Eine Stunde mit Johann Willsberger

«Die Zunge können Sie nicht bescheissen»

Interview: Ursula Heinzelmann, Fotos: Rolando Cocco

Die reine Neugier leitete Johann Willsberger, als er ab 1976 Weine und Winzer, gutes Essen und Köche für die neu gegründete Zeitschrift «Gourmet» auswählte. Neugierig ist er immer noch, kompromisslos auch. Guten Wein aus einem miserablen Glas trinken? Niemals.

 

Herr Willsberger, wie haben Sie die Weine ausgewählt oder gefunden, die in den «Gourmet» kamen?

Nehmen wir Kalifornien: Der Bremer Weinhändler Segnitz hatte einen Kalifornier im Programm, Stag’s Leap, den fand ich toll, und so bin ich 1977 da zum ersten Mal rüber. Und merkte, hey, da geht ja was los. Dann bin ich jedes Jahr drüben gewesen. Da habe ich mit dem alten Mondavi, der damals noch nicht so alt war, die ersten Proben Chardonnay mit und ohne Barrique nebeneinander gemacht, der alte Grgich mit seinen monströsen Chardonnay... Neugierde schlicht und einfach. Lernen. Beim Essen wie beim Wein war die oberste Regel: nichts im Studio, alles original. Es gab keinen Wein, über den wir geschrieben haben, bei dem ich nicht beim Winzer im Keller war.

Das heisst, Sie haben schon immer gerne Wein getrunken?

Ja, aber ich bin ja auch nicht mit dem Pétrus in der Flasche gross geworden. Da ich bei fast allen grossen Köchen der Welt fotografiert habe, habe ich immer Links zu den guten Winzern gekriegt und umgekehrt von den Winzern Tipps, da kocht einer noch ein bisschen so im Verborgenen, ist aber eigentlich ganz gut. Da entsteht dann mit der Zeit so ein System.

Wir trinken Grüner Veltliner Federspiel von Knoll aus der Wachau aus Ihrem Keller – der Hauswein kommt nach wie vor aus Österreich?

Nicht grundsätzlich, aber der ist von gestern übrig geblieben. Wir hatten eine grosse Geschichte im «Tantris», ein 14-Gänge-Menü. Spumante Giacosa zum Anfang, dann 78er Dom Pérignon aus der Magnum zum zweiten Amuse-Gueule, das war mit Kaviar eine schöne Kombination, und die ersten sechs weiteren Gänge mit diesem Veltliner, damit ich am Leben bleibe. Denn wenn ich da schon Trümmer auffahre... Danach gab es 2012er Châteauneuf weiss von Juliette Avril, und da beide relativ frisch waren, konnte man den ganzen Nachmittag durchhalten. Die Grundüberlegung ist: Da habe ich einen Wein, und ich habe ein Gericht, und dann gibt es drei Möglichkeiten: Entweder der Wein ordnet sich dem Gericht unter, oder sie korrelieren, oder er dominiert es. Aber habe ich darüber je etwas gehört oder gelesen? Die haben alle immer wild diskutiert, toll und super oder eben nicht, aber so simple Sachen wie: Wie baue ich ein Menü auf, das ein bisschen länger geht? Glasweise Zuordnung ist nur in Ausnahmefällen sinnvoll. Als gelernter Esser gehe ich an so ein Thema völlig anders ran. Was habe ich? Ein Klavier mit Wein, das sind die schwarzen Tasten, könnten auch bordeauxrot sein, und dann habe ich das Essen, das sind die weissen Tasten, und jetzt spiele ich drauf. So simpel.

Erfahrung hilft trotzdem.

Ja, es ist nicht ganz so simpel, das ist schon klar. Den Leuten hilft man aber nicht mit diesem Quatsch, die haben den Wein nicht, kennen ihn nicht, wissen nicht, wo sie ihn bekommen, die haben die Gläser nicht... womit wir bei meinem Lieblingsthema wären.

Was mich natürlich brennend interessiert. Ich kann mich erinnern, als ich Ihre Gläser in den 80ern zum ersten Mal gesehen habe. Da dachte ich nur: potthässlich.

Wir haben die ja lange Jahre bei Riedel gemacht, und Georg Riedel sagte immer, niemals werden Frauen diese Gläser mögen. Hatte er übrigens unrecht.

Wie kommt man denn darauf, so ein Glas zu machen? Heute finde ich sie nämlich toll...

Es hat mich einfach geärgert. Die Champagnertüte von Riedel wurde ja immer als Nonplusultra gefeiert. Aber ich will Bouquet erleben, und das findet in so einem Glas nicht statt. Dann hätte ich gern, dass die Mousse vorne ist und nicht wie Schaum in der Backe. Ich will den langen weinigen Abgang haben, sind ja gelagerte Weine. Egal, ob die Flasche 20 oder 200 kostet, wenn ich den Stoff über die Schaltstelle Glas nicht perfekt und so gut wie nur irgend möglich rüberkriege, dann ist das ein Sch...glas, Entschuldigung, aber so einfach ist das. Das führte zu dieser Form. Jetzt ist die Serie zum ersten Mal technisch auf der Maschine gefertigt worden. Bleikristall, in mit Platin beschichteten Pressformen, und ich kenne kein Glas, das so einen Sound hat und so günstig ist. Was mich aber zornig macht, sind Kopien.

Sind Kopien nicht auch ein Kompliment?

Den Quatsch erzählt jeder. Es ist eine Sauerei. Die sagen immer alle, sie hätten das ja nur so ein bisschen hier und dort... Aber der da oben passt auf, keine Kopie ist so perfekt wie das Original. Und, darf ich das rustikal bayerisch sagen: Die Zunge können Sie nicht bescheissen. Würde mich freuen, wenn ein Professor von irgendeiner Uni das alles erklären könnte.

Wir könnten uns drei Tage lang über Gläser unterhalten, da im Moment ja die Tendenz dahin geht, alles understated zurückzunehmen. Neulich habe ich in New York fürs Wasser grosse Ballons bekommen, wenn auch ohne Stiel, für den Wein hingegen die billigsten Pressglasbecher. Ich habe mich schlichtweg geweigert, daraus Wein zu trinken. Den meisten scheint gar nicht bewusst zu sein, in welchem Ausmass man den Wein so zerstören kann.

Ist der alte Film: Stoff gut in der Flasche, Werkzeug Glas nicht gut, Stoff nicht gut. Ich will, mit Hilfe des Glases, mit einem Wein so intim wie möglich werden.

Was macht man eigentlich, wenn man 25 Jahre lang alle drei Monate eine Ausgabe von «Gourmet» produziert hat? Wird der Wein für Sie fotografisch immer wichtiger als das Essen?

Nein, es ist bei den grossen Büchern einiges im Werden, das ist ein neuer Schritt, sowohl Wein als auch Essen in völlig anderen Umsetzungen. Aber beim Wein arbeite ich auch mit Skulpturen. Hinter Ihnen, da ist ein mittelgrosses Yquem-Bild. Die Korkenzieher symbolisieren Wein und Rebe, und die Dinger [in einem grossen, dichten Quadrat von hinten durch die Leinwand gestossen] sind einfach vergoldet... Gefällt Ihnen nicht, sehe ich schon.

Reben, Wein, das leuchtet mir ein, aber die Dinger sind ja auch ziemlich aggressiv spitz.

So habe ich das noch nicht gesehen. Es gibt auch Bilder mit stumpfen Korkenziehern. Und dann 2010 die grosse Ausstellung im Kloster Eberbach, 20 grosse Rote beim Gären. In der Basilika jeweils an einer Säule, im Presshaus, in jeder dieser grossen Pressen, ein grosses Klappbild. War schön, und die Ausstellung war eine Weile auf Tour.

Sie haben ja die Entwicklung der neueren deutschen Gastronomie von Anfang an mitverfolgt, wie empfinden Sie das jetzt? Entwickelt sie sich weiter?

Ich krieg immer Lachfalten bei der Diskussion, wo die Reise beim Essen hingeht. Die ganze Essensgeschichte verläuft in Wellen, die nordischen Petitessen werden sich gelegentlich auch wieder verabschieden. Wenn ich mich in der Früh nicht mehr erinnere, was ich am Abend als grosses Menü gegessen habe, dann hat das nichts damit zu tun, dass ich zu viel getrunken habe, sondern dass es alles gleich ausschaut und alles gleich schmeckt. Das kann’s nicht sein. Es geht nicht nur um die Menge, sondern um die Befriedigung. Wenn man in Wien zu «Plachutta» Tafelspitz essen geht, das ist ein Phänomen. Das Ding ist einfach toll. Was aber eine unfassbare Katastrophe ist, ist, dass die daraus nichts machen. Das kommt wie Kraut und Rüben auf den Tisch.

Es fehlt im übertragenen Sinn das richtige Glas?

Ja. Mich ärgert es, wenn ich um den möglichen Genuss betrogen werde.

Wie erhält man sich die Neugier? Den meisten Menschen gelingt das nicht...

Sehen. Schmecken. Immer wieder probieren. Wenn man mir einen mir unbekannten Wein hinstellt, dann freu ich mich erst mal drauf. Und frag mich erst hinterher: Was ist das? Das kann weitab der gängigen Kategorien liegen. Die paar wirklich guten Viogniers, die ich kenne, kommen zum Beispiel nicht aus Condrieu. Natürlich spielen immer Vorlieben rein, das ist ganz klar. Und man darf kein fauler Hund sein, das ist wichtig. Bei diesen Gärbildern etwa: Ich bin für zwei Aufnahmen nach Argentinien gefahren. Jetzt können Sie sagen, der Vogel ist grössenwahnsinnig, aber ich bin so belohnt worden. Denn die Gärbilder sind nicht manipuliert, absolut null. Ich habe etwas gesehen, einen bestimmten Ausschnitt, das Licht... Die grossen Gärbilder sind eine andere Geschichte, die sind komponiert, ein Teil ist gespiegelt, aber das Suggestive liegt in der Natur der Dinge.

Was ist Wein für Sie?

Wein ist für mich prinzipiell Neugier. Wir trinken zu zweit, zusammen mit unseren Gästen, etwa eine Europalette Wein pro Jahr. Das verteilt sich zu zwei Dritteln auf unsere Favoriten, die noch viel breiter gestreut sind als die Produzenten, die in meinen Büchern auftauchen. Im Restaurant frage ich nicht mehr so häufig, was ich trinken soll, weil man bei deutschen Weinen ausschliesslich Weine mit Restsüsse bekommt, die laut Etikett trocken sind, aber doch bis zu neun Gramm haben. Ich hasse solche Weine, das sind für mich merkwürdige Kastraten.

Die singen aber manchmal sehr schön...

Das ist nun wirklich ein anderer Film! Ich habe ein solches Glück gehabt, ich war wirklich bei ziemlich vielen Leuten der Erste, der etwas über sie gemacht hat. Als ich damals gerade mit Australien beschäftigt war, schrieben alle über Hill of Grace, aber keiner kannte Astralis. Über den haben wir dann berichtet.

Passiert so etwas heute auch noch?

Mir nicht, denn wenn ich heute alle zwei Jahre in Kalifornien bin und in den Weinläden in St. Helena sehe, was es da alles gibt, da gehe ich frustriert wieder raus. Da soll mir einer von den Journalisten sagen, er hätte die alle getestet. Die hängen alle nur bei ihren Favoriten rum.

Leiden wir an Überflutung?

Ja, aber die Dinge werden auch immer ähnlicher, ein Teil wird immer belangloser. Und das gilt fürs Essen wie für den Wein.

Vita

Johann Willsberger (72) lernte Schriftsetzer, war Artdirector bei der Zeitschrift «Capital» und fotografierte Uhren, Porzellan, alte Kameras und andere Antiquitäten sowie Landschaften für Reisebücher, bevor er sich Küche und Keller zuwandte. 1976 gründete er mit Karin Krüger und Hans Heinrich Ziemann die Zeitschrift «Gourmet», die bis zur letzten Ausgabe 2001 die Renaissance der Gastronomie grossformatig begleitete. Der Wein war dabei ebenso wichtig wie Köche und Essen. 1982 schuf Willsberger mit Riedel eine Serie gewagt kantig geformter Weingläser: Die «Willsberger Collection» war ihrer Zeit voraus. In den letzten Jahren widmete er sich vor allem dem Wein selbst als Objekt vor der Kamera. Die «Bilder vom Wein» (2008), zwei grossformatige, gewichtige Bände, fangen Wein, Landschaften und Menschen ein. Noch tiefer gehen die grossen Gärbilder, die unter anderem 2010 in einer Ausstellung im Kloster Eberbach zu sehen waren. Seit 1991 lebt der gebürtige Steirer in Hergiswil in der Schweiz.

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