Winzer gehen fremd

Let’s Talk About Gin!

Text: Harald Scholl

Es hat ganz schön abgeräumt in den letzten Jahren, das medizinische Wundermittel der englischen Offiziere. Ganz vorne im nicht enden wollenden Gin-Boom mischen Winzer jetzt mit. Auch sind die ersten daran, auch noch Bier zu brauen.

Im Grunde sind Seitensprünge von Winzern nichts überraschend Neues. Neben der Arbeit in Keller und Weinberg noch ein wenig an der Brennblase zu stehen, sei es um den Trester zu verwerten oder die ohnehin anfallenden Weinbergspfirsiche zu verarbeiten, ist für viele Winzer selbstverständlich. Macht sich ja auch gut auf der Weinliste und zeigt sich vor allem im Direktverkauf als guter Umsatzbringer. Der aktuelle Favorit von Winzern und Kunden ist dabei Gin. Ganz vorne mit dabei ist das Weingut Forstmeister Geltz-Zilliken aus Saarburg. Ihr «Ferdinand’s Saar Dry Gin» ist zur Benchmark in Sachen Winzer-Gin geworden. Durch den umwerfenden Erfolg seit der Einführung 2013 ist innerhalb weniger Jahre aus einem Gin eine ganze Produktfamilie geworden. Quitten-Gin, eine jährliche «Gold Cap»-Sonderedition, Wermut und Bittere machen aus Ferdinand’s ein komplettes Sortiment. Es ist das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen dem Weingut Geltz-Zilliken und dem Brenner Andreas Vallendar. Über 30 Gewürze, Kräuter und Früchte, die sogenannten Botanicals, sind drin, dazu Riesling aus dem Weingut. Wein ist elementarer Bestandteil des Gins, Spätlesen oder Auslesen werden nach dem Destillationsvorgang zugegeben. Je nach Gin zwischen ein und fünf Prozent der Gesamtmenge. Das erscheint im ersten Moment nicht weltbewegend, sorgt aber nach Ansicht der Macher dafür, dass die floralen Noten der verwendeten jungen Wacholderbeeren unterstützt werden und so den speziellen Geschmack des Ferdinand’s bilden. Um den Weinbezug noch zu verstärken, wird die Flasche verkorkt – nicht geschraubt. Das ist zwar nicht wirklich praktisch – Stichwort: Wiederverschliessen –, aber sehr stilecht. 

Like a Wirgin …

Den Erfolg der Winzerkollegen von der Saar hat man auch auf dem fränkischen Weingut Hans Wirsching bemerkt. Unter Federführung des Kellermeisters Dr. Klaus-Peter Heigel wurde ein Gin kreiert, der aber nicht so heissen darf. «Wir verwenden Brand aus eigenen Weinen und keinen ‹EU-Sprit›, deshalb dürfen wir unseren ‹WirGin› auch nicht offiziell als ‹Gin› bezeichnen», so Andrea Wirsching, Chefin des Hauses. Der Verzicht auf den laut europäischen Richtlinien erforderlichen Neutralalkohol sorgt für eine ganz eigene, betont weiche Note. Ende Juli 2017 kamen die ersten 1000 Flaschen auf den Markt, zum Jahresende wurde bereits nachgebrannt. Und das ganz ohne Werbung, ein Facebook-Posting hat für den Erfolg gereicht. Läuft bei den Wirschings. Was der Chefin besonders gut gefällt, sind die Nebenwirkungen. «Durch den ‹WirGin› erreichen wir auch jüngere Kunden, die mit unserem Bocksbeutelweingut sonst nicht in Kontakt gekommen wären. Der Marketingnutzen ist nicht von der Hand zu weisen.» Die findigen Franken haben nach vergleichbarer Machart noch einen zweiten Gin am Start. Auch bei diesem kommt kein Tropfen Neutralalkohol zum Einsatz. Gebrannt ist er aus eigenen Iphöfer Weinen. «Hand-crafted» und «hand-made», besteht «Der Müller», hergestellt nach der Methode eines London Dry Gin, zu 100 Prozent aus Müller-Thurgau, plus 20 ausgesuchten Botanicals, die 24 Stunden mazeriert wurden, danach zweifache Destillation. «Der Müller» zeichnet sich durch ein zartes Wacholderaroma aus, Lavendel, Orangenblüten, Ingwer, Pfeffer und Pappelknospen runden den Geschmack ab. Das Gin keine Spezialität alteingesessener Traditionsweingüter sein muss, zeigen die Genossen der Oberkircher Winzer. Im heimischen Schwarzwald sammeln sie handverlesen die Zutaten für ihren «Boar» und machen sogar vor dem äusserst seltenen – und mit Sammelverbot belegten – Schwarzwälder Trüffel nicht halt. Er kommt auch mit in die Brennblase und entzieht während des Herstellungsverfahrens dem Gin einen Teil der Bitterstoffe und der Schärfe – macht ihn also besonders mild. Nicht ohne Stolz weisen die Weingenossen darauf hin, dass ihr «Boar»-Gin bei den Global Spirit Awards 2017 zum besten Gin und zur besten klaren Spirituose der Welt gekürt wurde.

Das Beste an der Weinprobe …

… ist das Bier danach. Ein nicht aus den Köpfen zu bringendes Bonmot. Aber es ist etwas dran: Wer die Aufmerksamkeit eines Winzers gewinnen möchte, kann mit einem guten Bier definitiv punkten. Keine Überraschung also, dass sich die Meister der Trauben auch um den Hopfen kümmern. Wobei die Ernsthaftigkeit, mit der man sich mit dem Thema Bier auseinandersetzt, auf Schloss Reinhartshausen im Rheingau ziemlich einmalig ist. Seit die Pfälzer Familie Lergenmüller 2013 das Traditionsweingut übernommen hat, wird dort auch Bier gebraut. Die Idee eines Winzerbiers entstand vor allem, weil in der zum Betrieb gehörenden Monopollage Erbacher Rheinhell auf der Rheininsel Mariannenaue wilder Hopfen in ausreichender Menge wächst. «Rheinhell» heisst das Bier, das in der Bügelflasche auf den Markt kommt. Angenehm leicht schmeckt es, sehr süffig und erfrischend. Perfekt nach der Weinprobe. Ans Bier gewagt hat sich 40 Kilometer rheinabwärts auch der jung-dynamische Winzer Kai Schätzel aus Nierstein. Natürlich kann es kein gewöhnliches Bier sein, dass er auf Flasche zieht – schliesslich sind auch Schätzels Weine alles andere als Mainstream. Sein «Brau-Nett» ist eine am belgischen «Geuze» angelehnte Bierspezialität, eine Co-Produktion mit der Kleinstbrauerei Kuehn Kunz Rosen aus Mainz. Technisch gesehen ist es ein im Verhältnis 60 : 40 aus Trauben- und Gerstenmaische vergorener alkoholischer Durstlöscher. Weitere Zutaten sind Hopfen, Hefe, Milchsäure und Salz. Das Ergebnis ist ein hellgelbes, sehr trübes Getränk, einem Federweissen nicht unähnlich. Der Traubengeschmack steht im Vordergrund, dazu kommt ein wirklicher Getreidegeschmack. Sehr ungewöhnlich und eigen. Wer kein eigenes Bier braut, sucht in der Nachbarschaft nach passenden Ergänzungen. Das kann zu eigenwilligen Kreationen führen, wie im Fall der fränkischen Symbiose der Brauerei Kundmüller und dem Weingut Wagner. Direkt an der Grenze vom sogenannten «Weinfranken» zu «Bierfranken» kreierten die beiden Häuser ein im Dornfelder-Barrique gelagertes Bier. Philipp Wagner, Geisenheimer Weinbaustudent, und seine Familie haben seit 2015 den Weinberg hinter der Brauerei Kundmüller gepachtet. Weil dort schon früher – bis zum Bau der Brauerei 1874 –Wein angebaut wurde, lag der Gedanke, in benutzten Weinfässern ein Bier zu lagern, nah. Dafür ist natürlich kein helles Pils geeignet, ein dunkles Weizenbock kommt ins Fass. Acht Monate wird es gelagert, aus dem ohnehin schon üppigen Bier wird ein mächtiges, malzgeprägtes mit deutlicher Vanillenote. Der Kontrapunkt zu den leichten Bieren vom Rhein. Und jeden Seitensprung wert. 

Platzhirsch mit Riesling

Ferdinand’s 
Saar Dry Gin

17.5 Punkte | 44 Vol.-% 

Regionale Zutaten wie Schlehe, Hagebutte, Angelika, Hopfenblüte und Weinrose sorgen neben der Basis Wacholder für den fruchtig-eleganten Geschmack. Ein moderner Klassiker. 

Preis: 35 Euro (500 ml) | www.saar-gin.de

 

Wilder Inselhopfen

Schloss Reinhartshausen
Rheinhell Winzerbier

17 Punkte | 5,2 Vol.-% 

Eine obergärige, unfiltrierte Bierspezialität, gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot. Durch die Verwendung des wild wachsenden Hopfens völlig eigenständig in Duft und Geschmack. Relativ leicht und sehr süffig. 

Preis: 3,90 Euro (330 ml) | www.schloss-reinhartshausen.de

 

Schwarz-Wald-Trüffel

Oberkircher Winzer E.G.
Boar

17 Punkte | 43 Vol.-% 

Der Gin mit dem Trüffel. Trotzdem vor allem Wacholder, Lavendel, Thymian und leichte Zitrustöne. Komplexes Spiel von Pfeffer, Rosmarin und Ingwer, endet sehr sanft, ohne Bitterstoffe oder Schärfe.

Preis: 35,90 Euro (500 ml) | www.oberkircher-winzer.de

 

Schwaben-Brenner

Weingut Martin Albrecht
Black Bird Gin

17 Punkte | 47 Vol.-% 

Martin Albrecht ist Winzer und leidenschaftlicher Brenner. Sein Gin ist klassisch mit mediterraner Note: frische Blutorange, Zitrusnoten, in der Mitte deutlich von Koriander und Wacholder geprägt. 

Preis: 29,50 Euro (500 ml) | www.martin-albrecht-weingut.de

 

Bock vom Winzer

Weiherer Weizenbock
Holzfassgelagert Dornfelder

17 Punkte | 7,7 Vol.-% 

Dunkles Braun im Glas, erinnert an Stout. Deutliche Malzsüsse, Vanille, Dörrobst, Honig. Samtig-weich im Mund, füllig, verhallt langsam. Erinnert im Finale deutlich an Stachelbeeren. 

Preis: 14,90 Euro (750 ml) | www.brauerei-kundmueller.de

 

Fränkische Jungfrau

Weingut Hans Wirsching
WirGin

18 Punkte | 42 Vol.-% 

Ein betont weiniger Gin, was vor allem am verwendeten, hauseigenen Weinbrand liegt. Zartes Wacholderaroma, Lavendel, Orange, weisser Pfeffer. Ein Schmeichler, der besonders pur seine Stärken ausspielen kann. 

Preis: 29,50 Euro (500 ml) | www.wirsching.de

 

Pfälzer Sternebrand

Weingut Stern
44 Star Gin Deluxe

17.5 Punkte | 44 Vol.-% 

44 (!) Botanicals geben Namen und Geschmack: Hagebutten und Johannisbeeren bringen Frucht, Feigen, Kastanien und Sauvignon Blanc Pfälzer Eigenart. Sehr ätherisch, Fenchel und Anis bestimmen das Aroma. 

Preis: 44 Euro (500 ml) | www.weingut-stern.de

 

Naturtrüber Hybrid

Weingut Schätzel
Brau-nett

16.5 Punkte | 4,9 Vol.-% 

Trüb-hellgelb, in der Nase leicht säuerlich. Im Mund junger Wein, Federweisser, dahinter deutlich schmeckbar frisch eingemaischtes Getreide. Sehr frisch, animierend, der Wein steht leicht im Vordergrund. Ungewöhnlich – aber gut. 

Preis: 6,90 Euro (330 ml) | www.kuehnkunzrosen.de

 

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