Interview mit Hubert Weber, Kellermeister in Mendoza

«Mendoza ist gross geworden mit Malbec aus Luján de Cujo»

Interview: Ursula Geiger, Fotos: Tobias Schmid

Vor über 20 Jahren packte der junge Schweizer Önologe Hubert Weber seinen Koffer, um in Mendoza, Argentinien, ein Jahr bei der Cavas y Bodegas de Weinert praktische Erfahrungen zu sammeln. Den ganzen Prozess wollte er begleiten: vom Rebschnitt bis zum Keltern, vom Ausbau der Weine bis zum Abfüllen. Und dabei natürlich Spanisch lernen. Aus einem Jahr wurden 20. Seit 2011 ist Weber zudem noch Exportmanager von Weinert und jettet zwischen den Weinernten nach Europa. VINUM traf den Weinmacher Ende August in Bern.

VINUM: Hubert, stimmt es, dass Sie mit den Weinen in den Kellern der Bodega Berndeutsch sprechen?
Hubert Weber: Auch nicht mehr so oft wie früher. Sprachtechnisch habe ich eine wilde Mischung aus Spanisch und Deutsch im Kopf. Seit einigen Jahren bin ich noch als Exportmanager für die Bodegas Weinert tätig, somit ist auch noch Englisch dazugekommen.

Seit 20 Jahren haben Sie Ihren Lebensmittelpunkt in Argentinien. Sehen Sie sich als klassischen Auswanderer?
Nein, als Auswanderer brichst du bewusst die Zelte hinter dir ab. Dass ich in Argentinien lebe, war so nicht geplant. Nach einem Jahr wollte ich weiterziehen und in anderen Ländern Erfahrungen sammeln. Sagen wir, ich bin hängengeblieben.

Raúl de la Mota Önologe. Eine Berühmtheit in Südamerika. Was hat er Sie gelehrt?
Nichts. Er hat mich ignoriert, wenn nicht gar blockiert. Doch die Kellerarbeiter haben mich aufgefangen. Sie haben mir alles gezeigt, jedes Gerät, jeden Handgriff, den sie schon seit Jahren jeden Herbst machten. Mit meinem Wissen als Önologe konnte ich mir so die Weinert-Philosophie erarbeiten. Im Januar 1997, ich war wieder zurück in der Schweiz und traf dort Bernardo Weinert, fragte mich dieser, ob ich noch ein zweites Jahr bei Weinert arbeiten wolle. Er bot mir eine Stelle als zweiter Kellermeister an. Ich nahm an und freute mich auf eine weitere Ernte. Zwei Wochen vor der Lese erschien Don Raúl nicht mehr auf der Bodega, hatte seinen Dienst quittiert. Weinert fragte mich, ob ich mir zutraue, die Ernte 1997 zu übernehmen. Das war der Beginn meiner Karriere.

Welche Menge Trauben hatten Sie damals zu verarbeiten?
Das waren 800 Tonnen. Eine grosse Ernte und eine gute.

Wer half bei dieser Herkulesaufgabe?
Das war José Abelardo Barrera, der mit der Gründung von Weinert 1977 in die Kellerei kam und viel Erfahrung hatte. Wir arbeiteten und arbeiten noch heute gut zusammen. In meinen Anfangsjahren bei Weinert machte ich viele Versuche mit Traubengut aus verschiedenen Zonen, von jungen Reben, von alten Stöcken, von speziellen Malbec-Klonen und von Traubengut aus verschiedenen Anbautechniken im Weinbau. Bis spät in die Nacht musste die Labor-Chefin damals Analysen meiner Versuche machen. Doch genau diese Akribie half mir, die Rebparzellen unserer Traubenlieferanten besser kennenzulernen und je nach Eigenschaften des Jahrgangs bewerten zu können.

Arbeitet ihr jedes Jahr mit den gleichen Winzern zusammen?
Wir haben einen Pool von 200 Rebbergen, aus denen wir die Trauben auswählen. Ich bevorzuge Traubenmaterial von alten Rebstöcken, von Weinbergen, die vorzugsweise mit Pferd und Pflug bearbeitet werden. Doch es wird immer schwieriger, dieses Material zu bekommen. Viele Anlagen mit alten Rebstöcken wurden in den letzten Jahren ersetzt oder gar aufgegeben. Viel Rebfläche wurde zu Bauland. Es gibt Kellereien, die vergolden ihr Rebland in unmittelbarer Nähe und kaufen sich stattdessen günstigere Parzellen im weiter südlich gelegenen Uco Valley.

Uco Valley, die Trendregion in Mendoza?
Bestimmt gibt es dort gute Parzellen, doch Mendoza ist gross geworden mit Malbec aus Luján de Cujo, und das bedeutet: Lössboden, lehmiger Sand, alte Rebstöcke, traditionelle Flutbewässerung. Das prägt den argentinischen Malbec. Was in letzter Zeit auf den Markt kommt, ist oft grün, mit schlechter Tanninqualität. Karge, steinige Böden und Tropfbewässerung, das ist sicher nicht das, was Malbec gut macht.

Könnte diese Anbauphilosophie mit dem Wunsch nach weniger Alkohol zu tun haben?
Da gibt es bessere Möglichkeiten, als das Heil im Uco Valley zu suchen: Wir bleiben in Luján de Cujo und arbeiten an unserer neuen Produktlinie Carrascal Varietal. Dafür suchen wir passende Rebberge. Mit mehr Trauben pro Stock schieben wird den Reifezeitpunkt nach hinten, zudem favorisieren wir grossbeerige Klone.

Ist Dryfarming eine Option?
In Mendoza regnet es manchmal sieben Monate nicht. Das killt die stärkste Rebe. Vor kurzem habe ich einen Rebberg mit 70-jährigen Malbec-Stöcken gerettet, nach ein paar Jahren Dryfarming war die Hälfte abgestorben. Allenfalls ist Dryfarming in wenigen Bereichen des Uco Valley möglich. Weiter westlich würden die Böden innerhalb kurzer Zeit versalzen.

Die Cavas y Bodegas de Weinert ist keine der modernen «State of the Art»-Wineries, die es in Mendoza gibt. Der Ziegelbau aus dem 19. Jahrhundert strahlt Konstanz aus. Prägt dieses Umfeld auch die Weine?
Don Bernardo Weinert kaufte 1974 das Gebäude der Keller wegen. Sein Ziel war, Weine mit Lagerpotenzial im Bordeaux-Stil zu keltern, was damals einer kleinen Revolution gleichkam. Die Produktionsstätte ist Teil unserer Identität, sie ist ja auch auf dem Etikett abgebildet. Es ist ein sehr zweckmässiger, praktischer Bau. Alles ist durchdacht, von der Traubenannahme über den Zentralkeller bis hin zu den Lagerkellern. Eigentlich ist die Nutzfläche überdimensioniert mit einer Lagerkapazität von vier Millionen Litern, aktuell produzieren wir pro Jahr 500 000 Flaschen. Doch die Platzreserve ist bequem zum Arbeiten. Alles kann am Ort bleiben, ich muss weder die Traubenannahme noch die Pressen nach dem Herbst versorgen.

Über sechs Meter tief reichen die verzweigten Keller in die Erde. Wie lange reifen die Weine dort in den grossen Fässern?
Unsere neue Linie, die Rebsortenweine Carrascal Varietal, reifen 12 bis 14 Monate, der Carrascal rund zwei Jahre, die Weine der Cavas-de-Weinert-Linie zwischen drei und fünf Jahre und unser Flaggschiff, der Estrella, so lange, wie er eben braucht.

Was sind die Voraussetzungen für die Produktion eines Estrella?
Ein Estrella muss sich klar von unseren anderen Weinen abheben. Gemessen am Bordeaux-System sind der Cavas de Weinert und der Carrascal Zweit-, ja sogar Drittweine. Doch in manchen Jahren stimmen alle Faktoren. Dann beobachten wir die Entwicklung der einzelnen Malbec-, Cabernet- und Merlot-Fässer. Wir degustieren und notieren jede sensorische Veränderung und Entwicklung. Wenn alles passt, klassieren wir unseren Spitzen-Cru. Dann wird ein Stern geboren, ein Estrella, ein Wein von ausserordentlicher Qualität, der so lange in den Fässern schlummert, bis er reif dafür ist, das Licht der Welt zu erblicken. Das kann dann wie beim Malbec Estrella 1994 auch 16 Jahre dauern.

Wann gibt es einen neuen Estrella?
2013 war ein guter Jahrgang, dessen Entwicklung wir im Auge behalten. Und wir hoffen auf das Jahr 2017, dann feiert Weinert das 40-jährige Jubiläum. Es wäre schön, könnten wir das Ereignis mit einem Estrella krönen.

Hat Weinert noch den ersten Estrella-Jahrgang 1977 auf Lager?
Ja, diese Legende lagert noch bei uns im Keller. Die Flasche Malbec Estrella 1977 kostet 500 US-Dollar. Und die Estrella-Fans pilgern zu uns, um ihn zu kaufen. Ein Herr aus Minnesota kommt mehrmals im Jahr mit einem leeren Koffer und füllt diesen mit unseren Sternen. Seine Kleider hat er im Handgepäck.

Vor drei Jahren hat sich der Geschäftsmann Miguel Ángel Lopez an Weinert beteiligt. Was läuft nun anders?
Wir arbeiten an neuen Produktlinien und sondieren die Wünsche unserer Kunden. Mein Job als Exportmanager deckt diesen Bereich ab. Eine ideale Aufgabe für mich, denn ich kann sofort sagen, ob Wünsche wie mehr Holz oder üppigere Frucht realisierbar sind und ob sie der Weinert-Philosophie entsprechen. Von kurzfristigen Moden rate ich ab, denn bis wir mit unseren Weinen auf den Markt kommen, gibt es bereits einen neuen Hype. Weinert ist auf Konstanz gebaut, nicht auf Trends.

Sind die Trends ein Problem für die argentinische Weinwirtschaft?
Mit Sicherheit. Viele Produzenten setzen darauf. In Buenos Aires findet man in Restaurants und Bars rund 10 000 verschiedene Wein-Labels. Neues kommt auf den Markt, verschwindet aber oft nach zwei Jahren wieder. Das sind Weine ohne Philosophie, ohne Idee dahinter, beworben mit viel Marketing, das auf die Flasche gerechnet teurer kommt als die verwendeten Trauben und Produktionskosten zusammen. Investitionen, die besser in die Qualität der Weine geflossen wären.

Was trinken Sie am liebsten, wenn Sie in der Schweiz sind?
Rivella und Apfelsaft (lacht verschmitzt)! Das gibt es in Mendoza nicht. Spass beiseite: Wenn ich in meiner alten Heimat bin, degustiere ich gemeinsam mit einem guten Freund, der mir verrückte Sachen mitbringt und die Flaschen immer verdeckt serviert. Neulich auch. Ich rätselte, was da wohl im Glas sei. Der kräftige Brombeerduft passte weder zu Pinot noch zu Syrah. Ich kam einfach nicht drauf. Und was für eine Überraschung: Es war ein Malbec aus der Deutschschweiz. Die weichen, reifen Tannine haben mich echt verblüfft.

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