die sich hinter Acqui Terme bis zu den Gipfeln an der Grenze zu Ligurien auftürmen, das Basso (niedrige) Monferrato hingegen erstreckt sich mit seinen sanften Hügeln im Norden auf der linken Seite des Flusses Tanaro.

«Ähnlich wie im Burgund werden im Nizza die unterschiedlichen Böden und Mikroklimata zum Ausdruck gebracht.»

Gianni Bertolino

Die Stadt Nizza Monferrato liegt im Herzen des Monferrato Astigiano. Sie hat auch der gleichnamigen Ursprungsbezeichnung den Namen gegeben: «Der Nizza DOCG soll dieses spezielle Terroir interpretieren», sagt Gianni Bertolino, «dank einer Zonierung unserer Rebberge wissen wir, welche Lagen besonders gut für Nizza DOCG geeignet sind. Durch die Ausdehnung über 18 Kommunen sind die Weine natürlich nicht homogen oder austauschbar, sondern ähnlich wie im Burgund werden im Nizza die unterschiedlichen Böden und Mikroklimata zum Ausdruck gebracht. Das Ergebnis sind langlebige, elegante und kraftvolle Weine, in denen die Barbera-Traube ihr ganzes Potenzial entwickeln kann.»

Barbera und Grignolino

Auch im Basso Monferrato auf der linken Seite des Flusses Tanaro sind die Rebberge fest in der Hand der Barbera und die Basis des Barbera del Monferrato DOC (als Superiore ein DOCG-Wein). Nach Jahren der Krise und des Niedergangs der Genossenschaftskellereien herrsche aber jetzt durch neue Investitionen wieder Aufbruchstimmung, erzählt Ermanno Accornero, Besitzer des Gutes Accornero bei Vignale Monferrato.

Ermanno und sein verstorbener Bruder Massimo waren Anfang der 90er Jahre unter den ersten, die mit modernen Barbera-Weinen aus dem Basso Monferrato für Furore sorgten: Ihr Bricco Battista wurde erstmals 1989 produziert, der Cima – heute eine Barbera del Monferrato DOCG Riserva – 1998. Gerade der Cima ist heute ein Aushängeschild der Ursprungsbezeichnung: Die Trauben werden erst Mitte Oktober gelesen, nach einer Mazeration von bis zu drei Wochen bleibt der Wein lange im Holz, um sich abzurunden. Heraus kommt ein kraftvoller Wein, fruchtig und doch voller Eleganz, wie es auch der aktuelle Jahrgang 2017 beweist.

Grignolino im Stil eines Burgunders gekeltert

Aber Accornero ist nicht nur durch seine Barbera bekannt, auch eine andere, lange vernachlässigte urpiemontesische Traube hat die Aufmerksamkeit Ermannos erregt: Grignolino. Die tanninreiche Rebsorte ist seit mehr als 1000 Jahren im Piemont bekannt. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden holzgereifte Grignolino gar mit Barolo und Barbaresco verglichen und waren über das Piemont hinaus geschätzt. Als aber vor rund 50, 60 Jahren vor allem frischfruchtige Trinkweine gefragt waren, wurde der wandlungsfähige Grignolino nur mehr in Stahl vinifiziert und als Jahrgangswein verkauft, bemängelt Ermanno Accornero. «Mit ihrem kernigen Tannin, das Zeit zum Abrunden braucht, ist die Traube aber in den richtigen, sonnenbeschienenen Lagen eine hervorragende Basis für langlebige Riserva-Weine», meint Ermanno. Deshalb begann er vor mehr als zehn Jahren in einem Rebberg mit alten Stöcken den Grignolino del Monferrato Casalese DOC Bricco del Bosco Vigne Vecchie im Stile eines Burgunders zu keltern: Einer langen Mazeration folgen mehr als drei Jahre im Holzfass und in der Flasche.

Bis heute hat sich an der Stilistik nicht viel geändert: Mit seinem hellen Rubinrot und dem feinkörnigen Tannin, der Säure und seiner kraftvollen Eleganz erinnert er an einen Pinot Noir. Und vor allem entwickelt er sich mit der Reife, erklärt Ermanno: «Die fruchtigen und floralen Facetten werden durch Tertiäraromen ergänzt, das krokantene Tannin rundet sich ab, der Wein gewinnt an Schliff und Finesse.»

Um dieses Potenzial weiterzuentwickeln, hat er gemeinsam mit neun anderen Winzern die Gruppe Monferace gegründet, die sich der Rebsorte widmet. Monferace-Grignolino müssen 24 Monate in grossem Holz und noch mindestens 16 in der Flasche zubringen, bevor sie auf den Markt kommen dürfen. Die Winzer der Vereinigung unterwerfen sich einem selbst auferlegten Regelwerk, um die Qualität zu garantieren.

Die Rückkehr des Ruchè

Grignolino ist allerdings nur eine der Trauben, die zur Renaissance des Monferrato einen Beitrag leisten: Im Jahr 2000 hat sich Luca Ferraris entschlossen, den Familienbetrieb bei Castagnole Monferrato, der gerade noch einen halben Hektar Rebberge bewirtschaftete, wiederzubeleben.

Das war gleichbedeutend mit der Wiederentdeckung einer im Piemont fast vergessenen Traube: Ruchè. Die Mitte September reifende rote Rebsorte ist seit Jahrhunderten im Gebiet von Castagnole Monferrato im Nordosten von Asti beheimatet und hat Luca Ferraris, der damals frisch von der Weinbauschule kam, fasziniert. Ertragsbegrenzung, temperaturgesteuerte Edelstahltanks und die Alterung in Eichenfässern sollten ihr wieder zu Erfolg verhelfen.

Heute bewirtschaftet Luca bei Castagnole Monferrato 26 Hektar und keltert eine Handvoll Weine aus der Rebsorte: den ausgewogenen Clàsic, den fruchtig-floralen Sant’Eufemia und den würzig-opulenten Opera Prima, einen Einzellagen-Ruchè, der 24 Monate in Tonneaux reift. Historisches Aushängeschild des Ruchè ist aber der Vigna del Parroco (der Rebberg des Priesters): «Der Parroco, der Pfarrer von Castagnole Monferrato, Don Giacomo Cauda» erinnnert sich Luca, «hatte 1964 einen Weinberg mit Ruchè bepflanzt, daraus einen Wein gekeltert und damit die Rebsorte vor dem Aussterben bewahrt.» Seit 2016 pflegt Luca Ferraris den Rebberg und produziert dort auf kalkhaltig-lehmigen Mergelböden den gleichnamigen Cru.

Seit 2010 ist der Ruchè di Castagnole Monferrato auch ein DOCG-Wein, wenn auch noch ein weitgehend unentdecktes Juwel: Von zehnHektar im Jahr 1988 ist die gesamte Rebfläche inzwischen auf rund 140 Hektar angewachsen, die von rund 30 Winzern bewirtschaftet werden.

Aber ob der floral-fruchtige Ruchè, der elegante tanninreiche Grignolino oder ein fruchtig-kraftvoller Barbera, eines haben sie gemeinsam: «Die Weine des Monferrato gehören auf den Tisch», sagte schon Gianni Bertolino im «Del Belbo Da Bardon». Am besten zur piemontesischen Küche: zu Carne Battuta al Coltello, Agnolotti del Plin al Sugo d’Arrosto oder dem Bollito vom Carello.

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