VINUM-Profipanel | «Müller-Thurgau»

Von Profis verkostet: Müller-Thurgau aus der Schweiz

Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Linda Pollari

Es sind allesamt perfekte Frühlingsweine! Denn lange Zeit verschmäht und zuweilen fast schon vom Aussterben bedroht, erlebt der hierzulande immer noch oft fälschlicherweise als Riesling-Sylvaner bezeichnete Müller-Thurgau ein geradezu spektakuläres Comeback. Faszinierend ist dabei die stilistische Vielfalt der heutigen Müller im Markt. Es gibt ihn frischfruchtig-knackig und reduktiv-mineralisch.

Aber auch maischevergoren, sprich «orange» vinifiziert, was ihm im Idealfall merklich mehr Charakter und Komplexität verleihen kann, vermag er zunehmend zu überzeugen. Und doch kann der Müller in der Schweiz noch zulegen. Denn auf den Podiumsplätzen dieses topbesetzten Panels mit durchwegs hohen Bewertungen landeten die drei Piraten aus dem benachbarten Ausland.

Noch 1995 waren in der Schweiz rund 720 Hektar mit Müller-Thurgau bestockt. 2010 waren es nurmehr 480 Hektar. Seither ist die Anbaufläche stabil geblieben. Und die beinahe schon totgesagte Sorte erlebt als jugendlicher Trendwein ein kaum für möglich gehaltenes Comeback. Die Verwandlung des Müllers hat massgeblich mit der veränderten Vinifikation zu tun. Durch den Verzicht auf den biologischen Säureabbau haben die Weine eklatant an Frische und verführerischem Fruchtschmelz zugelegt, wodurch sie speziell beim jüngeren Publikum sehr gut ankommen.

Doch es gibt je länger, je mehr Spitzenwinzer, die fest davon überzeugt sind, dass der Müller mehr kann als frisch-fruchtig-süffig. Selektionen von alten Reben, Maischestandzeiten, Vergärung mit rebbergseigenen Naturhefen, Verzicht auf Filtration, Ausbau in Eichenholz, Amphoren, Betoneiern oder Granit – all das soll dazu beitragen, dem Müller mehr Substanz zu verleihen. Und reduktiv ausgebaut wird er sogar zum Terroirwein.

Mehr Komplexität mit unkomplizierte Trinkigkeit

Doch es ist eine Gratwanderung. Denn die Kunst ist, den Weinen zwar zu mehr Komplexität zu verhelfen, aber ohne ihnen ihre bisher beste Charaktereigenschaft zu nehmen, nämlich ihre unkomplizierte Trinkigkeit. Wie das Panel eindrücklich beweist, schaffen immer mehr Winzer dieses Kunststück.

Doch es gibt noch ein weiteres, höchst erstaunliches Fazit: Wenn nicht forciert, sondern nach traditioneller Manier gekeltert wird, hat der Müller ein kaum für möglich gehaltenes Entwicklungspotential. So reihten sich sowohl der 2007er Riesling x Sylvaner von der Domaine de Beudon im Wallis als auch der 2013er Feldmarschall von Fenner von der Schlosskellerei Tiefenbrunner im Südtirol in die Top 5 ein.

Die verkosteten Weine

RangBeschreibung
1
18,0/ 20
Punkte
Zürich, Deutschschweiz, Schweiz
Strickhof – Wülflinger Trotte
2
18,0/ 20
Punkte
Wallis, Westschweiz, Schweiz
Domaine de Beudon
3
18,0/ 20
Punkte
Südtirol, Italien
Tiefenbrunner - Schlosskellerei Turmhof
4
18,0/ 20
Punkte
Südtirol, Italien
Tiefenbrunner - Schlosskellerei Turmhof
5
18,0/ 20
Punkte
Baden, Baden, Württemberg, Deutschland
Staatsweingut Meersburg

Die Jury

Von links nach rechts

Nicole Harreisser Redaktion VINUM in Zürich
Ihr Favorit: Riesling x Sylvaner 2007 von der Domaine de Beudon, Fully, Wallis

Miguel Zamorano Redaktion VINUM in Zürich
Sein Favorit: Riesling-Sylvaner Gold von Weinbau Schwarzenbach, Meilen, Zürich

Timothy Magnus Weinhändler in Zürich
Sein Favorit: Riesling-Sylvaner Amphore 2018 von Strickhof – Wülflinger Trotte, Winterthur, Zürich

Nicole Vaculik Sommelière in Meersburg
Ihr Favorit: Meersburger Lerchenberg Müller-Thurgau 2019 vom Staatsweingut Meersburg, Baden (DE)

Thomas Vaterlaus Chefredaktor VINUM in Zürich
Sein Favorit: Riesling-Sylvaner Steinfass 2018, von Strickhof – Wülflinger Trotte, Winterthur, Zürich

Alain Kunz Journalist in Zürich
Sein Favorit: Feldmarschall von Fenner Müller-Thurgau 2018 von Schlosskellerei Tiefenbrunner, Kurtatsch, Südtirol (IT)

Stefan Iseli Gastronom und Gastgeber in Zürich
Sein Favorit: Riesling x Madeleine Royale Élevé en Fûts de Chêne von Rico Lüthi, Männedorf, Zürich

«Es ist heute fast nicht mehr vorstellbar, dass die Sorte noch vor wenigen Jahren einen so schlechten Ruf hatte. Jedenfalls liegt sie heute dank ihrer Leichtigkeit voll im Trend. Durch die neue Vielfalt an Wein-Stilistiken wachsen auch die Einsatzmöglichkeiten beim Foodpairing. Einst als der Wein zu gebratenem Fisch bekannt, harmonieren die neuen Müller perfekt zu vegetarischen Spezialitäten, aber auch zur weltweiten Fusion-Kitchen.»

Nicole Vaculik Sommelière, Meersburg

«Die Verkostung beweist klar, dass sich der Müller-Thurgau in der Deutschschweiz nicht mehr hinter anderen Sorten zu verstecken braucht. Beeindruckend war aber auch die Qualität der drei Piraten aus Südtirol
und Deutschland. Und der 14-jährige Müller aus dem Wallis war schlicht eine Sensation. Ich werde mich künftig intensiver mit dieser Sorte befassen. Denn sie bietet viel Genuss zu höchst moderaten Preisen.»

Nicole Harreisser Redaktion VINUM, Zürich

«Diese Verkostung war eine abenteuerliche Achterbahn der Aromen, aber auch der Gefühle! Und das im positiven Sinne. Wer diese Sorte heute immer noch links liegen lässt, ist ein Ignorant. Die Verkostung ist auch
eine Visitenkarte für die beteiligten Winzer. Nur weil sie sich immer weiterentwickelt haben, können sie aus dem ehemaligen Massenträger heute solch faszinierende Weine keltern. Das verdient ein grosses Dankeschön.»

Stefan Iseli Gastronom und Gastgeber, Zürich

«Viele Winzer benutzen heute den Müller-Thurgau als Spielwiese für verschiedenste Vinifikations-Konzepte. Weil die Erwartungen bei dieser Sorte, trotz des besser gewordenen Rufes, noch immer nicht sehr hoch sind, kann man nur gewinnen, egal was man macht. Das Ergebnis ist folgerichtig heterogen. Das Spektrum reicht von Vorzeige-Orangeweinen bis zu Gewächsen, denen die Harmonie etwas abhandengekommen ist.»

Alain Kunz Journalist, Zürich

«Jenseits der belanglosen Massenweine von früher kann die Sorte Müller-Thurgau heute bei entsprechendem Engagement des Winzers sehr animierende, frischfruchtige Weine hervorbringen. Auch leicht reduktive Weine mit eher mineralischen Komponenten sind interessant. Bezüglich Maischenstandzeiten, oxidativem Ausbau oder Holzeinsatz bin ich eher skeptisch. Die Weine verlieren schnell ihre subtile Balance.»

Timothy Magnus Weinhändler, Zürich

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