Silvaner der neuen Machart

Freakstoff für Fortgeschrittene

Text: Eva Maria Dülligen, Fotos: Thomas Epping

Dreimal auf Holz geklopft – oder besser zweimal auf Holz und einmal auf Beton. In alten gebrauchten Stückfässern lassen die beiden Winzer Tobias Knewitz und Michael Teschke ihre Silvaner auf den Höhepunkt reifen. Daniel Sauer macht seinen im Beton-Ei zu einer ovalen Sache.

«So riecht mein Sylvaner», sagt Michael Teschke, spuckt auf einen Kalkstein und hält ihn mir unter die Nase. Wie er schmeckt, möchte ich bei aller Sympathie für diesen ungewöhnlichen Menschen lieber im Glas herausfinden, statt hier in der rheinhessischen Lage Dünnbach einen von fossilen Schnecken und Muscheln bedruckten Gesteinsbrocken abzulecken. Bei der Verwitterung setzt der Boden Magnesium, Kalzium und Eisen in der Anlage mit 50 Jahre alten Rebstöcken frei. Die Wurzeln quälen sich in die Tiefe, um an diese Nährstoff e zu kommen, jene aromatischen Mosaiksteine, von denen Teschkes Sylvaner mehr oder weniger geprägt sind. Je nachdem, wie sie ausgebaut werden. «Manchen meiner Silvaner steht Holz sehr gut, andere profitieren eher vom Edelstahl», sagt der 46-Jährige und lädt wenig später an seinem Küchentisch dazu ein, selbst zu urteilen. Schnell ist ausgemacht, wie viel gradliniger und puristischer die Edelstahl-Varianten auf die Geschmackspapillen zielen und um wie viel charmanter und barocker sich die Silvaner aus den Holzgebinden gebärden. Teschkes Erfahrungswerte beim Holzausbau wurzeln tief und schlagen in die Breite, reichen von der burgundischen und Bordelaiser Barrique für seine Spätburgunder über portugiesische und ungarische Eiche, in der er Portugieser und Blaufränkisch reifen lässt, bis zum deutschen Stückfass. Davon hat er sich Anfang 2000 gleich ein Dutzend aus dem Reifekeller des Vaters seiner damaligen Freundin abgeholt: hundert Jahre alte 600 und 1200 Liter fassende ovale Gebinde, deren Holz im Binger Wald des Hunsrücker Mittelgebirges geschlagen wurde.

Ärsche statt Sterne

Holztypische Sekundäraromen wie Röstnoten sucht man vergebens in den Silvanern aus Stück und Halbstück. Vielmehr ist es die Mikrooxidation, mit der das geschmacksneutrale Material Fruchtnoten nach vorne spielt – Birne, Stachelbeere, Golden Delicious. Im Hintergrund lodern oft Feuersteinnuancen. Pferdesattel und hefige Anklänge lassen sich allenfalls auf die Spontanvergärung zurückführen. Dass der athletische, naturnah anbauende Winzer mit Dreitagebart und Pferdeschwanz seine Lieblingsrebsorte nach österreichischem Vorbild mit «y» schreibt, begründet er augenzwinkernd. Mit «i» würden die Silvaner geschrieben, die nicht schmecken. Mit «y» die besseren, weil man mehr davon trinke und es dann auch lockerer aussprechen könne. Um Konventionen schert sich der Sohn ostpreussischer Vertriebener kaum. Er sieht sich als Martin Luther der vernachlässigten Sylvaner-Religion, versah seine Weine eine Weile mit Ärschen, einem Punkte-System, das grössenwahnsinnige Kollegen, die ihre Etiketten mit Pünktchen und Sternchen schmücken, wieder erden sollte. «Aus dieser Phase bin ich rausgereift. Ich mache trotzdem keine Sachen, nur weil sie das ganz schnelle Geld versprechen.»

Keine Schulbuch-Silvaner

Blut geleckt hat Jungwinzer Tobias Knewitz während seiner Ausbildung beim pfälzischen Weinwunder Philipp Kuhn. Nächtelang wurden Rebsorten-Strukturen diskutiert und Weinstile verglichen. Die wohl spannendste Zeit für den heute 24-Jährigen. Und die Initialzündung, um Partien der Silvaner im Reifekeller seines rheinhessischen 16-Hektar-Weinguts 40 Jahre alten Holzfässern zu überlassen: «Dick und rund kann jeder. Aber den Kalkboden schmeckbar zu machen, charismatischen Freakstoff zu erzeugen, das ist Kunsthandwerk.» Was nicht heissen soll, dass jeder Wein ins Fass muss, um ein glasklares Profil zu entwickeln. Seit der Übernahme des väterlichen Kellers anno 2008 experimentiert der Geisenheim-geschulte Önologe mit allen möglichen Ausbaumethoden. Riesling und Weissburgunder vergären spontan in Edelstahl. Seine beiden Silvaner sind auch Spontis, werden aber je nach Jahrgangscharakter partiell im Stahltank und im Holz vinifiziert. Mal ist das Verhältnis 70  zu 30, mal umgekehrt. Knewitz kommt es vor allem darauf an, die Gelbfrucht des Terroirträgers Silvaner zu zähmen, auf sekundäre Frucht hinzuarbeiten und parallel die Stimme des 50 Millionen Jahre alten tertiären Kalksteins der Lage Appenheimer Eselspfad sprechen zu lassen. Er möchte den alchemistischen Balanceakt zwischen den reduktiven, geschliffenen Elementen durch den Stahl und dem oxidativen, komplexeren Stoff durch das Holzfass an die Silvaner weitergeben. «Für uns transportiert Holz die Herkunft, ist aber nur ein Stilelement», sagt der Nachwuchswinzer. «Wir wollen keine Holznoten, sondern Regionalität.» Raum für schmeckbaren Boden lassen 600- und 1200-Liter-Fässer aus jahrzehntealter Hunsrück-Eiche. Diesen Stück- und Halbstückfässern gibt Knewitz mittlerweile den Vorzug vor den Dauben aus dem Johanniskreuz im Pfälzer Wald. Zu weich wären die Silvaner in den Hölzern geworden, die auf pfälzischem Buntsandstein gewachsen sind.

Silvaner im Beton

Keine erhöhten Werte, dafür das perfekte Verhältnis von Oberfläche und Luftaustausch verspricht der 32-jährige Diplom-Ingenieur für Weinbau und Önologie des VDP-Weinguts im fränkischen Escherndorf Daniel Sauer. Der Sohn des personifizierten Premium-Silvaners Rainer Sauer hat eine nahezu sinnliche Beziehung zu den beiden 900-Liter-Beton-Eiern im Reifekeller. Bevor er die Gärriesen mit Silvaner aus der Paradelage Escherndorfer Lump befüllt, streicht der Juniorchef die nahtlose Innenfläche mit einer Weinsäurepaste aus, damit der pH-Wert konstant bleibt und keine Fremdstoffe in den Wein übergehen: «Die staatliche Weinkontrolle hat über zwei Jahre Proben unserer Beton-Ei-Silvaner analysiert und den Wein schliesslich freigegeben. Die Ergebnisse sind unangreifbar.» Beeindruckend sind die skurrilen Gärgebinde allemal. Antoine Kaufmann, Winzer des provenzalischen Bio-Château Duvivier, entwickelte sie allerdings ausschliesslich für Rotwein, der ob seiner Tannin- und Säurestruktur viel weniger zur chemischen Reaktion mit dem Material neigt als säuregeprägter Weisswein.

Zurück zur Urform

Neutralisierter Beton-Innenschale und Mikrooxidation an der feinporigen Oberfläche sei Dank kommt der muschelkalkige Charakter der Silvaner zum Tragen. Immer dichter gräbt sich Daniel Sauer an die Wurzeln des Weinbaus, er bewirtschaftet ein Drittel seiner Parzellen biodynamisch und lässt alle Weine auf traubeneigenen Hefen vergären. Da war ein amphorenähnlicher Ausbau die logische Keller-Konsequenz: «Zusammen mit Ludwig Knoll sind wir die Ersten in Deutschland, die ihre Weine in dieser ‹Urform des Lebens› reifen lassen. Es gibt keine Ecken und Kanten wie bei Holz oder Edelstahl, was den Most absolut gleichmässig vergären lässt.» Bei der anschliessenden Silvaner-Probe ist man nahe dran zu glauben, dass sich dieser architektonische Goldene Schnitt mit viel mineralischem Schmelz und einer Prise Salz am Gaumen fortsetzt. Wie ein Küken über frische Wiesenkräuter hüpft Sauers Ab Ovo – zu Deutsch «vom Ei, ursprünglich» – durch die Mundhöhle. Die füllige Art des Silvaners wird durch den Ausbau in Beton filigraner, schafft Spielraum für Muschelkalk vom Boden der Lage Escherndorfer Lump. Von mir aus könnten die Sauers noch mehr solcher Beton-Eier in ihrem Keller legen.

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