Südtirol

Gipfelstürmer

Text: Thomas Vaterlaus

Keine Angst: Die Gipfel bleiben unangetastet. Doch eine stetig wachsende Zahl von Südtiroler Spitzenwinzern drängt es zur Sonne, zur Freiheit, zum Lichte empor. Jetzt haben die ersten Reben die Höhenmarke von 1300 Metern geknackt. Offizielle Stellen versuchen den Berggang der Winzer in geordnete Bahnen zu lenken.

 

Das «jüngste Kind» von Franziskus Haas ist 0,5 Hektar gross und befindet sich unter dem auf Freilandtierhaltung spezialisierten Eggerhof in Aldein, auf 1150 Metern über Meer. Es ist der zurzeit höchstgelegene Pinot-Noir-Rebberg in Europa. Unsere Blicke schweifen über die Reben und dann scheinbar endlos weit über das Unterland und die dahinterliegenden Berggipfel. Franziskus Haas zeigt hinunter ins Tal und sagt: «Da unten, wo es jetzt schon fast Nacht ist, liegt die Pinot-Toplage Mazon. Hier oben aber haben wir immer noch Licht.» Haas hat das Dorf Aldein im Alleingang zum Weinbaudorf gemacht. 1999 pflanzte er hier auf einer Höhe von 900 Metern rund fünf Hektar an, mehrheitlich mit Pinot Noir. An diesem Abend wird uns Franziskus Haas einen Pinot Noir aus dieser 900-Meter-Lage kredenzen, der es mit seiner zarten Frucht und der filigranen Struktur durchaus mit einigen Grands Crus aus dem Burgund aufnehmen kann.

Für ungesetzlich erklärt

Wenn die Lage sorgfältig gewählt werde, sieht Franziskus Haas heute die Höchstgrenze beim Pinot Noir in Südtirol bei 1300 Metern über Meer. Seine Neupflanzung auf 1150 Metern hat so gesehen noch eine Sicherheitsmarge. Trotzdem hat das Amt für Obst- und Weinbau diesen Rebberg nicht genehmigt. «Man hat mich für ungesetzlich erklärt», sagt Haas und schüttelt den Kopf. Dieser Entscheid beruhe auf einer «agronomischen Formel». Man habe Werte wie Ausrichtung des Rebberges, Hangneigung, Meereshöhe, dazu Temperatur, Strahlung und so weiter in einen Computerr eingetippt, und der habe dann nach Drücken der «Enter»-Taste gesagt, dass diese Lage nicht für den Anbau von Pinot Noir geeignet sei. Dabei kann auch Haas eindrückliche Zahlen präsentieren, um seinen Pinot-Gang in die Höhe zu begründen. In der historisch als Toplage eingestuften Lage Mazon werden die Pinot-Trauben heute oft schon in der ersten Septemberhälfte mit 14,5 Volumenprozent Alkohol, einem pH-Wert von bis zu 3,9 und einem Säurewert von gerade mal vier Gramm gelesen. Die Säure muss dann später im Keller auf 4,5 Gramm angehoben werden.

Oben in Aldein auf 1150 Metern findet die Pinot-Ernte sechs Wochen später statt, in der zweiten Oktoberhälfte, wie es auch in den Toplagen im Burgund oder in Deutschland immer noch der Fall ist. Die Trauben haben dann hier einen potenziellen Alkoholgehalt von gut 13 Volumenprozent, einen pH-Wert von unter 3,6 und eine Säure von 5,5 Gramm. «Das sind für mich die relevanten Zahlen», sagt Haas. Und selbst für den Fall, dass die Trauben in Aldein mal nicht die Reife für einen Top-Cru erreichen, hätte er eine erstklassige Verwendung für sie: Seit Jahren tüftelt er nämlich auch an einem hochkarätigen Pinot-Rosé-Schaumwein.

«Die Lichtintensität in diesen Höhenlagen ist einfach eine ganz besondere. Das zeigt auch die Photovoltaikanlage im gleich neben dem Rebberg auf 1330 Metern über Meer liegenden ‹Geyrerhof›. Die hat eine der besten Energie- ausbeutewerte in ganz Südtirol. Zudem ist hier oben auf dem Ritten auch genug Wasser für die Tropfen-bewässerung vorhanden.»

Josephus Mayr Winzer aus Kardaun

Von offizieller Seite hat man zwar ein gewisses Verständnis für die Reaktion von Franziskus Haas, betont aber auch, dass es ein Instrumentarium geben müsse, um eine etwaige Expansion des Weinbaus in die Höhe zu steuern. «Wenn wir uns erstens vorstellen, wie viele Flächen es in Südtirol über 1000 Höhenmetern gibt, die theoretisch mit Reben bestockt werden könnten, und uns zweitens die Wertschöpfung im Weinbau vor Augen halten, könnten plötzlich viele Winzer zu dem Schluss kommen, dass Rebberge lukrativer seien als Weideland. Würde so eine Entwicklung unkontrolliert einsetzen, wären die Folgen für die Qualität und auch für das Marktgefüge der Südtiroler Weine schwer abzuschätzen», meint Werner Waldboth vom Konsortium Südtirol Wein, der Dachorganisation aller Winzer. Wünschenswert wäre es aber seiner Meinung nach, dass die «agronomische Formel» künftig so weiterentwickelt würde, dass spezielle mikroklimatische Bedingungen besser in die Beurteilung einfliessen können.

Wie wichtig dieser mikroklimatische Aspekt ist, beweist das Beispiel des international renommierten Müller-Thurgau-Crus Feldmarschall von Fenner, der jahrzehntelang als höchstgewachsener Südtiroler Cru galt. Er reift auf der 1000 Meter über Meer gelegenen Hochebene am Fennberg hoch über Magreid. Der kürzlich verstorbene Herbert Tiefenbrunner kannte das spezielle Mikroklima dieser Höhenlage, weil seine Familie hier seit langem eine Sommerresidenz besitzt. Früher soll sogar Tabak angebaut worden sein. Möglich ist dies, weil im Einflussbereich der Salurner Pforte die warmen Ora-Südwinde selbst in dieser Höhe wirksam sind. Schon 1972 pflanzte Herbert Tiefenbrunner, der Zeit seines Lebens ein Verfechter von Weinen mit Finesse und Eleganz war, hier Müller-Thurgau-Stöcke. Obwohl der Wein von Beginn an überzeugte, durfte er fast 30 Jahre lang «nur» als Tafelwein vermarktet werden. Im Jahr 2000 erhielt er den IGT-Status, und seit 2009 ist der Feldmarschall nun endlich ein DOC-Wein.

«In der traditionellen Pinot-Noir-Toplage Mazon wird heute in der ersten Septemberhälfte gelesen, die Trauben haben dann ein Potenzial von 14,5 Volumenprozent und eine Säure von gerade mal vier Gramm. In Aldein auf 1150 Metern über Meer erfolgt die Ernte sechs Wochen später mit einer Reife von 13 Volumenprozent und einer Säure von über fünf Gramm.»

Franziskus Haas Winzer aus Montan

Den Weinbauverantwortlichen in Südtirol ist durchaus bewusst, dass es nach der heutigen EU Rechtsprechung kaum möglich ist, den Winzern das Bepflanzen von bestimmten Lagen zu verbieten. Eine lenkende Einflussnahme wäre am ehesten im Rahmen der DOC-Regelung möglich. Auch Alois Lageder hat die Vision von einem Weingut in einer Höhenlage. Aber wenn schon, soll es ein Hof sein, der nach dem nachhaltigen Prinzip des geschlossenen Kreislaufs funktioniert, also ein Mischbetrieb, der zumindest Tierhaltung und Weinbau vereint. «Ich halte es für wichtig, dass bei einer möglichen Expansion in die Höhe dort nicht die gleichen Monokulturen entstehen, wie wir sie heute in der Talebene haben», betont Lageder und geht noch einen Schritt weiter. Er könnte sich eine Regelung vorstellen, bei der die Rebflächen, die in Höhenlagen neu dazukommen, in der Talebene kompensiert werden müssen, indem dort heutige Weingärten wieder in Auen und Weideflächen umgewandelt werden.

Biologisch-alpiner Weinbau

Dass in Südtirol heute der Weinbau tatsächlich in alpine Bereiche vordringen kann, beweist auch Frans van den Dries in seinem Weinhof Calvenschlössl. Seit 2010 bepflanzt er hinter seinem Wohnhaus, einem ehemaligen Schiessstand oberhalb des Dorfes Laatsch, exakt am Übergang von Münstertal zum Vinschgau gelegen und nur gerade sieben Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt, eine Steillage von rund einem Hektar. 1000 Meter über Meer reifen hier nun auf Terrassen, bewirtschaftet mit Hilfe dreier Esel, sowohl Zweigelt als auch pilzwiderstandsfähige Sorten wie Solaris, Souvignier Gris, Muscaris, Cabernet Jura oder Cabernet Cortis. Der heute 75-jährige Belgier kennt das Vinschgau schon seit 50 Jahren, weil er zum Bergsteigen und Eisklettern regelmässig hierherkam. Als dann 2002 die Reederei in Antwerpen, an der seine Familie beteiligt war, an einen Grosskonzern in Singapur verkauft wurde, zog er mit seiner Frau endgültig hierher. Und sorgt nun als belgischer Winzer in Laatsch für Furore. Van den Dries folgt nicht nur den Regeln des biologischen Anbaus, er gehört zu den wenigen Winzern, die gänzlich ohne Kupferspritzungen auskommen. Anstelle von Kupfer setzt er auf eine «Biogülle», für die in Regenwasser eine vergorene Mischung aus Brennnesseln, Rainfarn, Löwenzahn, Rucola, Schafgarbe und Kamille beigegeben wird, dazu Molke aus einer Biokäserei, Backpulver und Rapsöl.

«Ende Oktober 2015 habe ich in Laatsch auf 1000 Metern über Meer eine Partie von Solaris-Trauben mit 155 Grad Öchsle geerntet. Aber nicht nur der Zucker war da, sondern auch immer noch stolze neun Gramm Säure. Das ist der Unterschied zu den tiefen Lagen. Wir haben hier nicht nur Reife, sondern eben auch die Säure, an der es im Unterland zunehmend mangelt.»

Frans van den Dries Winzer aus Laatsch

Zu den Liebhabern der Calvenschlössl-Weine gehörte schon früh der Abt des nah gelegenen Klosters Marienberg in Burgeis, der höchstgelegenen Benediktinerabtei Europas. Offensichtlich schmeckte ihm der Wein gar so gut, dass er die Idee entwickelte, den nach Süden ausgerichteten Steilhang direkt unterhalb des Klosters ebenfalls mit Reben zu bestocken. 2013 hat die Abtei zusammen mit Frans van den Dries dieses Projekt realisiert. Der terrassierte Rebberg befindet sich 1350 Meter über Meer und umfasst eine Fläche von 2,2 Hektar. In diesem höchsten Rebberg Westeuropas reifen nun die pilzwiderstandsfähigen Sorten Solaris und Muscaris. 2017 sollen die ersten Marienberg-Crus auf den Markt kommen. Van den Dries ist überzeugt, dass vor allem die Sorte Solaris hier voll ausreift. «Im Herbst 2015 habe ich einen Teil meiner Solaris-Trauben mit 155 Grad Öchsle geerntet. Doch im Unterschied zum Unterland sind hier oben eben nicht nur die Zuckerwerte, sondern auch die Säurewerte sehr gut. Besagter Solaris kam mit neun Gramm Säure in den Keller. Wir praktizieren bei allen Weissweinen die malolaktische Gärung. Und haben trotzdem genug Säure.» Um die erwarteten 10 000 Flaschen Marienberg keltern zu können, baut Frans van den Dries bald einen neuen Keller. Und bekommt Unterstützung von seiner 40-jährigen Tochter Hilde, einer Germanistin, die jetzt zusätzlich eine Önologie-Ausbildung absolviert hat. Übrigens: Die Umzonungen von «alpinem Gelände» beziehungsweise von «landwirtschaftlichem Grün» in Rebland gingen im Vinschgau letztlich erstaunlich reibungslos über die Bühne.

Auf die pilzwiderstandsfähige Sorte Solaris setzen auch die Winzer der Vereinigung Tirolensis Ars Vini bei ihrem Höhenlagen-Projekt in Oberbozen. Auf 1330 Metern über Meer, direkt unterhalb des Restaurant «Gyrerhof», werden sie aus der Sorte einen Süsswein produzieren. Einen Hektar wollten sie eigentlich anpflanzen, erlaubt wurden ihnen dann gerade mal 800 Stöcke. Auf die Frage, warum im Vinschgau dann auf der gleichen Höhe gleich 6200 Stöcke gepflanzt werden durften, antwortet Josephus Mayr mit einem breiten Lachen und den Worten: «Es gibt im Südtiroler Weinbau halt manchmal mehr als nur eine Logik.» Dass der Wein mindestens so gut wird wie die Panorama-Aussicht von diesem Rebberg aus, davon ist er überzeugt: «Nicht nur die Frische, sondern vor allem auch die Aromatik der hohen Lagen ist einfach überzeugend.» Bei der Arbeit in den Reben kämen zwar schon mal Wanderer vorbei, die ihm Dinge zuriefen wie: «Spinnt’s ihr jetzt, in dieser Höhe Reben anzupflanzen?» Seine Antwort: «A bissel spinnen isch guet. Ma muess nur wisse, wann’s gnueg isch.»

Südtirol

In Südtirol wird heute auf 5300 Hektar Wein angebaut. Die Rebberge befinden sich zwischen 200 und 1350 Metern über Meer. Kultiviert werden rund 20 Sorten, die wichtigsten sind Vernatsch, Grauburgunder, Gewürztraminer, Chardonnay, Weissburgunder, Lagrein und Pinot Noir. Das Klima ist alpin-mediterran, die Niederschlagsmenge schwankt zwischen 500 und 800 Millimetern pro Jahr und Quadratmeter. Die Bodenzusammensetzung variiert zwischen vulkanischem Porphyr, Urgesteinsböden mit Quarz, Glimmer, Kalk oder Dolomitgestein bis zu sandigem Mergel. Die rund 150 Weinbaubetriebe in Südtirol unterteilen sich in 13 Genossenschaften, 40 Privatkellereien und rund hundert Selbstkelterer.

1350

Marienberg gilt mit seiner Lage auf 1350 Metern über Meer als die höchstgelegene Benediktinerabtei in Europa. Seit 2013 befindet sich am Steilhang direkt unterhalb des Klosters auch der höchstgelegene Rebberg im westlichen Europa. Die 2,2 Hektar werden mit den Piwi-Sorten Solaris und Muscaris bepflanzt. Der Winzer Frans van den Dries will aus der alpinen Cru-Lage rund 10000 Flaschen Wein pro Jahr keltern.

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