Das öffentliche Bild ist geprägt von Klischees

Württemberger Zeitreise

Text: Harald Scholl, Fotos: z.V.g., Gunita AK Fotografie, Heroes of Riesling / Sandra Fehr, Maxim Abrossimow, (C)HM-Fotodesign

Dem Anbaugebiet Württemberg geht es nicht anders als vielen Weinregionen: Das öffentliche Bild ist geprägt von Klischees, in diesem Fall: Viertele und Trollinger. Dann halten wir mal dagegen: Riesling ist die Rebsorte Nummer eins im Ländle. Nicht Trollinger, nicht Lemberger, auch nicht Schwarzriesling. Eine Verkostung Württemberger Rieslinge Ende März brachte einige grundsätzliche Erkenntnisse deutlich zu Tage.

Wie so oft hilft der Blick auf die Statistiken. Deshalb und um einfach die Eingangsthese zu belegen, kommen hier die blanken Zahlen der jeweiligen Anbaufläche für bestimmte Rebsorten in Württemberg aus dem Jahr 2021 (Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg): Riesling 2129 Hektar, Trollinger 2087 Hektar, Lemberger 1778 Hektar. Riesling ist also – wenn auch knapp – die Nummer eins laut amtlicher Erfassung. Und dennoch kommt kein Weinkenner auf Anhieb darauf, die Region im Süden der Republik mit der Rebsorte Riesling in Verbindung zu bringen. Das mag zum einen daran liegen, dass zusammengenommen die roten Sorten natürlich immer noch ein deutliches Übergewicht haben, immerhin sind zwei Drittel der Rebfläche mit Trollinger, Lemberger und Samtrot bepflanzt. Zum anderen scheint es, dass es anderen deutschen Anbaugebieten gelungen ist, dem Riesling in der öffentlichen Wahrnehmung ihren Stempel aufgedrückt zu haben. Die herausragende Qualität der renommiertesten deutschen Rebsorte wird überwiegend mit Mosel, Rhein und Nahe in Verbindung gebracht, nicht mit Neckar oder Rems. Und sogar das Bild des Rieslings als typischer Steillagenwein, auf terrassierten Weinbergen stehend, wird eher mit den genannten Anbaugebieten verbunden, als mit Württemberg. Aber auch hier liegt ein Trugschluss vor.

«Die 90er waren keine Zeit der mutigen Weine, man hat auf den Punkt performt. Schnell zugänglich, hoch im Alkohol, niedrig in der Säure, das war der Stil.»

Markus Drautz

Nirgendwo sonst gibt es so viele terrassierte Steillagenweinberge und kulturhistorisch wertvolle Trockenmauern, wie entlang des Neckars. Ist also alles nur ein riesiges Missverständnis und eigentlich das Ländle die beste, schönste und tollste Rieslingheimat überhaupt? Oder wie es Felix Graf Adelmann sagt: «Württemberg ist definitiv das Anbaugebiet mit dem grössten Entdeckungspotenzial! » Und der Riesling gehört als wesentliches Element dazu? Natürlich ist es so einfach auch wieder nicht, die Sache ist neben der Frage nach dem geeigneten Marketing, deutlich komplexer. Aber es gibt genügend Gründe, sich der Württemberger Riesling-Stilistik mehr als nur zu nähern. Sowohl die abwechslungsreichen, von Muschelkalk und Keuper geprägten Böden wie auch Klima und Handschrift der Winzer lassen einen individuellen Rieslingstil entstehen, der vielleicht nicht immer auf Anhieb klar zu erkennen ist, genau so wenig wie er, die Region übergreifend, zu benennen wäre. Zu unterschiedlich sind die einzelnen Weine, die an Rems und Neckar entstehen.

Auf Spurensuche im Glas

«Die Weine, die damals ja in aller Einfachheit produziert wurden, zeigten sich vibrierend und voller Spannung. Das war schon ein erstaunlicher Moment.»

Moritz Haidle

Um dem Phänomen der Stilistik und gleichzeitig der Frage nach dem «Warum ist unser Riesling nicht bekannter?» auf die Spur zu kommen, hilft wie fast immer der Blick ins Glas. Der VDP Württemberg stellte ein grosse Rieslingprobe auf die Beine, initiiert von Moritz Haidle und Stuart Pigott. Rund 60 Rieslinge aus den Schatzkammern der bekanntesten Betriebe standen auf dem Tisch, darunter viele Flaschen als Einzelstücke, deren Herkunft nur noch archäologisch geklärt werden konnte. Und Flaschen aus Lagen, deren Namen nach Flurbereinigung und Neu-Klassifikation untergegangen sind. Für viele der anwesenden Winzer war es ebenfalls die erste Begegnung mit manchen Weinen, einfach, weil sie damals noch nicht geboren waren oder aber zu jung für den Weinkonsum. Zudem waren es sehr viele Einzelflaschen, die sich in den dunkelsten Winkeln der Keller versteckt hatten. Es war also für fast alle Beteiligten eine Reise ins Ungewisse, vielleicht waren deshalb die Reaktionen auf das, was sich in den Gläsern zeigte, auch so direkt und ungekünstelt. Denn auf vieles waren die Winzer gefasst – aber sicher nicht darauf, wie deutlich die ältesten Weine die jüngeren das Fürchten lehrten. Markus Drautz vom Weingut Drautz-Able fasste seine ersten Eindrücke zusammen: «Bei den Weinen aus den 90er Jahren habe ich gedacht, wir gehen gleich unter, komplett. Was in der Zeit gemacht worden ist, ich hätte nicht gedacht, dass es so langweilig rüberkommt. Das war sicher dem Experimentieren geschuldet, aber da war durch die Bank nichts dabei, was wirklich vibriert hat.»

«Eine einzelne Flasche kann kein Indiz für ein ganzes Jahrzehnt sein. Flaschenvarianz, Lagerbedingungen und so weiter spielen da auch eine Rolle. Diese Weine sind mehr Zeitzeugen als klare Beweise für Trends oder Entwicklungen.»

Felix Graf Adelmann

Etwas relativieren müsse man diese Erkenntnis dennoch, sagt Felix Graf Adelmann: «An dem Tag waren die 90er tatsächlich nicht wirklich stark. Aber das hatte eher mit Pech zu tun. Man kann nicht sagen, dass damals alles nix war. Wir haben in den 90er Jahren definitiv richtig gute Weine gemacht, das lässt sich auch jederzeit überprüfen. Ein komplettes Bashing dieser Jahre ist vielleicht etwas übertrieben. » Trotzdem war es für alle Teilnehmer überraschend, wie deutlich sich die Jahrzehnte voneinander unterscheiden. Hansjörg Aldinger: «Was ich hochinteressant fand, war, wie deutlich man die einzelnen Epochen schmecken konnte. Vor allem die leichten Weine, mit weniger Alkohol und mehr Säure, zeigten sich grossartig. Vielleicht auch weil dieser Stil weniger Neigung zu Petroltönen hat.» Das sieht auch Moritz Haidle ganz ähnlich. Und macht ebenso deutlich, dass man sich in Teilen der Winzerschaft schon wieder auf dem Weg zurück befindet: «Viele von uns sind ja dabei, einen Schritt zurück zu gehen. Es wird spontan vergoren, keine Enzyme bei der Vorklärung, man braucht nicht immer eine Kühlung, es wird einfach mehr Zeit gegeben. Den Wein bis zur Klärung auf der Vollhefe liegen lassen, bis er wirklich klar ist, und erst dann wird abgefüllt. Auch dadurch entsteht eine innere Stabilität, die den Wein über die Jahrzehnte bringt.»

Markus Drautz ist ebenfalls davon überzeugt, dass man den Blick nach hinten richten muss, um voranzukommen: «Wir müssen auf Spurensuche gehen, was der Grund für das schlechte Abschneiden der Weine ist. Es könnte sein, dass viele neue Wege gewagt wurden, die nicht wirklich zielführend waren. Wahrscheinlich wurde so produziert, um auf eine frühe Trinkreife zu kommen. In den 60ern war das kein Thema, man hat die Weine nicht so optimiert, nicht so getrimmt.». Aber es geht bei der ganzen Diskussion um Weinstile auch um wirtschaftliche Fragen. Für Felix Graf Adelmann stellt sich die Frage ganz konkret: «Was für Weine will ich machen? Schlussendlich muss ich ja Weine produzieren, die der Markt auch haben will. Wäre ich unabhängig vom Markterfolg, würde ich wahrscheinlich andere Weine machen. Mit mehr Mut zur Kante, Mut zur Unzugänglichkeit, noch mehr Mut zum Individualismus. Das kann man bei einzelnen Weinen sicher mal machen – man muss es sich aber auch wirtschaftlich leisten können».

War Opa der bessere Winzer?

«Nur weil ich verwurzelt bin, kann ich mich auch öffnen.»

Martin Schwegler

Wenn man böse sein wollte, könnte man leichtfertigerweise sagen, die Väter – oder Grossväter – waren schon mal weiter in Sachen Weinbau. Was so natürlich nicht stimmt. Die Weinwelt ist eine andere als noch vor 60 Jahren, das darf man bei aller Kritik oder Diskussion nicht ausser Acht lassen. Gerade in Württemberg waren die Absatzkanäle für den eigenen Wein klar gezeichnet – rund um den Kirchturm. Der Wein wurde nahezu komplett vor Ort getrunken, zusätzliche Importe aus dem Ausland waren so gut wie nicht vorhanden. Das änderte sich zunächst mit der EWG, später mit dem gemeinsamen Binnenmarkt. Württembergs Winzer mussten sich international messen, die kantigere, sprödere Art der Weine tat sich immer schwerer. Denn die Frage der Langlebigkeit war für den durchschnittlichen Weintrinker nie eine. Dennoch: Was in den 60er Jahren gemacht wurde, steht heute zum Teil noch glasklar und frisch im Glas. Oder, um es kurz und bündig zu sagen: «In den 60er Jahren sind die Weine sicherlich kerniger auf die Flasche gekommen», bringt es Felix Graf Adelmann auf den Punkt. Da scheinen die Jahre bis Mitte der 80er deutlich problematischer zu sein. Nicht zuletzt, weil das von der Agrarindustrie vermittelte Motto «Ertragssteigerung » lautete und der Markt nach süssen Weinen verlangte. In Kombination keine gute Ausgangsbasis für langlebige Weine. Wohl aber eine aus wirtschaftlicher Sicht angemessene Reaktion auf die weicheren, fülligeren Weine aus Frankreich, Spanien oder Italien.

«Württemberg ist nicht wirklich ein Rieslingland, dafür sind in weiten Teilen die Böden zu tiefgründig, die Weine neigen leicht zur Üppigkeit. Deshalb sind Ertragskontrolle und Ganztrauben-
pressung besonders wichtig. Was in den 60er Jahren praktisch von selbst passierte, weil es keine Düngung und keine Maschinen gab.»

Hansjörg Aldinger

Auch hier zeigt sich, dass die Geschichte der Württemberger Weine hochspannend ist, und der Riesling macht da keine Ausnahme. Im Gegenteil, vielleicht lassen sich an ihm viele Entwicklungen sogar besonders exemplarisch herausarbeiten. Nimmt man die 80er und 90er Jahre, fragt man sich schon, was da falsch gelaufen ist. Denn als wirklich langlebig präsentieren sich die wenigsten Weine. Vor allem in den höheren Prädikatsstufen. Moritz Haidle: «Gereifte Rieslinge – gerade in den einfacheren Qualitätsstufen – schmeckten auch in Württemberg wie gereifte Rieslinge und nicht so fruchtbetont wie heute. Wie weit daran Reinzuchthefen schuld sind, kann ich nicht sagen. Aber die mit natürlichen, eigenen Hefen vergorenen Weine sind langlebiger und komplexer. » Das dürfte einer der Gründe sein, warum die wirklich grossen Gewächse aus der Rebsorte Riesling auf genau diese Weise entstehen. Und es gibt wahrscheinlich noch mehr Gründe für die aus heutiger Sicht leichtfüssigeren Weine der Vergangenheit. Hansjörg Aldinger: «Meine Vermutung: In den 60er Jahren gab es keine Abbeermaschinen, wahrscheinlich wurden ganze Trauben gepresst, es wurde nur Holz und kein Stahl verwendet, und der Ertrag war vor den Jahren mit grossem Einsatz von Dünger natürlich auch deutlich niedriger.» Im Ergebnis entstanden so sehr leichtfüssige Weine, die mit beherzter Säure, niedrigem Alkohol, leichtem Gerbstoff und wenig Extrakt dem Alter wenig Angriffsfläche boten. Es ist also keineswegs so, dass Opa der bessere Winzer war. Er hatte wahrscheinlich einfach nur keine anderen Möglichkeiten. Auch das ist doch eine wertvolle Erkenntnis aus so einer Verkostung.



Jochen Beurer, Kernen-Stetten

Stettener Pulvermächer Riesling Auslese 1999

16.5 Punkte | 2022 bis 2034

Reife, aber keinesfalls müde Nase, keinerlei Firn. Etwas getrocknete Apfelschale, auch Kamille. Hat frische Säure, wahrlich Fleisch auf den Rippen, Dichte und auch Gerbstoff. Steht sehr gut da, stattlich, kompakt. Besonders saubere, klare Länge.

Rainer Schnaitmann, Fellbach

Fellbacher Lämmler Riesling Kabinett 1997

16.5 Punkte | 2022 bis 2030

In der Nase mit Früchtetee, Kamille, auch florale Noten. Im Mund sehr klar, sauber, reintönig, schöne Fruchtanmutung, auch leichte Exotik, dazu schöner Gerbstoff, feine Animation. Sehr harmonisch, komplex, tiefgründig. Zeigt Klasse.

Graf Neipperg, Schwaigern

Neipperger Schlossberg Riesling 1990

16.5 Punkte | 2022 bis 2032

In der Nase Rauch, Schwarztee, reifer Apfelschale. Im Mund mit nur angedeuteter Frucht, wieder Apfel, auch Zitrusfrucht, ausbalanciert. Hat Spannung, auch Frische, wirkt nicht einen Moment müde. Zarte Gerbstoffe, bleibt sauber, ohne Firn oder störende Petrolnote.

Jürgen Ellwanger, Winterbach

Schnaiter Altenberg Riesling Spätlese 1990

17 Punkte | 2022 bis 2034

Ausbau ohne Barrique. Ruhige, sehr leise Nase, kalter Hagebuttentee, Im Mund dann enorme Frische, Limette, Ananas, Exotik, nicht vordergründig, toll eingebaut. Zeigt keinerlei Müdigkeit, hat Schliff, Spannung, auch salzige Noten. Ein grosses Vergnügen!

Weingut Drautz-Able, Heilbronn

Riesling Hades 1986

16.5 Punkte | 2022 bis 2034

Der erste Riesling des Hauses, der im neuen Holzfass ausgebaut wurde. Zeigt schon in der Nase Frische, etwas Flint, Kräuterwürze. Im Mund mit sanftem, aber spürbarem Gerbstoff, hat Kraft, ist muskulös, kaum Schmelz, dafür Würze und vitale Säure.

Weingut Aldinger, Fellbach

Fellbacher Goldberg Riesling Beerenauslese 1979

17 Punkte | 2022 bis 2030

Sofort grosse Freude, in der Nase gesüsster Darjeeling-Tee, Apfelsaft, feine Würze. Gleiches Bild im Mund, die Süsse ist perfekt ausbalanciert mit der Säure. Hat Spiel und Animation, lädt ein zum Trinken. Grosses Süssweinvergnügen.

Staatsweingut Weinsberg

Burg Wildeck Riesling Beerenauslese 1967

17 Punkte | 2022 bis 2034

Im Glas und in der Nase dunkles Karamell, Balsamico, schwarze Schokolade. Die Säure zeigt noch viel Leben, von Süsse ist dagegen nichts mehr übrig. Hat eine tolle Länge, viel Saft, sogar Schliff und beträchtliche Eleganz. Ausgesprochen lang.

Karl Haidle, Kernen-Stetten

Stettener Pulvermächer Riesling Spätlese 1964

16.5 Punkte | 2022 bis 2030

1964 soll der beste der 60er gewesen sein. Zunächst dunkle Mokkanoten, kalter Stein in der Nase. Im Mund überraschend straight, knackig, vitale Frische, salzige Noten, Kraft. Minimale Alterungsnoten, äusserst lebendig. Hat definitiv Zug.

Graf Adelmann, Kleinbottwar

Riesling Kleinbottwarer Süßmund, Brüsseler Spitze 1963

17 Punkte | 2022 bis 2032

Zunächst leicht dumpfe, vom Kork beeinflusste Nase, dann aber bezaubernde Frische, leichtfüssig, beinahe tänzelnd, herrlich zitrisch. Hat Animation, Leichtigkeit und ein glasklares Finale. Wirkt 30 Jahre jünger, als er ist.

Herzog von Württemberg, Ludwigsburg

Maulbronner Eilfingerberg Riesling Spätlese 1962

17 Punkte | 2022 bis 2029

Rauch und Stein in der Nase, kühl, fast streng. Im Mund etwas verhaltener, (eventuell leichter Korkschleicher) viel medizinale Würze, auch Kräuter, darunter schöne Frische durch klare Säure. Ist sauber ausbalanciert zwischen Extraktsüsse und Frische.


Bleibt bei euch!

Eine Veranstaltung wie das Riesling-Tasting der Württemberger bringt mehr als nur eine Erkenntnis. Neben dem guten Gefühl, Geschichte im Glas zu haben, gibt es tatsächlich einen übergeordneten Nutzen. Die Weine in Verbindung mit den Geschichten der Winzer oder noch besser ihren Aufzeichnungen sorgen für eine Einordnung in den zeitlichen Kontext. Daraus kann man Schlüsse und Konsequenzen ziehen.

Der Heilbronner Winzer Markus Drautz hat es im Grunde auf den Punkt gebracht. Er sagte ein paar Tage nach der Veranstaltung im Gespräch: «So eine Verkostung hat natürlich einen konkreten Einfluss auf meine Arbeit, das ist definitiv richtungsweisend. Ich werde schon genauer überprüfen, was ich in den letzten Jahren gemacht habe.» Das ist ein sehr lobenswerter und wirklich wichtiger Ansatz. Übrigens nicht nur für Winzer. Das eigene Tun zu hinterfragen, ist Voraussetzung, wenn man vorankommen will. Dass viele Entwicklungen – oder nennen wir sie besser Versuche – der 70er und 80er Jahre nicht wirklich zielführend waren, zeigt sich bis heute im Glas. Durch Überdüngung und Pestizide zerstörte Böden, durch Reinzuchthefen und falschen Holzeinsatz maskierte Weine, gehören in weiten Teilen der Weinszene der Vergangenheit an, ihre Auswirkungen sind aber bis heute im Glas zu schmecken.

Aber vielleicht hatten diese aus heutiger Sicht schwierigen Jahre auch ihr Gutes. Auf dem Riesling Symposium in Kloster Eberbach sagte Professor Dr. Hans Reiner Schultz mit Blick auf das sich verändernde Klima «Wir können nicht nach Rezepturen arbeiten». Aber man habe in den letzten 20 Jahren ein Instrumentarium erlernt, dass es ermöglicht, auf völlig unterschiedliche Jahrgänge wie 2018 und 2021 angemessen zu reagieren. Eine Erkenntnis, die viele seiner Berufskollegen in den 60ern nicht hatten. Mit ihren Patentrezepten aus der Wundertüte der chemischen Industrie sollte damals eine Verbesserung von Ertrag und Qualität erreicht werden. Auch weil man in der Vergangenheit auf einen guten, einen vor allem warmen Jahrgang hoffen musste. Die gibt es heute zur Genüge, jetzt geht es darum, diese manchmal zu guten Jahre in den Griff zu bekommen. Soweit als möglich im Einklang mit der Natur.

So ganz scheint der Glaube an das Formen der Natur noch nicht ausgestorben zu sein. Auch das zeigt sich gerade beim Riesling, wenn auch ausserhalb Europas. Dort wird mehr als nur versucht, nicht mit der Natur zu arbeiten, man will diese dazu bringen, zu tun, was man möchte. In Washington State an der Westküste der USA arbeiten Winzer in Regionen, die für den Weinbau aufgrund fehlenden Niederschlags eigentlich nicht geeignet sind. «Ohne Bewässerung braucht man gar nicht erst anfangen », so ihre eigene Aussage. Ja, warum macht man es dann? Vor allem wenn das Ergebnis im Glas der Rieslingwelt keine wirklich weitere Dimension hinzufügen und bestenfalls als durchschnittlich betrachtet werden kann.

Nein, die Verkostung in Württemberg hat deutlich gemacht, dass es für den Qualitätsweinbau nicht darum gehen sollte, immer mehr zu produzieren und ständig neue Stile zu kreieren. Man muss als Winzer, und damit auch als Region, seinem Stil, seinem Terroir, seiner Geschichte treu bleiben. Nur dann bleibt man glaubwürdig und letztlich auch erfolgreich.

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