ROTES DEUTSCHLAND

Die Mosel sieht rot

Text: Eva Maria Dülligen

Abgesehen von Musterknaben wie Markus Molitor ist die Mosel nicht eben berüchtigt für herausstechende Rotweinmacher. Dabei versuchen sich geschätzte 850 Winzer im Eldorado des Rieslings an Spätburgunder & Co. Drei moselanische Weinbauern zeigen, warum Rotes aus dem Moseltal alles andere als lauten Alarm auslösen sollte.

Eine Absolution von Demeter brauche er nicht, sagt der Winzer hinterm Steuer seines britischen Defender auf dem Weg in die Weinberge. Als Alt-68er ticke er ohnehin grün. Zwischen seinen quer terrassierten Rebzeilen auf der Leiwener Einzellage Klostergarten wächst, was wachsen will, bis hin zum Ginster. In Blindverkostungen sollen Weinprofis den gelben Schmetterlingsblütler aus Heinz Schneiders Spätburgundern herausgeschmeckt haben. «Wir sind eines der wenigen Mosel-Weingüter, die Rotwein auf Steilhängen anbauen. Das gibt dem Pinot schöne Tiefe.» Karger, mineralischer Devon-Schiefer auf 400  Höhenmetern verpasst Schneiders roten Gewächsen würzige Frucht. Die südwestliche Ausrichtung auf bis zu 70-prozentiger Hangneigung lässt die Sonne bis zum Untergang auf den Trauben ruhen. Die alten Rebstöcke wurzeln tief und tragen zur Erntezeit kleinbeerige, aromenintensive Früchte – das sind beste Voraussetzungen für einen vielschichtigen Moselwein im Burgunderglas.

«Wir dürfen uns unsere Köpfe nicht in Streichholzschachteln kaputt hauen wie bei der Biodynamie. Es geht nicht ohne Maschinen. ‹Logischer Weinbau› ist der Weg in eine erfolgversprechende Zukunft», sagt Schneider. Sohn Michael, 22-jähriger Önologie- und Weinbaustudent der Hochschule Geisenheim University, haut in dieselbe Kerbe. Protektive Kontaktmittel wie Backpulver zum Rebschutz anstelle von synthetischen Spritzmitteln hält er für sinnvoll. «Bauchschmerzen verursachen mir dafür Kupfer und Netzschwefel, die gern im organischen Weinbau eingesetzt werden, aber Nützlingen schaden und den Boden belasten», sagt der Nachwuchswinzer.

Gemischtwarenladen unerwünscht

Die Schneiders engagieren sich lieber bei der Non-Profi t-Organisation Slow Food, die nachhaltige Landwirtschaft und regionale Geschmacksvielfalt vorantreibt. Auf ihre Weingärten übertragen Vater und Sohn diese Weltanschauung durch Begrünung vom wilden Feldsalat bis zum Löwenzahn. Dijon-Klone und solche aus Geisenheim sorgen in Schneiders Parzellen für unterschiedliche Burgunder-Varianten. Im Gewölbekeller des 400 Jahre alten Klosterbaus landen die Weine in burgundischen Barriques und in Eichenholzfässern aus den Vogesen. «Diese Fässer haben eine sehr enge Maserung, das macht die Weine nicht so eindimensional wie grobporige amerikanische Eiche. Der milde Toastinggrad bringt ausserdem feine Struktur rein», sagt der Besitzer des 13-Hektar-Weinguts, das zu zwei Dritteln mit Riesling bestockt ist. Die restliche Fläche bleibt Cabernet Sauvignon, Regent und Burgunder vorbehalten.

Im Himmelreich des Rieslings, wo Weinstrassen mit Van Volxems und Loosens gepflastert sind, wo Einzellagen wie Erdener Treppchen oder Wehlener Sonnenuhr den Puls bis zum Hals schlagen lassen, gehören rote Sorten nach wie vor zur Minderheit. «Mosel schmeckt nach Riesling», sagt Reinhard Löwenstein. «Pinots im rheinischen Schiefergebirge? Wir sind gerade dabei, eine Terroirkultur zu entwickeln. Warum müssen wir hier jetzt mit roten Rebsorten rummachen?» Verständlich, dass der gefeierte VDP-Winzer keine «Gemischtwarenläden» in der deutschen Riesling Hochburg wünscht, um ihr Image nicht zu verwässern. Aber auf den 8627 Hektar bestockter Rebfläche wachsen nun mal rund zehn Prozent Rotweinsorten. Bei einigen Weinmachern stemmen Spätburgunder & Co. neben der weissen Königsdisziplin die Hälfte der Produktion.  

Roter Grenzgänger

Nicht nur einen Roten «nebenbei» macht auch Stefan Steinmetz. Nach dem fetten Lob im «Gault & Millau» für seinen Pinot Noir aus dem Kestener Paulinsberg wäre das ohnehin erstaunlich. «Wir schwimmen oben in der Kritik. Ein Beweis dafür, dass in meinen Parzellen kleinklimatische Vorteile für bestimmte rote Sorten herrschen», so der Besitzer des 5,8-Hektar-Familienweinguts an der Mittelmosel. Ende der 90er sorgte der Wirtschafter für Weinbau und Önologie mit dem Anbau von Pinot Meunier und Noir noch für spöttisches Aufsehen in der Weingemeinde Brauneberg. Heute begeistert der Mittdreissiger deutschlandweit Weinfreaks mit seinen spontan vergorenen, unfiltrierten Pinots. Zurückhaltender zeigen sie sich bei seinem Merlot. Völlig zu Unrecht, denn statt marmeladig und weichgespült, trifft sein 2009er Merlot Barrique mineralisch und würzig auf die Papillen.

Steinmetz spielt sogar mit dem Gedanken, Syrah in seine Parzellen zu pflanzen. Die stark wasserführenden blauen Schieferböden mit hohem Quarzitanteil und das mediterrane Klima hier seien wie geschaffen für die Rhône-Traube. Dass der Unbeirrbare den Titel des «Geheimtipps» längst abgelegt hat, lässt sich unter anderem an 93  Parker-Punkten für seinen 2011er Riesling Alte Reben aus dem Veldenzer Sonnenberg ablesen. Wann Parkers Magazin «The Wine Advocate» die roten Senkrechtstarter vom Brauneberger Weingut für sich entdeckt, ist also nur eine Zeitfrage.

Verbotene Domina

«Das Interesse an unseren Roten wird immer lauter. Nur mit Riesling würde unser Betrieb nicht rundlaufen», erklärt Markus Longen. Die Initialzündung zum Seitensprung vom Riesling auf französische rote Varietäten entfachte sein Onkel, als der ihm vor 20 Jahren das erste Barriquefass schenkte. Heute sind es mehrere Hundert, in denen der 46-Jährige nicht mehr nur Merlot und Cabernet Sauvignon, sondern auch Dornfelder und Domina feinschleift. Die Neuzüchtung mit dem provokanten Namen hat es ihm besonders angetan: «Vom Spätburgunder hat die Kreuzung ihre lebendige Frucht, vom Portugieser ihre Intensität.»

Warum manche regionale Winzer vor allem aus den Reihen des VDP das Thema «Rote von der Mosel» mit Gummihandschuhen anpacken, leuchtet Longen nicht ein. Immerhin habe man in alten Römerkelteranlagen rote Traubenkerne gefunden: «Ein Indiz dafür, dass hier schon vor 2000 Jahren Rotwein kultiviert wurde.» Dass Napoleon Bonaparte während seiner Besatzung den Rotweinanbau im Rheinland verbot, ist plausibel – wollte der Korse doch keine Konkurrenz zu den burgundischen Pinots, die bare Münze auf dem deutschen Exportmarkt brachten. Dass Markus Longen 200 Jahre später eine Sondergenehmigung für die Pflanzung von tausend Domina-Rebstöcken von der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt Trier einholen musste, klingt weniger nachvollziehbar. «Auf meinen Domina-Flaschen musste bis zu den frühen 90ern noch ‹Aus Versuchsanbau› stehen», grinst er und nimmt einen tiefen Schluck von der roten Neuzüchtung aus moselanischem Terroir.

Rote Helden von der Mosel

Wein- und Sektgut Heinz Schneider Terra Lapidis Édition Noir 2011 trocken

16 Punkte | 2015 bis 2017

Wächst auf kargem Schieferboden in steiler Südwestlage. Das Bouquet verdankt dem Regent feinen Beerenduft, dem Spätburgunder Würze und dem Ausbau im Holz Nuancen von Korinthen und Marzipan. Das Tanningerüst wird von wilden Kräutern und Waldbeeren umschlungen.

www.weinshop-schneider.de

Weingut Günther Steinmetz Pinot Noir unfi ltriert 2010 Kestener Herrenberg

17 Punkte | 2015 bis 2019

An bis zu 25 Jahre alten Rebstöcken und auf stark verwittertem Schiefer gereifte Mineralität. Würze und Frucht in gelungener Balance. Nach der Spontanvergärung 14 Monate in gebrauchten Fässern aus Burgund veredelt. Deutlicher Pinot-Charakter. Rundes Tannin.

www.weine.de

WeinKulturgut Longen-Schlöder Cuvée Rotweinkönigin Cabernet Sauvignon, Merlot, Spätburgunder 2010

16 Punkte | 2015 bis 2017

Aus dem satten Rot mit bräunlichem Rand steigt ein Duftbad voller Heilkräuter und Gänseblümchen, daneben eine Andeutung von Meersalz. Am Gaumen trumpfen die Kräuter wieder auf, es treten deutliche Waldbeerakzente hinzu.

www.longen-schloeder.de

vinum+

Weiterlesen?

Dieser Artikel ist exklusiv für
unsere Abonnenten.

Ich bin bereits VINUM-
Abonnent/in

Ich möchte von exklusiven Vorteilen profitieren